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Kapitel 6

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Als die Teamleiter die Tür hinter sich geschlossen hatten, stand Ingelotte Blatter, die sich fortan Frau Pape nennen ließ, auf, um sich einen Aktenordner aus dem Schrank neben ihrem Schreibtisch zu holen. Darin las sie eine Weile, stellte den Ordner wieder weg und öffnete die Tür zum Sekretariat: „Frau Rennrock, führen Sie mich herum und stellen Sie mich den Mitarbeitern als Frau Pape vor. So möchte ich angesprochen werden.“

„Gerne, Frau Pape“, antwortete die blonde Frau, erhob sich und begann, ihre neue Chefin von Büro zu Bü-ro zu führen, wo sie sie als Frau Pape bekannt machte.

Überall begegneten die Mitarbeiter ihr freundlich, manche strahlten geradezu, als sie ihr vorgestellt wurden, beantworteten bereitwillig Ingelottes Fragen. Einige erzählten begeistert von ihrer Arbeit, sodass es gar nicht so einfach war, sie in ihrem Redeschwall zu stoppen.

So ließ Ingelottes Anspannung immer mehr nach. Das lief besser als sie es sich vorgestellt hatte. Für die Angestellten war es ganz und gar gleichgültig, ob sie Mensch oder Roboter war. Sie war Abteilungsleiterin und als solche beurteilte sie die Mitarbeiter. Diese Bewertung entschied über deren berufliche Zukunft. Darauf kam es den Leuten an.

Kurz nachdem sie in ihr Büro zurückgekehrt war, begann die Mittagspause. Nach und nach verließen die Angestellten ihre Arbeitsplätze, so auch Frau Rennrock.

Frau Pape öffnete ihre Handtasche, die neben ihr auf dem Boden stand, entnahm die kleine Butterbrottüte, brach einen winzigen Bissen Weißbrot ab, um ihn zu essen und dazu einen Schluck Wasser aus der ebenfalls in der Tasche befindlichen kleinen Flasche zu trinken.

Als sie das Brot aufgegessen hatte, verschloss sie ihre Tasche und stellte sie wieder auf den Boden, ging ein bisschen im Büro auf und ab und nahm sich dann den nächsten Aktenordner aus dem Schrank. Darin las sie, bis die Mittagspause zu Ende war und ihre Sekretärin wieder auf ihrem Platz saß.

Während des Nachmittags versuchte Frau Pape, sich mit den Inhalten der Aktenordner in ihrem Raum vertraut zu machen. Dabei merkte sie bald, wie anstrengend das war. Eine Tasse Kaffee hätte ihr gut getan, aber daran war nicht zu denken. Nach einiger Zeit ertappte sie sich dabei, wie sie an den Fingernägeln kaute. Erschrocken zog sie ihre Hand vom Mund zurück.

„Du lieber Himmel“, dachte sie. „Ein Android mit abgekauten Fingernägeln. Das hätte gerade noch gefehlt. Gleich heute Abend werde ich die Nägel feilen, und das werde ich dann jeden Abend machen, damit sie immer gleich aussehen.“

Ihr wurde klar, dass sie noch längst nicht an alle Kleinigkeiten gedacht hatte, die zu berücksichtigen waren. Sie musste auf der Hut sein, um keine Fehler zu machen.

Der Nachmittag bot keine besonderen Vorkommnis-se. Bald verabschiedete sich Frau Rennrock in den vorzeitigen Feierabend.

„Bis morgen“, sagte Frau Pape und sah auf ihre Armbanduhr. Noch fünfzig Minuten bis zum Dienstende. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, stütze den Kopf in die Hände, schloss die Augen, döste vor sich hin und fuhr plötzlich erschrocken hoch. Ein Geräusch hatte sie aufgeweckt. Zum Glück! Ein Android, der am Schreibtisch einschläft, das wär’s dann wohl gewesen. Sie stand auf, um wieder im Büro auf und ab zu gehen.

Sie sah immer wieder auf ihre Armbanduhr. Endlich Dienstschluss. Sie hörte die Mitarbeiter plaudernd über den Flur zum Aufzug gehen. Sie wartete. Plötzlich waren weibliche Stimmen zu vernehmen. Sie kamen näher. Zwei ältere Frauen betraten ihr Büro. Sie trugen geblümte Kittel und gelbe Gummihandschuhe.

„Das Putzgeschwader“, durchfuhr es Frau Pape. Daran hatte Gerd Schlägel nicht gedacht.

In diese Gedanken hinein grüßte eine der Raumpflegerinnen: „Guten Abend. Wenn Sie solange auf den Flur gehen könnten? Dann sind wir schneller fertig.“

Frau Pape fiel ein Stein vom Herzen. Die Beiden ließen es unkompliziert angehen. Sie betrachteten sie wohl als Mensch und nicht als Android.

„Aber sicher“, rief sie erfreut, stand auf und verließ den Raum. Draußen auf dem Gang stand der Putzwagen. Ein Packen Mülltüten lag auf dem Boden.

„Die Handtasche!“

Wie ein Blitz fuhr ihr der Schreck in die Glieder. Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel: „Bitte lass‘ sie die Tasche nicht entdecken!“

Sie ging zurück. Die beiden Raumpflegerinnen putzten bereits im Sekretariat.

„Ihr Büro ist fertig“, sagte eine.

„Danke“, erwiderte Frau Pape tonlos. Ihr Herz schlug ihr bis in den Hals. Sie ging zu ihrem Schreibtisch. Ihre Tasche stand geschlossen auf dem Boden, schien nicht berührt worden zu sein. Daneben lagen zwei Papier-schnipsel. Ihr fiel ein Stein vom Herzen.

„Na ja, so großartig wird hier wohl nicht geputzt“, dachte sie, war jedoch froh, dass die Sache glimpflich abgelaufen war. Sie setzte sich und lauschte. Als sie das Fahrstuhlgeräusch hörte und gleichzeitig die Stimmen der Putzfrauen verstummten, fühlte sie sich sicher. Sie eilte den Flur hinunter, öffnete leise die Tür zum Treppenhaus und huschte die Stufen hinab zum Keller.

Glücklicherweise hatte niemand den Beutel mit ihren Utensilien entdeckt. Schnell zog sie die blaue Brille aus dem Etui und setzte sie auf, stopfte sich neue Wattetamponaden in die Wangen, stülpte die Perücke auf den Kopf, zog den Mantel über und hastete nach oben zum Lieferanteneingang.

Zu Hause angekommen parkte sie wieder etwas entfernt von ihrer Wohnung. Sie stieg aus dem Auto aus, und als sie ein paar Meter gelaufen war, sah sie plötzlich ihre neugierige, geschwätzige Nachbarin auf sich zukommen. Erschrocken blickte sie hinter sich, verwarf aber den Gedanken, zu ihrem Auto zurückzulaufen. Den Wagen kannte die Frau. Blitzschnell entschied sie sich, stehenzubleiben und intensiv in ihrer Handtasche herumzuwühlen. Dabei war ihr Gesicht nicht zu sehen. Aus den Augenwinkeln heraus erkannte sie, dass die Nachbarin sie im Vorbeigehen musterte.

Nach dieser Begegnung atmete sie erleichtert auf. Ein Glück, dass sie in dieser Siedlung wohnte. Hier gab es keine Geschäfte, sodass nur selten Leute durch die Straßen liefen, man brauchte ein Auto, um in die Stadt zu gelangen und zu allen Häusern gehörten Garagenplätze.

Im Haus hörte sie jemanden die Treppen hinunterspringen. Sie zuckte zusammen. „Verflixt“, dachte sie. Der Aufzug war nicht sofort da, kam von ganz oben. Sollte sie die Treppen zum Keller hinunter laufen oder noch einmal in ihrer Handtasche herumwühlen? Zu spät!

„Schönen Abend“, sagte die Stimme des jungen Mannes neben ihr. Ehe sie antworten konnte, war er aus der Haustür gerannt.

„Na, der hat mich ganz bestimmt nicht richtig angesehen“, seufzte sie erleichtert, bestieg den Aufzug und betrat kurz darauf ihre Wohnung.

Während sie sich aus ihrer Kleidung schälte, merkte sie, wie die Anspannung allmählich von ihr abfiel. Es hatte am ersten Tag geklappt. Es würde auch an allen weiteren Tagen gutgehen. Dennoch fühlte sie sich als hätte sie Blei in den Gliedern. Dem dringenden Bedürfnis, sich einen Moment hinzulegen, gab sie nach und schlief sofort ein.

Mit trockener Kehle und knurrendem Magen erwachte sie Stunden später. Schlaftrunken torkelte sie in die Küche und bereitete einen nächtlichen Imbiss vor. Dazu leerte sie nacheinander anderthalb Flaschen Mineralwasser, so ausgetrocknet fühlte sie sich.

Derart gestärkt schlurfte sie zurück zum Bett, legte sich hin und schlief sofort ein. Als ihr Wecker das Ende der Nacht verkündete, fühlte sie sich frisch und den Herausforderungen des neuen Tages gewachsen.

Heute fiel ihre Wahl auf ein graues Kleid. „Passend zum Schreibtisch“, kicherte sie, setzte die Perücke auf, polsterte ihre Wangen aus und warf sich den beigefarbenen Mantel über die Schultern.

Auf dem Weg zum Auto begegnete ihr niemand. Für ihre neugierige Nachbarin war es noch zu früh, um einkaufen zu gehen. Allerdings fuhren einige Berufstätige mit dem Auto an ihr vorbei. Sobald sie ein Motorengeräusch hörte, wandte sie ihren Kopf zur Seite als beobachte sie etwas. Sie war sicher, so nicht erkannt zu werden.

Sie warf Handtasche und Beutel auf den Rücksitz und fuhr los. Alles ging gut, bis kurz vor dem Ziel. „So ein Mist“, murmelte sie, als sie auf das Stauende zurollte. „Jetzt komme ich zu spät.“ Bei dem Gedanken wurde ihr ganz heiß.

Mit einem Mal fühlte sie sich beobachtet. Sie schielte nach rechts, bewegte den Kopf so wenig wie möglich, bis sie im Wagen neben sich den Teamleiter Hals erkannte, der zu ihr hinüberschaute. Sie erschrak, bemerkte dann aber, dass er sie nicht ansah, sondern durch sie hindurch.

„Was der bloß um die Zeit hier macht?“, fragte sie sich. Immerhin hatte er sie nicht erkannt. Das war das Entscheidende. Die Autoschlange setzte sich in Bewegung. Auf der rechten Spur ging es schneller voran. Sie sah den Teamleiter abbiegen und vor einer Bäckerei an der Ecke anhalten. Sie atmete erleichtert auf. Noch über die Kreuzung, gleich erreichte sie ihren Seitenstraßen-Parkplatz. Auch heute waren wieder mehrere Plätze frei.

Noch im Laufen zog sie den Türschüssel aus der Handtasche. Schnell vergewisserte sie sich, dass sie nicht beobachtet wurde, dann öffnete sie die Tür und schlüpfte ins Gebäude.

„Same procedure as yesterday“, murmelte sie, während sie den Beutel mit Mantel und Sonnenbrille unter der Treppe verstaute.

Außer Atem erreichte sie die vierte Etage. Sie lauschte an der Flurtür. Alles still, keine Schritte, keine Stimmen. Vorsichtig öffnete sie die Tür und hastete durch den menschenleeren Korridor auf ihr Büro zu. Frau Rennrock war noch nicht da.

Dieses Mal verstaute sie die Handtasche in der untersten Schreibtischschublade. Noch einmal wollte sie nicht das Risiko eingehen, die Neugier der Raumpflege-rinnen zu wecken.

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