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Jörgen und Sibylla

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Gründonnerstag holten sie Jörgen vom Flughafen ab. Darauf hatte Agnes sich schon gefreut. Sie mochte ihren Onkel. Er war viel jünger als Papa und spielte in einer Tanzband Gitarre. Die Band hieß Appendix.

Weihnachten hatte Agnes herausgefunden, dass Jörgen eine Perücke trug. Die hatte morgens neben seinem Bett gelegen, als Agnes sich zu ihm hineinschlich. Erstaunt hatte sie seinen kahlen Schädel angestarrt.

Jetzt trug er keine Perücke mehr.

»Was Roger Pontare kann, kann ich auch«, sagte er und strich sich über den Kopf, als Agnes ihn anstarrte.

Noch mehr starrte sie seine Reisebegleitung an.

Die hatte keine Glatze.

Sie hatte helle Haare, die ihr weit über die Schultern fielen, aber klein war sie, kaum größer als Agnes.

»Das ist Sibylla. Und das ist Agnes«, sagte Jörgen und drückte seinen Zeigefinger kurz auf Agnes’ Nase, wie er das immer tat, wenn sie sich trafen.

»Hallo, Agnes«, sagte Sibylla.

Agnes brachte kein Wort heraus.

Sie standen am Eingang und ein Flugzeug donnerte davon. Agnes reckte den Kopf, um es zu verfolgen.

»Aha, das ist also Agnes«, sagte Sibylla.

»Und ob«, sagte Papa, »und jetzt fahren wir nach Hause.« Er griff nach Jörgens und Sibyllas Taschen und ging aufs Auto zu.

Agnes und Sibylla mussten hinten sitzen. Sie hatten viel Platz. »Da ist man also wieder im Lande«, sagte Jörgen.

»Ja, du, Agnes«, sagte Sibylla.

Ihre Stimme klang wie Elnas Stimme. Wahrscheinlich rauchte sie auch ...

Agnes sagte nichts.

Und ob Sibylla rauchte! Zweimal in einer Stunde ging sie hinaus auf die Veranda. Dort stand sie zusammengeskrümmt in ihrem Mantel und qualmte.

Wenn Jörgen kam, brachte er mindestens zwei Flaschen mit, und dann blieben er und Papa die halbe Nacht auf und tranken Grog.

Agnes fand, das war ein komisches Wort. Wenn sie eine Katze haben könnte, wenn Martin nicht allergisch wäre, würde sie ihre Katze Grog nennen.

Papa sagte »Grog«. Jörgen sagte »einen Kleinen«.

In diesem Jahr brachte er zum ersten Mal keine Flaschen mit.

Diesmal gab es nur eine Flasche Wein und sie gingen früh schlafen.

»Ihr könnt das Doppelbett haben«, sagte Papa. »Dann schlaf ich bei Agnes.«

Agnes half Papa die Betten zu beziehen. Danach schleppten sie die Campingliege aus dem Keller herauf. Sie fragte sich, warum Papa nicht im Gästezimmer schlief, wo sonst Jörgen übernachtete.

Martin kam nach Hause, ohne Elenor.

»Aha, das ist also Martin«, sagte Sibylla und gab ihm die Hand. Sie hatte kleine Hände mit schmalen rot lackierten Fingernägeln, und nachdem sie Martin die Hand geschüttelt hatte, rieb sie ihre Hände.

»Das ist doch nicht nötig, dass du unseretwegen dein Bett räumst«, sagte sie zu Papa.

»Ich brauch kein großes Bett«, sagte Papa und lächelte ein wenig.

»Morgen ist Karfreitag«, sagte Jörgen.

Sibylla trug einen rosa Morgenmantel mit roten Herztaschen.

»Dann also gute Nacht«, sagte sie und ging ins Schlafzimmer.

»Jetzt wird gefummelt«, flüsterte Martin Agnes zu.

Jörgen kratzte sich an seiner Glatze.

»Schlaft gut«, sagte er.

»Ja, schlaft gut«, sagte Agnes.

Papa war bald eingeschlafen auf der Campingliege. Die stand ganz nah an Agnes’ Bett. Sie konnte ihre Hand ausstrecken und sein Gesicht berühren, wenn sie wollte.

Agnes dachte an das Doppelbett.

In dem schlief Papa immer allein. Darin hatte er jetzt fünf Jahre und ein halbes allein geschlafen. Im August vor fünf Jahren war Amanda, Agnes’ Mama, gestorben. Sie war nur siebenunddreißig Jahre, drei Monate und vier Tage alt geworden.

Agnes überlegte, wie alt Sibylla war. Sie rauchte. Mama hatte nie geraucht und hatte trotzdem Lungenkrebs bekommen. Sie wollte Papa wecken und ihn so vieles fragen.

Wie alt Sibylla war.

Ob Jörgen verliebt war.

Ob er jetzt heiraten würde.

Und ob es einsam war in dem Doppelbett.

Sie warf sich unruhig hin und her. Da war wieder die Schlange, die in ihrem Bauch herumkroch. Die erkannte sie wieder. Auch wenn es schon lange her war, seit sie sich zuletzt gerührt hatte.

Vorsichtig stand sie auf, öffnete die Tür und schlich die Treppe hinauf.

Ich kann ja schließlich ein Glas Milch in meinem eigenen Haus trinken, dachte sie.

Sie machte Licht im Flur, ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Er war voller Essen, das Papa eingekauft hatte. Vier Kartons Eier zählte sie.

Sie schlug die Kühlschranktür zu und ging wieder in den Flur. Da stand der rote Sessel, fast neben der Treppe, auf dem Tisch lagen die Hanteln. Hastig berührte sie eine von ihnen.

Die Tür zum Wohnzimmer stand offen. Gegenüber war das Schlafzimmer.

Agnes ging auf die Tür zu, legte das Ohr dagegen und lauschte.

Von drinnen waren keine besonderen Geräusche zu hören. In einem Heizkörper im Flur summte es ein wenig, aber das war das einzige Geräusch.

Aber dann plötzlich!

Ein Laut, wie ein tiefer Seufzer, und dann eine kurze Stille. Und dann ein Laut, den sie kannte.

Jörgen fing an zu schnarchen. Ganz laut. Es war, als würden die Wände anfangen zu wackeln.

Agnes kicherte, sie machte das Licht aus und ging wieder in ihr Zimmer.

Papa schlief.

Sie streckte ihre Hand aus und berührte seine Wange. Sie war rau vom Bart.

So was macht die Liebe

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