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ОглавлениеKapitel V
Als ich mit meiner Erzählung bis hierher gekommen war, wurde ich unterbrochen, da Besuch für mich da sei. Ännchen hatte die ganze Zeit angespannt zugehört. Von Zeit zu Zeit entfuhr ihr ein aufgeregtes
„Toll!“ oder ein bedauerndes „Ooch!“ oder ein leises Kichern.
Als der Name Jochen fiel, seufzte sie „na endlich“.
Im Besucherraum erwartete mich eine Überraschung.
„Kurtilein!“ quiekte ich.
Meine Gedanken waren immer noch bei den Urlaubserinnerungen, und die Gegenwart des Gefängnisses weit weg.
„Na, Dir geht es ja gut“, meinte er überrascht.
Ich hatte mich an seine Brust geworfen.
„Bin ich froh, Dich zu sehen,“ sagte ich aufrichtig.
Schon hatte die Wärterin uns getrennt.
„Menschenskind“, sprudelte ich aufgeregt, „wie kommst Du hierher? Wie hast Du mich nur gefunden?“
„Die Zeitungen sind ja voll von der Geschichte“, gab er zurück. „Ich wusste nur nicht, ob ich erwünscht sei. Dann habe ich telefoniert und auch mit Deinem Anwalt gesprochen. Der meint, Dein Lover hätte Dich hereingelegt.“
Zack, da war sie, die Gegenwart.
„Ich kann das immer noch nicht glauben,“ und Schwermut überfiel mich.
„Sie haben keine Beweise, nur Vermutungen, nicht einmal echte Indizien. Mark hat schon mehrfach um Haftverschonung nachgesucht. Aber angeblich bestehe Fluchtgefahr, Verschleierungsgefahr und, weiß der Geier, was noch für Gefahren.“
„Ich mag Deinen Anwalt. Ich glaube, er führt etwas im Schilde. Lass den Kopf nicht sinken, es wird schon werden. Ich bin gerade auf der Durchreise. Wenn Du möchtest, besuch ich Dich gelegentlich noch einmal“.
„Ach ja, tu das. Ich bin sehr froh, Dich zu sehen.“
Am nächsten Tag begann Ännchens Prozeß, so dass ich vormittags allein in der Zelle saß. Das Verfahren würde nicht lange dauern, da sie alles zugegeben hatte. Nach dem Urteil würde sie ins Frauengefängnis kommen. Ich hatte Angst vor dem Alleinsein, ich hatte Angst davor, wer als nächstes meine Zellengefährtin werden würde.
„Du musst mir unbedingt noch vorher das Ende Deiner Geschichte erzählen“, bat Ännchen. „Ist sie noch lang? Dann musst Du Dich beeilen.
*****
Als ich nach meiner Rückkehr aus Mallorca am Montag wieder zum Dienst erschien, wurde ich überall mit Staunen begrüßt, wie gut ich aussehe, wie sehr ich mich verändert habe, welches Glück ich ausstrahle.
‚Alles Quatsch’, dachte ich.’ Die wissen, dass ich mit einem Freund verreist war und hören wohl Hochzeitsglocken klingen’.
Ich konnte die Ausstrahlung gar nicht haben, denn mir war hundeelend. Aber im Laufe des Tages besserte sich meine Stimmung. Ich war glücklich, wieder in meiner gewohnten Umgebung zu sein, einen Beruf auszuüben, den ich liebte, gebraucht zu werden, Anerkennung zu erhalten und zu hören, wie sehr man mich vermisst hätte. Ich ließ mich in meine Arbeit hineinfallen und wurde von ihr völlig absorbiert. Nur in den wenigen Freizeitstunden überkam mich die Verzweiflung. Kurti meldete sich nicht, und ich rief ihn nicht an. Meine Urlaubsbräune verblasste langsam, die Haut wurde wieder grau, Falten stellten sich ein, und wenn ich in den Spiegel schaute, musste ich zugeben, dass aus mir mehr und mehr eine verknitterte alte Jungfer wurde.
Die Prellung an meiner Schulter hatte mir noch einige Schmerzen bereitet. Das Glücksgefühl, das ich eigentlich mit den Schmerzen in Verbindung bringen wollte, war einer tiefen Depression gewichen. Eigentlich war ich gar nicht arbeitsfähig. Aber ich sagte nichts und hielt im Krankenhaus durch. Bloß nicht krank zu Hause herumsitzen!
Vier Wochen waren vergangen. Ich hatte ein langes Wochenende ohne Dienst vor mir und beschloss, etwas für mein Ich zu tun. Eine neue Haarfarbe, um die ersten grauen Fäden abzudecken, eine neue Kosmetik, den Freitagskrimi bei einer guten Flasche Wein, am Samstag ein Einkaufsbummel, um etwas Ausgefallenes zum Anziehen zu erstehen. Und dann einmal gründlich über alles nachdenken, Ordnung bringen in Haushalt und Gedanken. Als ich am Freitag Nachmittag meine Wohnung betrat und die Tür hinter mir zumachte, atmete ich erleichtert durch. Ich musste an diesem Wochenende Kraft tanken und am Montag neu beginnen. Warum fing ich nicht gleich damit an, indem ich mir einen Martini mixte? Ich beschloss, mich damit auf den Balkon meiner kleinen Wohnung im 4. Stock zu setzen und darauf zu warten, dass die Sonne hinter den Mietshäusern verschwand. Der Balkon war völlig verdreckt und die Balkonstühle auch. Ich stelle den Martini in den Kühlschrank und holte die Putzmittel aus der Abstellkammer. Ein sauberer Balkon war ein guter Beginn. Dann duschte ich, zog mein Negligée an, holte meinen Martini wieder hervor und setzte mich nach draußen. „Das ist doch ein prima Auftakt“, dachte ich und lobte mich dafür.
Der Mensch muss etwas zum Freuen haben, und deshalb freute ich mich auf den Krimi. Was gab es denn? Der Alte oder Derrick? Ich suchte das Fernsehprogramm. Um ein Haar hätte ich laut geflucht. Aktenzeichen.. xy. Das hatte gerade noch gefehlt. Reale Mord- und Betrugsfälle, deren Aufklärung oder Nichtaufklärung ich dann regelmäßig verpasste. Als Alternative gab es ein Fußballspiel, eine Komödie oder irgend so´n Eia-Popeia-Kram. Sollte ich vielleicht einfach mal ins Kino gehen? Ich latschte ins Badezimmer, stellte mich vor den Spiegel, klatschte mir dickes Make-up ins Gesicht, tuschte die Wimpern bis ich die Augendeckel nicht mehr hochhalten konnte, legte Lidschatten, Lidstrich, Rouge und Lippenstift auf und brach über das Ergebnis in schallendes Gelächter aus.
„Gestatten: Rosemarie Krause“, sage ich zu meinem Spiegelbild.
„Grüne Haare brauchst Du noch“, antwortete es.
Irgendwo hatte ich einen alten Wassserfarbenkasten. Ich mischte mir etwas Grün zusammen und brachte mit dem Pinsel Strähnen auf. Als die getrocknet waren, schmierte ich eine halbe Tube Gel ins Haar und formte eine Frisur, für die ich zweifelsohne den Ehrentitel des Friseur-Handwerks verdient hatte. Dann ging ich zu meiner Schallplattensammlung, holte die „Zauberflöte“ heraus und suchte die Arie der „Königin der Nacht“ an den Rillen abzuzählen. Die Musik setzte ein, ich stand im Wohnzimmer, gestikulierte und grimassierte wild herum. „Der Hölle Rache pocht in meinem Herzen“, formten meine Lippen. „Tod und Verzweiflung“...
Die Klingel an der Wohnungstür schellte wie wahnsinnig, und im ersten Augenblick glaubte ich, der Teufel käme, mich persönlich in die Hölle zu holen. Ich stürzte zur Tür, dann fiel mir meine Aufmachung ein. Wer immer draußen stand, er musste in Panik verfallen, wenn er mich so sah. Ich lief ins Badezimmer, obwohl mir klar war, dass ich mindestens eine halbe Stunde brauchen würde, um wieder einen normalen Menschen aus mir zu machen. Die Klingel schellte so penetrant, dass ich glaubte, sie würde Funken schlagen. Wahrscheinlich wollten sich Nachbarn über die laute Musik beschweren. Sollten sie doch. Ich gab mir einen Ruck, ging langsam und gefasst zur Wohnungstür und öffnete. Dort stand ER! Meine Erstarrung passte zu der neuen Würde einer Königin der Nacht. Die Arie endete mit einem ‚
“Rachegötter, hört der Mutter Schwur“ und die Nadel eierte über die Platte.
Jochen Fischer stand vor mir mit einem riesigen Präsentkorb, aus dem mich Champagner-Flaschen und allerlei Delikatessen anlachten. Offensichtlich dachte er an Flucht. Doch dann rutschte ihm der Korb aus der Hand, und er konnte ihn gerade noch mit dem rechten Knie abstützen. Erhaben trat ich zur Seite, machte eine große theatralische Armbewegung und sagte mit grabschwarzer Stimme:
„Tretet ein, ich habe Euch erwartet.“
Er schnappte nach Luft und humpelte in leicht gebückter Haltung mit seinem Korb an mir vorbei.
„Majestät untertänigster Diener, legen Euch nach erfolgreicher Kaperfahrt die Schätze Frankreichs zu Füßen“, sagte er mit gesenkten Augenlidern.
Blitzschnell hatte er den Korb auf den Wohnzimmertisch gestellt, nahm mich in die Arme, küsste mich, und ruck-zuck lagen wir zusammen im Bett. So hatte ich mir das in meinen Träumen nicht vorgestellt. Sein Gesicht war make-up-verschmiert, meines noch mehr, das Bett ebenfalls. Es glich einer Hinrichtungsstätte. Ich ließ Wasser in die Wanne und bereitete ein Schaumbad vor. Wir stiegen gemeinsam hinein. Er wusch mein Gesicht, ich seines, wir wuschen uns gegenseitig das Haar. Danach sahen wir uns an und sagten wie aus einem Munde:
„Ach, so siehst Du also aus.“
Dann tranken wir Champagner, aßen von den Köstlichkeiten, sahen uns verliebt an und landeten wieder im Bett.
Das Wochenende war ein einziger Rausch, und am Sonntag Nachmittag erfuhr ich, dass er verheiratet war.....
*****
„Nein,“ schrie Ännchen, „so eine Scheiße!“
Das war genau das Stichwort, das ich gebraucht hatte, um hemmungslos zu heulen. Mein ganzes Leben war eine riesengroße Scheiße. Und die stand mir bis zur Unterlippe. Ännchen weinte mit mir.
„Ach, Rosilein,“ sagte sie, „bis jetzt war alles so lustig. Ich glaube nicht, dass ich den traurigen Teil heute noch hören möchte, und Du bist sowieso fix und alle.“
Bis zum Abendessen saßen wir schweigend da. Der Fraß war heute besonders eklig, und ich dachte an Champagner und Hummer, frische Baguettes und reifen französischen Käse. Vor allem aber an die Freiheit und das Recht, ein Bad zu nehmen, wann immer ich es wünschte. Wenn ich hier jahrelang eingesperrt sein würde, wollte ich sterben.
*****
Am nächsten Morgen wurde ich gleich nach dem Frühstück in den Besucherraum gerufen. „Frau Krause“, rief die Dralle „Ihr Lover ist da.“
„Jochen?!“
Ich zitterte. Er war es wirklich.
„Nun,“ sagte ich kühl „hat Deine neue Freundin Dich vorübergehend freigegeben?“
„Aber Majestät,“ seine Stimme war sanft und vorwurfsvoll, „dieses Gerede! Die junge Dame himmelt mich an. Ich tätige wichtige Geschäfte mit dem Vater. Warum soll ich nicht mal mit ihr zum Essen gehen? Ich fühle mich sehr einsam. Die Polizei löchert mich. Die haben gemeint, wir hätten den Mord gemeinsam geplant und durchgeführt. Deshalb wollten sie mich nicht zu Dir lassen.“
„Da Du heute hier bis, konntest Du also jeglichen Verdacht von Dir abwaschen? Wenn ich es nicht war und Du auch nicht, wer war es dann?“
„Ich weiß es nicht. Aber wenn sie Dir nichts nachweisen können, müssen sie Dich freilassen. Nur das ist wichtig. Ich bin sicher, Mark kriegt das hin.“
„Ach, Jochen“, ich war den Tränen nahe, „acht Wochen sitze ich schon in diesem schrecklichen Gefängnis“.
„Wenn ich Dir nur helfen könnte“, er blickte mich treuherzig an, und alle Zweifel, die ich gegen ihn gehegt hatte, waren wie weggeblasen.
„Ich habe Dir ein paar Leckerli mitgebracht.“ Er stellte eine große Plastiktüte auf den Tisch. Ich spähte hinein, und was ich sah, erhellte meine Stimmung.
„Gott sei Dank! Ich kriege diesen Gefängnisfraß nicht herunter. Ich danke Dir“.
Wir verabschiedeten uns, und er versprach, wiederzukommen und neue Verpflegung mitzubringen.
Ich wartete darauf, dass Ännchen von ihrem Termin zurückkäme. Die würde staunen. Kaum hatte ich mich in meiner Zelle an den Tisch gesetzt und die Schätze liebevoll aufgebaut, kam Ännchen zurück.
„Was ist los?“ fragte ich erstaunt, „bist Du freigesprochen worden?“
Sie seufzte,
„Verstehen tu ich es nicht. Mein Anwalt hat so ´nen Antrag gestellt wegen Voreingenommenheit oder so. Er meint, der Richter hätte ´ne frauenfeindliche Bemerkung gemacht. Jetzt dauert es wieder länger. Na, ja, sind wir eben länger zusammen“.
Dann erblickte sie meine Delikatessen.
„Machst Du jetzt´n Laden auf?“
„Nein, mein Schatz, das ist für uns. Und ganz ohne Zyankali“.
Ich lachte übermütig, und sie lachte mit.
Das Mittagessen war ganz passabel, und wir beschlossen, am Abend etwas von den Schätzen zu naschen.
„Ich beginne Deinen Jochen zu lieben“, meinte sie.
„Ännchen von Tharau“, sagte ich streng, „Du bist berechnend.“
Ich musste feststellen, dass meine Gefühle für Jochen sich verändert hatten. Beim Abschied hatte sich dieses Mal keine Verzweiflung eingestellt, und mein Misstrauen war wiedergekommen. Mark hätte gegen seinen Freund nichts Negatives gesagt, wenn es nicht stimmen würde, überlegte ich. Dass er die Tochter dieses reichen Immobilienmaklers heiraten wollte, jetzt, da er frei war, erschien mir nur folgerichtig. Sie war jung, hübsch, reich, und die Mitgift würde ihn von seinen Schulden entlasten. Mich überkam wieder diese große Traurigkeit, und ich dachte an Kurti: aufrichtig, solide, ein durch und durch anständiger Kerl. Aber ohne Nervenkitzel.
Heute Abend war Ännchen ganz Anne-Kathrin. Sie saß kerzengerade auf ihrem wackligen Gefängnisstuhl und genoss die Delikatessen. Sie strahlte. So etwas Gutes hatte sie noch nie zu essen bekommen.
„Also?“ fragte sie erwartungsvoll.
*****
An diesem Wochenende setzten wir keinen Fuß vor die Tür. Um es präzise auszudrücken: wir kamen praktisch nicht aus dem Bett, denn auch die Mahlzeiten nahmen wir im Bett ein, indem wir uns gegenübersitzend gegenseitig fütterten. Er stellte Fragen, und ich erzählte aus meinem Leben. Das war wohltuend, denn bisher wollten immer alle Leute mir ihre Leidensgeschichte erzählen. Jochen hörte zu, er nahm an jeder Einzelheit Anteil und bestätigte mir immer wieder, für wie tüchtig er mich hielte und wie sehr er mich für das, was ich erreicht hatte, bewunderte. „Jetzt bist Du dran,“
sagte ich Sonntag Nachmittag.
„Warum bist Du eigentlich noch nicht verheiratet?“
„Aber ich bin doch verheiratet“, gab er erstaunt zurück.
Ich wundere mich noch heute, dass ich diese Mitteilung überlebt habe. Zuerst konnte ich nur zusammenhanglos stammeln. Dann sagte ich:
„Du meinst, Du überfällst mich, zerrst mich ins Bett, flüsterst mir die heißesten Liebesschwüre ins Ohr und bist verheiratet? Lebst Du wenigstens in Scheidung?“
Die hellste Form der Verzweiflung hatte mich gepackt. Aber er sah mich nur interessiert an, so wie man ein erlegtes Beutetier begutachtet. Das brachte mich wieder zur Vernunft.
„O.k.“ sagte ich, „wir hatten vorher keine Zeit, Informationen auszutauschen, oder?“
„Nein“, antwortete er. „Ob Du es glaubst oder nicht, meine Ehe ist hinüber, aber ich kann mich zurzeit nicht scheiden lassen.“
„Das ist wenigstens eine klare Aussage. Und was machen wir jetzt? Das Wochenende ist vorbei, adieu?“
Wut kam in mir hoch.
„Das liegt an Dir. Ich hätte da eine bestimmte Idee."