Читать книгу Die Pyramide. - Brockenhexe - Страница 6
ОглавлениеKapitel III
Es ist jetzt ungefähr ein Jahr her“, begann ich, „da flog ich mit einem Freund nach Mallorca.“
„War das Jochen?“ fragte Ännchen eifrig.
„Nein,“ sagte ich, „er heißt Kurt, von mir Kurti genannt.“
„Wo ist denn Kurti heute?“ Ännchen war ob meines Männerverschleißes ganz erregt.
„Ich nehme an, er lebt noch in Hannover“.
Zum ersten Mal seit vielen Monaten dachte ich wieder an Kurti. Ich hatte lange nichts von ihm gehört. Früher hätte ich ihn in einer so schwierigen Situation angerufen, und er wäre gekommen, um mir zu helfen.
„Vielleicht hat er inzwischen geheiratet“.
Das konnte ich mir allerdings gar nicht vorstellen.
„Also, unsere Beziehung war so, dass wir zwei Einzelzimmer buchten,“ erläuterte ich ihr.
„Du meinst,“ fragte Ännchen erstaunt, „Du fährst mit einem Mann in Urlaub, und der will nichts von Dir?“
„So ist es,“ bekräftigte ich. „Er hatte gerade keine Freundin, ich keinen Freund; er hatte viel gearbeitet, ich hatte viel gearbeitet. Wir waren beide erschöpft und wollten einfach nur faulenzen. Da bot es sich an, dass wir das gemeinsam taten, oder?“
„Kann ich mir gar nicht vorstellen, ein Mann ohne Hintergedanken!“
Ännchen schüttelte den Kopf.
„Na, ja,“ gab ich zu, „wir haben es in einer schwachen Stunde einmal versucht, aber es war ein Flop.“
„Du meinst,“ fragte Ännchen, „nix Schwanz hoch?“
Sie kugelte sich vor Lachen.
„Ich war nicht sein Typ“, sagte ich. „Er schwärmte für Frauen mit breiten Hüften. Dann kriegte er richtig glänzende Augen. Ich habe ihm einmal gesagt: `lieber Himmel, die Frau hat eine Figur wie eine Bratsche,` Und Kurti sagte: `Du siehst, ich bin ein musikalischer Mensch`“. Wir lachten so, dass das Guckloch in der Zellentür geöffnet wurde und eine Wärterin rief, wir sollten nicht so laut sein.
„Ich nahm das nicht so tragisch. Er ist ein netter Kerl, aber meine große Leidenschaft war er nie. Von da an waren wir einfach Kameraden und haben nicht wieder über den Vorfall gesprochen.
„Ist wahrscheinlich immer so“, sinnierte Ännchen, „wenn die Männer nicht können, reden se von Freundschaft. Oder sie warten auf besseres Wetter,“ gab sie gackernd zu bedenken.
Ich hätte nie gedacht, dass sie so drollig sein könnte.
*****
Kurti und ich hatten zu Ostern eine Pauschalreise nach Pagueira gebucht, Hotel am Wasser mit Vollpension. Das Hotel war einfach, die Mahlzeiten ebenfalls. Aber es gab eine große ins Meer gebaute Sonnenterrasse mit Liegestühlen und Sonnenschirmen und nebendran eine kleine Sandbucht. Jeden Morgen deponierten wir noch vor dem Frühstück ein Handtuch auf eine der Liegen, die wir dann nach dem Frühstück bezogen. Wir schmierten uns mit Sonnenöl ein und streckten alle Viere von uns.
Ich war zu der Zeit Oberschwester auf der Station Inneres des Universitäts-Klinikums in Hannover, und Kurti leitete die Abteilung Rechnungswesen in der Tochterfirma eines großen Konzerns. Wir hatten wenig Zeit uns zu entspannen. Bei Kurti waren es Überstunden und Wochenendarbeit, bei mir Überstunden und Nachtdienste. Das führte auch zu Problemen bei der jeweiligen Partnersuche, und so waren wir oft froh, dass wir uns hatten. Wir gingen zusammen ins Theater oder ins Restaurant, wenn wir zufällig einmal zum gleichen Zeitpunkt frei hatten.
Juan von der Hotelbar kurvte mit vollen Tabletts zwischen den Liegestühlen umher. Kurti und ich guckten uns an: „Was hältst Du von einem Campari nach dem Frühstück?“ fragte er. Mir war alles recht, wenn es nur verrückt war. „Juan, dos Camparis“, schrieen wir auf Kommando und hielten ihm zur Bestätigung Zeige- und Mittelfinger wie ein V-Zeichen entgegen. Die Camparis wurden serviert. Inzwischen gab es niemanden mehr, der ohne ein Glas mit der roten Flüssigkeit nebst Strohhalm in der Hand in seinem Liegestuhl lag. Bis zum Mittagessen waren mindestens drei Gläser fällig. Schließlich musste man sich gegen die fremde Kost und ihre Wechselfälle absichern. Die Stimmung auf der Terrasse wurde immer besser, und ganz Mutige machten sich auf, um mit ihren Zehen vorsichtig das Wasser zu befühlen. Um diese Zeit war das Mittelmehr noch recht kühl. So wurden jedes Mal Wetten abgeschlossen, wenn jemand, vom Alkohol inspiriert den Einfall hatte, ein bisschen schwimmen zu gehen.
Nach dem Mittagessen mussten wir uns von den Strapazen des bisherigen Tages erholen. Dann ging es auf zu einem Spaziergang in die nächste Bucht. Der Weg, oder besser ein Trampelpfad, führte über die Klippen und zeigte uns die grandiose Schönheit der Insel. Auf einigen Felsnasen gab es Landsitze, die die Sehnsucht nach Wohlstand und Reichtum in uns aufkommen ließen. Dort zu wohnen, wenigstens für ein paar Wochen im Jahr, musste der Gipfel des Glücks sein.
„Ach,“ seufzte ich, „wo krieg ich nur ´nen reichen Mann her?“
In der Bucht fielen wir in die nächste Strandbar ein, in der bereits ein Teil der Hotelgäste ein volles Glas vor sich stehen hatte. Diesmal war spanischer Billigsekt angesagt, ein Gesöff, dessen Konsum ich zu Hause nicht einmal erwogen hätte. Hier bestellten wir uns eine ganze Flasche, und auf dem Heimweg erstrahlte das Meer, die Felsen, die Landsitze im doppelten Glanz von Abendsonne und Champagnerperlen.
Nach dem Abendessen im Hotel ging es ins Nachtleben. Es gab eine Reihe von Pinten in Pagueira, die die landesüblichen Getränke servierten. Die meisten waren leer. Es gab nur einen Ort, wo die Touristen abends sein wollten, und das war „La Sangria“. Hier einen Sitzplatz zu ergattern war ein großes Kunststück. Wer einen hatte, gab ihn nicht auf, und viele Gäste standen an der Tür, um sich auf den nächsten frei werdenden Platz zu stürzen. Der Grund für diesen Andrang war nicht allein die leckere Sangria, sondern in erster Linie die Tanzkapelle „Los Tres de Mallorca“.
*****
Inzwischen war es in unserer Zelle dunkel geworden. Ich hatte erzählt, das Abendessen war gekommen, das Licht wurde ausgemacht und Nachtruhe angemahnt.
„So etwas hätte ich auch gern mal erlebt,“ flüsterte Ännchen zu mir herüber. Ich bin eigentlich nie in Urlaub gewesen. Edi hat unser Geld immer versoffen.“
Am nächsten Vormittag wurde ich beim Hofgang aufgerufen.
„Sie sollen reinkommen, Ihr Anwalt ist da,“ sagte die Wärterin.
‚Dieser unsägliche Kluge’, dachte ich.
Aber es war Mark, der etwas verlegen im Besucherraum stand.
„Du?“, fragte ich überrascht, „hat Jochen nicht mit Dir gesprochen?“
„Du hast mir eine Vollmacht gegeben. Noch bin ich Dein Anwalt. Ich bin also für Dich verantwortlich. Ohne dass Du mir den Fall offiziell entziehst, muss ich weiter für Dich tätig sein.“
„Das ist mir aber sehr peinlich. Ich will Dich wirklich nicht verärgern. Jochen hatte gemeint, Ihr wäret Euch einig, dass Kluge einen Totschlag für mich aushandelt.“
Ich war völlig ratlos.
„Komm, setz Dich mal. Das mit der Kungelei solltest Du nicht so laut sagen. Ich hätte Kluge nicht für so unvorsichtig gehalten, dass er völlig ungeniert über seine Rotary-Kontakte spricht. Es könnte ihn die Lizenz kosten. An der Sache ist was faul. Man will Dich zumindest für einige Jahre hinter Gitter sehen.“
„Aber warum denn,“ rief ich völlig außer mir. „Jochen liebt mich. Er wird die fünf Jahre auf mich warten.“
Ich brach in Tränen aus. Leise und eindringlich redete Mark auf mich ein:
„Ich muss Dir sehr weh tun. Du weißt, Jochen ist mein Freund. Aber ich liebe Dich auch, und ich sehe, dass er Dich die ganze Zeit hintergeht. Er hat eine andere Freundin, ein junges Mädchen aus begüterter Familie. Ihr Geld würde ihm sehr gelegen kommen, um seine Schulden abzubauen. Ich sehe, dass der Tod seiner Frau allein für ihn Vorteile hat.“
Er machte eine Pause, und ich sah ihn entgeistert an.
„Mark,“ sagte ich langsam, „Du bist eifersüchtig, und Du verleumdest einen guten Freund.“ „Ich bin eifersüchtig, rasend eifersüchtig. Aber ich verleumde keinen guten Freund.“
Ich schüttelte resigniert den Kopf. Was sollte ich nur denken, wem glauben? Ein quälendes Misstrauen zerrte an mir, und ich hatte das Gefühl als ob jeden Moment riesige Felsbrocken auf mich herabstürzen müssten.
„Glaub mir doch“!
Er sah mich eindringlich, beinahe beschwörend an.
„Sie werden Dich noch einmal verhören. Dabei sollst Du gestehen. Wenn Du gestehst, hast Du bei einem späteren Widerruf schlechte Karten. Und widerrufen wirst Du, wenn Du merkst, dass aus dem versprochenen Deal nichts wird.“
„Ich muss meine Gedanken erst einmal sortieren“, stammelte ich hilflos.
„Tu das“, Mark drückte meine beiden Hände so fest, dass sie schmerzten. „Sage nichts ohne meine Anwesenheit, versprich mir das!“
Ich erreichte meine Zelle wie unter Hypnose. Meine Bewegungen erfolgten mechanisch, mein Körper gehörte mir nicht mehr. Ich stand neben mir und sah mir zu. Jemand nahm meinen Arm und schüttelte ihn heftig. Erstaunt sah ich in Ännchens besorgtes Gesicht.
„Rosi, Rosi,“ rief sie, „was ist denn passiert? Komm, setz Dich doch. Komm, erzähl mir doch von Mallorca.“
Langsam kehrte ich in meinen Körper zurück und merkte, wie er zitterte.