Читать книгу Mitten im Steinschlag - Britta Kiehl - Страница 6

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3. Kapitel

Sarah kam vor Wut schäumend ins Schloss gestürmt. Lauthals schrie sie nach ihrem Ehemann. Vom Lärm aufgescheucht, erschienen zwei fragend dreinblickende Hausmädchen.

„Marie. Wo ist mein Vater?“

„Das weiß ich nicht“, antwortete die Angesprochene kleinlaut.

„Aber ich!“, sagte die andere scheu. „Seine Majestät befindet sich in der Bibliothek.“ „Danke. Sucht Sir Liam. Er soll umgehend in die Bibliothek kommen!“

„Jawohl, Mylady.“ Die Mädchen entfernten sich hastig.

Mit großen Schritten steuerte Sarah die Bibliothek an. König William befand sich in ein angenehmes Gespräch mit Dr. Gregory vertieft, als sie ohne anzuklopfen ins Zimmer stürmte. Ohne Begrüßung platzte sie damit heraus, dass Lizzy verschwunden war.

„Was soll das heißen Sarah?“ König William starrte sie entgeistert an.

„Was an dem Wort ‚verschwunden‘ verstehst du denn nicht, Dad. Sie ist weg, verschwunden, nicht auffindbar.“

„Zügle dich in deiner Wortwahl Sarah und berichte bitte in chronologischer Reihenfolge. Kein Mensch versteht hier, was geschehen ist.“ Dr. Gregory wies Sarah ruhig an, sich zu setzen, tief durchzuatmen und sich zu sammeln. Sarah gehorchte unwillig.

„Trink das!“, sagte er und reichte ihr ein Glas Whisky.

„Und nun erzähle.“

Sarah stöhnte betroffen. In knappen Sätzen berichtete sie, was sich zugetragen hatte.

„Was um Himmels Willen hat euch bewogen, die Landesgrenzen allein abzureiten? Hatte ich nicht ausdrücklich befohlen, wenigstens zwei Männer als Geleitschutz mitzunehmen?“, fragte der Vater zornig seine Tochter.

„Meine Güte Dad! Bisher konnten wir uns immer bestens verteidigen. Die Kerle waren keine Häscher von Corlens Castle, sondern einfach nur mieses Pack, das uns für verlockende, leicht zu erbeutende Leckerbissen hielt. Ich habe zwei von ihnen locker erledigt. Der Letze ist panisch davon gehüpft wie ein Kaninchen. Dass Lizzys Pferd durchgeht, ist doch etwas völlig anderes.“

König William billigte diese Rechtfertigung in keinster Weise. Bevor er jedoch eine Tirade zum Thema Gehorsamsverweigerung an den Tag legen konnte, brachte ein Diener ein Schreiben. Unwirsch nahm er den Brief entgegen. Störungen dieser Art hasste er, wenn er doch gerade so schön in Fahrt war. Da das Schreiben den Vermerk „eilt“ enthielt, unterbrach er die verbale Zurechtweisung seiner Tochter, um hastig den Brief zu öffnen.

Sarah und Dr. Gregory sahen William fragend an, als er seufzend den Brief auf den Schreibtisch warf und sich bequem in seinen Sessel zurückfallen ließ.

„Es wird keine Suchaktion stattfinden. Lizzy wird von einer Familie, deren Name im Schreiben nicht genannt wird, aufopferungsvoll gepflegt. Man hatte sie verletzt gefunden und in Sicherheit gebracht. In etwa drei Tagen wird sie mit Geleitschutz hierher zurückgebracht. Es gehe ihr den Umständen entsprechend gut. Der Verfasser des Briefes weist darauf hin, dass der Aufenthaltsort der Prinzessin nicht genannt wird, da er sich auf den Ländereien von Corlens Castle befindet. Man möge bitte den Wunsch der Familie, die Prinzessin nicht zu suchen respektieren, da man das Leben der Prinzessin, als auch dass der unbescholtenen Familie nicht gefährden will.“

„Du willst allen Ernstes abwarten, Dad? Was ist, wenn das eine Falle ist? Man wird Lösegeld fordern!“

„Lies selbst den Brief und urteile neu. Den Brief hat niemand geschrieben, der böses im Sinn hat. Er hatte einen Anflug von Besorgnis. Außerdem ist der Schreiber gebildet und mit Sicherheit kein dahergelaufener Lump, der das schnelle Geld wittert.“

Es klopfte und Liam trat ins Zimmer.

Mit einem Handzeichen gab ihm Dr. Gregory zu verstehen, dass er Platz nehmen sollte.

„Wir werden die vorgegebenen drei Tage abwarten. Nach Ablauf des Ultimatums können wir immer noch handeln“, entschied König William unwiderruflich.

Sarah war mit dieser Entscheidung keineswegs einverstanden, wagte aber nicht zu widersprechen.

Unwillig las sie den Brief Wort für Wort nun schon das zweite Mal. Auch musste sie sich eingestehen, dass ein unüberlegtes Eingreifen vermutlich eher Schaden als Nutzen bringen würde. So beschränkte sie sich darauf Liam zu instruieren, einen Notfallplan aufzustellen, damit gegebenenfalls eine sofortige, systematisch geführte Suchaktion erfolgen konnte.

Dem hatten weder König William, noch Dr. Gregory etwas entgegenzusetzen.

Sarahs aufgewühltes Gemüt hatte sich zwischenzeitlich abgekühlt. Von Selbstvorwürfen zerfressen, suchte sie ihre privaten Räumlichkeiten auf. Die Zimmer im Schloss waren freundlich, luftig und hell eingerichtet, ganz entgegen Sarahs Geschmack. Sie bevorzugte wuchtiges, solides und dunkles Mobiliar. Von einem ihrer Fenster aus hatte sie freien Blick auf das riesige, düstere Gemäuer von Corlens Castle. Das alte Schloss, mit seiner Architektur und seiner komplizierten Bauweise faszinierte sie. In Gedanken stellte sie sich oft vor, wie sie die dunklen, verschlungenen Gänge entlangging, die großen, schweren Eichentüren öffnete und die mit dunklem Holz vertäfelten Zimmer betrat. Die Möbel stellte sie sich rustikal und schwer vor. Welche, die jeden zartbesaiteten Betrachter einschüchtern oder gar erdrücken würden.

Ihre Phantasie regten überlieferte Erzählungen an, welche sich ausschließlich mit Corlens Castle befassten.

Schnell fasste sie sich wieder und machte der Realität Platz. Grausame Szenarien sollten sich hinter den riesigen Schlossmauern abspielen. Szenarien, wie man sie nur aus dem Mittelalter kannte.

„Könnte ich doch nur diese Mörderbrut ausräuchern“, schoss es Sarah durch den Kopf. Doch das Land der Corlens war riesig, die Armee König Georgs mächtig und unbezwingbar. Wenn sie doch nur einen Weg finden würde, um der Gewaltherrschaft in diesem geschundenen Land ein Ende setzen zu können. Doch wie? Es gab keine Alternativen. Lenox Castle musste weiterhin jedweder Bedrohung, Anfeindung und Provokation durch die Corlens aus dem Weg gehen, ignorieren, Ruhe bewahren und Übergriffe abwenden.

Im Moment hatte Sarah jedoch andere Sorgen. Ihre kleine Schwester war irgendwo in diesem schrecklichen Land, verletzt, verstört und allein.

„Hätte ich doch nur gesagt, sie solle sich verstecken, anstatt auf das Pferd zu steigen!“

Es brachte nichts, über derartige Fehlhandlungen ihrerseits nachzudenken.

Müde ließ sie sich schließlich auf ihr Bett fallen. Liam riss sie schließlich aus ihren düsteren Gedanken. Polternd, wie immer, war er ins Zimmer getreten. Er wollte angeln gehen. Ein völlig untypischer Zeitvertreib für einen großen, breitschultrigen Mann, der eigentlich nie genau wusste, wohin er mit seiner enormen Kraft sollte. Liam entstammte einer verarmten Adelsfamilie, was Sarah nicht hinderte, ihn zu heiraten. Für sie war er der ideale Mann, ein Brustkorb wie ein Stier, hart wie Stahl und fast emotionslos. Dafür war er mit Verstand weniger gesegnet, sodass er Sarah absolut hörig war. Nur in den seltensten Fällen begehrte er auf, korrigierte seine Frau oder gab seine Meinung zum Besten. Da er alles andere als redselig war, äußerte er seine Belange stets in kurzen, knappen, aber präzisen Worten.

Als Befehlsoberhaupt der Garde, einer Eliteeinheit von ausgewählten, königstreuen, verschwiegenen und kampferfahrenen Soldaten, war er unschlagbar. Das Kampf- und Situationstraining für Spezialeinsätze oblag Sarah. So arbeiteten Liam und Sarah überwiegend Hand in Hand.

Oberst Stelton hingegen, ein äußerst zuverlässiger und brillanter Methodiker und Stratege, befehligte das königliche Heer, das nicht sehr groß war, aber dafür um so effektiver arbeitete.

Liam legte Sarah schweigend den gewünschten, konzeptionellen Plan für die Suche Lizzys vor. Ein kurzer Blick genügte Sarah, um den Plan als genial einzustufen, sollte es zu dessen Ausführung kommen. Liam beobachtete ausdruckslos seine temperamentvolle Frau. Er sah ihr perfekt geschnittenes Gesicht, ihr blondes, wallendes Haar, ihren ebenso perfekt proportionierten Körperbau. Er liebte sie unsterblich und würde bedingungslos sein Leben für sie geben. Trotzdem sehnte er sich hin und wieder, wenn auch nur ein ganz kleines bisschen nach mehr Liebreiz, Zärtlichkeit und Einfühlungsvermögen, wie es Sarahs Schwester innehatte.

Gleichzeitig bewunderte er die Entschlossenheit, die Härte und die Intelligenz seiner angetrauten Gattin. Schwächen gab es für Sarah nicht. Nur wenn es um ihre Schwester ging, dann wurde sie butterweich.

„Zufrieden?“, fragte Liam. Sarah nickte.

„Auf mich wartet Arbeit“, sagte er dumpf, machte kehrt und verschwand so polternd, wie er gekommen war. Sarah sah auf die marmorne Kaminuhr, ein Hochzeitsgeschenk entfernter Verwandter Liams. Auch für sie wurde es allerhöchste Zeit ihren festgelegten Arbeiten im wirtschaftlichen Verwaltungssektor des Schlosses nachzugehen.

Der kommende Tag zeigte sich grau und bedeckt. Die Luft war feucht und unangenehm warm. Gewitterluft.

Lizzys Kopfschmerzen waren fast verebbt. Die Schwindelattacken wie fortgeblasen.

Daniel hatte ihr das Frühstück gebracht.

„Besser heute?“ Aufmunternd sah er sie an. Sofort spürte Lizzy wieder die Wärme und Vertrautheit, die von ihm ausging. Erneut begann ihr Herz schneller zu schlagen.

„Ich glaube schon.“

„Heute Nachmittag zeige ich dir Susans Garten, ist zwar hauptsächlich ein Gemüsegarten, aber du kommst an die frische Luft oder wie man das da draußen gerade nennt.“

„Oh, nein!“, dachte Lizzy aufs Neue. Wieder sah sie dieses zaghafte Lächeln in dem sonst so ernsten Gesicht. Es ließ sie innerlich dahin schmelzen. Verlegen betrachtete sie ihre Finger.

Daniel war sich seiner Wirkung auf Frauen nie bewusst geworden. Sicher hatten ihn sowohl in dieser vermaledeiten Eliteschule als auch im Schloss die Mädchen umschwärmt. Er hätte jede haben können, wenn er gewollt hätte.

Er hatte andere Prioritäten, dazu gehörte der Widerstand gegen die Gewaltherrschaft seines Vaters und seines Bruders sowie sein eigenes Überleben. Eine Frau hätte ihn nur unvorsichtig und, was viel schlimmer war, erpressbar gemacht.

Bei Lizzy war alles anders. Daniel fühlte, dass er bei diesem Mädchen seinen strickten Vorsätzen untreu werden könnte. Es zog ihn mehr und mehr zu ihr, viel mehr als er sich eingestehen wollte. Dagegen anzukämpfen, erschien ihm schon bald zwecklos. Noch siegte sein Verstand. Lizzy würde gehen und alles wäre beim Alten. Nur ein Gefühl der Leere würde zurückbleiben, weiter nichts.

Am späten Vormittag entlud sich ein kräftiges Gewitter. Es regnete sturzbachartig. Der Sturm heulte unheimlich um das Haus.

Philip und Daniel waren in der Tischlerei beschäftigt, Susan mit dem Einkochen von Erbsen. Schlecht gelaunt stiefelte das Kind durch das Haus auf der Suche nach Abwechslung. Spontan fiel ihr der Gast ein, der in Daniels Kammer untergebracht war. Vielleicht war der ja lustig und spielte mit ihr. Entgegen aller Verbote von Seiten ihrer Mutter kletterte sie unbeholfen die steile Treppe zur Dachkammer hinauf. Mühselig betätigte die Kleine die Türklinke. Dabei stellte sie sich auf Zehenspitzen, um mit den Fingerchen gerade noch so die Klinke herunter drücken zu können. Glücklich, die Tür geöffnet zu haben, platzte sie ins Zimmer. Vor dem Bett blieb sie stehen. Neugierig legte sie den Kopf schief, um die Fremde begutachten zu können.

Überrascht über den seltsamen Besuch musste Lizzy lachen.

„Nanu, wer besucht mich denn da?“, begrüßte Lizzy das Kind.

„Ich wohne hier. Spielst du mit mir?“, lispelte Lily keck.

Lizzy winkte das putzige Wesen zu sich ans Bett. Vertrauensselig hüpfte das Kind wie selbstverständlich auf das Bett, um sich auf Lizzys Beine zu setzen. Dann sah sie Lizzy wartend an.

Dass sich ein Kind im Haus befand, wusste Lizzy von Daniel, doch dass die Kleine so zuckersüß und putzig war, hatte er nicht erzählt.

„Also gut. Dann sage mir, was du gerne spielen möchtest!“

Die Frische des Mädchens belebte Lizzy auf seltsame Weise. Der letzte Anflug von Kopfschmerzen war verflogen.

„Kannst du mir eine Geschichte erzählen? Eine ganz tolle, schöne.“

Lizzy musste lachen. Dann zog sie ganz wichtig denkend die Stirn in Falten, ohne an die blau gefärbten Reste der Beule zu denken. Ein Fehler wie sie schmerzhaft feststellen musste.

„Ich erzähle dir eine Geschichte, eine ganz alte. Die hat mir meine Schwester früher oft erzählt, wenn ich mich in der Nacht fürchtete und nicht schlafen konnte.“

Die quirlige Lily saß ganz ruhig da, hatte ihre kleinen Hände in den Schoss gelegt und wartete nun gespannt mit offenem Mund.

„Es war einmal ein kleines Raupenkind. Das hatte immer furchtbare Angst, wenn es draußen dunkel wurde und die Nacht hereinbrach. Bei Tage war es lustig und froh. Ausgelassen spielte es mit den anderen Kindern auf der bunten Blumenwiese. Doch sobald es zu dunkeln begann, versteckte sich das Raupenkind in einer kleinen Steinhöhle aus Kieseln. Dort saß es zitternd und bibbernd und erschrak fürchterlich, bei jedem noch so kleinen Geräusch, das aus der Dunkelheit kam. Es meinte Gespenster und Unholde zu hören und Bestien zu sehen.

Erst wenn der Morgen graute, schlief das Raupenkind ein. Die anderen Raupenkinder verlachten es sehr und schimpften es „Angsthase“. Dann weinte es bittere Tränen. Schließlich spielte es mit den anderen Kindern nicht mehr und zog sich zurück. Traurig saß es nun auch bei Tage in seiner Schlafhöhle, bemitleidete sich, weinte und bemitleidete sich wieder.

Eines Tages wurde es sehr, sehr müde. Obwohl draußen der herrlichste Sonnenschein herrschte, kroch es ganz, ganz tief in seinen Unterschlupf, wickelte sich in warmes Blattwerk und schlief ein.

Als es wieder erwachte, war draußen finsterste Nacht. Verschlafen zwängte es sich aus der viel zu klein gewordenen Höhle hinaus in die Dunkelheit.

Es reckte und streckte seine Glieder im Mondschein.

„Nanu“, dachte es unvermittelt, „ich habe ja gar keine Angst mehr!“

Da merkte das Raupenkind, dass es kein Raupenkind mehr war. Es war zum Nachtfalter geworden. Flugs richtete der Falter seine Flügel, spannte sie straff, um schließlich in die Nacht zu fliegen. Da gab es so viel zu entdecken. Eine Spinnenfamilie machte einen Ausflug mit den lieben Kinderchen, ein dicker Käfer baute unbeholfen an seinem Haus, vier Schnecken lieferten sich ein Wettrennen und eine grobschlächtige Alte schallt wütend ihren Enkel an, welcher mit seinen Spielgefährten die frisch aufgehängte Wäsche mit Matsch beworfen hatte.

Nun wusste der Falter, dass es keinen Grund zur Angst gab, wenn die Nacht hereinbrach. Es gab keine Gespenster. Nur Nachttiere, die in der Dunkelheit lebten, wie anderes Getier am Tage. Er musste furchtbar über seine Dummheit lachen.

Gut gelaunt und zufrieden flog der Nachtfalter zu den anderen Nachtfaltern, die ein großes Fest feierten, mitten in der Nacht, mitten in der Dunkelheit …“

Niemand hatte gemerkt, dass Daniel irgendwann leise ins Zimmer getreten war. Schweigend war er an der Tür stehen geblieben, um Lizzys sanfter Stimme zu lauschen. Erst als Lizzy ihre Geschichte beendet hatte, bemerkten sie den Eindringling. Verlegen und mit hochrotem Kopf sah Lizzy zu ihm auf. Seine Gesichtszüge waren wie fast immer ernst, unergründlich, geheimnisumwittert.

Lily durchbrach unbewusst die peinliche Stille.

„Ich habe manchmal auch ganz dolle Angst in der Nacht“, sagte sie wichtig, was sie durch ein kräftiges Kopfnicken nachdrücklich unterstrich.

„Du solltest lieber vor deiner Mutter Angst haben, du Ausreißer. Wir suchen dich schon eine ganze Weile“, sagte Daniel weich. Lily klettere langsam vom Bett.

„Ich war doch bei Tante Lisi. Jawohl! Schimpft Mum?“

Daniel holte tief Luft, bevor er matt lächelnd antwortet.

„Ich glaube schon. Du hattest Verbot hier herauf zu stolpern.“

Lizzy sah in Liliys schuldbewusstes Gesicht.

„Es hat mir nichts ausgemacht, wirklich nicht!“, beteuerte Lizzy, das Kind in Schutz nehmend.

„Ich war sogar ganz froh darüber, mir war auch langweilig …“

Daniel nahm Lily auf den Arm. Die schlug beide Ärmchen um seinen Hals, während sie ihr Köpfchen in vertrauter Geste auf seine Schulter legte.

„Willst du mit uns unten essen? Susan meinte, sie könne es verantworten, dass du aufstehst“, fragte er vorsichtig.

Lizzy nickte freudig.

„Ich bin in fünf Minuten unten.“

Um nicht schon wieder rot zu werden, versuchte sie seinen Blick zu meiden, der fest auf ihr zu kleben schien.

„Warum war er nur so ernst?“, dachte sie still, als er gegangen war. Dann eilte sie sich, dass sie zum Essen kam.

Das Gewitter hatte sich verzogen, der Himmel war aufgerissen und die Sonne breitete ihre Strahlen über das Land. Die Luft war nun klar und frisch.

Daniel führte Lizzy durch den großen, gepflegten Garten. Lizzy bewunderte die sauberen Beete, die hohen Apfelbäume und die kleine Blumenrabatte. Etwas unsicher sagte Lizzy:

„Mir ist, als ob wir uns schon ganz lange kennen. Du bist mir so unendlich vertraut.“

Daniel seufzte hilflos bei ihren sanften, warmherzigen Worten, erwiderte aber nichts. Noch vertraute er seinem Selbstschutz.

„Ich muss morgen zurück. Sehen wir uns vielleicht wieder?“, fragte sie verlegen, auf ihre Schuhspitzen schauend.

Daniel rang mit sich.

„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Du Prinzessin, ich Tischler? Schlechte Konstellation, oder?“

Lizzy sah ihm fest in die Augen.

„Bei uns gibt es keine Standesunterschiede in der Partnerwahl.“

Daniel schüttelte abwehrend den Kopf. Lizzy verstand diese Geste falsch und bezog sie auf ihr Äußeres.

Gekränkt sah sie zu Boden. Wie konnte sie sich auch einbilden, dass ein Mann mit so einem Aussehen, so eine kleine graue und tollpatschige Maus, wie sie es war, lieben konnte? Während sie ihren düsteren Gedanken nachging, nahm er plötzlich ihr Gesicht in seine Hände, um ihr tief in die Augen sehen zu können. Leise, fast traurig sagte er:

„Mich umgibt ein dunkles Geheimnis, das nur Susan und Philip kennen. Jeder der es kennt, riskiert sein Leben und das anderer Menschen.“

„Hast du jemanden umgebracht?“, fragte sie bestürzt.

„Nein, nicht so etwas. Ich habe einfach nicht das getan, was man von mir erwartete. Ein Mord wäre da geradezu als banal zu bezeichnen.“

„Du bist nicht der, der du bist, stimmt’s? Aber ich will dich nicht in Verlegenheit bringen oder dich gar diskreditieren. Ich will einfach nur dich und ich weiß nicht wieso, aber ich vertraue dir.“ Daniel sah tief Luft holend an ihr vorbei. Lizzy legte nun allen Mut und vollste Zuversicht in ihre zitternde Stimme.

„Ich habe mich, glaube ich, unsterblich in dich verliebt.“

Daniel führte einen erbitterten Kampf mit sich und seinem Gewissen. Er startete einen letzten Versuch, um sie von ihm abzuhalten.

„Lizzy. Es ist lebensgefährlich für dich, wenn du dich mit mir abgibst. Glaub es mir. Ich kann das nicht verantworten“, sagte er schroffer, als beabsichtigt. Alle Bitterkeit hatte er in diesen einen Satz gelegt. Doch leise, fast lautlos fügte er hinzu:

„Dafür liebe ich dich viel zu sehr, als dass ich dich in Gefahr bringen könnte.“

„Das ist mir egal!“, sprudelte es aus ihr heraus.

Lizzy fühlte, was in ihm vorging. Daniel sah in ihre treuen, von Tränen gefüllten Augen, die ihn flehend und angstvoll ansahen. Das Herz siegte über den Verstand und alle gutgemeinten Vorsätze.

Ohne weitere Überlegungen nahm er sie entschlossen in die kraftvollen Arme und kam nicht umhin, sie zu küssen. Lizzy sah selig zu ihm auf. Ihre Augen leuchteten wie Diamanten in der Sonne vor lauter Glück. Daniel schluckte. Er sah aus, als hätte er gerade ein Verbrechen begangen.

„Wir sehen uns wieder, aber nicht hier. Das ist zu gefährlich für Philip und seiner Familie. Ich lasse mir etwas einfallen. Versprochen.“

Er drückte sie fest an sich, so fest, als müsse er befürchten, dass der Erdboden sie jeden Moment verschlucken könnte, wenn er sie losließ.

Mitten im Steinschlag

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