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Kapitel 4

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Tanja Beck arbeitete sorgfältig und verfügte über ein großes organisatorisches Talent. Außerdem war sie sehr engagiert, dachte mit, griff bei Streitigkeiten von Mitarbeitern untereinander schlichtend ein. Jeder Vorgesetzte wäre froh über eine solche Mitarbeiterin gewesen, nicht aber Lotte. Die schien Tanja Beck als eine Art Konkurrenz zu betrachten, hatte kein gutes Wort für sie übrig.

Nachdem Tanja zwei Monate in der Shirt-Parade beschäftigt war, fand sie die Kopie eines Schreibens von Lotte an die Personalabteilung auf ihrem Schreibtisch vor, als sie aus der Mittagspause zurückkam.

Darin hieß es: Es gibt Schwierigkeiten mit Frau Beck. Sie führt meine Aufträge nicht aus. Hierzu ein Beispiel: Ich hatte Frau Beck beauftragt, bis heute fünfzehn Uhr eine Liste mit den Seminarbesuchen aller Mitarbeiter während der vergangenen zwei Jahre zu erstellen und mehrmals die Erledigung nachgefragt. Diese hat sie abgelehnt.

Der Fall ist exemplarisch zu sehen. Ich könnte weitere Beispiele nennen. Es gilt festzustellen, dass die Leistung, die Frau Beck seit meinem Dienstantritt vorlegt, schlecht ist.

Ich habe versucht, mit ihr über die Problematik zu reden, um die Ursache hierfür zu finden. Frau Beck ließ mit unverschämten Bemerkungen die Unterredung ins Leere laufen. Als ich sie da-nach noch einmal telefonisch ansprechen wollte, hat sie einfach den Hörer aufgeknallt. Ich halte es für angebracht, Frau Beck abzumahnen und ihren Aushilfsvertrag nicht zu verlängern.

Tanja Beck stand vor ihrem Schreibtisch. Sie vibrierte vor Wut. Was Lotte geschrieben hatte, war eine einzige Lüge, nur wie hätte Tanja das beweisen sollen? Als sie am Tag zuvor aus der Mittagspause in ihr Büro kam, hatte da ein handgeschriebener, gelber Zettel gelegen: Wie besprochen, erwarte ich die Liste, auf der die Seminarbesuche aller Mitarbeiter während der letzten zwei Jahre aufgeführt sind, bis heute fünfzehn Uhr und die Aufstellung über die Arbeitszeiten der Teilzeitkräfte bis morgen zehn Uhr. Lotte

Besprochen war das aber nicht, und schaffen konnte Tanja das auch so schnell nicht. Also hatte sie sich an Frau Lotte gewandt, die ihr kurzer-hand erklärte, wenn besagte Liste nicht bis um drei auf ihrem Schreibtisch läge, sei das Arbeitsverweigerung.

Tanja faltete den Brief zusammen, steckte ihn in ihre Jacken-tasche. Sie hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen, sie musste raus aus dem Büro, aber die Mittagspause war vorbei, und sie konnte das Haus nicht einfach verlassen. Wohin also? In die Garage! Sie eilte zum Aufzug.

Ob Lotte inzwischen wieder ins Büro kam oder nicht, war ihr egal. Die Hoffnung auf eine Festanstellung konnte sie sowieso abschreiben. Ihr weiteres berufliches Fortkommen würde sich ebenfalls schwierig gestalten, denn die Frau stellte ihr bestimmt kein gutes Zeugnis aus. Tanja mochte gar nicht daran denken, was Lotte sagen würde, wenn sich von einer Firma, bei der sie sich bewarb, jemand nach ihren Leistungen erkundigte. Wo sollte sie sich unter diesen Umständen bloß bewerben?

Tanjas Gesicht glühte heiß. Die kühle Luft der Garage tat ihr gut. Das diffuse Licht empfand sie als angenehm, denn ihre Augen brannten. Sie lief auf der Fahrspur immer schneller, merkte, wie ihr Ärger zu verfliegen begann, blieb schließlich stehen, um tief einzuatmen. Quietsch machte es plötzlich. Tan-ja zuckte erschrocken zusammen.

Was war das gewesen? Sie blickte um sich, konnte jedoch nicht ausmachen, wodurch das Geräusch verursacht worden war. Nichts in der Garage rührte sich.

Die Geschäftsleitungsparkplätze fielen ihr ein. Die befanden sich etwas separat von denen der Angestellten, hatte sie gehört, denn Tanja kam nicht mit dem Auto, sondern zu Fuß zur Arbeit, weil sie in der Nähe der Shirt-Parade wohnte. Auf Zehenspitzen lief sie auf eine Wand zu, daran entlang, bis die an der Zufahrt zu den reservierten Parkplätzen der Geschäftsführer endete. Tanja hörte nun ein Rascheln. Vorsichtig schob sie ihren Kopf an der Wand entlang, bis sie um die Ecke schauen konnte.

Sie sah ein nach oben geklapptes Garagentor. Das hatte beim Öffnen wohl gequietscht, dachte sie. Davor stand einer der blauen Transporter der Shirt-Parade. Sie erkannte zwei Männer in dunklen Overalls. Einer nahm braune Kartons von einer Palette aus dem Raum hinter dem geöffneten Tor, reichte sie dem Zweiten, der sie auf dem Laster stapelte. Die Pakete waren mit Streifen grün-gelber Folie verklebt.

Die kenne ich doch, dachte Tanja, die habe ich schon gesehen. Sie kam aber nicht darauf, woher sie die Folie kannte. Auf den Kartons waren Aufkleber. Tanja schien es so, als sähen sie gelbrot aus, wie die von dhl. Vielleicht täuschte sie sich aber auch. Sie müsste näher ran, um mehr zu erkennen, dachte sie und trat einen Schritt vor, erwischte mit dem halben Fuß eine Wandkante, mit der sie nicht gerechnet hatte, stolperte einige Schritte nach vorn, bevor sie am Spiegel eines Autos Halt fand. Im selben Augenblick hörte sie, wie sich die Männer in ihre Richtung in Bewegung setzten.

Für den Bruchteil einer Sekunde hielt Tanja in Panik inne, dann rannte sie los, aber es war schon zu spät. Ehe sie die Tür zum Aufzug erreichte, fiel ein Schatten über sie, packte ihre Arme mit eisernem Griff, trug sie zu dem geöffneten Tor, vorbei an den Paketen. Tanja versteinerte regelrecht vor Schreck, öffnete den Mund, um zu schreien, bekam aber keinen Ton heraus, erblickte plötzlich einen schmalen, spärlich beleuchteten Gang, der zu einem Keller zu gehören schien, bekam eine Decke über den Kopf geworfen, verlor die Orientierung.

Das unsichtbare Tor

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