Читать книгу Alsuna Jasmin - Sonnenblume - Bridget Sabeth - Страница 6
Besuche
ОглавлениеMara blickte in das bleiche Gesicht ihrer Freundin Jasmin. Feine Schläuche schmiegten sich an ihre Wangen, während eine transparente Maske über Mund und Nase lag und sie mit zusätzlichem Sauerstoff versorgte. Im Hintergrund piepste es, auf dem Monitor tanzten Linien, die Sunis Herzschlag anzeigten und zumindest regelmäßig schienen. Daneben wechselten Zahlen, die Mara als Blutdruck deutete.
Mit zittrigen Händen strich sie vorsichtig eine Strähne aus Sunis Stirn. Es wirkte so surreal. Am Wochenende hatten sie erst gemeinsam gegrillt. Suni hatte Knoblauch-Baguettes, einen Kartoffelsalat und zwei Flaschen Hugo für sie Mädels mitgebracht, während sich Paul über ein Sechser-Tragerl-Bier freuen durfte. Ihre Freundin machte mit Abstand den besten Erdäpfelsalat, den Mara je gegessen hatte!
Und nun?
Neugierig schaute Mara sich um, unschlüssig hielt sie nach wie vor die Tasche mit den mitgebrachten Sachen in einer Hand. Am hinteren Bett stand ein weiterer Besucher, trug so wie sie, einen blauen Mantel zum Schutz. Er hielt Händchen mit der darin liegenden Frau, was sie schön fand. Zwei Betten weiter wurde hingegen jemand beatmet, der Brustkorb im regelmäßigen Rhythmus aufgeblasen. Mara wandte sich ab und war erleichtert, dass sie Friseurin war! Ein Job, der auch mal stressig sein konnte, aber zumindest nicht so belastend, so nah zwischen Leben und Sterben. Als selbsternannte Chefin, wie sich Mara selbst nannte, da sie mobil im Einsatz war, konnte sie ihre Zeit und Freizeit gut einteilen.
»Hier, nehmen Sie doch den Sessel«, meinte eine Krankenschwester freundlich, die kurz einen Blick über Suni gleiten ließ.
Es war dieselbe, die sie zuvor eingelassen und genau darauf geschaut hatte, dass Mara ihre Hände richtig und lang genug desinfizierte.
»Sie können Frau Winzer ruhig ansprechen. Es geht ihr so weit gut, sie ist nur von den nächtlichen Untersuchungen und der Therapie ein wenig müde.«
»Danke vielmals.« Mara rutschte mit dem Sessel näher, stellte die Tasche zwischen ihren Beinen ab. Nein, aufwecken wollte sie Suni nicht. Zumindest nicht gleich. Es erleichterte sie, dass die Freundin wohl nicht in akuter Gefahr schwebte. Das war ihre größte Sorge gewesen. Suni sollte schauen, dass sie ihre Kräfte dafür hernahm, bald gesund zu werden. Das war im Augenblick alles, was zählte!
Es fiel mir schwer, mich aus meinem Schlaf zu lösen. Mein Verstand wollte aufwachen, während meine Augenlider wie zubetoniert blieben, egal, wie sehr ich mich auch anstrengte, diese zu öffnen. Da waren Stimmen und Geräusche! Ich wollte daran teilnehmen! Sprachen sie über mich?
Aber jetzt! Bewege ich mich schon? Augen geht auf! Endlich schaffte ich ein Blinzeln, erkannte erste Schemen. Da war jemand! Kurz atmete ich tief durch, sammelte noch einmal alle Kräfte und blickte direkt in das besorgte rundliche Gesicht meiner Freundin Mara. Über ihrem knallpinken Haar lag ein heller Schimmer, weil die Sonne durch ein Fenster hereinblitzte.
»He, Suni, was machst du bloß für Sachen.« Es klang erleichtert.
Ein gequältes Lächeln huschte über meine Lippen. Mara war die Einzige, die meist die Koseform Suni benutzte, ihre Variante, abgeleitet von meinem Vornamen Alsuna. Bereits in der Volksschulzeit hatte es sich eingebürgert, dass ich meinen zweiten Rufnamen Jasmin verwendete, der leichter und ohne lange Erklärungen über die Lippen ging. Ich schluckte den emporsteigenden Kloß in der Kehle hinunter und war dankbar, meine Freundin zu sehen, meine Vertraute! »Du verrückte Kuh, bist extra den weiten Weg hergefahren«, schniefte ich, etwas dumpfer, bedingt durch die Maske in meinem Gesicht.
»Aber sicher, für dich ist mir kein Weg zu weit. Hast du Schmerzen?«
Ich fühlte in meinem Körper hinein, Müdigkeit und Schmerz waren vermischt wie zu einem riesigen Brei. »Zum Aushalten.«
»Schau, ich hab dir ein paar Sachen zusammengepackt.« Sie deutete auf eine Tasche. »Zahnbürste, Parfum, Kleidung, Hausschuhe … Weißt du, wie lange du hierbleiben musst?«
Ich schüttelte den Kopf. »Es sollen noch ein oder zwei hyperbare Sauerstoffbehandlungen wegen meiner Rauchgasvergiftung stattfinden, hat der Arzt in der Nacht gemeint. Aber ich hoffe, dass ich bald raus kann. Ich muss doch endlich wissen …« Ich brach ab.
Mara nahm mich mitfühlend in den Arm, drückte mich an ihren tröstlich weichen anschmiegsamen Körper, bis mein Schluchzen abebbte.
»Die Polizei hat schon wegen einer Vernehmung angefragt«, fuhr Mara mit sanfter Stimme fort. »Ein gewisser Gruppeninspektor Albert Berger hat mir dein Handy gegeben, mich vernommen – aber ich konnte ihm leider nicht weiterhelfen. Du findest es mit dem Aufladekabel in der Tasche. Ein Kollege von ihm wird sich bald bei dir melden und ein persönliches Gespräch mit dir suchen. Willi weiß auch Bescheid, aber frag mich nicht, wie er es aufgenommen hat. Es sind etliche entgangene Anrufe am Telefon. Vorhin hab ich abgehoben, weil deine Chefin dran war. Dabei zeigte sie sich nicht gerade von der freundlichsten Seite. Obwohl, als sie von mir ansatzweise erfahren hat, was geschehen ist, hatte sie es plötzlich sehr eilig, sich zu verabschieden. Dabei müsste sie eh von der Polizei informiert worden sein. Bestimmt wollte sie dir keine gute Besserung wünschen. Und sorry, ich rede schon wieder viel zu viel.«
Ich lächelte nachsichtig, wurde eine Sekunde später ernst. »Irgendwie kann ich die Chefin schon verstehen, ich habe mich ohne Erlaubnis von der Dienststelle entfernt.«
»Na hör mal, wenn es um meine Mama gegangen wäre, hätte ich genauso gehandelt.«
»Danke Mara, das ist lieb.«
»Das hat mit lieb nichts zu tun, sondern das meine ich genauso. Zumindest hast du erstmals deine Ruhe vor ihr. Ich habe ihr klipp und klar gesagt, dass du auf der Intensivstation liegst und du in den nächsten Tagen sicher nicht erreichbar bist, weil ich dein Handy hätte. Komm ja nicht auf die Idee, dass du dich zu früh meldest.«
Ich schätzte meine quirlige kleine Freundin, die wie ein Duracell-Hase unermüdlich aktiv, aber vor allem mir gegenüber absolut loyal war.
Eine Krankenschwester trat heran. »Es tut mir leid, in fünf Minuten ist die Besuchszeit vorüber und ich muss Sie bitten, sich langsam zu verabschieden.«
»Oh, schon.«
»Natürlich, danke für die Information«, bemerkte Mara höflich, ehe sie sich an mich wandte. »Ich bin eh schon länger hier, aber ich wollte dich nicht aufwecken. Soll ich irgendetwas für dich besorgen? Oder hast du etwas zum Mitgeben, deine alte Kleidung vielleicht.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich hab nicht einmal gefragt, wo meine ist – da siehst du, wie hinüber ich bin.«
»Mach dir keine Sorgen, du bist jung, da bist du körperlich bestimmt bald auf der Höhe. Ich habe mir dich schlimmer vorgestellt. Bis auf deine Haare – wenn du raus bist, bekommst du von mir einen ordentlichen Haarschnitt verpasst.« Mara bückte sich zum angrenzenden Nachtkästchen. »Ich packe dir die Tasche da einmal hinein.« Dabei zog sie einen Plastikbeutel heraus. »Und ich glaube, ich habe deine alten Sachen gefunden.«
Ich langte zum Beutel und öffnete ihn. Kalter Rauchgeruch stieg empor. In mir erwachten die Bilder vom Feuermeer. Rasch verknüpfte ich die Plastikhenkel, als könnte ich damit die Erinnerungen aussperren.
»Wenn du möchtest, wasche ich dir deine Sachen. Vielleicht ist noch etwas zu retten.«
»Nein.«
»Das ist wirklich kein Problem.«
»Nein«, bestärkte ich. »Du verstehst nicht. Wenn, dann mache ich es selbst. Für dich ist es nur ein Beutel mit verdreckten Sachen, für mich weit mehr.«
»Nun habe ich verstanden. Ich stelle es dir in die Wohnung ins Badezimmer, okay? Dein Auto steht übrigens am angestammten Platz vor dem Haus. Wurde von einem Beamten dort hingebracht.«
Ich nickte zustimmend. War von meinem Heimathaus noch etwas übriggeblieben? Das spielte im Moment keine Rolle, und ich würde es früh genug herausfinden.
»Ach Suni, ich wünschte, ich könnte dich gleich mitnehmen. Melde dich, so oft du willst und kannst. Und wenn du ein Taxi nach Hause brauchst, hol ich dich selbstverständlich ab. Komm, lass dich noch einmal drücken. Ganz vorsichtig, versteht sich.«
»Danke«, raunte ich ihr ins Ohr. »Ich danke dir.«