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Heimkehr in die Knittelfelder Wohnung

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Mara hatte vorsorglich den Motor ihres VWs abgestellt. »Du hast zwar mein Angebot, zu uns zu kommen, ausgeschlagen, aber was ist, soll ich dich nicht besser hoch in die Wohnung begleiten?«

Ich löste den Blick von meinem blauen Skoda, der gleich an der Straßenseite parkte. So wie immer, als ob nichts vorgefallen wäre. »Bist du mir sehr böse, wenn ich verneine?«

»Nein, spinnst. Du warst schon die gesamte Fahrt so ruhig. Ich will dich nicht in deinen Gedanken stören, aber du solltest auch nicht alleine in deiner Wohnung hocken.«

Ich dachte an den Beamten Lichter, der sogar dazu geraten hatte, dass ich bei jemandem unterschlüpfen sollte. Zur Sicherheit! Aber ich brauchte eine Auszeit. Für mich, um zu trauern! Ohne Bettnachbarn, nerviger piepsiger Geräusche und mitleidigen Blicken!

Ich schöpfte nach Atem. »Ich bin aktuell keine gute Gesprächspartnerin. Ich muss zuerst meine Gedanken klären. Gib mir ein bisschen Zeit.«

Mara hob ihr Handy hoch, das in der Zwischenkonsole gelagert hatte. »Tag und Nacht jederzeit erreichbar. Du kannst mich auch anrufen und dann einfach ins Telefon schweigen. Kein Problem.«

Ich drückte ihr einen Schmatz auf die Wange. »Ich komme bestimmt darauf zurück. Danke dir, für alles.«

Ich stieg aus. Meine Freundin wartete, bis ich im Gebäude verschwunden war. Erst dann hörte ich das vertraute Motorengeräusch des VWs. Mit schweren Schritten marschierte ich in den ersten Stock, wo sich der Zugang zu meiner großzügigen Maisonettewohnung befand. Mir gefiel die Kombination aus Offenheit und dem Hauscharakter. Mit einundzwanzig Jahren war ich von daheim ausgezogen, obwohl Mamas Haus groß genug für uns beide gewesen wäre. Doch ich benötigte meinen Freiraum. Mama war stets liebevoll zu mir, aber auch sehr vereinnahmend. Das ging so weit, dass sie mein Telefon kontrollierte oder im Tagebuch las, weshalb ich das Schreiben darin aufgegeben hatte. Ich wusste, dass sie es nicht tat, weil sie mir misstraute. Sie wollte mich vor Fehler bewahren, mich beschützen und behüten wie ihren eigenen Augapfel. Dass sie dabei zuweilen über das Ziel hinausschoss, war Mama lange Zeit gar nicht bewusst gewesen. Für sie war ich das kleine Kind geblieben, das sie umsorgen wollte.

In der ersten Nacht in der eigenen Wohnung erfuhr ich, was Privatsphäre bedeutete. Lange lag ich wach, genoss die Ruhe, kein Kontrollieren, ich fühlte mich frei … Tja, und das Smartphone hatte ich vorsorglich auf stumm geschaltet, um nicht gestört zu werden und meine Grenze darzulegen.

Mit zittrigen Händen schloss ich die weiß lackierte Wohnungstür auf, um sie rasch hinter mir zuzudrücken. Insgeheim fragte ich mich, wie viel Zeit ich mit Mama verschenkt hatte, weil ich auf ein eigenes Reich pochte. Ich fühlte mich schuldig darin, dass ich nicht rechtzeitig zur Stelle gewesen war. Ob ich den Brand hätte verhindern können, wenn wir zu zweit im Haus gewohnt hätten? Wer wollte Mama loswerden, hatte sie so grausam zugerichtet? Ein Bekannter, ein Fremder? Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Zumindest hatte ich durch die damalige Entscheidung, auszuziehen, jetzt noch ein Dach über dem Kopf. Das gab mir keinen Trost.

Ich steuerte in das Badezimmer zum Waschbecken, um mein Gesicht mit Wasser zu benetzen, zu kühlen und meine Tränen wegzuwaschen. Ich trocknete die verbliebenen Tropfen mit einem Handtuch, das ich aus dem Fach meines grauen Regals herausgenommen hatte. Ich seufzte, schaute mich unschlüssig um. Dieser Raum war in einem schmucken Weiß-Schwarz gehalten, wirkte wie ein überdimensionales Schachbrett. Statt Figuren gab es als Inventar eine Waschmaschine, einen Trockner und die Badezimmerkommode mit einem riesigen Spiegel. In der Ecke befand sich meine Wellnessoase – eine große Badewanne mit Massagedüsen. Mit der Wunde am Rücken durfte ich leider kein ausgiebiges Schaumbad nehmen, wo ich gerne bis zur Nasenspitze im Wasser versinken konnte.

Mein Blick glitt zurück zur Waschmaschine, vor der ein weißer Plastikbeutel lag. So wie versprochen, hatte Mara meine Sachen ins Badezimmer gebracht. Kurz zögerte ich, doch dann ließ ich mich im Schneidersitz daneben nieder, holte tief Luft und wappnete mich darauf, dass mit dem Rauchgeruch auch Bilder der schrecklichen Nacht auf mich einprasseln würden.

Ich zog die verknüpften Enden auseinander, holte meine Schwesternuniform, die aus Hose und Kasack bestand, heraus. Das Oberteil wies am Rücken ein riesiges Loch auf, dort, wo das brennende Brett mich getroffen hatte. Die Hose zeigte ebenso versengte Stellen. Da konnte eine Wäsche nichts mehr retten. Ich klappte den Mülleimer in meiner Nähe auf und stopfte beides hinein. Doch noch war der Kunststoffbeutel nicht leer.

Ein schwarzes Kleidungsstück? Wie kam das hinein? Neugierig zog ich es heraus. Mamas Jacke! Sie war eines ihrer Lieblingsteile gewesen, wie ich am feinen Strickmuster erkannte. Ich erinnerte mich, dass ich die Jacke in der Brandnacht von Mamas Gesicht heruntergezogen hatte! Ich spürte leichte Verhärtungen des Gewebes, wo die Hitze zu intensiv eingewirkt hatte, und bemerkte dunklere Stellen, die wohl von eingetrockneten Blutflecken stammten. Ein Schluchzer trieb aus meiner Kehle, verzweifelt knüllte ich das Stückchen Stoff zusammen. Da raschelte etwas in der Tasche.

»Was war das?« Irritiert strich ich mir über die nassen Augen, um besser sehen zu können. Ich nestelte ein Bild heraus und musterte es genauer. Bis auf einzelne Knitterspuren war es gut erhalten. Im Hintergrund zeigte sich ein Sonnenblumenfeld. Es handelte sich um eine ältere Aufnahme, wie ich an den Farben erkannte.

»Mama, das bist ja du – in jung!« Daneben stand ein mir unbekannter hochgewachsener Mann, mit blauen Augen, blondem Haar und einem auffälligen Muttermal an der rechten Wange neben der Nase, in der Höhe des Jochbeins.

Ich stob hoch, musste mich kurz abstützen, da die Bewegung für meinen Kreislauf zu heftig ausgefallen war. Als der Schwindel sich gelegt hatte, blickte ich in den Spiegel, tastete mit der Hand zu meinem Muttermal auf der rechten Seite in Jochbeinhöhe, das mir über all die Jahre vertraut geworden war. »Es ist nahezu dieselbe Stelle! Zufall?«

Ich fuhr über mein blondes Haar, begutachtete meine blauen Augen … War der Kerl auf dem Bild mein Vater?

Erneut starrte ich auf die Aufnahme, die Ähnlichkeit war zu verblüffend, um rein zufälliger Natur zu sein. Mama wirkte so glücklich! Sie strahlte auf dem Bild, nicht in die Kamera, sondern den Mann an ihrer Seite an. Nie hatte ich sie derart fröhlich gesehen. So wunderschön mit ihrem dunklen Brünett und den braunen Augen, ein starker Kontrast zu seinem hellen Haar. Fast so wie das Schwarz-Weiß in meinem Badezimmer.

Das Bild musste ihr wichtig gewesen sein, sonst hätte es sich wohl nicht in der Jacke befunden. Oder steckte mehr dahinter? Wollte sie mir damit einen Hinweis geben, wer der Täter war? Doch wenn Mama mit einem Überfall gerechnet hätte, hätte sie wohl zuvor die Polizei verständigt, oder bei den Nachbarn Zuflucht gesucht.

Die Türklingel ließ mich hochschrecken. Eigentlich verspürte ich grad gar keine Lust, mit jemandem zu sprechen oder wen einzulassen. Dennoch setzte ich mich beim neuerlichen Ding-Dong in Bewegung.

»Suni, sorry – ich Dussel habe nicht auf deine Tasche gedacht, sie lag noch auf der Rückbank.«

Statt einer Entgegnung fiel ich meiner Freundin schluchzend in die Arme. Mara zog mich weiter ins Wohnzimmer, packte mich auf die Couch, deckte mich sorgsam zu. »So Schatz, und nun mache ich dir zuerst eine heiße Schokolade. Du wirst sehen, der süße Geschmack lässt dich ein klitzekleines Stückchen zuversichtlicher werden. Und dann redest du mit mir, das ist dringend nötig, wie mir scheint.«

Mara nahm einen großen Schluck Kaffee. Sie betrachtete das alte Bild und verglich es mit mir. »Zweifellos, das muss dein Vater sein. Sogar euer Muttermal. Seltsam, ist so ein Zeichen vererbbar? Und umringt von all den Sonnenblumen, das schaut richtig romantisch aus.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Es gibt wohl bei solchen Malen eine genetische Disposition bei nahen Verwandten, soweit ich weiß.«

»Weißt du, wie dein Vater heißt?«

Abwehrend schüttelte ich den Kopf, wusste nicht einmal, ob er überhaupt lebte. Ich trank einen Schluck der heißen Schokolade. Mara hatte recht gehabt, verfeinert mit dem Zucker- und Zimtgeschmack breitete sich ein heilsamer Geschmack in meinem Mund aus, sodass ich gefasst blieb und nicht erneut losheulte. Außerdem erleichterte es mich, dass Mara mich nicht für verrückt erklärte und sie den Kerl auf dem Bild ebenso für meinen Vater hielt. Irgendwie wollte mir noch immer nicht recht in den Sinn, ob die letzten Tage real oder nicht doch ein böser Traum waren.

Nein, das Schicksal machte mir keinen Gefallen, um mich aus diesem Albtraum aufwachen zu lassen. Ich stellte die Tasse auf der Fensterbank ab. »Mama hat nie über meinen Vater gesprochen, zumindest nicht freiwillig. Ich erinnere mich bloß daran, dass ich mal im Kindergarten nach ihm gefragt habe, weil er nie zu den Festen aufgetaucht ist, mich nie abgeholt hat, so wie es bei meinen Freundinnen und Freunden üblich war. Da ist sie ganz erschrocken, hat gefragt, wieso ich auf ihn zu sprechen komme. Ich hab entgegnet, dass ja bei den anderen stets ein Papa dabei ist. Da hat sie geantwortet, dass mein Papa bloß mein Erzeuger ist und kein Interesse an mir hätte, ich ihn ganz rasch vergessen sollte und wir ihn nicht bräuchten.«

»Das war bestimmt hart für dich.«

»Ich kann dir gar nicht mehr beantworten, ob ich damals entsetzt war. Vielleicht hätte er mir mehr gefehlt, wenn ich ihn gekannt oder es irgendwann Kontakt gegeben hätte. Und mit Onkel Willi in der Verwandtschaft ist mein Bedarf an Kerlen echt gedeckt.«

»Suni, das sagst du bloß, weil dir der richtige Mann noch nicht begegnet ist. Es stimmt schon, es gibt einige, die nicht zu den Prachtstücken zählen, aber glaub mir, die Suche nach dem Richtigen lohnt sich. Schau Paul und mich an. Ich frage mich, wie er es mit mir verrückter Nudel bereits seit fünf Jahren aushält. Mich sogar geheiratet hat.«

Ich erinnerte mich an die kleine Feier im engsten Familien- und Freundeskreis. Mara hatte ein schwarzrotes Hochzeitskleid im Gothic-Stil getragen, das Rüschen, Spitze und ein florales Muster aufwies. Ein traditionales Fest hätte zu den beiden nicht gepasst. Nach der Trauung am Standesamt saßen wir bei ihnen im Garten. Zum Essen hatte ich ein Catering organisiert, und Freunde spielten die Lieblingslieder des Paares den gesamten Nachmittag bis spät in die Nacht hinein. Mara und Paul waren für mich das absolute Dreamteam. Sie passten perfekt zusammen, schafften es, dem anderen den Wind aus den Segeln zu nehmen, wenn einer mal dabei war, seine Balance zu verlieren. Zu ihrem Glück fehlte noch Nachwuchs, der sich nicht einstellen wollte, so sehr sie es versuchten. Doch auch diese Last trugen sie gemeinsam. Ob es für mich einen Traumpartner geben konnte? »Suchen interessiert mich nicht, da warte ich lieber darauf, dass der Richtige mich findet. Und schau dich um, irgendeine Macke hat doch jeder. Ich ebenso.«

»Es geht ja darum, jemanden mit einem kompatiblen Knall zu finden.«

Ich schnitt Mara eine Grimasse, spürte, wie für eine Millisekunde Leichtigkeit in mir aufblitzte, ehe sie in Verbitterung erstarb. Vor Kurzem war mein Leben im gewohnten Trott und in geordneten Bahnen verlaufen. Männer und eine fixe Bindung interessierten mich nicht, dafür war ich viel zu sehr mit meinem Beruf verwurzelt. So verbuchte ich meine Bekanntschaften unter Abenteuer, die meist nicht länger als einige Wochen hielten. Auf einmal vermisste ich nicht nur meine Mama, sondern ebenso eine bessere Hälfte, eine Schulter zum Anlehnen … Mara war toll, aber ich wollte sie keinesfalls vereinnahmen. Hatte ich bezüglich Kerle unbewusst Mamas Verhaltensmuster übernommen? Nie war die Männerwelt ein Thema für sie. Zumindest nicht, solange ich mich zurückerinnern konnte. »Ich verstehe nicht, weshalb sie ausgerechnet dieses Bild bei sich getragen hat. Unsere Fotoalben befinden sich im Keller in den Regalen, geschützt in Kartons. An dieses Bild kann ich mich jedenfalls nicht erinnern.«

»Dieser Kerl war Natascha anscheinend wichtig. Vielleicht war er die Liebe ihres Lebens, und sie wurde von ihm enttäuscht. Irgendein melancholischer Hintergrund muss bestehen, sonst würde es das Foto nicht geben. Und offenbar hat sie es ja vor dir verborgen. Ob du von der Seite deines Vaters Geschwister hast?«

Mein Kopf ruckte hoch. »Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Eher beschäftigt mich die Frage, ob er Mama … umgebracht hat!«, stieß ich hastig hervor.

Mara legte den Kopf schief, tippte sich nachdenklich an die Lippen. »Das können wir wohl nicht ausschließen. Du musst mit dem Bild zur Polizei, vielleicht ist es eine Spur.«

»Irgendwie will – wobei wollen ist das falsche Wort – also ich denke, ich sollte zu Onkel Willi. Wenn jemand den Kerl kennen könnte, dann wohl er. Vielleicht finde ich etwas heraus, was auch für die Polizei von Interesse ist. Und du kennst ihn, Fremden gegenüber macht er gerne auf schweigsam.«

»Das liegt bei euch definitiv in der Familie. Zudem habt ihr alle einen Hang dazu, euch einzuigeln.«

Ich zog eine Schnute, obwohl ich wusste, dass Mara diese Aussage nicht böse meinte.

»So, was hältst du von einer Ablenkung? Du weißt, ich habe heute den ganzen Tag für dich freigehalten. Sollen wir eine kleine Runde spazieren gehen? Oder einen Film ansehen?«

Ich fuhr mir mit der Hand über das Gestrüpp am Hinterkopf. »Gilt dein Angebot noch für das Haare schneiden? Ich brauche etwas Veränderung. Denkst du, dass mir ein Schwarz stehen könnte?«

»Schwarz? Doch nicht dauerhaft?« Mara zog eine Augenbraue hoch. »Bist du dir sicher? So eine Farbe bekommst du nicht mehr so leicht raus, und du weißt, ein Blondieren danach könnte die Haarstruktur angreifen.«

»Jetzt, wo sich alles im Umbruch befindet, passt kein fades Blond. Und auch Mama hatte so schönes dunkles Haar …«

»Oh, ich verstehe, dadurch fühlst du dich näher mit Natascha verbunden, nicht wahr?«

Ich nickte zustimmend.

Mara klatschte in die Hände. »Dann hopp auf, Süße, lass dich überraschen und ein bisschen von mir verwöhnen!«

Alsuna Jasmin - Sonnenblume

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