Читать книгу Die Abenteuer des Henry Himmelblau - Brigitte Martin - Страница 6
SCHNECKE
Оглавление„Ich will so schnell wie möglich ein starker Bär werden!“
Mit diesem Satz schlug Henry die Augen auf und sprang aus dem Bett.
„Vielleicht schaffe ich heute zehn Liegestützen“, dachte er und begann sofort mit den Liegestützen.
„Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, acht“, zählte er laut mit. „Nein, sieben, acht, neun, puh ist das anstrengend, puh, nein, ich kann gleich nicht mehr!“
Mit Müh und Not schaffte er die zehnte Liegestütze als er sich von dem lauten Gekrächze aus dem Garten ablenken ließ. Was machten die Krähen eigentlich für einen Höllenlärm?
Henry lief zum Fenster und staunte über den riesigen Schwarm Krähen, der sich im Apfelbaum niedergelassen hatte und krächzend zwischen den Ästen kreuz und quer herumhüpften. Es sah sehr lustig aus. Es aus, als ob sie einander fangen wollten.
„Hey ihr da!“, rief Henry. „Darf ich mitspielen?“
Sofort war es still im Garten. Die Krähen hörten auf herumzuhüpfen. Mit weit aufgerissenen Augen starrten sie Henry an, bis schließlich eine Krähe schrie:
„Katzenalarm! Bereit machen zum Abflug!“
„Katzenalarm?“, rief Henry verwundert. „Hey ihr da, Moment mal, wartet doch! Wo soll denn hier eine Katze sein? Hier bin doch nur ich und ich bin ein Bär!“
„Achtung Falle! Alle abhauen!“, schrie wieder die selbe Krähe, die anscheinend der Anführer der Krähen war und in dem Moment erhoben sich die Krähen und flogen davon und waren schnell nur mehr als schwarze Punkte am Himmel zu sehen.
„Komisch!“, dachte Henry und es fiel ihm die Begegnung mit dem Raben ein. „Entweder haben alle schwarze Vögel extrem schlechte Augen oder es schleicht eine Katze im Garten herum.“
Er hüpfte durch das Fenster in den Garten und kletterte den Apfelbaum hoch und setzte sich auf den obersten Ast und beobachtete die Wiese des Gartens, die bedeckt war mit einem Teppich aus Gänseblümchen. Er sah Lottis Gemüsebeet, wo Gurken, Tomaten, Zuccini und orangefarbene Kürbisse wuchsen und den Holzplatz, wo Theo seine Baumstämme stapelte, um daraus Möbel zu bauen oder Holz zu hacken für den Winter. Eine Katze konnte er allerdings nicht entdecken. Dafür aber sah er Lotti, die vom Wald kam, mit einem Korb voller Pilze.
„Gott sei Dank, du hast die gefräßige Krähenbande verjagt! Ich habe sie bis in den Wald hinein krähen gehört!“, sagte Lotti.
Henry seufzte.
„Ich hab sie nicht verjagt, sie sind einfach weggeflogen, weil sie dachten eine Katze sei bei uns im Garten. Eigentlich wollte ich mit ihnen spielen.“
„Hmm“, brummte Lotti und kaute auf der Unterlippe herum. „Hmm“
„Mir ist so langweilig, Mami!“, sagte Henry.
„Ja, das verstehe ich schon“, sagte Lotti, „Immer hier zu sein mit uns beiden, nur mit Theo und mit mir, das ist allmählich wirklich zu langweilig für dich.“
„Im Wald würde ich bestimmt einen Freund finden!“, sagte Henry.
„Hmm“, sagte Lotti.
„Du brauchst auch keine Angst zu haben. Ich weiß doch inzwischen, was gefährlich und was nicht gefährlich ist.“
„Hmm“, sagte Lotti.
„Darf ich in den Wald gehen, Mami?“
„Hmm“, sagte Lotti wieder.
„Heißt, das ja, Mami?“
Lotti schluckte. Sie atmete tief durch.
„Ja“, entschied sie leise seufzend.
„Bedeutet das, dass ich alleine in den Blaubeerwald laufen darf?“
„Ja“, sagte Lotti
„Jetzt gleich?“
Lotti nickte.
„Lauf!“, sagte sie.
Und das ließ sich Henry nicht zweimal sagen.
„Yippi!“, brüllte er und rannte los. Er rannte, so schnell er konnte, durch das Gartentor hinaus, weil er Sorge hatte, Lotti könnte es sich in letzter Sekunde anders überlegen.
„Pass gut auf dich auf!“, rief sie ihm hinterher. „Hörst du, gut aufpassen!“
„Versprochen!“, rief Henry und war im Wald verschwunden.
Er musste nicht lange laufen, da begegnete ihm das erste Tier.
Es war eine alte Riesenschnecke mit einem steingrauen Schneckenhaus, das deutlich größer war als er. Die Schnecke blieb stehen. Sie schnaufte schwer und schaute Henry neugierig von oben bis unten an und Henry schaute ebenso neugierig zurück.
„Boah, ist die Schnecke riesig,“, dachte er. „So eine große Schnecke hab ich noch nie gesehen!“ Er blickte zu ihr auf und staunte über die Schleimblasen, die aus ihrem Haus quollen und über die unzähligen Runzeln in ihrer Haut, die aussah, als sei sie aus Leder. Die Schnecke musste uralt sein. Bestimmt wusste sie sehr viel. Vielleicht konnte sie ihm etwas über den Himbeerwald verraten? Ob sie gefährlich war?
Vorsichtshalber trat er einen Schritt zurück.
„Hey Du! Bist du gefährlich oder nicht gefährlich?“, fragte Henry.
Die Schnecke verzog ihren zahnlosen Mund zu einem Grinsen.
„Wasch? Ich? Gefährlich? Meinscht du wirklich mich? Scho eine luschtige Frage hat mir noch nie jemand geschtellt!“
Sie kicherte und dabei quollen noch mehr Schleimblasen aus dem Haus.
„War bloß ein kleiner Spaß“, sagte Henry und musste niesen.
„Scho, scho,“ lachte die Schnecke. „Du bischt alscho ein kleiner Schpaschvogel!“
„Kein Vogel!“, sagte Henry. „Bär!“
„Du bischt echt luschtig!“, lachte die Schnecke weiter.
Und Henry lachte mit, weil er die Sprache der Schnecke so lustig fand.
Dann fragte er: „Wie heißt du eigentlich?“
„Ich heische Gerti. Merk dir dasch. Und du? Wer bischt du, mein Jungchen?“, nuschelte sie mit weit ausgestreckten Fühlern auf denen ihre Augen saßen.
„Ich bin Henry Himmelblau.“
Die Schnecke kicherte.
„Scho, scho. Werd ich mir merken und du merkscht dir, dasch ich nicht gefährlich bin. Gefährlich ischt der Himbeerwald, Jungchen. Merk dir dasch!“
Bei dem Wort Himbeerwald wurde es Henry heiß. Er trat näher an die Schnecke heran. Er musste unbedingt mehr von der Schnecke über den Himbeerwald erfahren.
„Weißt Du warum der Himbeerwald gefährlich ist?“, fragte er.
„Schicher weisch ich dasch!“, sagte die Schnecke und Henry musste vor Aufregung niesen.
„Du kennst das Geheimnis?“, rief er. „Und was genau ist es?“
„Hmm“, mehr sagte die Schnecke nicht und gähnte und zog ihren Kopf langsam zurück.
„Wie? Hmm?“
„Ach Jungchen, darüber redet man nicht. Merk dir dasch!“
Doch Henry ließ nicht locker.
„Bitte Gerti, bitte, verrate es mir!, bettelte er, aber die Schnecke war in ihrem Riesenhaus verschwunden.
Henry klopfte an. Es klang hohl. Nichts rührte sich. Er klopfte fester.
„Du bischt eine Nervenschäge, Jungchen“, hörte er es dumpf aus dem Gehäuse. „Lasch mich in Ruhe. Ich musch jetzt ein Nickerchen machen. In meinem Alter ist dasch enorm wichtig.“
„Sag mir bitte bloß wie wie ich hinkomme. Nur den Weg, bitte, sag mir den Weg!“
Keine Antwort.
„Stimmt es, dass ein großer Fluß vor dem Himbeerwald fließt?“, rief er direkt in die dunkle Öffnung des Schneckenhauses hinein. Es roch unangenehm modrig und er musste die Luft anhalten, dass es ihm nicht schlecht wurde.
Keine Antwort.
„Nur ein klitzekleiner Tipp, Gerti. In welche Richtung soll ich denn laufen, um zu dem Fluß zu kommen?“
In der nächsten Sekunde fuhr der Kopf der Schnecke mit ungeahnter Schnelligkeit heraus, so dass Henry erschrocken zur Seite sprang.
„Bischt du verrückt, Jungchen! Bleib blosch von der Brücke weg! Merk dir dasch!“
Empört rollten sich die Schneckenkugelaugen in alle Richtungen. Jeder der Fühler bog sich abwechselnd mal auf die eine und mal auf die andere Seite, als ob auch sie mit Henry schimpfen wollten.
„Es gibt also eine Brücke. Wenigstens das hab ich erfahren!“, dachte Henry und sagte: „Nur noch eine letzte Frage, Gerti: bist Du schon einmal bei der Brücke gewesen?“
„Jetzt reicht esch mir! Bischt du eigentlich taub? Ich will jetzt schlafen! Merk dir dasch!“, rief die Schnecke und verschwand wieder in ihrem Gehäuse.
Aber Henry gab nicht auf.
„Wo ist die Brücke? Bitte, komm schon, sag mir wo die Brücke ist!“, rief Henry und klopfte und trommelte an das alte Schneckenhaus bis die Schnecke wieder auftauchte. „Schag mal, schpinnscht du? Lasch die Finger von meinem Hausch, Jungchen“, schimpfte die Schnecke. „Und lasch auch die Finger vom Himbeerwald. Dasch ischt nichtsch für kleine Katzen! Merk dir dasch!“
Schleimblasen quollen aus ihrem Haus.
„Siehst Du schlecht?“, rief Henry empört. „Ich bin doch keine Katze. Ich bin ein Bär! Mach doch mal die Augen richtig auf!“
Die Fühler der Schnecke streckten sich weit aus und ihre Augen rollten in alle Richtungen.
„Hast Du jetzt gesehen dass ich ein Bär bin?“
Die Schnecke lachte. Sie lachte so heftig, dass die Schleimblasen so groß wurden bis sie schließlich platzen und Henry angeekelt zur Seite sprang.
„Ach Jungchen“, sagte sie. „Dir kann man nicht bösche schein, Du bischt scho ein groscher Spaschvogel. Dasch mag ich! Aber jetzt musch ich wirklich dringend schlafen. Schiescht du, meine Augen fallen schon zu.“
Bevor Henry sie fragen konnte, warum er ein Spaßvogel sei, zog sie sich mit geschlossenen Augen in das Gehäuse zurück und Henry hörte, wie sie schnarchte. Dabei quollen mit jedem Schnarchton Schleimblasen wie Seifenblasen aus der Öffnung.
„Schnecken sind komisch, merk dir dasch“, murmelte Henry unzufrieden vor sich hin und stieß den Stein aus dem Weg, der in hohem Bogen durch die Luft flog und direkt vor den Füßen eines Eichhörnchens landete. Unbeweglich saß es da und starrte Henry an. Dann drehte es sich um und sprang davon. Henry sah, dass es einen schwarzen Schwanz hatte
In diesem Moment gellte ein Schrei durch den Wald. Henry spitzte die Ohren. Wer schrie um Hilfe? Was war geschehen?