Читать книгу Die UNIX-Story - Brian W. Kernighan - Страница 15
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ОглавлениеWer waren die Mitwirkenden zu dieser Zeit, und wie sah ihre Arbeitswelt aus? Anfang der 70er befanden sich nur gut 30 Personen im Computing Science Research Center, wobei sich vier bis sechs von ihnen mit Unix oder eng damit zusammenhängenden Aufgaben beschäftigten. Abbildung 1.11 zeigt einen Auszug aus dem internen Telefonbuch der Bell Labs. Der Gelbstich liegt übrigens nicht daran, dass das Papier gealtert wäre. Als ich meine Stelle antrat, wurde das Organigramm auf gelbliches Papier gedruckt, wie es bei Telefonbüchern in den USA früher üblich gewesen war.
Abbildung 1.11
Internes Telefonbuch der Ball Labs von ca. 1969 (freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Gerard Holzmann)
Die abgebildete Seite stammt aus dem Telefonbuch von 1969 und zeigt den Aufbau des Computing Science Research Center unter Leitung von Sam Morgan (Abbildung 1.12), einem hervorragenden Experten für angewandte Mathematik und Kommunikationstheorie. Doug McIlroy spielte bei der Entwicklung von Unix eine zwar kaum bekannte, aber äußerst bedeutende Rolle. In der von ihm geleiteten Gruppe befanden sich Ken Thompson und andere, die in diesem frühen Stadium an Unix mitwirkten, darunter Rudd Canaday, Bob Morris, Peter Neumann und Joe Ossanna. Elliot Pinsons Abteilung gehörten Dennis Ritchie, Sandy Fraser und Steve Johnson an, die ebenfalls viele Jahre lang an Unix beteiligt waren.
Die meisten Forscher hatten zwar promoviert, aber niemand verwendete die Anrede »Doktor«. Alle sprachen sich nur mit dem Vornamen an. Eine Besonderheit der Anrede, die in dem Telefonbuchauszug aus Abbildung 1.11 auffällt, besteht darin, dass die Frauen als »Mrs.« oder »Miss« aufgeführt wurden, während es bei den Männern keine Hinweise auf ihren Familienstand gab. Wann diese Kennzeichnung aufgegeben wurde, weiß ich nicht mehr genau, allerdings war sie mit Sicherheit Anfang der 80er aus den Telefonbüchern verschwunden.
In den 60ern und 70ern gab es in den Bell Labs auch nur wenige Frauen und Nichtweiße, die Fachpositionen bekleideten. Die meisten Mitglieder des Fachpersonals waren weiße Männer, und so blieb es lange Zeit. In dieser Hinsicht entsprachen die Bell Labs den meisten technisch-wissenschaftlichen Bereichen in den USA zu diesem Zeitpunkt in der Geschichte der Informatik.
Anfang der 70er richteten die Bell Labs drei langfristige Programme ein, um die Situation zu verbessern. Das Cooperative Research Fellowship Program (CRFP) startete 1972. Darüber erhielten jedes Jahr zehn Studenten aus Minderheiten ein vierjähriges Stipendium für ein Doktoratsstudium. Das Graduate Research Program for Women (GRPW), das 1974 anlief, stellte die gleiche Unterstützung für 15 bis 20 Frauen pro Jahr bereit. Im Laufe der Zeit arbeiteten mehrere dieser Doktorandinnen im Center 1127 und in meiner Abteilung, und die meisten machten anschließend erfolgreich Karriere in den Bell Labs, an Universitäten und in anderen Unternehmen. Jedes Jahr finanzierte außerdem das ebenfalls 1974 ins Leben gerufene Summer Research Program (SRP) ein komplettes Sommerpraktikum für etwa 60 Studenten – Frauen und Mitglieder von Minderheiten. Beschäftigt wurden sie in Murray Hill, Holmdel und manchmal auch an anderen Standorten, wo sie mit einem persönlichen Mentor zusammenarbeiteten. Ich war 15 Jahre lang für das SRP-Programm im Center 1127 zuständig und bin dabei einer Menge äußert intelligenter Studentinnen und Studenten begegnet, von denen ich auch einige als Mentor betreuen durfte.
Abbildung 1.12
Sam Morgan, Direktor von 1127, ca. 1984 (freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Gerard Holzmann)
Diese Programme waren auf lange Sicht erfolgreich, aber in den 60ern und 70ern war die Belegschaft immer noch ziemlich homogen, wobei mir damals einige der Probleme, die dadurch verursacht wurden, gar nicht bewusst waren.
In den Bell Labs gab es eine klare Verwaltungshierarchie. An der Spitze stand der Präsident, dem insgesamt ca. 15.000 bis 25.000 Personen unterstellt waren. Darunter befanden sich die einzelnen durchnummerierten Bereiche, denen jeweils ein Vizepräsident vorstand: Forschung (10), Entwicklung (20), Telefonvermittlung (50), militärische Systeme (60) usw. Die Forschung wiederum war in Physik (11), Mathematik und Kommunikationssysteme (13), Chemie (15) usw. mit jeweils einem geschäftsführenden Direktor an der Spitze aufgeteilt. Auch eine Rechtsabteilung und eine Gruppe für Patentwesen gehörten dazu. Die mathematische Forschung hatte die Nummer 131, und Computing Science Research war »Center 137« mit einem halben Dutzend einzelner Abteilungen, die wiederum Nummern wie 1371 trugen. Ein paar Jahre später wurde das Nummerierungssystem komplett umgestellt. Wir wurden zunächst zu Center 127, und nachdem aufgrund einiger Umstrukturierungen eine zusätzliche Stelle vorn angehängt wurde, zu Center 1127. Diese Nummer blieb bis 2005 bestehen, lange Zeit, nachdem ich 2000 in Pension gegangen war.
Es gab nur wenige Hierarchieebenen. Forscher wie ich waren »Mitglieder des Fachpersonals« (Member of Technical Staff oder kurs MTS), und darunter gab es nur noch wenige Ebenen. MTS in der Forschung bekamen gewöhnlich ein eigenes Büro, wobei jedoch von allen erwartet wurde, dass sie ihre Tür meistens offen hielten. Darüber gab es zwar noch eine Supervisor-Ebene, allerdings waren in 1127 im Laufe der Jahre nur wenige Supervisors beschäftigt. Die nächste Ebene nahm der Abteilungsleiter ein, also jemand wie Doug McIlroy, der für ein halbes Dutzend einzelner Forscher verantwortlich war. Darüber wiederum stand der Direktor eines Zentrums aus einem halben Dutzend Abteilungen, darüber der geschäftsführende Direktor für ein halbes Dutzend Zentren und darüber schließlich der Vizepräsident, der den geschäftsführenden Direktoren vorgesetzt war.
Die Vizepräsidenten waren dem Präsidenten gegenüber rechenschaftspflichtig. Bill Baker, ein herausragender Chemiker, diente von 1955 bis 1973 als Vizepräsident der Forschung und anschließend bis 1980 als Präsident der Bell Labs. Während seiner Zeit als Vizepräsident hieß es, dass er alle Mitglieder des Fachpersonals in der Forschung mit Namen kannte und wusste, woran sie jeweils arbeiteten. Meiner Ansicht nach kann das durchaus stimmen. Auf jeden Fall wusste er immer, was meine Kollegen und ich gerade machten.
Ich arbeitete als regulärer MTS bis 1981. Dann gab ich schließlich dem Drängen nach, den Posten eines Abteilungsleiters zu übernehmen. Die meisten wechselten nur widerstrebend ins Management, denn auch wenn die eigene Forschungstätigkeit dadurch nicht ganz zum Erliegen kam, wurde sie doch gebremst. Außerdem war mit diesem Schritt die Verantwortung verbunden, sich um seine eigene Abteilung zu kümmern, was schon eine Herausforderung darstellte. Natürlich wurden immer wieder dieselben Argumente vorgebracht, nämlich einerseits: »Es ist unvermeidlich, also warum nicht jetzt?«, aber andererseits auch: »Das könnte deine letzte Chance sein!« oder: »Wenn nicht du, dann jemand anders, der nicht so gut geeignet ist.«
So wurde ich schließlich Leiter der neuen Abteilung 11276 mit der sorgfältig nichtssagend formulierten Bezeichnung »Computing Structures Research«. Sie umfasste meistens acht bis zehn Mitarbeiter mit einem beängstigend breiten Spektrum von Interessen: Grafikhardware, Designwerkzeuge für integrierte Schaltkreise, Dokumenterstellung, Betriebssysteme, Netzwerke, Compiler, C++, Konstruktion von drahtlosen Systemen, algorithmische Geometrie, Graphentheorie, algorithmische Komplexität usw. Es stellte immer eine Herausforderung dar, ausreichend gut zu verstehen, woran die einzelnen Forscher arbeiteten, um es den Personen weiter oben in der Hierarchie zu erklären, aber es lohnte sich, und ich behielt sogar überraschend viel von dem, was ich dabei gelernt habe.
Auf jeder Ebene der Hierarchie lockten auch neue Vergünstigungen. Einige waren offensichtlich, etwa die immer größeren Büros ab der Ebene des Direktors. Es gab wohl auch eine bescheidene Gehaltserhöhung für Abteilungsleiter, aber sie war nicht so hoch, dass sie mir besonders im Gedächtnis geblieben wäre.
Andere Vergünstigungen waren subtilerer Natur. So hatten die Abteilungsleiter Büros mit Teppichböden, während das Fußvolk mit Linoleum oder PVC-Fliesen vorlieb nehmen musste. Bei meiner Beförderung wurde mir eine Hochglanzbroschüre in die Hand gedrückt, aus der ich die Farbe meines Teppichs, die Büromöbel usw. auswählen konnte. Ich probierte kurze Zeit einen neuen Schreibtisch aus, aber er erwies sich als zu groß und zu unbequem, weshalb ich wieder auf das altehrwürdige Steelcase-Modell zurückgriff, das ich schon 1969 geerbt hatte. Den Teppichboden lehnte ich rundweg ab, da ich nicht viel von Statussymbolen hielt. Sam Morgan riet mir dringend dazu, den Teppichboden zu nehmen. Eines Tages, so sagte er, würde ich mir die Autorität wünschen, die mir ein Teppichboden verlieh. Ich verzichtete trotzdem, und irgendwann wurde die hierarchische Unterscheidung nach Teppichböden abgeschafft.
Die alljährliche Hauptaufgabe eines Abteilungsleiters bestand in dem Ritual der ausführlichen Leistungsbewertung aller Mitglieder seiner Abteilung. Einmal im Jahr schrieb jeder MTS einen Überblick von einer Seite Länge über die Arbeit, die er in den letzten zwölf Monaten geleistet hatte. In 1127 war dies als der »Ich-bin-großartig-Bericht« bekannt, ein Begriff, der meines Wissens von Sam Morgan geprägt wurde. Der Abteilungsleiter schrieb dann auf ein anderes Blatt eine Zusammenfassung und Bewertung dieser Arbeit. Dazu gehörte auch das Feld »Verbesserungsvorschläge«, das für konstruktive Kritik vorgesehen war.
Diese Bewertungen zu schreiben, war harte Arbeit, und die meisten neigten dazu, das Feld mit den Verbesserungsvorschlägen leer zu lassen. Eines Tages aber wurden wir angewiesen, es auszufüllen. Gar nichts oder einfach nur »keine« zu schreiben, wurde nicht mehr akzeptiert. Ich kam auf die Idee, einfach »Weiter so!« zu schreiben. Damit kam ich ein oder zwei Jahre lang durch, aber dann wurde mir gesagt, dass kritische Kommentare verlangt wurden, da ja schließlich niemand vollkommen sei. Zum Glück musste ich das niemals für einen Star wie Ken Thompson tun. Was für Verbesserungsvorschläge hätte ich ihm schon machen können?
Die Abteilungsleiter und der Direktor trafen sich, um einen Konsens über die Bewertung der einzelnen MTS zu erzielen. Diese Besprechung dauerte gewöhnlich einen ganzen Tag. Einige Wochen später folgte eine weitere ganztägige Konferenz, um die Gehälter für das nächste Jahr zu bestimmen. Dazu wurde jedem MTS ein Anteil an dem Topf der Mittel für Gehaltserhöhungen zugewiesen. Offiziell wurden diese beiden Sitzungen als »Leistungsbesprechung« und »Gehaltsbesprechung« bezeichnet, aber für mich ging es dabei immer um »abstrakte Leistungen« und »konkrete Leistungen«.
Dieser Vorgang wiederholte sich in den höher liegenden Hierarchieebenen. So schaute sich der geschäftsführende Direktor zusammen mit den Direktoren die Bewertungen der MTS an und bewertete auch die Abteilungsleiter.
In einigen Zentren herrschte bei diesen Leistungsbewertungen ein ziemlicher Wettbewerb, aber bei uns verlief der Vorgang bemerkenswert kollegial. Es hieß nicht: »Meine Leute sind besser als deine!« Stattdessen erhielt man eher noch den Hinweis: »Vergiss nicht diese anderen guten Leistungen, die deine Leute erbracht haben!«
Vielleicht sehe ich das etwas zu positiv, aber ich glaube, dass das Verfahren insgesamt gut funktionierte. Das lag daran, dass alle Manager bis ganz oben vom Fach waren und die gesamte Hierarchie beginnend mit der untersten Ebene durchlaufen hatten. In dem System gab es keine offensichtliche Bevorzugung von Theorie oder Praxis, zumindest nicht für uns in 1127. Sowohl effiziente Programme als auch brillante Veröffentlichungen wurden geschätzt. Dass es keine Vorschläge oder Planungen für die Zukunft gab, erwies sich als eine gute Sache. Es wurde zwar im Allgemeinen erwartet, dass man am Ende des Jahres etwa die Ergebnisse aufweisen konnte, die sich in einem Jahr erzielen ließen, allerdings wurden Fehlstarts großzügig akzeptiert, und das Management war auch sehr langmütig mit Leuten, die mehrere Jahre lang an ein und derselben Sache arbeiteten. Hilfreich war es meiner Meinung nach auch, dass es im Bereich Forschung nur wenige Hierarchieebenen gab, weshalb die meisten Mitarbeiter nicht so sehr an eine Beförderung dachten. Wenn es jemandem wirklich daran gelegen war, zum Manager aufzusteigen, hatte er dazu außerhalb des Forschungsbereichs bessere Chancen.
Es ist schon aufschlussreich, den Bewertungsvorgang bei den Bell Labs mit dem in amerikanischen Forschungsuniversitäten zu vergleichen. Bei Letzteren hängen Einstellungen und vor allem Beförderungen sehr stark von Empfehlungen von bekannten externen Forschern auf demselben Fachgebiet ab. Dadurch wird der Schwerpunkt jedoch auf tiefe Fachkenntnisse in engen Bereichen gelegt, da jeder Kandidat sein Feld so gut beherrschen möchte, dass ihm externe Gutachter reinen Gewissens bescheinigen können: »Diese Person ist die beste, die es zurzeit auf dieser Karrierestufe in diesem Teilgebiet gibt.«
Im Gegensatz dazu wurde bei den Bell Labs eine Rangliste aller Forscher von unten nach oben aufgestellt. Alle Abteilungsleiter bewerteten zunächst ihre eigenen Leute. Diese Ranglisten wurden mit denen der anderen Abteilungsleiter im selben Zentrum zusammengeführt, und diese wiederum mit denen der nächsten beiden Ebenen, sodass am Ende die ungefähre Position jedes einzelnen Mitarbeiters in der gesamten Belegschaft bestimmt war.
Wenn eine Person auf einem beschränkten Feld hervorragende Arbeit leistete, konnte sie von ihrem unmittelbaren Vorgesetzten sehr hoch eingeschätzt werden, aber den Managern weiter oben waren ihre Tätigkeiten kaum bekannt. Interdisziplinäre Arbeit dagegen wurde auch auf den höheren Ebenen wahrgenommen, da mehr Manager darüber informiert waren. Je breiter die Zusammenarbeit, umso mehr Manager wussten davon. Das förderte ein Umfeld, das Zusammenarbeit und interdisziplinäre Forschung bevorzugte. Da die Manager, die die Entscheidungen trafen, dieses Verfahren selbst durchlaufen hatten, neigten sie zu derselben Einstellung.
Ich arbeitete 15 Jahre lang als Abteilungsleiter, war dabei wahrscheinlich bestenfalls ein durchschnittlicher Manager und schätzte mich überglücklich, als ich den Posten wieder abgeben konnte. Andere widerstanden der Beförderung für lange Zeit. Dennis Ritchie wurde erst lange nach mir Abteilungsleiter, und Ken Thompson gar nicht.
Nachdem ich inzwischen 20 Jahre lang an einer Universität unterrichtet habe, kann ich mich immer noch nicht damit anfreunden, ein Urteil über die Arbeit anderer Leute zu fällen. Es ist jedoch notwendig, und manchmal muss man dabei Entscheidungen treffen, die sich auf das Leben der betroffenen Person auswirken, etwa wenn man jemanden feuert (was ich zum Glück nie tun musste) oder einen Studenten durchfallen lässt (was zwar selten ist, aber durchaus vorkommt). Einer der Vorteile des Verfahrens bei den Bell Labs bestand darin, dass es auf der gemeinschaftlichen Einschätzung von mehreren Personen beruhte, die wussten, worum es bei der Arbeit ging. Doug McIlroy sagte: »Kollegialität erwies sich als der gute Geist des Systems. Bei niemandem hing die Karriere von seiner Beziehung zu nur einem einzigen Vorgesetzten ab.« Das Verfahren in den Bell Labs war zwar nicht perfekt, aber ziemlich gut, und ich habe schon von deutlich schlechteren Vorgehensweisen zur Leistungsbewertung gehört und gelesen.