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ОглавлениеHENRY HIMMELBLAU
Brigitte Martin
© 2012 brigitte martin, überarbeitete Fassung © 2017
cover by Gyongyi Petrovics Lupfer
cover-photo by Helena Martin
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Gewidmet
meinen
vier
absolut
wunderbaren
Kindern
Es schien ein Morgen wie jeder Morgen im Frühling zu sein. Es war kein Wölkchen am Himmel zu sehen und die ersten Sonnenstrahlen fielen durch die Fichten, der Bach floß gurgelnd mitten durch den Blaubeerwald und aus manchen Tierhöhlen und Tierhütten wehte der Duft von frischen Brötchen und gebratenen Spiegeleiern, denn ein paar Frühaufsteher waren bereits wach.
Lotti und Theo jedoch, waren Langschläfer.
Wie immer lagen die beiden Braunbären gemütlich eingerollt in den Betten ihrer Steinhöhle und schnarchten vor sich hin.
Wenn Theo schnarchte, entstand beim Ausatmen ein Windstoß, der die geschlossenen Fenstervorhänge ein wenig in die Höhe fliegen ließ.
Sein großer Bauch ragte über den Bettrand hinaus. Es war der Winterspeck, der gleichzeitig sein Sommerspeck war, was daran lag, dass Theo so gerne aß und Lotti so gut kochte. Lotti schnarchte leiser als Theo und stieß beim Ausatmen feine pü-pü-pü-Laute aus. Sie war halb so groß und halb so breit wie Theo. Ihr Fell war heller als Theos Fell. Es war hellbraun, so hellbraun wie Vollmilchschokolade.
Plötzlich aber verstummte das Schnarchkonzert der Bären, denn sie wurden von einem Geräusch geweckt. Es war ein Schrei.
Theo schmatzte ein paar Mal, drehte sich auf die andere Seite und schlief weiter. Lotti aber schlug die Decke zur Seite. Sie stand auf, um nachzusehen, woher der Schrei kam. Sie gähnte und rieb sich die Augen. Dann tappte sie zum Eingang der Bärenhöhle. Verschlafen blinzelte sie nach draußen. Da lag etwas vor der Tür. Es war ein Korb. Ein kleiner ovaler Korb.
Mit einem Schlag war sie hellwach.
„Was ist das denn?“, flüsterte sie. Und dann rief sie: „Theo, schnell! Komm schnell heraus!“
Theo brummte vor sich hin und zog sich die Decke über den Kopf.
„Nein, ich will noch nicht aufstehen. Ich bin noch müde“, brummte er.
„Theeeeooooo“, erklang es wieder von draußen.
Theo stöhnte. Öffnete aber die Augen. Schwerfällig erhob er sich und das Bett knarzte als ob es gleich auseinander brechen würde.
„Was ist denn los?“, brummte er und stapfte geräuschvoll und schlecht gelaunt zum Höhleneingang. Beinahe hätte er sich den Kopf angehauen beim Hinaustreten ins Freie, weil er vergessen hatte, ihn einzuziehen.
„Endlich bist du da“, sagte Lotti und sprang von einem Fuß auf den anderen.
„Mein großer Wunsch ist in Erfüllung gegangen“, sagte sie und drückte sich die Bärenpfote fest aufs Herz und dabei leuchteten ihre Augen, was Theo allerdings nicht bemerkte, weil sein Kopf immer noch müde nach unten hing.
„Was für ein Wunsch?“, brummte Theo und man sah ihm an, dass er sich wünschte, er könnte wieder umdrehen und weiterschlafen.
„Es ist ein Baby. Es ist unser Baby!“, sagte Lotti langsam, leise und feierlich.
„Was?“
Jetzt war auch Theo hellwach. Er riss den Kopf in die Höhe und die Augen weit auf.
„Baby?“ rief er. „Was denn für ein Baby?“
„Da!“, sagte Lotti und deutet auf den Korb am Boden.
Theo verschluckte sich. Er musste husten.
In diesem Körbchen lag tatsächlich ein kleines Tier. Ein winziges Fellknäuel, eng eingerollt und weinte. Behutsam stupste Lotti das Körbchen an, so dass es hin und her schaukelte und das Weinen wurde schwächer.
Theo starrte eine Weile auf den Korb.
„Aber, Lotti“, sagte er schließlich. „Wieso unser Baby?“
Doch Lotti hörte ihm gar nicht zu.
„Ach, schau es lutscht an seinem Pfötchen! Ach, Theo sieh nur, jetzt ist es eingeschlafen!“
Theo kratzte sich am Kopf.
„Aber es sieht nicht aus wie ein Bärenbaby“, sagte er. „Es hat ein blaues Fell!“
„Das ist doch ganz egal!“, murmelte Lotti und beugte sich mit einem seligen Seufzer über das Baby, das in dem Moment die Augen aufschlug.
„Miau!“, schrie es. „Miau!“
„Oh!“, riefen die Bären. Sie konnten es kaum glauben, aber es gab keinen Zweifel. Im Körbchen lag eine Katze. Genau genommen eine getigerte Katze mit spitzen Ohren und Augen wie große grüne Diamanten. Und das Fell - es war blau! Und die Bären - sie waren sprachlos.
„Süß!“, unterbrach Lotti nach einer Weile die Stille.
Theo räusperte sich.
„Findest du das nicht merkwürdig?“, fragte er. „Eine blau getigerte Katze?“
„Wieso?“, meinte Lotti nur. „Das sieht doch wunderschön aus! Das Blau sieht aus, wie die Farbe des Himmels und die Farbe des Meeres zugleich. Kannst du das sehen, Theo? Mal ist es hell, mal ist es dunkler. Schau, die Streifen, seine Brust und die Ohren, die sind doch eindeutig meerblau, oder was meinst, du?“
Beide beugten sich tief über den Korb. Und beide entdeckten gleichzeitig das Band, das die kleine Katze um den Hals trug. Daran hing ein grüner Stein.
„Oh, was ist das denn?“, riefen sie.
„Was für ein schöner Stein“, murmelte Lotti. „Bestimmt ein Glücksbringer!“
„Seltsam, höchst seltsam“, sagte Theo.
„Der Stein hat die gleiche Farbe wie die Augen unseres Babys!“, flüsterte Lotti so leise, als ob das ein Geheimnis wäre.
Dann nahm sie das Fellbündel aus dem Korb. Ganz vorsichtig nahm sie es. Schnupperte daran. Das Katzenbaby musste niesen.
„Na, Du!“, sagte sie und lachte.
„Theo, riech doch mal, es riecht so gut und schau, wie es schnurrt, wie es ihm gefällt bei uns und schau, wie es uns anschaut! Es ist so süß. Theo, bitte, lass es uns behalten!“
Aber Theo schüttelte den Kopf.
„Nein, Lotti, das ist unmöglich, nein, vollkommen ausgeschlossen! Wir sind Bären! Und das ist eine Katze! Und noch dazu eine seltsame, blaue Katze!“
Doch Lotti ließ nicht locker.
„Ist doch egal, Theo! Das ist doch wirklich ganz egal!“
Theo seufzte. Unruhig vor sich hinbrummend begann er auf und ab zu laufen und kickte dabei kleine Steine wie Bälle durch die Luft.
„Wie kann ich dich bloß von dieser Idee abbringen?“, sagte er.
Aber Lotti ignorierte die Frage.
„Hör auf damit, so herumzurennen“, sagte sie. „Damit machst unserem Baby bloß Angst!“.
Theo stöhnte und verdrehte die Augen.
„Dich geb ich nicht mehr her! Versprochen“, flüsterte Lotti in das Katzenohr und die kleine Katze miaute.
„Ja, genau!“, kicherte Lotti. „Sag es dem dicken Theo, dass du bei uns bleiben willst!“
Wieder miaute die Katze.
„Sie hat Mami gesagt! Hast du das gehört Theo?“
Theo schnaufte tief durch.
Wieder wollte er den Kopf schütteln. Aber das Katzenbaby schien ihn nicht mehr aus den Augen zu lassen und ob er wollte oder nicht, er musste dabei lächeln. Als die Katze ein zweites Mal miaute und Lotti hell auf lachte, musste auch Theo mit lachen.
„Viellicht für ein paar Tage. Vielleicht könnten wir das Baby behalten, solange bis es eine andere Lösung gibt?“, sagte er und gab sich aber sofort geschlagen, als er die Tränen ins Lottis Augen sah.
„Meinetwegen, okay, wir behalten die Katze“, brummte er. „Du weißt genau, dass ich dir nichts abschlagen kann.“
Lotti fiel ihm um den Hals. Sie drückte Theo einen Kuss auf die Backe und tanzte mit dem Katzenbaby auf dem Arm im Kreis herum. Wenn Lotti tanzte, sah das sehr fein aus. Sie tanzte wie eine Ballerina auf Zehenspitzen. Bog ihren schweren Bärenkopf anmutig in den Nacken und spitzte dabei den Mund.
„Du wirst bestimmt ein guter Papa werden! Es wird wunderbar! Es wird wunderbar!“, rief sie immer und immer wieder.
Da fiel Theo etwas auf. Er bemerkte, dass noch etwas im Körbchen lag.
Es war ein Brief.
„Vielleicht klärt sich nun alles auf!“, sagte Theo. „Vielleicht wird das Baby bald wieder abgeholt.“
Lotti hielt die Luft an, während Theo den Brief mit seinen großen Tatzen öffnete und die Zeilen überflog.
„Und was ist? Lies doch schon vor!“, rief sie.
„Das ist Henry“, las er.
„Wir haben einen Jungen! Wir haben einen Henry!“, murmelte Lotti.
„Wir haben vor allem ein Problem!“, brummte Theo.
„Wieso Problem? Was steht denn noch in dem Brief?“ rief Lotti.
„Er ist in großer Gefahr, steht hier“, sagte Theo. „Bitte passt gut auf ihn auf und hütet euch vor dem Himbeerwald und vor dem schwarzen Eichhörnchen“, las er vor und starrte finster auf die zierlichen Buchstaben, die aussahen, als ob sie in großer Eile geschrieben worden wären.
„Weiter steht nichts da“, sagte. „Hier endet der Brief.“
Lotti stieß einen Schrei aus und blickte sich sogleich sorgsam um.
„Der Himbeerwald ist gefährlich, das weiß jeder hier im Blaubeerwald“, brummte Theo. „Aber ein schwarzes Eichhörnchen? Was hat das zu bedeuten? Was ist das für eine Gefahr?“
In dem Moment musste Henry niesen und dann begann er zu weinen.
„Keine Angst, mein Kleiner!“, tröstete ihn Lotti. „Wir werden gut auf dich aufpassen, nicht wahr, Theo?“
Sie warf Theo einen verschwörerischen Blick zu und drückte Henry fest an sich.
Theo erwiderte nichts. Er richtet sich zu seiner vollen Größe auf, die Tatzen hoch erhoben, holte tief Luft und brüllte so laut, dass es im ganzen Blaubeerwald zu hören war.
Lottis braune Augen leuchteten. Sie wusste, was das bedeutete.
Es bedeutete ein JA. Es bedeutete, dass Theo von nun an, auf Henry aufpassen würde.
„Jetzt kocht Lotti dir erst einmal einen feinen Milchbrei“, sagte sie zufrieden und band sich die Kochschürze um.
Nachdem Henry seinen Brei gegessen hatte, schnurrte er und schlief ein.
„Dich hat mir der Himmel geschickt. Ich werde dich Henry Himmelblau nennen!“, flüsterte sie glücklich.
Sie sah nicht die Runzeln auf Theos Stirn, dem der Brief nicht aus dem Kopf ging. Welches Geheimnis verbarg sich dahinter?