Читать книгу Die Pyramide. - Brockenhexe - Страница 5
ОглавлениеKapitel II
Ich sah Ännchen von Tharau an. Sie hatte mir über zwei Stunden lang ihr Leben erzählt und wie es zu dem Mord an ihrem Mann gekommen war. Der Richter müsste sie eigentlich freisprechen, denn sie war schon vor dem Mord bestraft worden.
Mit zwanzig hatte sie einen fast gleichaltrigen Mann geheiratet, weil ein Kind unterwegs war. Sie hatten beide kaum Schulbildung und gerade mal seit zwei Jahren eine Lehre abgeschlossen. Er als Kfz-Mechaniker, sie als Verkäuferin. Ersparnisse gab es nicht, das Einkommen war gering. Der Hausstand wurde auf Pump gegründet. Der Mann war mehr arbeitslos als beschäftigt. Immer hangelten sie sich von Arbeitslosen-Unterstützung zu Arbeitslosen-Unterstützung . Sie arbeitete als Verkäuferin und verdiente samstags als Putzfrau noch etwas dazu. Schließlich hatten sie drei Kinder und sie konnte nicht mehr arbeiten, denn er war nicht dazu zu bewegen, sich um Haushalt und Kinder mitzukümmern. Mehr und mehr verfiel er dem Alkohol mit all den bekannten Begleiterscheinungen: Prügeln von Frau und Kindern, Vergewaltigung und schließlich völlige Überschuldung und Kreditunwürdigkeit, eine Frauenkarriere, die häufiger vorkommt als öffentlich bekannt wird.
Dabei hatte sie als junges Mädchen ihre Mutter nicht verstanden, die von ihrem Ehemann genauso behandelt worden war. Nie hatte sie ein Leben wie ihre Mutter führen wollen. Aber Mütter geben die Verhaltensmuster an ihre Töchter weiter, und diese heiraten dann Männer wie ihre Väter.
Ännchen hatte Tränen in den Augen. Nach einundzwanzig Jahren ehelicher Qualen hatte sie sich Zyankali beschafft und ihren Mann vergiftet. Sie litt darunter, war aber trotzdem froh frei zu sein.
„Ich sehe das auch positiv“, meinte sie.
Sie musste irgendeinem Seelenklempner in die Hände gefallen sein.
„Ich habe alles zugegeben Mein Anwalt sagt, ich krieg mildernde Umstände. Bei lebenslänglich kann ich in 15 Jahren wieder draußen sein. Inzwischen kann ich was lernen. Irgendetwas, was mir Spaß macht. Mein Anwalt sagt, er will auf Totschlag plädieren. Dann wird´s weniger.“
Alarmiert fuhr ich hoch.
„Bei Giftmord auf Totschlag plädieren. Das habe ich heute schon einmal gehört.“
„Wie hast Du´ s denn gemacht?“ fragte sie mich.
„Zyankali, Schwester“, antwortete ich sarkastisch.
Das war ja ein merkwürdiger Zufall! „Ich bin unschuldig“, bemerkte ich etwas halbherzig und wusste, dass sie mir nicht glaubte.
„Ehrlich?“ fragte sie gutmütig, „das sagen nämlich alle hier. Gib´s lieber zu, das kommt immer gut an.“
Am Nachmittag des 2. Januar kreuzte Mark auf. Ich wurde wiederum in den Besprechungsraum geführt. Er sah mich bekümmert an.
„Junge, Junge,“ sagte er nur und kratzte sich am Kopf. „Erzähl mal. Und zwar alles. Ich will die Wahrheit! Wenn Du lügst, dreh ich Dich durch den Wolf.“
„Mark, ich war es ganz bestimmt nicht“, beteuerte ich, nachdem ich ihm meine Geschichte erzählt hatte.
„ICH glaube Dir. Aber selbst, wenn Du es getan hättest, würde ich Dich hier rausholen. Ich weiß nur noch nicht wie.“
Er überlegte laut.
„Du hast bisher schlauerweise keinerlei Aussage gemacht. Sie werden Dich verhören. Dabei will ich anwesend sein. Du wirst sagen, Jochen habe Dich gebeten, Du mögest im Ruheraum der Toilette nach seiner Frau sehen, und sie fragen, ob sie denn auch die ihr verordneten Medikamente genommen habe, was sie bejahte. Du habest ihren Puls gemessen, der war beschleunigt. Du habest ihr ein Glas Wasser zum trinken gereicht, ihr geraten, sich flach hinzulegen, tief durchzuatmen und zu versuchen sich zu entspannen. Du habest ihr noch ein Kissen unter die Beine geschoben und gesagt, Du kämest bald wieder. Präge Dir diese Aussage ein. Die Frau, die auf der Toilette war, hat das Gespräch offenbar nicht genau mitbekommen. Sie hat was von Arzt und Tablette gehört. Ihre Zeugenaussage ist nach meiner Meinung eher zu Deinen Gunsten. Ich denke, was die in der Hand haben, ist dünn. Ich werde möglichst bald einen Haftprüfungstermin beantragen. Außerdem werde ich Verlegung in eine Einzelzelle verlangen. Diese Zyankaligeschichte Deiner Zellengenossin gefällt mir ganz und gar nicht. Die hat ihre Tat gestanden und Kluge wollte Dich auch zu einem Geständnis überreden. Ich wittere Unrat.“
„Das mit der Verlegung in eine andere Zelle lass lieber bleiben. Wenn ich niemand zur Unterhaltung habe, fällt mir die Decke auf den Kopf. - Jochen war immer noch nicht da,“ fügte ich deprimiert hinzu.
„Na, ja, der steht auch unter Verdacht. Ihr könntet den Mord gemeinsam geplant haben. Aber dem gerissenen Hund passiert bestimmt nichts,“ beruhigte er mich grinsend.
Ich sah ihn prüfend an.
„Wieso seid Ihr beiden eigentlich befreundet?“
„Na ja, wir haben ein paar gemeinsame Leichen im Keller. Und wir haben uns nach etlichen Besäufnissen auf dem Nachhauseweg oft aneinander geklammert und uns gegenseitig schwankend Halt gegeben. Das verbindet.“
Ich mochte ihn und die Art, mit der er versuchte mich aufzuheitern. Er war ein witziger Unterhalter. Wie oft hatte ich bei seinen Erzählungen Tränen gelacht
Auf dem Rückweg in meine Zelle überkam mich plötzlich ein starkes Gefühl der Zuversicht. Mark würde mir helfen. Warum nur hatte Jochen mir diesen Dr. Kluge geschickt und nicht Mark, mit dem ihn doch offensichtlich einiges verband?
Meinen letzten Gedanken hatte ich halblaut vor mich hingemurmelt.
„Dieser Jochen“, fragte Ännchen, „hat er was mit Deinem Mord zu tun?“
Sie platzte vor Neugier, und ich beschloss, es ihr zu erzählen. Es war ohnehin an der Zeit, die ganze Geschichte noch einmal Schritt für Schritt in Gedanken ablaufen zu lassen.. Vielleicht würde ich mich dabei an etwas Entscheidendes erinnern.
******
„Besuch für Sie, Frau Krause“ rief die dralle Wärterin mit übertriebener Betonung auf dem Wort ‚Frau’.
„Vielen Dank“, sagte ich ebenso übertrieben liebenswürdig.
Ich rechnete mit Mark, aber es war Jochen. Meine Freude war übergroß, und ich wollte ihm um den Hals fallen.
„Keine körperlichen Kontakte!“ bestimmte der anwesende Wärter.
„Wie geht es Dir, warum kommst Du erst jetzt, warum hast Du mir diesen Kluge geschickt?“ Ich hätte noch 20 weitere Fragen gestellt, doch Jochen unterbrach mich.
„Wir haben wenig Zeit,“ sagte er kühl und nüchtern, „lass uns das Wichtigste besprechen. Bitte! Warum hast Du Kluge gegen Mark ausgetauscht? Es war gar nicht so einfach, Kluge für den Fall zu engagieren. Er will gewinnen; aussichtslose Fälle übernimmt er normalerweise nicht.“
Ich war fassungslos. Ich war also ein aussichtsloser Fall und Jochen schien verärgert.
„Bist Du denn eigentlich aus dem Schneider? Mark sagte, Du stündest auch unter Verdacht. Und Du hast mir schließlich die Pille gegeben.“
Er biss sich auf die Unterlippe.
„Wir wollen uns doch nicht gegenseitig Vorwürfe machen“, sagte er sanft und strahlte mich an.
„Natürlich haben sie mich verhört. Aber da ich frei herumlaufe, ist das ein gutes Zeichen für Dich.“
„Nur hat der Richter im Haftprüfungstermin meine weitere Inhaftierung angeordnet,.“ sagte ich sarkastisch.
„Nun, es spricht wirklich vieles gegen Dich,“ sagte er und blickte mich traurig an. „Was glaubst Du, was mich das alles mitgenommen hat? Der Tod von Marianne, die Beerdigung. Die vorangegangene Obduktion. Dann die vielen Verhöre. Ich weiß, dass Du es nicht getan hast. Die Kripo weiß das nicht. Sie glaubt, Du warst es. Was meinst Du zählt mehr, mein Wissen oder deren Glaube?“
Er hatte wieder einmal recht und ich war plötzlich sehr unsicher. Am liebsten hätte ich mich in seine Arme geworden und mich von ihm streicheln und trösten lassen. Aber der Wärter machte schon wieder eine Abwehrbewegung und ich ließ resigniert den Kopf sinken.
„Lass Kluge mit dem Staatsanwalt reden. Fünf Jahre sind im Endeffekt besser als fünfzehn.“ Er redete beschwörend auf mich ein.
„Mark hat akzeptiert, dass er diese fantastischen Verbindungen von Kluge nicht hat. Er nimmt es Dir nicht übel, wenn Du ihn entlässt.“
Sein liebevoller, besorgter Blick ruhte auf mir, und ich nickte weinend. Fünf Jahre ohne ihn! Ich war verzweifelt.
„Ich warte auf Dich,“ sagte die weiche, warme Stimme, die ich so liebte.
„Betrachte es als Prüfung.“
„Zeit ist um“, kam es schneidend aus der Ecke des Wärters.
„Komm bald wieder“; flehte ich, und er nahm trotz Wärter meine Hand in seine beiden Hände.
Ich sah mich noch einmal um, als ich durch die Tür geschoben wurde. Er stand mitten im Raum und warf mir eine Kusshand zu. Ich vertraute ihm, so wie ich es immer getan hatte. Wenn er glaubte, dass Kluge das Beste für mich herausschlagen würde, dann war es richtig.
*****
„Schnell“, rief Ännchen. „Sonntags gibt´s immer Kuchen, und der Kaffee ist noch heiß“ Sonntag! Ich wusste nicht einmal mehr, welcher Wochentag gerade war. Der Kaffee war plürrig, aber der Streuselkuchen war frisch. Jochen war da gewesen, es war Sonntag, und ich empfand unsere Zweisamkeit in der Zelle plötzlich als ausgesprochen gemütlich. Ännchen bemutterte mich. Sie nahm an meinem Schicksal Anteil, und obwohl sie eine einfache Frau und noch dazu eine Giftmörderin war und ich eine Hotelmanagerin, die den Umgang mit den sogenannten „feinen Leuten“ gewohnt war, begann ich, ihr in dieser schlecht gelüfteten Zelle meine Geschichte zu erzählen.