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Kapitel I

Als sich die Zellentür hinter mir schloss und der Riegel vorgeschoben wurde, sah ich zuerst die unscheinbare kleine Frau, die auf dem Bett saß. „Graue Maus“ stellte ich fest. Haare grau, Haut grau, Augen grau. Sie trug einen verwaschenen Jogginganzug; könnte auch mal grau gewesen sein. Auf der Brust die Aufschrift „University of Cambridge“. Gütiger Himmel! Sie sah mich erwartungsvoll an.

„Ich bin Anne-Kathrin“.

Klang irgendwie nach wohlhabenden Eltern, fand ich.

"Man nennt mich Ännchen", fügte sie hinzu.

„Ännchen von Tharau“ fiel mir ein.

„Gut, Ännchen. Ich heiße Rosemarie. Man nennt mich Rosi,“ sagte ich.

Sie beugte sich etwas vor und sagte konspirativ:

„Ich bin eine Mörderin. Habe meinen Herrn Gemahl umgebracht.“

Fassungslos schaute ich sie an. Sie hatte es so lässig ausgesprochen, wie wenn jemand sagt, er habe mal eben einen kleinen Spaziergang gemacht.

„Zyankali“, sagte sie und kicherte, wohl wegen meines ziemlich dämlichen Gesichtsausdrucks.

„Ich habe meinem Alten Zyankali in den Kaffee gekippt.“

Dann fügte sie schnell hinzu:

„Du brauchst keine Angst zu haben, ich morde nur Männer. Und Du, was hast Du angestellt?“ „Nichts“, antwortete ich.

„Nicht mal´n kleinen Mord?“

Sie blickte mich verschwörerisch an. Ich zuckte die Achseln und sah mich in der Zelle um. An zwei gegenüberliegenden Wänden stand je ein Bett.

„Das da ist noch frei“, sagte Ännchen von Tharau.

“O.k.“, ich legte meine Handtasche und die Bettwäsche auf das Bett

.“ Die linke Seite kannst Du haben“, sagte sie dann und zeigte auf einen zerkratzten grauen Spind.

Meine Verhaftung war so schnell gegangen, dass ich nichts bei mir hatte, was ich in den Schrank hätte einsortieren können.

„Du bist aber elegant“, plapperte sie weiter und starrte auf mein Designer-Outfit.

„Frisch von der Silvesterfeier verhaftet?“

Ich nickte. Es stank und mein Blick wanderte zur Toilette. Ach du liebe Zeit. Hier also sollte ich quasi öffentlich meine Notdurft verrichten, und jederzeit konnte jemand hereinkommen und uns bei unseren intimen Verrichtungen besichtigen. Ich werde verrückt! Unter dem Fester stand ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen. Ich setzte mich und schloss völlig erschöpft die Augen. Mein Kopf dröhnte, meine Wahrnehmung war auf „Hall“ gestellt. Jedes Geräusch verursachte einen Knall in mir, mein Magen drehte sich; ich lief zur Toilette und musste mich übergeben. Ich wusch mein Gesicht und blickte in den Spiegel über dem Waschbecken. Unbeschreiblich, was ich dort sah. Mein sorgfältig aufgetragenes Make-up vom Vorabend befand sich jetzt im Handtuch, die Wimperntusche war in den Augenhöhlen verschmiert, die vom Friseur festgesteckten Löckchen hatten sich verselbständigt und standen wirr vom Kopf ab. Ich wankte zu meinem Bett und tastete nach der Bettwäsche.

„Komm, ich helfe Dir,“ sagte Ännchen und ergriff das Laken.

Ich streifte meine unbequemen Schuhe ab, die Füße schmerzten, stieg aus meinem Kleid und warf mich auf das harte Lager. Augenblicklich fiel ich in einen komaähnlichen Schlaf.

Irgendwann wurde ich wach, weil jemand an mir rüttelte.

„Aufwachen, aufwachen!“

Ich öffnete die Augen und erblickte eine dralle Gefängniswärterin.

„Ihr Anwalt wartet auf Sie. Ziehn´se sich an. Hier sind ´n paar Klamotten. Hat Ihr Anwalt für Sie mitgebracht“.

Dann verschwand Sie, und ich quälte mich hoch. Das Cocktailkleid lag auf dem Boden vor meinem Bett. Ich konnte es ja wohl nicht wieder anziehen. In den Sachen fand ich einen bequemen Jogginganzug und ein paar Ballerinas, eine Wohltat für meine gefolterten Füße.

Die Zellentür ging auf und die Dralle erschien wieder.

„Kommen´se, Krause,“ rief sie wichtigtuerisch. Ich erhob mich und versuchte würdevoll zu erscheinen.

„Frau Krause, bitte“ belehrte ich sie.

Sie betrachtete mich giftig:

„Dich krieg ich auch noch klein, Frau Krause,“ zischte sie.

„Glaub ich,“ erwiderte ich, „im Kleinkriegen haben Sie sicher Erfahrung.“

Dann rief ich mich zur Ordnung: Rosemarie, wenn Du so weitermachst, hast Du in zwei Tagen das gesamte Gefängnispersonal gegen Dich. Ich nahm mir vor, künftig lieber die Klappe zu halten.

Jochen hatte Wort gehalten und mir sofort einen guten Anwalt geschickt. Lange würde ich sowieso nicht im Gefängnis bleiben müssen. Dachte ich.

Im Besprechungsraum traf ich auf Dr. Kluge, den ich nicht mochte. Er solle mich von Jochen grüßen.

„Wann kommt Jochen?“ fragte ich.

„Er hat im Moment den Kopf voll. Man hat nämlich seine Frau ermordet, wie Sie ja selbst wissen. Die Formalitäten der Beerdigung, die Verhöre.“

Er seufzte, und sah mich an, wie man ein lästiges Kind ansieht. Mir war klar, dass er mich für die Mörderin hielt. Fieberhaft überlegte ich, wen ich zu meiner Verteidigung bestellen könnte. Diesen Kluge wollte ich nicht, auch wenn er, wie ich wusste, einen sensationellen Ruf als Strafverteidiger hatte. Aber dieser Kerl hatte mich schon immer aufgebracht.

Wir setzten uns und Kluge schlug seine elegante Krokomappe auf.

„Leider befinden Sie sich in einer sehr prekären Lage,“ dozierte er. „Sie sind sozusagen auf frischer Tat erwischt worden.“

„Aaber.....“

„Gut, gut, liebe Frau Krause. Wir alle wissen, dass Sie unschuldig sind. Nur, der Anschein spricht gegen Sie, und für den Mord kommen nicht viele Leute in Frage. Haben Sie im Verhör irgendwelche Aussagen gemacht?“

„Nein, ich habe gesagt, dass ich zuerst mit meinem Anwalt sprechen möchte.“

„Sehr gut. In der Tat sieht es so aus, dass, wenn man keinen anderen Täter findet, Sie verurteilt werden dürften.“

„Was genau wollen Sie damit sagen?“

„Tja,“ Kluge rieb sein Kinn. „Ich habe das schon kurz mit Jochen, ich meine Herrn Fischer, besprochen. Am besten Sie zeigen sich reuig und gestehen. Man könnte versuchen, auf Totschlag zu plädieren. Das gäbe dann höchstens acht bis zehn Jahre, und Sie kämen bei guter Führung nach ca. fünf Jahren wieder frei.“

„Haben Sie dafür eine Garantie vom Staatsanwalt? Haben Sie schon mit ihm gekungelt?“ „Nein, nein,“ er hob entsetzt die Hände, und ich wusste, dass er log. Das war doch alles eine Clique.

„Ich musste ja zuerst mit Ihnen sprechen.“

Hatte er mich verkauft?

„Kann es sein, dass Sie zuviel DALLAS gesehen haben?“ fragte ich kühl und stand auf.

“ Ich werde mir das alles durch den Kopf gehen lassen“.

Wir verabschiedeten uns und ich wurde in meine Zelle zurückgebracht. Kluge war wahrscheinlich wie der Staatsanwalt Mitglied im Rotary-Club. Bei einem Mittagessen würde man über die kleine Krause, dieser Geliebten von Jochen Fischer, sprechen. Kluge verschaffte der Staatsanwaltschaft einen schnellen Erfolg und hatte für sein Honorar nicht allzu viel zu tun. Warum hatte Jochen diesen Vorschlag so offensichtlich akzeptiert? Wollte er denn nicht, dass ich möglichst schnell wieder frei wäre? Ich war äußerst beunruhigt und misstrauisch. Dann fiel mir Mark ein. Er war Rechtsanwalt, schlug sich aber mehr schlecht als recht durch. Es ging das Gerücht, dass er mit seinen Methoden nicht sehr pingelig sei, wenn es um die Durchsetzung der Rechte seiner Mandanten ginge. Er war in mich verliebt und hatte mir einmal leicht alkoholisiert zugeflüstert, für mich würde er alles tun, selbst mich aus der Hölle holen. Jetzt war ich in der Hölle, und ich beschloss, ihn beim Wort zu nehmen.

Als die Zellentür hinter mir zuschepperte, hatte ich wieder dieses hohle Dröhnen im Kopf. Ohne auf meine Zellengefährtin zu achten, setzte ich mich auf mein Bett und starrte auf das vergitterte Fenster.

„Ach, übrigens, Frohes Neues Jahr noch,“ hörte ich sie plötzlich sagen.

„Ja, ja“, antwortete ich, „Dir auch“.

„War was mit Deinem Anwalt?“

„Nö, hab ihn nur entlassen.“

„Super, und jetzt?“

„Ich habe einen guten Freund. Man hat mir erlaubt ihn anzurufen, aber er hat sich nicht gemeldet. Der muss wahrscheinlich seinen Silvesterrausch ausschlafen und ist in den nächsten Tagen halbtot. Morgen früh werde ich in seinem Büro eine Nachricht hinterlassen. Er wird sich schon melden.“

„Du meinst, Du willst Dein Schicksal einem alten Saufbold anvertrauen? Hast Du se noch alle?“

Ja, hatte ich sie denn wirklich noch alle? Wie zum Trost dachte ich

„Wenigstens hast Du jetzt Deine Zahnbürste, Deine Kosmetik, frische Unterwäsche und Deine eigene bequeme Garderobe.“

Wie bescheiden man doch wird.

Die Pyramide.

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