Читать книгу Sklavenjäger - Boris Cellar - Страница 5
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Carola Reinhart, spornte ich mich an, du hast dein Ziel bald erreicht! Halte durch!
Die letzten Meter wurden noch einmal richtig tückisch und machten das Ende meiner Wanderung zu einer wahren Herausforderung. Der Abstieg zu einem geteerten Weg, der von einer vielbefahrenen Nationalstraße aus den Wald teilte, war ziemlich steil und bestand überwiegend aus festgetretener Erde und losen Steinen.
Die Wanderpfade, die ich benutzte, hatten sich um das Tal eines kleinen Flußlaufs wie ein fließender Strom durch gefährliche Stromschnellen gewunden und mir immer wieder einen sagenhaften Ausblick gewährt. Kein Maler hätte dieses bezaubernde Bild prachtvoller darstellen, kein Poet diese Schönheit kunstvoller beschreiben können, als es tatsächlich war. Hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte ich noch länger über die Schönheit der Welt sinnieren können. Es ist unglaublich, wie stark Sinneseindrücke die Gefühle von Menschen beeinflussen können, und wie schön die Welt doch ist, in der wir leben.
Doch jetzt mußte ich mich weiter auf den vor mir liegenden Weg konzentrieren. Die Schritte wurden zu einem Schlittern und Rutschen. Behutsam setzte ich einen Fuß vor den nächsten. Von einem kontrollierten Gehen konnte schon keine Rede mehr sein. Ständig mußte ich achtgeben, daß ich nicht stolperte und mich in den Sträuchern am Wegesrand wiederfand, die dort bereits auf mich lauerten.
Ihre stacheligen Zweige verbissen sich in meine Wollsocken und versuchten immer wieder aufs neue, mich zu Fall zu bringen. Der lebende Stolperdraht war recht ausdauernd, mühte sich aber letztlich doch vergebens. Von so simplen Ranken ließ ich mich nicht aufhalten. Sie konnten sich mit ihren irdenen Farben tarnen, so gut sie wollten. Ein Stolpern aufgrund einer Unachtsamkeit am Anfang der Tour hatte genügt, um auf die kleinen Biester aufmerksam zu werden. Eine zweite Chance ließ ich ihnen nicht. Aus Schaden wird man klug – sogar ich.
Durch vorsichtige Schritte versuchte ich, die Balance zu halten und nicht mit dem Bach rieselnder Steine ins Tal zu purzeln. So kurz vor dem Ziel wollte ich kein Risiko mehr eingehen. Ein Sturz oder eine Verletzung würde den Zweck der Reise zunichte machen. Für das Unternehmen hatte ich schon zu viel Zeit investiert, um es am Ende durch eine Unachtsamkeit aufs Spiel zu setzen. Lange Stunden der Planung und Vorbereitung lagen hinter mir. Diese Mühen durften nicht um sonst gewesen sein.
Im Grunde liebte ich das Wandern auf unbefestigten Wegen. Jede Strecke hatte ihre Besonderheiten und bot spezielle Herausforderungen, die nur mit Mut und Geschick schadlos bewältigt werden konnten. Ständig war ich auf der Hut und achtete auf all die kleinen Unebenheiten, die sich auf dem Weg befanden. Vorausschauendes Gehen kann Unannehmlichkeiten vermeiden, hatten mir meine Eltern schon in frühester Kindheit beigebracht. Sie hatten recht; wie bei so vielem.
Dieser Teil Belgiens war schwach besiedelt und touristisch lediglich rudimentär erschlossen. Der schlecht markierte und zudem noch recht unwegsame Wanderpfad wurde zu dieser späten Stunde kaum mehr von anderen Spaziergängern frequentiert. Ich war alleine. Das war gut so.
Die Teerstraße unter mir führte zu einer abgeschiedenen, mittelalterlichen Burg, welche in einem malerischen Flußtal schlummerte, als ob man sie dort vor unliebsamen Besuchern verbergen wollte. Der dichte Mischwald und die umliegenden Hügel schützten sie recht gut vor allzu neugierigen Blicken.
Der prächtige Sommerwald erstrahlte in seinen lebendigen, satten Grüntönen. Die warmen Farben der Natur und die vielfältigen Laute der darin lebenden Tiere ließen mein Herz höher schlagen. Die Straße selbst durchschnitt das Tal wie eine unnatürliche Schneise, die wie eine schwärende Narbe anmutete, die jederzeit eiternd aufzubrechen drohte. Meine Begeisterung wurde durch diesen von Menschenhand erbauten Albtraum aus Teer und Beton um ein Haar ausgelöscht.
Der Eingriff des modernen Menschen in das Gefüge der Schöpfung ohne Gespür für Verantwortung und Ästhetik lag wie ein Menetekel vor mir. Jedoch machte mich das wunderbare Kleinod an dessen Ende blind für die subtile Warnung.
Dort stand in seiner vollen Pracht der Komplex einer alten, sandsteinfarbenen Burganlage, der im rötlich-gelben Licht der untergehenden Abendsonne erstrahlte. Dieses Bauwerk war eine reine Augenweide – im Gegensatz zu dem Wurm aus pechschwarzem Teer, der sich durch den Wald darauf zuquälte.
Das Anwesen war links und rechts mit je einer bis zu drei Meter hohen Mauer geschützt, die von zwei befestigten Wachtürmen begrenzt wurden. An der Stirnseite stand linker Hand ein ziemlich großer Turm, an welchen sich ein beeindruckendes Steinhaus anschloß. Die beiden Gebäude nahmen die gesamte Stirnseite der Umfriedung ein. Zwei kleinere Anbauten zweigten davon ab und bildeten einen Innenhof, in dessen Mitte ein gemauerter Brunnen stand. Dieser war aber offensichtlich nicht in Gebrauch. Die übrige Fläche wurde von den bunten Farben eines kleinen, aber feinen Ziergartens bestimmt. Das Bauwerk vermittelte, selbst wenn man von einer Barriere aus Stacheldraht mit einem etwa zwei Meter hohen Metalltor, dessen blaugrauer Anstrich mit schmutzigen roten Rostflecken durchsetzt war, absah, den Eindruck einer unüberwindbaren Festung.
Auf den ersten Blick hatte es den Anschein, als ob die Burg seit Jahrhunderten nur auf mich gewartet hätte. Das Mauerwerk, die verschachtelte Anordnung der Gebäude, der schön angelegte Garten, ein Unterstand für geschlagenes Brennholz und die vielen anderen Blickfänge regten meine Gedanken zum Phantasieren an. Märchenhaft krochen kleine Weinranken in verschlungenen Windungen den Hauptturm empor. Ich fühlte mich wie der edle Prinz, der sich auf den Weg gemacht hatte, das arme Dornröschen aus ihrem hundertjährigen Schlaf zu küssen. Na ja, ich als junge Frau hätte natürlich lieber einen stattlichen jungen Edelmann gerettet und mit ihm dann in Saus und Braus glücklich bis ans Ende unserer Tage gelebt.
Hinter dem Zugang lag der staubige Innenhof, der relativ frische Reifenspuren aufwies. Das Gebäude war doch nicht ganz so märchenhaft verschlafen, wie es zunächst gewirkt hatte. Im Gegenteil. Tatsächlich machte es sogar einen ziemlich bewohnten Eindruck, was durch die unübersehbare Telefonleitung, die Satellitenschüssel auf einem der beiden Wachtürme und das leise Brummen eines laufenden Stromaggregats bestätigt wurde. Die Errungenschaften der Gegenwart dämpften das romantische Flair und lenkten meine Aufmerksamkeit zurück auf das Hier und Jetzt, so daß ich mich wieder auf meine eigentliche Aufgabe konzentrieren konnte.
Das Ziel meiner Reise lag nun endlich vor mir. Mit klopfendem Herzen trat ich an die Barriere. Ich atmete tief durch, nahm den schweren Wanderrucksack von den Schultern und stellte ihn auf einen großen, nach oben abgeflachten Stein, der mächtig wie ein uralter Thron aus vergessenen Tagen vor mir ruhte. Es war, als ob er mahnend daran erinnern wollte, wie vergänglich wir Menschen und unsere Errungenschaften sind, daß wir die uns geschenkten Schätze der Schöpfung mit Ehrfurcht und Respekt behandeln und uns stets unserer Vergänglichkeit bewußt sein sollten. Er schien uns folgende Botschaft übermitteln zu wollen: Was wir von der Natur zerstörten, würde nicht unwiederbringlich verloren sein, sondern irgendwann wiederkehren – im Gegensatz zu uns.
Bei diesen Gedanken lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. Der Stein war wie ein Mahnmal; wie eine letzte Warnung, daß nicht alles gut war, was der Mensch vollbrachte. Ich versäumte es, eine Parallele zu meinem Vorhaben zu ziehen. Zeichen sind manchmal zu offensichtlich, um sie im entscheidenden Moment wahrnehmen zu können.
Meine gesamte Ausrüstung war in dem großen Rucksack verstaut, den ich tapfer bis hierher auf dem Rücken geschleppt hatte. Sogar ein kleines Zelt und einen Schlafsack hatte ich darin untergebracht, da ich vorhatte, einige Nächte außerhalb meiner Unterkunft im Freien zu verbringen. Alle Utensilien befanden sich akkurat an den für sie bestimmten Plätzen und verrutschten auch bei heftigeren Bewegungen nicht. Ordnung und Sauberkeit sind wichtig im Leben, hatten mich meine Eltern gelehrt.
Das schwere Gewicht hatte während der verschiedenen Kletterpartien hierher seinen Tribut gefordert. Meine Kleidung war verschwitzt, der Pulsschlag pochte deutlich in den Ohren. Ich liebte es, mich körperlich zu fordern und meine Fähigkeiten zu trainieren. Ein anstrengender Fußmarsch mit merklich Gepäck auf den Schultern war ideal, um Körper und Konstitution in Schuß zu halten.
Zunächst wollte ich Herzschlag und Atmung zur Ruhe kommen lassen. Ich mußte meinen erhitzten Körper abkühlen, meine Konzentration wiedererlangen. Der Fokus sollte alleine auf das vor mir liegende Hindernis gerichtet sein, das es ohne Verletzung zu überwinden galt. Meine Umgebung und die Gedanken über die Natur und deren Vergänglichkeit hatten mich schon genug abgelenkt.
Doch bevor ich durch Autosuggestion und andere mentale Techniken zu einer inneren Leere finden konnte, forderte mein Körper eine kleine Belohnung für die erbrachte Leistung. Daher kramte ich aus dem Rucksack eine Flasche mit stillem, französischem Gletscherwasser. In kurzen Schlucken stillte ich meinen Durst mit dem erfrischenden Naß. Es schmeckte wunderbar. Der Wasserhaushalt des Körpers war für mich genauso wichtig wie das geistige Wohlbefinden. Aus diesem Grund war ich in der Wahl meiner Getränke auch sehr konsequent. Ich verzichtete auf das uranverseuchte Kalkwasser aus der Leitung oder gepanschte Billigwasser vom Discounter. Nur das Beste war gerade gut genug.
Lächelnd blickte ich an mir herab. Alles in allem konnte ich mit mir zufrieden sein. Mit 22 Jahren war mein Körper in absoluter Topform. Die schulterlangen, roten Haare waren für die meisten Jungs der absolute Blickfang, der sie ins Schwärmen geraten ließ. An meinen 165 Zentimetern saß alles faltenfrei am richtigen Ort. Schon oft hatte ich bei Dates die Bezeichnung »Traumfrau« entgegennehmen dürfen. Ich liebte dieses Kompliment, wenn es ehrlich hervorgebracht wurde.
Mit einem tiefen Seufzer setzte ich die Plastikflasche ab. Das Wasser tat gut. Trinken half bei der notwendigen Entspannung. Jetzt war ich zu allen Schandtaten bereit. Ich wischte die schweißnassen Hände an der Hose trocken und atmete mehrmals durch. Nach einem letzten Schluck ließ ich mit geschlossenen Augen diesen besonderen Augenblick noch einmal auf mich wirken, bevor ich die Überquerung der Barriere vorbereitete.
Nachdem ich die Flasche wieder im Rucksack verstaut hatte, kramte ich zwei große Tücher heraus, die ich mir stramm um die Hände wickelte. Diese hatte ich in einem Armeeladen erworben. Der Verkäufer hatte gesagt, daß das Material vor scharfen Kanten oder Spitzen schützen würde. Sogar einen Messerangriff könnte man damit abwehren. Als ob mich jemand mit einem Messer angreifen würde …
Mit jeweils einem Knoten befestigte ich die beiden Tücher an den Händen. Dann schulterte ich schwungvoll meine Habe und zog die breiten Riemen des Rucksacks an Bauch und Schultern fest. Nichts durfte verrutschen, wenn es gleich zur Sache ging.
Zur Straße hin ließ sich das Eingangstor in einem weiten Bogen öffnen. Es war nicht sonderlich hoch, nur etwas über zwei Meter. Die verrosteten senkrechten Metallstreben waren am oberen und unteren Ende mit einer Querverstrebung stabilisiert. Angefeilte Kanten ragten an der Oberseite zur Abschreckung wagemutiger Wanderer, die meinten, über das Tor klettern und sich der Burg nähern zu wollen, zwischen abblätternder Farbe auf.
Direkt an den Außenpfosten war ein Maschendrahtzaun befestigt, auf dem ein fies gerollter Stacheldraht aufgezogen war. Offensichtlich war er über die Reste einer bereits eingestürzten Mauer gezogen worden. Der Hausherr machte es unliebsamen Besuchern nicht gerade leicht, sein Grundstück zu betreten. Es konnte ein gefährliches Unterfangen werden, für das meine kurze Wanderhose nicht gerade geeignet war. Ich mußte ziemlich aufpassen, damit ich mich nicht verletzte. Einen Schnitt an den Spitzen oder eine blutige Hautabschürfung konnte ich überhaupt nicht gebrauchen. Wer weiß, am Ende holte ich mir an dem ganzen Rost noch eine Blutvergiftung. Nein! Verletzen durfte ich mich auf keinen Fall!
Mit den umwickelten Händen griff ich an die senkrechten Streben. Sie boten einen ausgezeichneten Halt. Die festen Sohlen der Wanderschuhe stemmten sich wie von selbst gegen das Tor. Dank der rauhen Oberfläche rutschten sie nicht ab. Ich spannte alle Muskeln an, preßte die Zähne zusammen, griff mit den umwickelten Händen an den Stacheldraht, schloß die Augen und sprang mit angezogenen Beinen über das Hindernis.
Zum Glück ging alles gut. Federnd landete ich auf der anderen Seite. Ein Ausfallschritt sicherte das notwendige Gleichgewicht. Schnell unterzog ich meinen Körper – sowohl die Haut als auch die Kleidung – einer Musterung und stellte erleichtert fest, daß ich unverletzt geblieben war. Die Tücher waren ihren Preis wert gewesen. Das Tor stand hinter mir. Die erste Hürde war genommen.
Meine Füße trugen mich von ganz alleine zu einer kleinen Türe am linken Seitengebäude. Dort mußte sich mein Ziel befinden, wenn die Informationen aus dem Internet stimmten. Am liebsten hätte ich ein Wanderlied gepfiffen, so vergnügt war ich. Das konnte ich mir aber gerade noch verkneifen. Zumindest aber hatte sich ein siegessicheres, mehr als zufriedenes Lächeln in mein Gesicht geschlichen und beherrschte es fast von einem Ohr zum anderen. Bewußt ignorierte ich beim Überqueren des Innenhofes die Spuren des regen Personen- und Fahrzeugverkehrs, welcher in nicht allzu ferner Vergangenheit hier stattgefunden haben mußte.
Über mir glühte die Sonne wie ein roter Feuerball am wolkenlosen Himmel gleich einem Omen, das ich nicht zu deuten verstand. Wie verzaubert blieb ich vor dem Eingang stehen und ließ mich von den traumhaften Farben, in denen das alte Gemäuer mit dem wunderschönen Hof erstrahlte, fesseln. Die Türmchen, Erker, behauenen Steine, Wappen und Wimpel waren in ein unwirkliches, überzeichnetes Licht getaucht, das ich bisher nur in den Blockbustern aus Hollywood gesehen hatte. Doch das hier war real. Ich hatte mein Ziel erreicht; und es war genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Doch eigentlich waren die malerische Silhouette der Burg und das Farbenspiel der Natur nicht der eigentliche Zweck meiner Reise. Etwas anderes war der Grund für mein Interesse. Nur dafür hatte ich all die Mühen des Trainings und der Vorbereitung auf mich genommen.
Der körperlich anstrengende Teil der Reise lag hinter mir, doch erst jetzt kam der eigentliche, spannende Part. Unter den Räumlichkeiten des Hauptgebäudes sollte sich ein altes Verlies mit mittelalterlichen Verhörräumen befinden. Diese seien Berichten im Internet zufolge in vergangenen Zeiten sogar durch die Inquisition genutzt worden. Die in dem Folterkeller untergebrachten Gerätschaften sollten sich auch heute noch in einem außerordentlich guten Zustand befinden. Das war die wahre Quest, weswegen ich hierhergekommen war.
Wenn ich ehrlich bin, hatten mich schon immer Folterinstrumente jeder Art und jeglichen Alters interessiert. Es war unglaublich, was Menschen einander antun konnten, um eine Information oder ein vermeintliches Geständnis herauszupressen.
Nicht daß ich das Zufügen von Leid oder den Gedanken an Rache per se gutgeheißen hätte – vielmehr faszinierten mich der Charakter einer solchen Befragung und die Menschen, die sich mit derart schauerlichen Dingen beschäftigten.
Ich verschlang Bilder und Geschichten von mittelalterlichen Verhören der Inquisition, von Hexenprozessen und anderen peinlichen Befragungen. Kalte Schauer und wohliger Grusel durchfuhren mich, wenn ich in diese sinistre Welt eintauchte. Zum Glück waren Folter und Leid so weit weg von meiner kleinen, heilen Welt in Mitteleuropa, daß ich mich nie zu sorgen brauchte, selbst in die Hände solcher Schergen zu fallen.
Tatsächlich besaß ich ein gewisses Faible für Foltergeräte, solange das Beschäftigen damit einen gewissen theoretischen Charakter innehatte. Schon seit meiner Kindheit stellte ich mir vor, einmal an einem Pranger zu stehen oder in eine Streckbank gespannt zu sein und dabei einer anderen Person ausgeliefert zu sein. Doch außerhalb meiner Träume hatten diese Vorstellungen keinen Platz, vor allem weil ich niemandem so sehr vertraute, daß ich für ihn meine Selbstbestimmung aufzugeben bereit gewesen wäre. Schmerz und Unterwerfung blieben so Teil meiner Fantasie. Im wahren Leben waren sie unmißverständlich tabu. Außerdem konnte ich mir nicht vorstellen, daß ich es auf so einem Gerät lange durchhalten konnte. Bestimmt würde ich recht bald alles dafür tun, den Qualen zu entkommen.
Meine Vorbereitungen auf diese Reise waren nicht nur körperlicher Art gewesen. Das Internet bot bekanntlich einen breiten Fundus an Informationen. Die Vorrecherchen hatten ergeben, daß es in der Burg Führungen mit detaillierten Erklärungen zu den vorhandenen Gerätschaften gab. Aufbau und Wirkungsweise sollten nicht nur verbal, sondern auch plastisch dargestellt werden.
Das kam mir sehr gelegen, sollte ich doch eine Arbeit über traumatisch bedingte Persönlichkeitsveränderungen von Langzeithäftlingen im 18. Jahrhundert nach vorangegangener peinlicher Befragung verfassen. Es ging darum, wie sich Einstellung und Verhalten von Gefangenen nach der Folter änderten und ob man Parallelen zur heutigen Verwahrung politisch inhaftierter Personen und bei ihnen angewandter, moderner Verhörpraxen ziehen konnte.
War ein aufgeklärter, moderner Mensch durch körperliche und seelische Impulse so stark manipulierbar, daß sich seine Einstellungen zu gewissen gesellschaftlichen und politischen Themen rudimentär ändern konnten? Ein wichtiger Fragekomplex meiner Arbeit bestand darin, wie wahrscheinlich es war, daß sich diese Gefangenen erst nach Inhaftierung und Verhör unter Schmerzen den ursprünglich vorgeworfenen, extremen Strömungen zuwendeten. Wäre es sogar möglich, diese Radikalisierung einer Persönlichkeit bewußt durch Verhörspezialisten herbeizuführen? Könnte man durch diese Art der Gehirnwäsche solche Menschen böswillig zu extremistischen Zeitbomben transformieren; etwa um gewisse unpopuläre Rechtseinschnitte gegenüber der Bevölkerung oder Maßnahmen gegen bestimmte Gruppierungen zu rechtfertigen? Die Beantwortung dieser Fragen stellte wohl den eigentlichen Grund meiner Forschungen dar, wie ich befürchtete.
Gerade in der heutigen Zeit mit den mehr oder minder geheimen Internierungslagern auf der ganzen Welt erschien das Thema hoch brisant und gefährlich aktuell. Der Beweis der aufgeworfenen Thesen sollte sehr diskret und vertraulich behandelt werden. Ich vermutete, daß meine Arbeit von irgend jemandem mit politischem Hintergrund in Auftrag gegeben worden war und sicherlich für Projekte, von denen ich gar nichts wissen wollte, verwendet werden sollte.
Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, mir die Foltergerätschaften im Rahmen einer Führung in der Burg erklären zu lassen. Zu meinem Leidwesen war diese jedoch inklusive der dazugehörigen Anlage in Privatbesitz. Vor Ort hatte sich herausgestellt, daß die im Netz angepriesenen Führungen entgegen den dort eingestellten Informationen nicht öffentlich waren. Für mich gab es ohne persönliche Beziehungen keine Möglichkeit, legal in das Gebäude zu gelangen. Emails blieben unbeantwortet. Weder persönliche noch wissenschaftliche Argumente hatten die Verantwortlichen zu einer Reaktion veranlaßt. Mir sollten also das Verlies und die lehrreichen Erklärungen auf dem offiziellen Wege verwehrt bleiben. Meine Studienreise in die belgischen Ardennen wäre somit völlig um sonst gewesen.
Aber von wegen! Jetzt, wo ich einmal da war, gab ich nicht so einfach auf. Wenn der Berg nicht zum Propheten kam, mußte der Prophet eben zum Berg kommen. Nach dem ersten Frust, den ich in der örtlichen Gaststätte mit reichlich Alkohol ertränkt hatte, beschloß ich, das Verlies auf eigene Faust zu erkunden; und so stand ich schließlich hier in dem staubigen Innenhof direkt vor der unscheinbaren Seitentüre, die etwas abseits vom großen, eisenbeschlagenen Eingangstor in das Innere des Gemäuers führte.
Die altertümliche Holztüre war verschlossen. Unter der Klinke schlummerte die einladende Öffnung eines simplen Buntbartschlosses, welches das Eindringen von unliebsamen Besuchern verhindern sollte. Wie originell! Buntbartschlösser waren so einfach zu überlisten, daß man dazu nicht allzu viele einbrecherische Qualitäten benötigte. Für mich persönlich war die vermeintliche Sicherung eher Einladung als Abschreckung.
Aus dem Rucksack kramte ich die in meiner Unterwäsche verborgene Dietrichsammlung heraus. An einem Schlüsselring waren mehrere Haken, Ösen und andere biegsame Metallgegenstände befestigt. Vorsichtig und angespannt lauschend erkundete ich mit den kleinen Stiften den Schließzylinder. Den genauen Moment abzupassen, um die Schließfalle zurückzufahren, ist die hohe Kunst des Schloßknackens. Konzentration und Geschicklichkeit waren die entscheidenden Zutaten, ohne die das Gericht nicht gelang. Dazu würzte man eine Prise Ruhe und Geduld, und irgendwann ließ sich jedes Schloß überwinden. Nach wenigen Momenten hatte ich die Verriegelung gelöst und konnte die Türe mit einem kaum wahrnehmbaren Knarzen aufdrücken.
Mein Vater hatte mich bereits in jungen Jahren gelehrt, Schlösser aller Art zu öffnen. Seine faszinierende Kunst, komplizierte Dinge kindgerecht zu erklären, machte mich zu seiner gelehrigen Schülerin. Stundenlang konnte ich damals bei ihm sitzen und seinen Worten lauschen.
Im Grunde genommen war mein Papa ein feiner Mann. Leider teilten nicht gerade viele Personen diese Einschätzung. Er ging auf die 60 zu und war stellvertretender Referatsleiter im Bereich der Eigentumskriminalität im Polizeipräsidium. Er hatte vor vielen Jahren in Notwehr drei Jugendliche erschossen, die bei uns eingebrochen waren. Vor lauter Panik hatte er damals gedacht, daß sie meiner Mutter und mir etwas antun wollten. Er wollte uns doch nur schützen, als er ihnen im Dunkeln mit seiner Dienstwaffe gegenüberstand.
Im nachhinein wurde der Einbruch von den Anwälten ihrer Eltern als schiefgelaufener Spaß dargestellt. Der Fall wurde aufgebauscht und mein Vater zunächst wegen dreifachen Mordes angezeigt. Die Medien machten ihm das Leben zur Hölle. Nachbarschaftsbefragung mit laufender Kamera, verleumderische Darstellungen seines dienstlichen Werdeganges und das Waschen schmutziger Wäsche in der Öffentlichkeit waren die gemeinen Psychowaffen, die sowohl seine Reputation als auch seine Persönlichkeit zerstörten. Aufgrund des Bildes, das die von den Anwälten manipulierte Presse von ihm zeichnete, ließen ihn Freunde und Vorgesetzte fallen. Erst in letzter Instanz hatte ein Richter den Mut, ihn von allen Vorwürfen freizusprechen. Aber bis dahin war er längst kaputt. Er hatte sich dem Alkohol zugewandt, in seine eigene kleine Welt zurückgezogen und lebte dort nun für sich – mitten in einem Kosmos aus Leid und Problemen. Er tat mir leid. Doch selbst ich fand immer wieder Rechtfertigungen, ihn nicht häufiger als unbedingt nötig besuchen zu müssen.
Die dunklen, mit leisen Selbstvorwürfen gespickten Gedanken schickte ich mit einem Handkuß in den Sommerhimmel. Sollten sie zurückkehren, wenn die Arbeit getan war. Jetzt hatte ich nicht die Zeit, mich weiter damit zu beschäftigen. Ich warf einen letzten Blick auf die malerische Kulisse des Burghofes. Dann huschte ich in den Raum hinter der Türe und schloß sie, so leise ich konnte. Unbemerkt war ich ins Innere gelangt. Das alles war doch bisher gar nicht mal so schwer gewesen.
Aus einem Seitenfach des Rucksacks zog ich eine große Taschenlampe mit LED-Leuchte und schaltete sie ein. In ihrem hellen Schein flimmerten unzählige kleine Staubflöckchen, die in sanften Brisen überall in der Luft herumtanzten. Zielsicher fand ich eine Wendeltreppe, die in die Tiefe führte. Langsam – fast schon ehrfürchtig – ging ich darauf zu. Meine Wanderschuhe knirschten in der am Boden liegenden Schicht aus Staub und Steinen. Ich verspürte einen gewissen Respekt davor, was mich im Keller erwarten sollte. Die Atmosphäre in dem alten Gemäuer hatte etwas Geheimnisvolles. Das war ganz deutlich zu spüren. Ich kam mir vor wie eine Entdeckerin, die mit klopfendem Herzen vor einem zum Greifen nahen, sagenhaften Schatz stand.
Die Treppe führte hinab in eine beeindruckende Folterkammer. Der Lichtkegel der Taschenlampe fuhr über die im ganzen Raum verteilten schaurigen Gerätschaften, die ich bisher nur aus Bildern und Geschichten kannte. Sie waren wesentlich größer und beeindruckender, als ich sie mir vorgestellt hatte. Es war unbeschreiblich, das erste Mal im gleichen Raum mit diesen Relikten der finsteren Menschheitsgeschichte zu sein.
Andächtig verharrte ich am Fuß der Treppe und wagte es nicht, mich zu bewegen. Hier stand ich an dem Ort, an dem bestimmt schlimmste Folterungen stattgefunden hatten. Das hier war nicht einfach nur ein Ausstellungsraum. Es war, als ob mir die Wände die traurigen Geschichten zuflüsterten, die sich hier einstmals abgespielt hatten. Das Grauhen der Vergangenheit war allgegenwärtig.
Mit einem gewissen Unbehagen stellte ich mir vor, wie die Gefangenen während der peinlichen Befragungen flehten, wimmerten und vor Schmerzen geschrien hatten. Sie mußten halb wahnsinnig vor Angst gewesen sein und warteten, von den Folterknechten gebrochen, verzweifelt auf irgendeine Art von Erlösung. Was waren das für Emotionen, die hier unten entstanden waren und von den kalten, toten Steinen der Wände aufgesogen wurden? Was mußten diese außerordentlichen Emotionen in den Menschen bewirkt haben? Kann man so etwas als neutraler Beobachter überhaupt nachvollziehen? Kann man so etwas tatsächlich wissenschaftlich aufarbeiten?
Mit bebender Brust überwand ich meine Gefühle und betrat die große Kammer. Mein Respekt vor den Ausstellungsstücken wuchs mit jeder Sekunde direkt proportional zu dem Gefühl, nicht hierherzugehören. Ich faßte den Entschluß, mir die Gerätschaften schnell anzuschauen, ein paar Stichpunkte in mein Notizheft zu schreiben, ein paar Dutzend Fotos mit dem Handy zu schießen und dann dem Schrecken eilig wieder zu entkommen.
Mit jeder Sekunde, die ich in dem Raum verbrachte, wurde es mir immer mulmiger zumute, und ein gewisser Abscheu fraß sich in meine Eingeweide. Die ursprüngliche Begeisterung war verflogen und Ernüchterung gewichen. Bloß an keinem dieser scheußlichen Gerätschaften hängenbleiben oder irgendwo stolpern und dagegen stoßen. Denn trotz ihres Alters sahen sie noch immer sehr gefährlich aus. Keine Kante, kein Holzspreißel sollte meine zarte Haut verletzen.
Der Lichtkegel streifte über die Details der Folterinstrumente. Der Anblick war entsetzlich und doch faszinierend zugleich. Ich verspürte eine dunkle Anziehungskraft von dem unheimlichen Material ausstrahlen. Die Atmosphäre in dem Raum hatte etwas Gespenstisches. Außerhalb der Grenzen des Lichtscheins schienen mahnende Geister zu lauern, die aus der Dunkelheit heraus meine Erkundung beobachteten und mich drängten, den staubigen Keller so schnell als möglich zu verlassen. Sie bewegten sich gerade so außerhalb meiner Wahrnehmung. Immer wenn ich meinte, sie gleich erspähen zu können, waren sie verschwunden. Dennoch konnte ich ihre Gegenwart deutlich spüren.
Vor mir stand in seiner grausamen Prächtigkeit eine stabile Streckbank aus dunklen, fleckigen Holzsparren. An Kopf- und Fußende waren dicke Taue befestigt, um die Gliedmaßen der Gefangenen damit festzubinden. Ein Holzrad mit bauchigen Griffen konnte zum Spannen der Seile benutzt werden. Meine Hand glitt gedankenverloren über das rauhe Holz und hinterließ eine tiefe Furche in dem darauf liegenden toten Staub.
Uralte Erinnerungen übertrugen sich durch die Berührung. Im Geiste sah ich schreiende Menschen, die sich vor Schmerz auf dem Gerät wanden. Verdrehte Glieder, geborstene Knochen, zerrissene Muskeln, gemartertes Fleisch, rostbraune Blutlachen. Panik, Angst, Schweiß, Exkremente und Wut. Schicksalhafte Emotionen. Die Eingebung durchzuckte mich wie ein elektrischer Schlag. Schnell löste ich die Verbindung und kehrte unvermittelt in die Gegenwart zurück. Was für ein Horrortrip!
Vorsichtig streckte ich meinen Arm aus, um die Bank erneut anzufassen. Das Holz hatte sich nicht verändert. Doch der Hauch der Erinnerung umwehte das Gerät nicht länger, und nichts geschah. Die Bilder waren reine Phantasie, genährt durch meine Angst und dem Respekt vor den Geräten, redete ich mir ein. Das mußte doch so sein. Eine andere Erklärung gab es aus wissenschaftlicher Sicht gesehen einfach nicht.
Erleichtert ließ ich meine Fingerspitzen die Strukturen der Bretter nachzeichnen. Ich befand mich hier in absoluter Sicherheit. Nichts konnte mir passieren. Ich war ja alleine hier unten.
Schließlich erreichte ich den glatten, leicht speckigen Griff des Drehrades. Meine Hand umschloß ihn zunächst lose und krampfte sich dann spontan zu einer Faust zusammen. Die Knöchel wurden ganz weiß vor Anstrengung. Was war nur mit mir los? Warum fesselte mich die Streckbank derart? War es meine Bestimmung, hier zu sein? Gehörte ich hierher? War ich etwa schon einmal hier gewesen? In einem früheren Leben?
Ich mußte mich losreißen, um die Verbindung zu dem Foltergerät zu trennen. Seine physische Präsenz in meinem Geist war geradezu überwältigend. Das hatte ich so nicht erwartet. Die ganzen Bilder im Internet waren doch so klinisch rein und klar gewesen. Man konnte darauf nicht erfassen, welche Dramen sich tatsächlich abgespielt hatten und wie sie in der Realität auf die Betrachter wirkten. Man konnte das ganze Ausmaß ja nicht einmal erahnen.
Jetzt, da ich mitten unter ihnen stand, war alles ganz anders. Ich konnte fühlen, was hier unten geschehen war. Das war keine Ausgeburt einer erotischen Phantasie, wenn man hier gefoltert wurde. Es war bittere, grausame Realität. Da gab es kein zensiertes, für das Strafgesetzbuch weichgespültes Kuschelkopfkino. Hier unten lag die blutige, bittere, harte Wahrheit. Es gab Gründe, warum im Grundgesetz die Würde des Menschen unantastbar und in Deutschland Folter verboten war. Orte wie dieser waren einer!
Um mich herum harrten noch weitere Geräte, erstarrt wie in einem albtraumhaften Winterschlaf, auf ihren neuerlichen Gebrauch. Ich sah eine Halsgeige, Schlaginstrumente der verschiedensten Art, einen Pranger, Zangen, Spieße mit gemeinen Spitzen und als Krönung eine Eiserne Jungfrau. Sogar ein Bestrafungsstuhl mit angerauhten Pyramiden auf Sitzfläche und Armlehnen wartete in einer Ecke auf ihren Gebrauch. Es wirkte, als ob sich die Kammer nur ausruhte und darauf vorbereitete, im Namen eines grausamen Tyrannen wieder ihrer alten Bestimmung zugeführt zu werden.
Während ich mich umsah, über die Materialien der Instrumente strich und alle Eindrücke in mich aufnahm, sinnierte ich über das Thema meiner Arbeit. War das wirklich so geschickt gewählt? Was passierte, wenn es in die falschen Hände geriet? Machte ich mich zum Mitwisser? Zum Spielball undemokratischer Mächte? Half ich zu verstehen, warum es das Böse in der Welt gab und wie es entstand? Oder war ich bereits ein Teil davon und spielte ihm als willige Handlangerin in die Hände? Der Raum gab ein Zeugnis dafür ab, was passierte, wenn solche Menschen nach Gutdünken handeln konnten.
Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich mein Handeln moralisch noch länger vertreten wollte. Andererseits hatte ich einen Auftrag, den ich erledigen mußte. Mein Studium hing an dieser Ausarbeitung. Das wollte ich bestmöglich beenden. Wer weiß, welcher Arbeit ich danach nachgehen würde. Dann könnte ich immer noch für Rechtschaffenheit und Menschlichkeit einstehen. Vielleicht machte ich mir aber auch nur unnütz Gedanken, und alles war in bester Ordnung. Wer weiß das schon …
Wenn ich über meine Recherchen im Internet nachdachte, kam mir ein sonderbarer Gedanke. Irgendwie konnte ich mir keine Vorstellung davon machen, wie hier die Führungen abliefen. Wäre es ein sachlich, kühler Vortrag, der den Aufbau, die Anwendungsweise und die schrecklichen Folgen der Instrumente darstellen würde? Gäbe es einen Freiwilligen, an dem die Folterungen möglichst real demonstriert wurden? Oder vielleicht sogar einen Unfreiwilligen? überlegte ich schaudernd. Was mußten das für Ängste sein, irgendwo eingesperrt zu sein und darauf zu warten, Tag für Tag vor Zuschauern gequält zu werden? Ich konnte und wollte es mir einfach nicht vorstellen. Oder ging alles am Ende in eine erotische, fetischartige Richtung? Wird vor einem begeisterten Publikum eine hübsche, aber naive Blondine an den Pranger gestellt und ihr dann mit dem Rohrstock unter wohligem Stöhnen der Hintern versohlt wie in den Internetgeschichten, die ich gelesen hatte?
Bei dieser Vorstellung mußte ich zum ersten Mal hier unten richtig lächeln. Raus aus dem Kopf! Ich war hier, um für meine Arbeit zu recherchieren, und nicht, um erotischen Phantasien nachzugehen. Heute nacht konnte ich im Bettchen noch lang genug von solch frivolen Bestrafungen träumen. Vielleicht stellte ich mir einen netten Adonis vor, der sich vor mir hilflos auf der Streckbank wand, während ich meine langen, roten Haare über seine muskulöse Brust gleiten ließ.
Schließlich kam ich bei der Königin der Folterinstrumente an, der eisernen Jungfrau. Der metallene Sarkophag fesselte meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Die aufgeklappten Schalen zogen mich magisch an. Ich konnte nichts dazu, doch meine Phantasien schlugen erneut Kapriolen. In bunten Farben malte ich mir aus, wie darin eine blutjunge Hexe mit schweren Lederriemen bewegungslos fixiert wurde. Wie mußte sie schreien und sich winden, als ihr bewußt wurde, daß sie in dem Käfig zu Tode kommen würde! Denn auf dem Deckel ihrer letzte Ruhestatt warteten lange spitze Dornen, ihre Opfer an den empfindlichsten Stellen zu durchbohren. Starb sie gleich oder penetrierten die Dornen langsam und schmerzhaft das gefesselte Fleisch, bis es sich das letzte Mal qualvoll verkrampfte? Wie hart mußten diese Momente sein, wenn sich das Gefängnis im finalen Akt des Leidensweges schloß! Man steht im Sarkophag, schmerzhaft gepikt, ohne Chance auf Entkommen, und wartet darauf zu verbluten …
Ein Schauer durchlief meinen Körper, während ich über das kalte Metall strich. Die warmen Fingerkuppen pulsierten auf dem toten Material. Wie viele Menschen waren schon darin gestorben? Oder sollte man den Geschichten Glaube schenken, daß die eisernen Jungfrauen lediglich zur Abschreckung dienten? Ich kannte die Antwort nicht und wollte sie eigentlich auch gar nicht wissen.
Direkt vor diesem Alptraum zu stehen ließ ein eigenwilliges Gefühl in mir aufsteigen. Es war dieses besondere Gruseln, wenn man in einer unheimlichen Situation weiß, daß einem eigentlich nichts passieren kann. Etwas mulmig ist einem dabei trotzdem immer noch. Es war wie in einer der modernen Geisterbahnen mit echten Schauspielern oder wie in einem spannenden Horrorfilm. Man fürchtet sich gerade so viel, daß das Erlebnis eine emotionale Bindung aufbaut. Im Hinterkopf hat man jedoch immer die Gewißheit, daß man mit heiler Haut aus der Situation herauskommt.
Während ich über die Metallschalen streifte und mit dem Unterarm vorsichtig die spitzen Dornen anstupste, spürte ich hinter mir eine vage Bewegung. Es war ein flüchtiges Etwas; zu schnell, um es zu erfassen. Noch bevor ich mich umdrehen konnte, vernahm ich ein eigenartiges elektrisches Knistern.
Ein Schmerz zuckte durch meinen Hals und paralysierte mich unvermittelt. Die Taschenlampe löste sich aus meinem Griff und fiel neben mir scheppernd zu Boden. Am Rande bekam ich mit, wie ich zusammenbrach. Noch bevor ich realisierte, was eigentlich gerade passiert war, umfing mich kalte, gnädige Dunkelheit.