Читать книгу Die unglaubliche Geschichte von Hein, Gerda und Henne Helmuth - Bonjacque Werner Leusch - Страница 4
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Wenn man ganz viel Zeit hätte und diese Zeit dazu verwenden würde, um zum Beispiel mit einem Flugzeug um die Welt zu fliegen, dann würde man irgendwo im Nirgendwo vielleicht einen kleinen Bauernhof entdecken. Der Bauernhof würde dann vielleicht mitten im Land liegen, da wo nur ein paar Straßen die Idylle durchschneiden, mitsamt wogenden Getreidefeldern im Wechsel mit Waldstücken, die wie Pflaster wirken auf einer sonst makellosen Haut.
Vielleicht könnte man annehmen, dass auf diesem Bauernhof typischerweise einige Kühe gehalten werden. Dazu noch ein paar Schweine und einige Hühner für das tägliche Frühstücksei und vielleicht den einen oder anderen Wochenendkuchen.
Die Kühe hätten alle einen Namen und dürften den lieben Sommer über auf der Weide bleiben und den ganzen lieben langen Tag Gras und Grünzeug fressen und abends dann dem Bauern ein paar Liter Milch spendieren, weil er sich so lieb um sie kümmert. Der Bauer würde dann jeden Tag den Wassertrog auf der Weide frisch auffüllen und darauf achten, dass die Kühe nicht zu viel und nicht zu wenig frisches Futter haben und so täglich den Weidezaun etwas versetzen. Denn von zu wenig Grünzeug würden die Kühe bösen Hunger bekommen und von zu viel ganz böses Bauchweh.
Den Schweinen würde es vielleicht nicht so gut gehen. Ständig im Dreck rumwühlen und alte Essensreste und stinkende Rübenblattsilage und so ein Zeugs vorgesetzt zu bekommen, kann doch nicht wirklich ein gutes Leben bedeuten. Aber vielleicht denkt man das auch nur. Die Schweine haben eben andere Vorstellungen von lecker und von schön. Was jedoch eindeutig ist, ist die Tatsache, dass Schweine keine Milch geben und auch nicht zum Eierlegen gehalten werden. Schweine liefern Speck und Schnitzel und Wurst. Und weil Schweine Speck, Wurst und Schnitzel nicht freiwillig hergeben, nimmt der Bauer sie sich eben unter Anwendung roher Gewalt. Dass Gewalt keine Lösung ist, etwas zu bekommen, was sonst nicht erreichbar wäre, weiß eigentlich fast jeder. Nun sind Schweine aber so blöd, dass sie von der Gewalt, die ihnen irgendwann widerfährt, bis zu dem Zeitpunkt, wenn sie ihnen widerfährt, nichts wissen und ahnen. Bis dahin haben sie ein saugutes Leben, die Schweine. Der Bauer nimmt sich das ganze leckere Fleisch auch nicht selbst. Er lässt dann die Schweine abholen und bekommt dann Geld dafür oder eben leckeres Fleisch und Wurst. Und was er nicht selber braucht, das kann dann ein Jeder beim Metzger im Laden kaufen. Auch Vegetarier, aber die essen keine Wurst und kein Fleisch. Die essen Gemüse und Körner und alles was man daraus machen kann.
Körner werden auch von Hühnern gegessen. Auf dem Bauernhof mit den paar Kühen und den paar Schweinen bekommen die Hühner sogar die besten Körner, die ein Huhn sich nur wünschen würde, wenn es Wünsche hätte. Und weil es den ganzen Tag im Boden nach Käfern und Würmern scharren darf, fehlt es dem Huhn im Grunde an nichts. Abends müssen die Hühner in den Hühnerstall, der dann vom Bauern verschlossen wird, damit der Fuchs oder der Iltis oder sonst ein Hühnerräuber den armen Hühnern keine Angst machen kann. Irgendwann fällt so ein Huhn nach einem langen glücklichen Leben um oder landet im Suppentopf, wenn es vorher nicht doch der Fuchs geholt hat, weil der Bauer mal vergessen hat, den Hühnerstall zu schließen.
Wenn man zu diesem Bauernhof möchte, um vielleicht ein Ei zu kaufen oder Milch von glücklichen Kühen, dann muss man zuerst zu der kleinen Stadt in der Nähe. Und dann die zweite Straße links, immer geradeaus. An der Ecke findet man auch den Metzger, der sich netterweise der Schweine von unserem Bauernhof annimmt, um ihnen den Speck zu nehmen.
Das Leben hier auf dem Land ist so normal, so beschaulich, dass es bereits nicht mehr normal ist. Hier laufen Hunde herum die noch nicht mal bellen, und alte Omas können sich lange Zeit lassen beim Überqueren der Hauptstraße. Die einzigen Fahrzeuge, die hier gelegentlich die Ruhe stören, sind der Trecker von Bauer Hein und seiner Frau Gerda und der Wagen vom Metzger. Gut, ganz ruhig und still ist es hier auch nicht. Gelegentlich fährt der Schulbus durch die Straßen und spuckt ein paar lärmende Kinder aus. Die sieht man dann eine ganze Zeit nicht mehr, bis sie irgendwann am Nachmittag anfangen, auf den Straßen und den Feldern zu spielen.
Bauer Hein versorgt auch die meisten Leute des Dorfes mit frischer Milch und Schweinespeck. Die paar Eier, die seine Hühner geben, die braucht er meist selbst. Hein liebt Spiegelei mit Speck. Spiegelei mit Speck ist seine allerliebste Frühstücksspeise. Seine Gerda ist aber auch eine wahre Könnerin, wenn es um das Braten von Spiegelei mit Speck geht. Dazu noch eine Scheibe Schwarzbrot aus dem Getreide vom Nachbarhof, 5 km entfernt, etwas Butter aus der Milch von Heins Kühen, und der Tag kann kommen.
Nur ein Hahn fehlt auf Heins Hof. Hein hatte schon oft überlegt, einen Hahn für seine Hennen zu besorgen. Man sagt ja, dass Hühner glücklicher sind und mehr Eier legen, wenn ein Hahn sich um sie kümmert. Aber irgendwie ist es bei dem Darüber-Nachdenken geblieben. Und solange sich kein Huhn beschwert…
Hein und Gerda sind jetzt schon lange ein Paar. Damals hatte Hein mit seiner Gerda sozusagen den Vogel abgeschossen. Und weil das ganze Dorf auf dem Schützenfest dabei war, als er seine Gerda zum ersten mal küsste, bekam ein Jeder glückliche Augen, wenn er sich an diese romantischen Momente erinnerte.
Jetzt hört man schon mal die Gerda mit ihrem Hein schimpfen. Aber das eher selten, denn der Hof der beiden liegt ja recht weit draußen, außerhalb des Dorfes hinter dem kleinen Wäldchen. Und würde man nicht wissen, dass da hinten der Bauernhof liegt, man käme nie auf die Idee, die zweite Straße links an der Ecke mit dem Metzger abzubiegen.
Wenn man es jedoch trotzdem tut, kommt man nach ein paar Minuten zu einem Hoftor, das, da es eigentlich nur ein Torbogen ist, ohne Tor (wozu auch, hier wüsste man nicht wen man aussperren sollte) den Blick freigibt auf einen typischen Bauernhofinnenhof, der auf der einen Seite die Stallungen hat, geradeaus die Scheune und auf der anderen Seite das Wohnhaus. Hinter der Scheune stinkt der Misthaufen, auf dem untypischerweise kein Hahn kräht. Den Grund hierfür kennen wir ja schon.
Wer genau hinsieht, bemerkt jedoch die Gardinchen an den Fenstern des Hühnerstalls, oder dass er nicht schmutzig ist, wie normalerweise Hühnerställe zu sein pflegen. Auch benehmen sich die Hühner recht seltsam. Für all das kennen wir den Grund jedoch noch nicht.
Vor der Tür zum Wohnhaus liegt Kurt, der alte Hofhund, und wenn man das Haus betritt, fällt der Blick auf die Treppe, die steil nach oben in die erste Etage führt. Direkt rechts von der Haustür befindet sich die Tür zur Küche, aus der es verführerisch nach gebratenem Speck duftet.
Nichts deutet in dieser friedlichen Idylle darauf hin (abgesehen von den Gardinchen und dem fehlenden Hühnerdreck), was hier vor einiger Zeit Seltsames passiert ist.