Читать книгу Alsuna Jasmin - Sonnenblume - Bridget Sabeth - Страница 4

Nächtlicher Anruf – Ende Juni 2019

Оглавление

Es erklang das vertraute gurgelnde Geräusch, als ich auf den Knopf des silbernen Kaffeevollautomaten drückte. Sogleich lief die dunkle heiß dampfende Flüssigkeit in den vorbereiteten Becher. Ein herbes vollmundiges Aroma zog in meine Nase.

»Bitte, Jasmin, mach mir auch gleich einen«, rief mir meine Kollegin Bernadette zu, die emsig auf die Tasten des Laptops drückte, um die aktuellen Ereignisse der ersten Nachtrunde einzutragen und abzuhaken. Wir hofften beide darauf, dass die Bewohner im Seniorenheim gut schliefen, denn das bedeutete für uns einen ruhigen Dienst.

»Mach ich.« Ich tauschte den Becher. Während der nächste Kaffee heraussickerte, nippte ich vorsichtig am heißen Getränk. »Herrlich. Perfekt, um wach zu bleiben.« Ich griff nach der Kaffeetasse für Bernadette und stellte diese an ihrer Seite ab.

»Bin ja neugierig, ob Frau Huber heute wieder im Zwanzig-Minuten-Takt läutet.« Bernadette seufzte und unterließ die Eintragungen. »Gestern war sie bis zwei Uhr im Schlummerland, ehe sie ständig zur Glocke gelangt hat. Und sobald man drinnen ist, braucht sie nichts und schaut dich mit großen verständnislosen Eulenaugen an. Dafür verschläft sie dann meist den gesamten Vormittag. So geht das nicht weiter.«

Ich ließ mich auf dem Stuhl vor dem Computer nieder, um ebenso mit der Dokumentation zu beginnen. »Ich denke, wir sollten etwas Geduld haben, sie ist ja erst seit zwei Wochen bei uns, da muss sie sich eingewöhnen. Vielleicht sollten wir ausprobieren, dass Frau Huber am Abend später mit der zweiten Partie niedergelegt wird. Dennoch werde ich bei der nächsten Visite mit dem Arzt die bestehende Medikamentenliste durchsehen, vielleicht können wir da etwas anpassen.«

»Das ist eine gute Idee. Schlimm, wenn Menschen in ihrer Demenz so verloren sind, nicht mehr realisieren, wo sie sich befinden und was überhaupt los ist.«

Ich nickte. Manchmal spürte man die Ängste der Bewohner bis direkt ins eigene Herz hinein. Sie waren gefangen in ihrer Welt. Da halfen keine Erklärungen, die ohnehin nicht zu ihnen vordrangen. Oft fragte ich mich, was für ein Entsetzen sie in ihrem Kopf wieder und wieder durchmachen mussten. War es das Detonieren von Bomben im Krieg? Oder weil sie an Lederriemen versuchten, ihren Hunger zu stillen, wenn es nichts zu essen gab? Die sterbende Mutter? Oder das Lieblingstier, das geschlachtet wurde? …

Meine Fragen blieben unbeantwortet. Aber allein aus den gesammelten Daten in den Biografien wusste ich, dass die Mehrheit der Menschen in unserem Heim ein karges Leben geführt hatten. Geprägt vom Krieg und der Nachkriegszeit, Altlasten, die sie jetzt, am Lebensende mitunter verfolgten. Das einzige Mittel, das letztlich half, war Nähe: eine Umarmung, ein summendes Lied, Zeit – die meist zu kurz kam und in all unseren Dokumentationen nicht eingeplant wurde.

So eine Zeile mit dem Text: Heute eine halbe Stunde Nähe geschenkt, das müsste für mich bindend hinein und in der Pflegestufe miteingerechnet werden. Aber nein, der Alltag sah ganz anders aus und war gefüllt mit lauter Verpflichtungen, die es abzuhaken und zu dokumentieren gab: Betten machen, passende Kleidung bereitlegen, Dinge wegräumen, beim Essen helfen, in der Körperpflege unterstützen, Telefonanrufe entgegennehmen, Medikamente vorbereiten, Verbände wechseln, auf das WC setzen, mit Angehörigen sprechen, Bedarfsmittel auffüllen … und gefühlte tausend andere Dinge. Wobei sich diese Tätigkeiten pro Bewohner multiplizierten. Dennoch liebte ich den Job und die alten Menschen, die für mich über die Jahre ein Stück Familie waren.

Dumpf erklang ein Klingelton, der mich aufhorchen ließ. »Wer möchte um diese Zeit etwas von mir?« Ich eilte zu meiner Handtasche, die ich in einem Schrank verstaut hatte und zog das Handy hervor. Am Display stand Mama. Seltsam, normalerweise vergisst sie meine Dienste nie! »Hey, was gibt’s? Du, ich habe Nachtd…«

»Komm, komm bitte schnell!«, ertönte es atemlos.

»Mama, was ist los? Ich kann nicht … und ich verstehe dich schlecht.«

»Er ist wieder da!«

Ich hörte etwas zerschmettern. Die Tür, ein Fenster, oder war sie hingefallen? So genau konnte ich das nicht sagen. Innerhalb einer Sekunde griff die Panik meiner Mutter auf mich über. Mama war weder überängstlich, noch machte sie irgendwelche derben Scherze.

»Hilfe! Will … will mich umbringen! – Huch!«, stieß sie geschockt aus.

»Hast du die Polizei gerufen?!«

Statt der erhofften Antwort brach das Gespräch ab. Hektisch drückte ich auf die noch aufscheinende Telefonnummer meiner Mutter, um zurückzurufen.

»Was ist los? Du bist so bleich!« Bernadette suchte irritiert meinen Blick.

Unruhig wanderte ich im Dienstzimmer hin und her. Nach dem Piepen sprang bloß die Mobilbox an. »Irgendwer bedroht meine Mama, und nun hebt sie nicht ab! Ich muss zu ihr und nachsehen!«

»Bist du verrückt, du willst mich allein lassen? Das geht nicht!«, entgegnete Bernadette ihrerseits leicht schrill. »Das ist gesetzlich verboten! Wie soll ich sechzig Bewohner alleine versorgen! Wenn davon die Chefin Wind bekommt, fliegst du!«

»Hast du mir nicht zugehört? Meine Mutter ist in Gefahr, so wichtig kann kein Job der Welt sein! Verstehst du das nicht?«

»Geh nicht gleich vom Schlimmsten aus.«

»Ich ruf die Polizei!« Die Nummer? In meinem Kopf rotierte es. Feuerwehr ist eins, zwei, zwei – dann hat die Polizei eins, drei, drei! Ich fluchte, als ich mich in der Hektik vertippte.

Bernadette presste die Lippen unwillig zusammen, ohne etwas zu entgegnen.

»Probiere am besten einen Ersatz für mich zu bekommen! So spät ist es noch nicht, da erreichst du bestimmt jemanden von den Kollegen. Ich halte diese Ungewissheit nicht aus!« Es schien, als würde mir die Zeit davonlaufen. Hektisch nestelte ich den Autoschlüssel meines Skodas hervor. »Sorry!« Ich stürmte zur Tür hinaus, gefolgt von einem wütenden: »Du bist verantwortungslos!«, wie es mir Bernadette hinterherschickte.

Mein Herz pochte wild. Ich blieb gleich in meiner Schwesteruniform, stieg in den Wagen, der direkt neben dem Eingang parkte. Erneut wählte ich die Nummer der Polizei. Dann platzierte ich das Handy mit lautgestelltem Lautsprecher auf meinem Schoß und hoffte auf eine Verbindung. Mit durchdrehenden Reifen brauste ich los, während das Wartesignal im Telefon hörbar war.

Nach einer scheinbaren Ewigkeit erklang endlich eine männliche Stimme: »Polizeidienststelle Knittelfeld, Gruppeninspektor Berger, was kann ich für Sie tun?«

»Meine Mutter wird bedroht. Sie hat mich gerade angerufen, aber die Verbindung wurde unterbrochen. Im Hintergrund habe ich gehört, wie etwas zerschmettert ist, und ich erreiche sie nicht mehr! Bin auf den Weg zu ihr!« Ich bog von der Seitengasse in die Landesstraße ein, in wenigen Minuten würde ich mein Heimathaus in Kobenz erreichen.

»Können Sie mir den Namen Ihrer Mutter bitte nennen, und wo sie wohnhaft ist.«

Ich nickte, schalt mich eine Millisekunde später gedanklich dafür, dass ein Nicken durch das Handy nicht sichtbar und ein Beweis für mein angespanntes Nervenkostüm war. »Natascha, Natascha Winzer.« Ich drückte auf das Gaspedal, scherte mich nicht um die Geschwindigkeitsbegrenzung von siebzig Kilometer pro Stunde, während ich fast hundert draufhatte. Linksseitig vor mir lag die Abzweigung. So spät wie möglich trat ich auf die Bremse, ehe ich, ohne zu blinken, mit quietschenden Reifen die Spur wechselte.

»Sie wohnt Stockerweg 3. In Kobenz.« Ich folgte der asphaltierten Abkürzung durch den Wald, den häufig Ortsansässige benutzten und obendrein eine beliebte Fahrradstrecke war. Zum Glück musste ich nachts kaum mit einem Radler rechnen!

»Und mit wem spreche ich?«

»Jasmin Winzer – ich meine Alsuna, aber alle nennen mich Jasmin.«

»Hat Ihre Mutter sonst noch etwas gesagt?«

»Nein.«

»Ich werde sogleich eine Streife losschicken. Seien Sie vorsichtig, falls Sie vor uns eintreffen sollten. Warten Sie am besten im Wagen.«

»Pff«, entließ ich unwillig. Seine nett gemeinten Ermahnungen halfen mir gar nichts. Wenigstens kannte ich jeden Meter und jede Kurve dieser Straße. Bald hatte ich die alleeartig angeordneten Bäume, die links und rechts emporragten, hinter mir.

»Und fahren Sie nicht zu schnell, nicht das Ihnen etwas passiert!«

»Mist!« Ich bremste irritiert ab. Das Handy rutschte von meinem Schoß in den Fußraum.

»Hallo, sind Sie noch dran?«, erklang es bedeutend dumpfer.

Ich starrte auf einen immer größer werdenden hellen Schein. »Oh Gott! Ich glaub, unser Haus brennt!« Ich beschleunigte den Wagen.

»Es brennt?«

»Ja – Ja! Wir brauchen Feuerwehr, die Rettung, das volle Programm!!!«

Der Schotter knirschte unter den Reifen, als ich eine Vollbremsung hinlegte. Ich sprang aus dem Wagen, stürmte auf das Haus zu.

»Mama? Mama! Mama!« Ich rüttelte an der Tür. Verschlossen! Reserveschlüssel! Zum Glück wusste ich, wo sich der befand. Ich bückte mich seitlich zum Blumentopf, in dem weiß-pinkfarbene Fuchsien wuchsen, hob ihn hoch. Erleichtert griff ich danach, und steckte den Schlüssel in das Schloss. Mama musste sich noch drinnen im Gebäude befinden, denn wenn sie gekonnt hätte, wäre sie sicher vor dem Feuer geflohen und außerhalb zu sehen.

»Das ist zu gefährlich! Ich hab die Feuerwehr bereits verständigt!«

Mir tippte jemand auf die Schulter. Ich blinzelte ins Gesicht des Nachbarn, der sich von hinten genähert hatte. In der Hand hielt Hubert Grabner einen Feuerlöscher. Er wirkte genauso atemlos wie ich.

»Ich muss rein!« Entschlossen stieß ich die Tür auf. Ein Windzug fuhr durch, Feuer loderte hoch und ein beißender Geruch schlug uns entgegen. Ich zog den Kasack meiner Schwester-Uniform über die Nase, während sich Hubert nach vorne wagte, gnadenlos den Schaum auf die aufbäumenden Flammen hielt.

Meine Augen tränten. »Mama?«, krächzte ich, ohne eine Antwort zu erhalten. Womöglich ging sie auch im Knistern der Flammen unter. Hitze schlug mir entgegen, aber ich konnte nicht dastehen und tatenlos zusehen! Tief sog ich die Luft ein, ehe ich, ohne länger zu zögern, hineinlief. Ich versuchte, mich im Inneren zu orientieren, querte den Gang, um zu der hinten gelegenen Stiege zu kommen. Mama, wo bist du? Hatte sie Zuflucht gesucht? Im Keller? Oder im oberen Stock? Vielleicht auch im Bad?

Ich hatte kaum Zeit, um darüber nachzudenken, folgte dem Weg, der so halbwegs frei war. Meine Lungen brannten, als ich unweigerlich Rauch einatmete. Huberts Feuerlöscher erstarb.

Seinem Fuchteln nach zu urteilen, wollte er, dass ich mit hinauskäme. Ins Freie! Ich konnte nicht umdrehen! Nicht Mama im Stich lassen! … Viel Zeit bliebe mir nicht mehr! Es war stickig, die Augen brannten. Ein Husten lauerte in meiner Kehle, den ich gewaltsam unterdrückte, damit ich nicht noch mehr von dem Qualm inhalierte.

Ich stolperte, bemerkte ein Bündel zu meinen Füßen, dass ich halb blind im Feuernebel und mit den brennenden Augen nicht gesehen hatte. Ich fiel auf die Knie, ertastete einen menschlichen Leib. Mama! Ich hatte sie gefunden, erkannte sie klar an ihrer feingliedrigen Statur. Der Qualm war wie ein dunkelgrauer Teppich, der sich dicker werdend nach oben hin absetzte. Ringsum knisterte es. Wie aus dem Nichts durchfuhr mich am Rücken ein stechender Schmerz. Ich schrie auf, brauchte einige Momente, ehe ich begriff, dass sich ein Stück Holz von der Deckenvertäfelung gelöst hatte. Ächzend wandte ich mich unter dem brennenden Brett heraus, kämpfte um Atem.

Wir mussten hinaus! Rasch! Die Badezimmertür in der Nähe stand im Vollbrand, somit gab es nur eine Möglichkeit, ich musste es zurück zum Eingang schaffen.

Verzweifelt fasste ich einen Fuß meiner Mutter, zog sie über den Boden, mit einer Kraft und Entschlossenheit, die ich nie für möglich gehalten hätte. Da kamen mir Männer in Feuerwehrmontur und Atemschutz entgegen.

»Jasmin«, erklang es dumpf und ich war mir sicher, dass es Paul sein musste. Der Mann meiner Freundin Mara.

Kurzerhand hob er mich in seine Arme empor, während ein anderer nach dem leblosen Körper griff. Kaum waren wir im Freien, wurden Schläuche direkt auf den Eingangsbereich gehalten und entließen Wasser, versuchten zu retten, was noch zu retten war.

In ausreichender Entfernung setzte mich Paul auf dem Rasen ab. »Bleib da, schau, da kommt schon die Rettung. Ich gebe Mara Bescheid, ja?«

Ich nickte flüchtig. Die Hitze erinnerte mich an einen riesigen Wärmestrahler, auch wenn sie in der entfernteren Stelle erträglicher wirkte. Wie in Trance bemerkte ich den Notarztwagen mit Blaulicht, aus dem ein Arzt heraussprang und Richtung meiner Mutter hastete. Er schob irgendeinen Stoff von ihrem Gesicht herunter, und beugte sich über sie.

»Helfen Sie ihr!«, krächzte ich, versuchte aufzustehen, um an Mamas Seite zu gelangen.

Statt zu helfen, legte er kaum später den Stoff an die vorherige Stelle zurück. Nein!, wollte ich schreien, doch als der Doktor mich anblickte, erstarb jedes Wort in meiner Kehle. Ich sackte auf den Boden zurück, las die Antwort an seinen Augen ab. Ich war zu spät gekommen!

Ein heiseres Schluchzen vermischte sich mit einem Hustenanfall. Tränen schossen aus meinen Augen.

Der Arzt trat an mich heran. »Sie gehören ins Krankenhaus, haben Sie Schmerzen?«

Ich schüttelte abwehrend den Kopf, obwohl es keinen Millimeter an mir gab, der mich nicht quälte. Der Rücken brannte wie Feuer und der Druck in meiner Brust verstärkte sich zusehends.

»Ihre Wunde gehört versorgt, und mit einer Rauchgasvergiftung ist erst recht nicht zu spaßen. Ich helfe Ihnen in den Wagen«, sprach ein Rettungssanitäter, der hinzugekommen war und mir auf die schwankenden Beine half.

»Ich muss Mama noch einmal sehen«, flüsterte ich, schaffte es gerade so mit meiner Stimme, das Tosen des Wassers und das Knistern des Feuers zu überdecken.

»Das ist keine gute Idee«, entgegnete der Sanitäter.

»Jasmin, besser nicht.« Paul stellte sich mir in den Weg.

Wieso? In meinem Beruf hatte ich schon viele Tote gesehen! Ich brauchte diesen letzten Blick, um es zu begreifen! Stur drückte ich mich an ihm vorbei, schwankte mit zittrigen Beinen auf meine Mutter zu. Ich zog den Stoff herunter! Mein entsetzter Schrei klang unnatürlich rau. Irritiert blickte ich auf eine klaffende Wunde, einen gespaltenen Schädel! An den Wangenseiten gab es getrocknetes Blut. Das … diese Verletzung musste ihr vor dem Feuer zugefügt worden sein!

Will … will mich umbringen!, schoss es durch meine Gedanken, das hatte Mama am Telefon gesagt. Derjenige hatte es geschafft! Ermordet!

Meine Finger krallten sich in den Stoff, den ich nach wie vor hielt. Ich keuchte. Da zog mich jemand zurück und drückte mir eine Maske ins Gesicht. »Das ist Sauerstoff. Tief durchatmen, ganz tief durchatmen!«

Das Rauschen in meinen Ohren nahm zu. Ich spürte, wie mir schwindlig wurde, sich die grauen Punkte um mich herum dunkler färbten und mit dem hellen Schein des Feuers vermischten. Bald darauf war es schwarz.

Mara bremste ihren VW abrupt ab. Sie war ganz nach vorne bis zur Absperrung gefahren, sprang heraus. »Paul! Paul?! Paul!«, schrie sie. »Wie furchtbar!« Wasserschläuche wurden auf das Haus gehalten, von dem Rauchsäulen aufstiegen. Qualm hing in der Luft. Obwohl die Außenmauern emporragten, erkannte sie, dass es kaum noch eine Rettung für das Gebäude gab. All das, was das Feuer verschont hatte, wurde nun mittels Wasser ertränkt.

»Paul?«, klagte sie jämmerlich.

Endlich löste sich jemand aus der Gruppe der Feuerwehrmänner. »He, Süße, warte bitte, du darfst hier nicht weiter«, stoppte er Mara ab, und drückte seiner Frau rasch einen Kuss auf den Mund. »Ich musste dir einfach Bescheid geben.«

»Ja, sicher! Wenn du es nicht getan hättest, würde ich kein Wort mehr mit dir sprechen!«, entgegnete Mara impulsiver als beabsichtigt. Hektisch schaute sie sich um. »Sag, wo ist Suni? Geht es ihr gut? Und ihrer Mutter?«

Paul wusste als Maras Ehemann, dass sie ihre Freundin stets mit ihrem Kosenamen Suni ansprach, außer, wenn sie sauer war, dann wechselte Mara ebenso auf Jasmin. »Deine Freundin ist auf den Weg ins Krankenhaus. Sie sind erst wenige Minuten fort. Hast du den Rettungswagen nicht gesehen?«

Mara schüttelte den Kopf. »Suni hat heute Nachtdienst. Was machte sie dann hier?«

»Ich denke, sie ist direkt von ihrer Arbeitsstelle losgefahren, zumindest trug sie noch die Schwesternuniform.«

»Oh! – Und … und ist sie schlimm verletzt?«

»Soweit ich mitbekommen habe, hat sie eine Wunde am Rücken und mit Sicherheit eine Rauchgasvergiftung. Ich habe den Sanitätern deine Telefonnummer mitgegeben. Du bist ja quasi ihre nächste Angehörige.«

»Dann … dann …« Mara wagte nicht, es laut auszusprechen. Das konnte nur bedeuten …

»Natascha ist tot«, hörte sie Paul sagen.

»Oh Gott!« Mara presste sich schluchzend an Pauls Körper. Er roch nach ätzendem Rauch. Nicht so wie sonst nach dem feinen Tabakgeruch seiner Pfeife, den sie an ihm liebte. Sie blickte in sein kantiges Gesicht empor, bemerkte, dass er mit den Emotionen kämpfte.

»Wie … wie?«

»Ich weiß es nicht. Es ist alles ziemlich mysteriös.«

»Mysteriös?«

Da räusperte sich jemand hinter ihr. »Entschuldigen Sie, sind Sie Mara Gruber?«

»Ja«, bestätigte sie, als sie sich umgewandt hatte und einen Polizisten erblickte.

»Inspektor Berger. Ich würde gerne unter vier Augen mit Ihnen reden. Hubert Grabner, der Nachbar, hat mich grad auf Sie hingewiesen, Sie sollen eine sehr enge Freundin der Familie sein.«

»Das stimmt.«

»Ich muss eh hinüber zu meinen Jungs und helfen. Bis bald. Ruf mich am Handy an, wenn du etwas brauchst. Ich komm heim, so rasch es geht.« Paul gab ihr einen Kuss auf die Wange und drückte noch einmal zärtlich ihre Hand.

Mara sah ihm nicht hinterher, sondern visierte den Beamten an. »Wie kann ich helfen?«

Berger schöpfte nach Atem. »Offenbar wurde Natascha Winzer bedroht. Ihre Freundin hat sich telefonisch bei mir gemeldet, wir waren im Gespräch, als sie hierhergefahren ist.«

»Ich verstehe gar nichts mehr. Paul, mein Mann hat mir erzählt, dass Suni noch ihre Schwesternuniform trug. Sie muss von ihrer Arbeit direkt losgefahren sein.«

»Suni?«

»Jasmin – Alsuna Jasmin, meine Freundin.«

»Können Sie mir sagen, wo Ihre Freundin normalerweise arbeitet?«

»Ganz in der Nähe. Im Seniorenheim in Knittelfeld.«

»Gut, dem werde ich nachgehen. Gibt es sonst noch eine Verwandtschaft? Herr Grabner hat einen Willibald Winzer erwähnt.«

»Ja Willi, Sunis Onkel. Er wohnt etwa einen halben Kilometer entfernt, in einer Mini-Wohnung. Nun … er ist arbeitslos, schon ewig, zumindest, seit Suni und ich befreundet sind. Das sind mittlerweile auch schon dreizehn Jahre. Natascha hat ihm häufig etwas Geld zugesteckt und zum Essen gegeben, oder mal neue Kleidung gekauft. Er ist … war … der Bruder.« Mara hielt inne. Sie plapperte immer gerne und zu viel, das gehörte zu ihren Angewohnheiten. Wenn sie aufgeregt war, verstärkte sich diese Eigenart.

»Hat Ihre Freundin in letzter Zeit irgendetwas Ungewöhnliches erwähnt? Dass die Mutter in Gefahr wäre, oder Ähnliches?«

Mara verneinte. In ihrem Kopf ratterte es. Paul hatte auch so herumgedruckst! »Sie denken also, dass das Feuer kein Unfall war?«

Berger kratzte sich am Kinn. »Wir stehen erst am Anfang unserer Ermittlungen.«

»Bitte, weichen Sie mir nicht aus.«

»Ein Unfall, liebe Frau Gruber, ist ausgeschlossen.«

Mara entließ ein keuchendes Geräusch. Brandstiftung? Das war noch schlimmer! Wer, bitteschön, wollte Sunis Mama etwas antun? Sie konnte es sich nicht erklären. Niemals hier in der Pampa!

»Ein Kollege wird den Wagen ihrer Freundin an die Wohnadresse bringen.« Er zog einen Notizblock heraus. »Sandgasse 4a.«

»Das ist richtig.«

»Im Fußraum lag ein Handy, ich denke, dass es Ihrer Freundin gehört.« Er zog es aus seiner Tasche, war inzwischen von einem Plastikbeutel umschlossen.

Mara erkannte es sogleich an der schwarz-goldenen Hülle. »Kann ich es mitnehmen? Ich möchte Suni so schnell wie möglich besuchen. Wissen Sie, wo sie hingebracht wurde?«

»Das Handy, leider nein. Wir werden es sicherheitshalber überprüfen, aber ich denke, bis gegen Mittag sind wir damit fertig, und Sie können es bei mir am Revier abholen.«

Mara schluckte. Untersuchen? Galt Suni als Verdächtige?

»Laut dem Notarzt wird Ihre Freundin direkt in das Landeskrankenhaus Graz gebracht, dort sind sie spezialisiert auf Rauchgasvergiftungen.«

Graz! Wie schlimm war sie tatsächlich verletzt? Mara konnte ihr nicht einmal schreiben, anrufen oder beistehen! Sie musste so schnell wie möglich versuchen, in der Klinik etwas in Erfahrung zu bringen. Aber allein die Fahrt nach Graz dauerte mit Blaulicht mindestens eine halbe Stunde, dann die Untersuchungen … Geduld zählte nicht zu Maras Stärken. »Danke«, flüsterte sie dennoch rau.

»Nichts zu danken, wir tun nur unsere Pflicht. Entschuldigen Sie, es stehen noch einige Befragungen an.« Berger tippte auf seine Kappe und verschwand.

Mara setzte sich in den Wagen. Sie starrte auf die Ruine, hell erstrahlt durch die Scheinwerfer, die von der Feuerwehr aufgestellt worden waren, um zu erkennen, ob sich noch irgendwo ein Glutnest verborgen hielt.

»Lass Suni rasch wieder okay sein«, sprach Mara erstickt. Obwohl sie mit eigenen Augen das Ausmaß der Zerstörung sah, konnte sie es kaum fassen. Sie startete den Wagen, wollte heim in den Nachbarort Seckau, in das gemeinsame Häuschen von Paul und ihr, um dort Zuflucht zu suchen, für Suni zu beten – und später in der Klinik anzurufen!

Alsuna Jasmin - Sonnenblume

Подняться наверх