Читать книгу Mitten im Steinschlag - Britta Kiehl - Страница 7

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4. Kapitel

Am nächsten Morgen war Lizzy soweit wieder genesen, dass man es riskieren konnte, sie nach Hause zu bringen. Philip und Daniel begleiteten sie. Lily war mit Lizzys Heimreise so gar nicht einverstanden, büßte sie doch eine treue Spielgefährtin ein, die noch dazu lustige Geschichten erzählte konnte.

„Ich will aber nicht, dass du zu deinem Daddy gehst, du musst hierbleiben bei Lily“, maulte sie und sah ihre neu gefundene Freundin vorwurfsvoll an.

„Sieh mal, mein Dad macht sich doch Sorgen um mich. Genauso sorgen sich deine Eltern um dich, wenn du einfach ohne zu fragen ins Dorf läufst, um mit den Kindern zu spielen.“

Lizzy war in Hocke gegangen, um mit Lily auf Augenhöhe zu sein.

„Versprich mir, dass du schön lieb bist, wenn ich weg bin. Vielleicht kann ich ja mal kommen und dich besuchen, wenn deine Eltern nichts dagegen haben.“

„Oh fein“, schniefte die Kleine zwischen Tränen und Lachen.

Auch von Susan verabschiedete sie sich herzlich. Sie dankte ihr für die Fürsorge und die Wärme, die man ihr in diesem Haus entgegengebracht hatte. Obwohl Lizzy nur drei Nächte bei den Hendersons verbracht hatte, waren ihr die Bewohner in dieser kurzen Zeit zutiefst vertraut geworden.

Auf dem Rückweg wurde kaum ein Wort gesprochen. Kurz vor dem Schloss, als man keine Gefahr mehr für das Mädchen sah, verabschiedeten sie sich. Lizzy sah bedrückt und gequält aus, während Daniel ihr mit unergründlichem Gesichtsausdruck wortlos die Hand zum Abschied reichte.

Wohlwollend verabschiedete sich auch Philip. Ohne sich noch einmal umzusehen, gab Lizzy dem Pferd die Sporen, damit keiner von beiden ihre Tränen sah.

Erst nachdem Lizzy die schützenden Schlossmauern passiert hatte, wendeten die beiden Freunde ihre Pferde, um zurück zur Tischlerei zu reiten, wo mehr als genug Arbeit auf sie wartete.

„Du weißt, was du da tust?“, fragte Philip von der Seite und sah Daniel ernst an.

„Nein, das weiß ich ausnahmsweise mal nicht“, antwortete der Angesprochene kurz angebunden.

Philip hatte die bedrückte Stimmung seines Gegenübers erfasst und respektierte sie, ohne weiter Fragen zu stellen. Schweigend ritten sie nebeneinander her, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.

Es war spät geworden an diesem Abend. Die Kirchturmuhr im Dorf verkündete mit dumpfem Glockenschlag die elfte Nachtstunde.

„Hast du gewusst, was zwischen Daniel und der Prinzessin läuft?“, fragte Philip seine Frau neugierig.

„Aber ja doch. Das war doch wohl kaum zu übersehen, zumindest wenn man genauer hinsah.“

Philip zog sich die Bettdecke bis unter das Kinn.

„Deine Beobachtungsgabe möchte ich haben“, seufzte er schwer.

„Ich habe das erst gerafft, als die sich verabschiedeten oder besser als ich sah, wie sie es taten.“

Susan rollte sich auf die Seite, um ihrem Mann ins Gesicht sehen zu können.

„Wie, wie?“, fragte Susan unverblümt.

Er zögerte, als suche er nach den passenden Worten.

„Na eben zu nüchtern, kalt wie Hundeschnauze oder wie man das so nennt“, stammelte er.

„Ich fragte ihn, ob er weiß, was er da macht und der sagt einfach so ‚Nein‘.“

Susan drehte sich lachend wieder auf den Rücken. Nach einer kurzen Pause sagte sie wieder ernst werdend:

„Er wird die Konsequenzen, die sich daraus ergeben genau abgewogen haben und entsprechend handeln. Er weiß doch, was auf dem Spiel steht.“

„Aber irgendwann muss er ihr sagen, wer er ist und was wir, speziell ich, hier so treiben“, sprudelte es aus Philip zweifelnd hervor.

„Er wird keinen von uns in irgendeine Gefahr bringen, schon Lilys wegen nicht. Und wenn er ihr die Wahrheit über sich sagt, dann auch nur, wenn er zu hundert Prozent sicher ist, dass er ihr vertrauen kann. Und Daniel vertraut in der Regel niemandem, außer uns und sich selbst. Soweit müsstest du ihn doch wohl kennen.“

Sie löschte das Licht.

„Ich mache mir aber Sorgen. Von allem was kommen konnte, kommt natürlich das Schlimmste in Form von Prinzessin Elizabeth von Lenox Castle. Ich glaube es einfach nicht …“

„Es wird sich alles fügen. Vertraue deinem Freund, wie du es immer getan hast. Und nun schlafe endlich und freue dich, dass du in dieser Nacht im warmen Bett bist und nicht im kalten, verräucherten Kellern bei den Widerständlern.“ Damit war für sie das Gespräch beendet. Brüsk wand sie ihrem Gatten den Rücken zu, um endlich zu schlafen.

Lizzy wurde im Schloss aufgeregt empfangen. Sie wurde von ihrem Vater, als auch von Sarah mit Fragen überschüttet.

„Ich sage nicht, wo ich mich aufhielt. Die Menschen dort waren alle so gut zu mir. Nie würde ich es auch nur ansatzweise wagen, den Leuten in irgendeiner Form Ärger zu bereiten. Es bringt nichts, mich weiter nach ihnen auszufragen“, sagte sie entschieden, vor Selbstbewusstsein strotzend.

„Das Pferd ging durch, ein Ast war meinem Kopf im Weg, fertig. Mir geht es gut, ich bin unversehrt und wohlbehalten wieder hier. Jetzt lasst mich bitte ausruhen, ich möchte allein sein.“

Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und ging aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters, um sich in ihren eigenen Räumlichkeiten zu verkriechen.

König William und Sarah sahen sich verblüfft an. So sicher und selbstbewusst in ihrem Auftreten hatten sie Lizzy noch nie erlebt.

„Na gut“, schnaufte William ratlos.

„Dr. Gregory werde ich ihr aber doch nachschicken. Ich muss ganz sicher gehen, dass es meiner Kleinen wirklich gut geht.“

Gregory untersuchte seine etwas widerwillige Patientin akribisch und kam zu dem Schluss, dass Lizzy nur noch etwas Ruhe bedurfte, ihr ansonsten aber nichts fehlte.

Im Kellergewölbe, unter der „Alten Schenke“ waren die Mitglieder der Widerstandsgruppe versammelt. Unter ihnen befanden sich, kampferfahrene und unerschrockene Männer jeder Altersgruppe und aus allen Gesellschaftsschichten.

Sie alle verfolgten nur ein Ziel: „Der Herrschaft des Königs mit aller Härte die Stirn zu bieten“. Jeder Einzelne von ihnen hoffte, dass man den Herrscher irgendwann stürzen und dem jungen Thronfolger den Weg für die Regentschaft ebnen zu können. Auch wenn niemand wusste, wo er untergetaucht war. Alle Hoffnung war auf den Kronprinzen gesetzt, er würde wieder Wohlstand, Freiheit und Gerechtigkeit über das Land und seine Bewohner bringen.

„Ich habe beunruhigende Nachrichten. Im Schloss vermutet man einen Spitzel, welcher interne Informationen über die Aktivitäten des Königshauses in Bezug auf Geldbeschaffungsmaßnahmen nach außen an die Rebellen weitergibt. Man versucht mit allen Mitteln, meinen Informanten zu enttarnen. Er ist somit gezwungen, seine Aktivitäten im Schloss auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Gleichzeitig plant man, eine vertrauliche Mitteilung mit einer Falle zu garnieren, um aus dem Hinterhalt die Rebellen, also uns, zu stellen, zu verhaften und natürlich unschädlich zu machen.“

Philip fuhr mit schneidender Stimme fort:

„Wir werden deshalb unseren Tatendrang auf eher zufällig eintretende Ereignisse beschränken müssen. Und auch hierbei sei allerhöchste Vorsicht geboten.“

Ein mürrisches Raunen zog sich durch den Raum.

„Also Däumchen drehen und zusehen, wie Oma Agatha aus dem Bett gezerrt, ihr von den Schergen des Königs das letzte Huhn geklaut und ihr noch das Dach über dem Kopf angezündet wird.“

„Ach so!“, fuhr Lord Milton mit sarkastischem Unterton auf.

„Und mich macht man einen Kopf kürzer, weil ich in eben diese Falle, trotz Warnung blindlinks reingelatscht bin, um Oma zu helfen. Tolle Aussichten.“

„Wir können im Moment nichts anderes machen. Kommen wir gerade dazu, wenn Oma Agathas Huhn geklaut wird, sind wir da und helfen. Wenn nicht, hat sie Pech gehabt, die Gute, leider. Aber nach Plan vorgehen …? Nicht mit mir, nicht nach der Warnung“, sagte der Besitzer der Glashütte mit schneidender Stimme. Ein anderer höhnte:

„Du hast ja auch deine Schäfchen im Trockenen!“

Philip fuhr dazwischen.

„Was nützt es, wenn auch nur einer von uns in Gefangenschaft gerät oder was viel schlimmer ist, getötet wird, nur weil wir unbesonnen vorgehen. Ihr wisst alle, dass die Herrschaften auf dem Schloss mittelalterliche Verhörmethoden anwenden, um jemanden zum Reden zu bringen.

Ich möchte den sehen, der da nicht seine alles geliebte Großmutter verrät. Kurz und gut: ‚Haben die Einen von uns, sind wir alle dran, einschließlich unserer Familien.‘“

Philip spuckte fast vor Zorn. Mit Nachdruck fügte er hinzu:

„Wir sollten abwarten, bis ich bessere Nachrichten erhalte.“

Es wurde nun auf einem weniger aggressiven Niveau debattiert. Letztendlich akzeptierte man Philips Vorschlag einstimmig.

„Wir sollten uns jetzt besser um den Ersatz für Livington kümmern. Sein Tod liegt nun schon fast vier Wochen zurück“, gab Lord Milton zu bedenken.

„Na, finde mal jemanden auf die Schnelle, der für unsere Sache den Kopf riskiert und noch dazu verschwiegen ist wie ein Grab“, polterte der kleine, aber athletische Müllerssohn los. Ein anderer rief mit dreister Stimme:

„Wie sieht es denn mit deinem Angestellten aus Philip? Der hat keine Familie und scheint gut durchtrainiert zu sein.“

Philip seufzte schwer, bevor er antwortete:

„Gib dem eine Waffe in die Hand und du musst aufpassen, dass er sich nicht selbst verletzt. So etwas hat mir gerade noch gefehlt“, log Philip unverblümt bedauernd. Allgemeines Gelächter folgte.

„Mein Schwager ist ein stiller Aufrührer, er kann gut mit Schwert und Degen umgehen. Soll ich dem mal diskret auf den Zahn fühlen?“, fragte der Besitzer der Schusterwerkstatt.

„Einen Versuch ist es wert“, erwiderte Philip. Man diskutierte noch über dieses und jenes. Mitternacht war lange vorbei, als einer nach dem anderen die Schenke in teils sturzbetrunkenem Zustand oder teils griesgrämig verlies. Die Tarnung verlief wie immer perfekt.

Beunruhigt steuerte Sarah an einem frühen Abend das Schlafzimmer ihrer Schwester an.

Lizzys Veränderung bereitete ihr Sorgen. Sicher ging sie präzise ihren Pflichten im Schloss nach, doch wirkte sie oft abwesend, dann wieder traurig oder sie starrte mit entrücktem Lächeln zum Fenster hinaus. Irgendetwas hatte Lizzy verändert, irgendetwas hatte sich zugetragen, dass mit dem Verschwinden ihrer Schwester zu tun hatte. Hatte man ihr vielleicht doch Gewalt angetan, sie bedroht und zur Verschwiegenheit genötigt?

Tausend wirre Fragen gingen ihr seit Tagen durch den Kopf, die sie nicht ruhen ließen und deren Beantwortung sie sich heute von Lizzy erhoffte.

Wie von Sarah erwartet, saß Lizzy schon im Bett, versunken in ihrer Einschlaflektüre.

„Ist es schon zu spät zum ‚Schwesternkuscheln‘?“, fragte Sarah gespielt übermütig.

„Rutsch rein ins Bett“, erwiderte die Angesprochene lächelnd. Sarah streifte ihre Reitstiefel ab und schlüpfte grazil unter die dünne Daunendecke.

„Wir hatten schon lange keinen gemütlichen Schwesternabend mehr, findest du nicht?“

Sarah begann mit leichter Konversation.

„Schon lange nicht mehr.“ Lizzy griff nach dem Glas Rotwein auf ihrem Nachttisch. Sie trank einen Schluck und reichte das Glas schweigend an ihre Schwester weiter.

„Der Wein ist verdammt gut. Aus Dad’s heimlichen Vorräten?“

„Ertappt. Habe ich gestern mitgehen lassen, als ich die Weinbestände geprüft hatte, um die Neubestellungen an den Verwalter weitergeben zu können.“

Nach Minuten des Schweigens entschloss sich Sarah den direkten Weg einzuschlagen und konform zu gehen.

„Was ist mit dir los? Du bist völlig verändert, seit du wieder hier bist“, fragte Sarah forsch.

Lizzy schnaubte kurz durch die Nase. Sie ließ sich Zeit mit der Beantwortung der Frage.

„Gar nichts ist los, alles ist in bester Ordnung, wie immer.“

„Nichts ist in Ordnung, kleine Schwester. Hat man dir etwas getan? Setzt man dich unter Druck? Droht man dir? Rede endlich mit mir!“, donnerte Sarah gereizt heraus.

Lizzy indes lächelte nur in sich gekehrt.

„Ich habe mich nur unsterblich verliebt, das ist alles.“

Sarah starrte sie mit offenem Mund an.

„Mach den Mund wieder zu, es ist passiert und du kannst es nicht rückgängig machen.“

Lizzy lächelte matt.

„In wen und wo und wie?“

„In den, der mich gefunden und mir geholfen hat.“

„Der den Brief geschrieben hat? Der weiß, dass du eine Prinzessin bist. Der versucht doch nur, das für sich profitbringend auszunutzen.“ Sarah war schockiert.

„Wie kannst du nur auf so etwas reinfallen, Lizzy?“

Die Angeredete blieb ruhig und gelassen.

„Du kennst ihn nicht, auch nicht die Familie, bei der er wohnt und arbeitet. Sie waren alle so herzlich und besorgt um mich.“ Abrupt änderte sie ihre Tonlage, während sie ihr Gesicht ihrer Schwester zudrehte.

„Hat irgendjemand Geld gefordert? Ja?“, begehrte sie wütend auf.

Sarah schwieg.

„Hat irgendjemand, irgendetwas für mich gefordert? Die Antwort ist ein klares Nein. Höre auf mit deinen lächerlichen Verdächtigungen. Ich bin zwar etwas jünger als du und habe keine Erfahrungen mit Männern, doch besitze ich so viel Weitsicht um einschätzen zu können, wer es darauf anlegt, meinen Status als Prinzessin auszunutzen.“

Sarah schwieg noch immer. Für Einwände fehlten ihr im Moment einfach die Worte.

Lizzy atmete heftig vor Erregung. Krampfhaft versuchte sie sich zu beruhigen.

Nach einigen peinlichen Minuten sagte Sarah kleinlaut:

„Aber ich habe mir einfach nur fürchterliche Sorgen um dich gemacht, kleine Schwester. Du wirkst immer so zerbrechlich und zart. Ich will dich beschützen, eben weil du in vielen Sachen noch unerfahren bist.“

„Das brauchst du aber nicht. Daniel ist ein einfacher Möbeltischler, kommt aus simplen Verhältnissen, geht sträflich und korrekt seiner Arbeit nach und hilft seinen Wirtsleuten, wo er kann. Er ist ein Mensch, kein Monster oder Verbrecher.“

„Du triffst ihn heimlich?“, fragte Sarah vorsichtig.

„Ja“, kam es kurz und knapp zurück. Auch wenn Sarah die Situation als keinesfalls gut einschätzte, so antwortete sie von sich selbst überrascht:

„Nimm bitte in Zukunft immer zwei Wachen als Geleitschutz mit. Du kannst sie ja in angemessener Entfernung auf dich warten lassen. Bitte versprich mir das!“

„Mache ich, versprochen. Weißt du, was komisch ist? Daniel hatte mir zu dieser Maßnahme auch schon geraten. Der ist um mich mindestens genauso besorgt, wie du es bist.“ Lizzy lachte gepresst. Für sie war das Thema hier beendet.

Es war fast Mitternacht, als Sarah ihr Schlafzimmer aufsuchte. Liam spielte mit Oberst Stelton und Dr. Gregory Karten. Das konnte mitunter die ganze Nacht in Anspruch nehmen.

So war sie allein und konnte das eben gehörte in Ruhe verdauen und ihren eigenen Gedanken störungsfrei nachgehen. Noch immer nicht so recht zufrieden krabbelte sie schließlich ins Bett. Die Zweifel an diesem Tischler waren ihr keineswegs genommen. Vielleicht steckte doch Eigennutz hinter dem Handeln dieses Mannes.

War es nicht kinderleicht, bei so einem Stelldichein Lizzy kurzer Hand zu kidnappen und später Lösegeld zu fordern? Der Hinweis von ihm, sie möge in Begleitung reiten, war vielleicht nur gezielt gesetzt, um zu erfahren, wie bewacht Lizzy auf ihren heimlichen Ausritten tatsächlich war.

Sarah hatte Lizzy versprechen müssen, ihr nicht zu folgen bzw. sie verfolgen zu lassen. Irgendetwas musste sie aber doch tun. Aber was! Es würde sinnlos sein, nach einem jungen Tischler suchen zu lassen, der bei irgendwelchen Leuten wohnte. Das konnte überall sein, ging es ihr durch den Kopf.

Ihr Vater legte keinen Wert auf Konventionen und ließ seinen Töchtern die freie Partnerwahl insofern, dass nicht irgendwelche miesen Machenschaften von den gewählten Partnern ausgingen. Trotzdem würde sie mit ihm reden müssen. Gewiss würde es sich einrichten lassen, dass Lizzys heimliche Liebschaft ins Schloss eingeladen würde. Nur so hatte sie die Möglichkeit, dem Tischler gehörig auf die Finger schauen zu können, gegebenenfalls seine Absichten zu ergründen. Selbstzufrieden mit dieser Lösung fand Sarah endlich Schlaf.

Daniel hatte zutiefst gehofft, Lizzy würde nicht beim ersten vereinbarten Treffpunkt erscheinen, nicht um seinetwillen, sondern um ihretwillen.

Wozu eine Liebe festigen, die niemals sein durfte. Vielleicht hatte der Abstand zu ihm in den wenigen Tagen gereicht, sie zu Sinnen zu bringen. Würde sie nicht erscheinen, würde er aufatmend in die Tischlerei zurückkehren, sich noch eine Zeit lang quälen und sie, so hoffte er, irgendwann vergessen. Doch Lizzy kam und sie kam immer wieder, trotz seiner Einwende und Vorbehalte. Je öfter sie sich trafen, desto mehr schweißte es sie zusammen.

Daniel machte sich Vorwürfe, dass er nicht die Kraft besaß, diesem natürlichen, treuherzigen Mädchen zu widerstehen. Er hatte alles versucht, sie von der Sinnlosigkeit ihrer verbotenen Liebe zu überzeugen, doch sie blieb ungerührt und fest in ihren Absichten.

Irgendwann würde einer von beiden dafür bezahlen müssen. Da war sich Daniel sicher. Die Sorge um Lizzy schwächte sich auch nicht ab, als er erfuhr, dass sie von zwei bewaffneten Wachen begleitet wurde, welche sich in gebührendem Abstand zu ihnen aufhielten.

Die kleine Ruine des alten Fischerhäuschens am Green Lake bot einigermaßen Schutz vor neugierigen Blicken. Kaum einer wagte sich hierher, da die Sage umging, dass ein furchtbar armer Fischer, der hier aus Verzweiflung Frau und Kinder ermordete und sich selbst erschoss, als blutrünstiges Gespenst umherging. Stunden lang saßen Lizzy und Daniel dicht nebeneinander gedrängt, verborgen in der von Efeu eingewachsenen Ruine, fernab von der Außenwelt, gehüllt in Glück und Seligkeit.

Seit einiger Zeit forderte Lizzy Daniel immer wieder auf, mit auf das Schloss zu kommen, um der Heimlichtuerei ein Ende setzen zu können. Bisher hatte er es geschafft, ihr diese eingehende Bitte unter fadenscheinigen Ausreden abzuschlagen. Doch Lizzy drängte ihn immer mehr in die Enge.

„Dad interessiert es nicht, ob du adlig bist oder vom einfachen Volk abstammst. Er will nur das Beste für mich und das sind nach seiner Meinung Liebe, Vertrauen, Treue und Respekt. Konventionen sind für ihn unwichtig.“ Sie sah ihm tief in die Augen.

„Sieh mal, Sarah hat auch einen Mann von weit unter unserem Stand geheiratet. Liam stammt zwar vom Adel ab, aber seine Familie ist völlig verarmt. Mache dir doch nicht solche Sorgen, Dad lädt dich herzlich ein, soll ich dir sagen.“ Lizzys Gesicht strahlte vor Offenheit.

Daniel schluckte, bevor er in sachlichem Ton antwortete.

„Der Stand interessiert mich auch nicht Lizzy, dem entspreche ich leider voll und ganz. Es ist eher meine Herkunft, die mich zwingt, die Einladung deines Vaters rigoros abzulehnen.“

Lizzy sah ihn verblüfft an.

„Was für einen Stand? Earl, Peer, Duke?“ Sie lachte unbekümmert. Daniel lachte mit, doch es war kein herzliches Lachen, es war Bitterkeit. Lizzy sah ihn irritiert an.

„Es ist viel schlimmer“, erwiderte er leise, mehr zu sich selbst.

„Wie viel schlimmer geht es denn noch?“, scherzte sie mit klopfendem Herzen.

Daniel stöhnte gequält.

„Lizzy, dein Vater würde mich vierteilen, nachdem er mich ertränkt und erschossen hat, meine Einzelteile fest verschnüren und triumphierend nach Corlens Castle schicken.“

„Verdammt Daniel. So schlimm kann es doch wohl nicht sein. Dad ist der liebste und verständnisvollste Mensch, den ich kenne. Er wäre zu so etwas niemals fähig. Außerdem gibt es doch gar keinen Grund dafür.“

Sanft nahm sie seine Hand, doch er entzog sie Lizzy gröber, als er eigentlich gewollt hatte.

„Es geht hier nicht nur um mich. Ich verrate auch die Hendersons.“

Lizzy standen die Tränen in den Augen. Nach kurzem Schweigen entschied er sich, ihr die Wahrheit zu sagen. Es würde ein schmerzliches, aber schnelles Ende ihrer Beziehung sein. Hatte er sich in Lizzy getäuscht, so bestand nur ein minimales Risiko bei einem Verrat. Die Tischlerei würde sie nicht wiederfinden, dazu waren Philip und er mit Lizzy zu viele Umwege geritten. Mit todernster Miene wand er sich ihr zu und sah in ihr tränennasses, trauriges Gesicht.

„Ich bin Kronprinz Daniel Alexander“, kam es leise und gepresst aus seinem Mund.

Lizzy blickte ungläubig auf, doch er hatte sein Gesicht betreten abgewendet.

„Das ist ein Scherz, oder?“

„Siehst du mich lachen?“, antwortete er forsch und sah ihr fest in die Augen.

„Die Schergen des Königs suchen mich wegen Hochverrats. Man jagt mich, versucht mich zu erpressen und man tötet jeden, der auch nur in meiner Nähe gesichtet wird.“

Kalt und abweisend fügte er hinzu:

„Jetzt kennst du mein grässliches Geheimnis und hast mich in der Hand. Steig auf dein Pferd und reite nach Haus. Es war falsch von mir, dich und andere in unnötige Gefahr zu bringen.“ Er stockte kurz.

„Und rufe nicht nach den Wachen, du müsstest sonst ohne sie zurückreiten.“

Lizzy hatte ihn noch nie so voller Bitterkeit erlebt. Die Kälte in seiner Stimme drang bis in ihre Knochen und sie begann zu frösteln. Ihr war beklommen ums Herz. Enttäuschung und Fassungslosigkeit nahmen von ihr Besitz. Hilfesuchend sah sie ihn an. Er ignorierte ihre verständnislosen Blicke, auch wenn ihm selbst das Herz immer schwerer wurde. Lizzy musste einsehen, dass es im Moment besser war, zu schweigen und sich vorerst zu fügen. Von Kummer geplagt, bestieg sie ihr Pferd. Als er keine Anstalten machte, sie zurückzuhalten, gab sie dem Pferd die Sporen und ritt davon.

Die Heimreise gab ihr die Gelegenheit, über das Gesagte nachzudenken. Ausgerechnet in den Sohn ihres ärgsten Feindes hatte sie sich verliebt. Hatte Sarah am Ende doch Recht? War sie so naiv? War sie so eine dumme Gans? Wie konnte sie sich nur so getäuscht haben? Daniel schien so normal, er hatte sich dem einfachen Leben in dieser wunderbaren Familie perfekt angepasst. Er arbeitete, hatte sich einen respektablen Beruf zugelegt, den er beherrschte und den er liebte. Abrupt fiel ihr die Familienchronik der Corlens ein.

Wie sie Geschichtsunterricht gehasst hatte. Nun rief sie in ihrem Kopf alles auf, was ihr ihr alter, längst verstorbener Lehrer über die Corlens beigebracht hatte. Unwillkürlich musste sie schmunzeln, als sie daran dachte, dass Daniel es überhaupt nicht nötig hatte, zu arbeiten, dass er mit hoher Intelligenz beschenkt war, eine Eliteausbildung besaß und eigentlich Dank seines perfekten Aussehens jede Frau hätte haben können.

Trotzdem hatte er das Leben unter einfachen Menschen gewählt. Hatte sie sich nicht ursprünglich in den Tischlerangestellten Daniel verliebt?

Je mehr Lizzy grübelte, desto entschlossener wurde sie.

„Ich habe keine Angst, ich liebe dich und das werde ich dir beweisen, egal was für Konsequenzen für mich damit verbunden sind“, dachte sie entschlossen und zufrieden mit sich selbst.

Daniel war in den folgenden Tagen recht schweigsam. Susan runzelte jedes Mal mitleidig die Stirn, wenn sie seinen starren Gesichtsausdruck sah. Insgeheim ahnte sie, dass er die seltsame Verbindung mit Lizzy beendet hatte und nun still vor sich hin litt.

Es waren keine drei Tage vergangen, als Lily in die Tischlerei gewuselt kam mit einer neuen, hübschen Puppe auf dem Arm. Stolz wollte sie ihrem konzentriert arbeitenden Vater das neue Spielzeug präsentieren.

Der hatte nur einen kurzen, beiläufigen Blick für das Püppchen. Enttäuscht drückte sie die Puppe fest an sich. Energisch stellte sie sich zu Daniel, um ihm das Geschenk unter die Nase zu halten. Auch hier hatte sie wenig Erfolg, da dieser eine Zeichnung mit dazugehörigen Berechnungen für einen Schreibtisch eines exzentrischen Kunden anfertigte.

Lily sah schmollend zu Boden.

„Dann gehe ich eben wieder zu Mum und Tante Lisi in die Küche. Ihr seid alle beide blöd, so!“

Lizzy saß in der Tat bei Susan in der Küche. Bei einer Tasse Tee erfuhr Susan, was zwischen den beiden vorgefallen war und dass Lizzy keinesfalls gewillt war, sich durch Daniels Aussagen abschrecken zu lassen. Die Frauen redeten eine ganze Weile vertrauter als sonst miteinander, wobei Susan ihre anfängliche Scheu gegenüber der treuherzigen Lizzy nun ganz und gar verlor. Nach diesem Gespräch waren sie nicht nur Verbündete, sondern wurden zu Freundinnen.

„Wie hast du uns eigentlich gefunden?“

„Ach weißt du, als die beiden mich damals zurück zum Schloss brachten, haben sie hübsche kleine Umwege gemacht. Aber ich besitze einen ausgeprägten Orientierungssinn. Außerdem waren die Menschen hier in der Gegend recht auskunftsfreudig auf meine Frage, nach einer Möbeltischlerei hier in der Nähe.“

Lily kam hereingesaust, um sich freudestrahlend neben Lizzy zu setzen. Die beiden Frauen unterbrachen ihr Gespräch lachend.

„Du bist ja schon wieder da?“, fragte Susan ihre aufgeweckte Tochter.

„Die sind beide doof. Immer nur arbeiten. Meine schicke Puppe haben die gar nicht richtig angesehen …“ Empört schlug sie die Fäustchen auf den Tisch.

„Du sollst nicht doof sagen, Lily. Wie oft soll ich dir das noch sagen?“ Susan sah die Kleine böse an. Lily zog eine Schippe, dann kuschelte sie sich verschwörerisch blickend an Lizzy.

„Tante Lizzy hilft dir auch nicht, wenn ich mit dir schimpfen muss.“

Die Kleine ließ sich nicht beeindrucken. Stattdessen fragte sie Lizzy:

„Spielst du mit mir?“

Lizzy lachte herzlich auf.

„Ich habe erst noch etwas sehr Wichtiges zu erledigen, dann vielleicht.“

Damit löste sich Lizzy von der Umarmung Lilys, um aufzustehen. Susan lächelte sie zuversichtlich an, als Lizzy mit gemischten Gefühlen, aber entschlossen die Küche verließ.

Übermütig war Lizzy forschen Schrittes in die Tischlerei gegangen. Philip kurz grüßend schnappte sie sich energisch Daniels Arm, um ihn wortlos in den Garten zu zerren. Das Fluchen Philips, den Daniels aus der Hand gefallener Zirkel nur um Zentimeter verfehlte, hörten sie nicht mehr. Der völlig überrumpelte Daniel sah Lizzy irritiert und ungläubig an.

„Glaube nicht, dass du mir so einfach entkommst“, sagte sie keck und legte ihre Hände auf seine Brust. Durch sein dünnes Hemd fühlte sie jeden einzelnen Muskel.

„Ich liebe dich nun mal und alles andere ist mir doch sowas von egal …“ In ihren großen Augen sah er ein neckisches Funkeln.

Ohne auch nur zu einer Gegenreaktion fähig zu sein, musste er es sich gefallen lassen, dass Lissy ihn plötzlich fest an sich zog und ihn stürmisch küsste. Nachdem er sich recht umständlich aus ihrem Klammergriff befreit hatte, fragte er nach Worten ringend:

„Bist du dir ganz sicher?“

„Ganz sicher“, hauchte sie ihm liebevoll ins Ohr, „Ich habe mich in dich verliebt und in keinen Namen.“

Mitten im Steinschlag

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