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1.4 Bildhafte Darstellung

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Demenz wird heute, unabhängig von der Ursache, als ein im Verlauf des Lebens auftretender Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit bezeichnet, die so stark ist, dass die Fähigkeit, Alltagsaktivitäten durchzuführen, verloren geht.

Grundsätzlich ist jeder Verlauf einer Demenz einzigartig und benötigt eine entsprechend individuelle Vorgehensweise. Das Geschehen kann grob in drei Stadien eingeteilt werden, die mithilfe dieser drei Baumbilder verdeutlicht werden.


Abb. 1.1: Bildhafte Darstellung der Demenz

Im frühen Stadium verändert sich die Baumkrone. Im Vordergrund stehen Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, der Orientierung und der Wortfindung. Der Alltag kann weitgehend selbstständig bewältigt werden. Bei Geldangelegenheiten oder Organisationsfragen entstehen Überforderungen. Gedächtnisstörungen und die Empfindung des eigenen defizitären Verhaltens nehmen die Betroffenen bewusst war, deshalb gibt es Phasen des Unglücklichseins, der Traurigkeit, der Resignation bis hin zur Depression. Diesem Schmerz Raum zu geben, ihn zuzulassen, kann auffallendes Verhalten, Angst und Rückzug mildern. Die Betroffenen fühlen sich dadurch verstanden, angenommen und bejaht in ihrem sich verändernden Zustand. In diesem Stadium werden Defizite häufig überspielt. Es ist eine Phase des Findens, Erkennens, bestenfalls der Akzeptanz. Diskussionen, Streitgespräche und Rechthaberei erschweren diesen Prozess.

Im mittleren Stadium verliert der Baum Zweige und Äste. Die Einschränkung der Alltagsbewältigung nimmt zu. Mahlzeiten zuzubereiten verursacht Schwierigkeiten. Das eigenverantwortliche Handeln wie Einkaufen oder Bedienung von Haushaltsgeräten ist kaum noch möglich. Gefahrenzonen vergrößern sich. Selbst- und Fremdgefährdungen nehmen zu. Die zeitliche, örtliche und persönliche Orientierung ist gestört. Der Tag-Nacht-Rhythmus kann sich verändern durch Unrast, Umtriebigkeit und Bewegungsdrang. Sich selbst, Angehörige und Bezugspersonen zu erkennen, wird immer schwieriger.

Im späten Stadium der Demenz ist nur noch ein Baumstumpf auf den Wurzeln vorhanden. Pflegebedürftigkeit und Kontrollverluste stehen im Vordergrund. Die Sprache der Betroffenen beschränkt sich auf Laute, die häufig zusammenhangslos eingesetzt werden. Hilflosigkeit nimmt zu, eine Betreuung rund um die Uhr ist angesagt. Seitens der Begleitenden können nonverbale Sprache, Berührungen, Redewendungen und vertraute Sprichwörter (siehe Anhang) unterstützend eingesetzt und Äußerungen gezielt herausgelockt werden. Das verschafft dem Menschen mit Demenz ein Persönlichkeitsprofil und stärkt sein Selbstwertgefühl.

Die Darstellung der »Fünf Säulen der Identität« nach Hilarion Gottfried Petzold (1992)1 dient der einfühlenden, verstehenden und unterstützenden Begleitung der Menschen mit Demenz. Unter Identität, lat.: identitas = Wesenseinheit, versteht man die Einzigartigkeit eines Lebewesens, insbesondere eines Menschen.

Identität ist ein lebenslanger Prozess und zeigt sich in Auftreten, Mimik, Gestik, Sprache, körperlichen Stärken und Schwächen und natürlich im inneren Selbstbild, Selbstgefühl und dem Glauben an sich. Identität entwickelt und verändert sich im Lebensverlauf. Demenz verursacht eine Identitätskrise.

Die Säulen der Identität werden durch den Verlauf der Erkrankung rissig, brüchig, sind kaum tragfähig und werden zeitweise gänzlich zerstört. Die Aufgabe besteht darin, diese Säulen zu stabilisieren, um so lange wie möglich die Individualität mit Lebensqualität zu füllen.


Abb. 1.2: Fünf Säulen-Theorie der Identität nach H. Petzold (1992)

Leiblichkeit – Die erste Säule »Leiblichkeit« ist durch die gehirnorganischen Veränderungen und körperlichen Eingrenzungen wenig zu beeinflussen.

Soziales Netz – Die zweite Säule »Soziales Netz« wird durch Scham und Isolation oft brüchig. Kontakte und Beziehungen verändern sich. Die Gesellschaft mit ihren Institutionen, Vereinen, Gruppen und deren kulturellen Angeboten sollte Menschen mit Demenz sowie deren Angehörige und Betreuende besonders berücksichtigen und integrieren, um Isolation zu vermeiden.

Arbeit, Leistung – Die dritte Säule »Arbeit – Leistung« wird zerbrechlicher. Gezielte Ergänzungen durch vertraute Abläufe, Aufenthaltsorte, gewohnte Tätigkeiten im Alltag sind einzuplanen. Das Miteinander-Tun wirkt stärkend und kann diese Säule besonders im ersten und zweiten Stadium stabiler und tragfähiger machen. Beim Miteinander-Tun sind Handlungsorientierung und das Dabeisein entscheidend. Leistung ist nicht gefragt.

Materielle Sicherheit – Die vierte Säule »Materielle Sicherheit«, also die ökonomische Absicherung, beeinflusst den Verlauf der Demenz. Hierzu gehören die finanzielle Absicherung durch die Pflegeversicherung, Unterbringungs- und Entlastungsangebote und vieles andere mehr. Wohnumgebungen sind auch in Institutionen so zu gestalten, dass Menschen mit Demenz sich wohlfühlen, ein Heimatgefühl entwickeln und sich geborgen fühlen. Vertraute Gegenstände wie Bilder, Fotos, Ohrensessel, Gebrauchsgegenstände stärken diese Säule.

Wertorientierung – Die fünfte Säule »Wertorientierung« ist unter dem Blickrichtungswechsel die wesentlichste Säule von allen. Sie ist am meisten beeinflussbar. Wertorientierung hat bis zum letzten Atemzug Bedeutung. Persönliche Wertschätzung, Würde und Heimat im Geistigen sind emotionale Nahrung für Menschen mit Demenz. Rituale, Feierstunden mit spirituellem Schwerpunkt, Gespräche über Sinnfragen und Endlichkeit sowie Gedenkgottesdienste dienen dazu, diese Säule tragfähiger zu machen. Durch die Tragfähigkeit dieser Säule erhalten alle Beteiligten Lebensqualität und können dem unverständlichen Weg eine versöhnende Sichtweise und einen Sinn abgewinnen.

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