Читать книгу Eine neutrale Tüte bitte! Menschen im Sexshop - Bukowski Candy - Страница 11
Оглавление1.2
Jung, ungebunden, aufgeschlossen, sucht …
Natürlich besuchen auch ganz normale, aufgeschlossene Singles aller Altersklassen einen Erotik-Shop. Wer, wenn nicht sie? Aber es gibt eben auch Besonderheiten.
Die für mich faszinierendsten Exemplare der Spezies Single, haben etwas minimal Lauerndes. Ganz harmlos, gemeint ist sicher keine Massenmörder-Ausstrahlung, aber doch die auffällige Außenwirkung dauerhaften Wartens. Es mag daran liegen, dass diese Männer fast schicksalshaft oft in der zweiten Reihe stehen. An der Kasse, beim Ansprechen eines Verkäufers, allein schon beim Umsehen im Ladengeschäft wirkt der Warter wie ein lauerndes Fragezeichen auf der Suche nach ganz vielen Antworten. Möglicherweise liegt es daran, dass wirklich unheimlich viele Fragen in diesem Menschen stecken.
Das Schicksal des introvertierten Bedenkenträgers ohne Womanizer-Ausstrahlung. Ein paar Kilo zu viel, ein paar Haare zu wenig, ein gewisses Maß andauernder Transpiration, zu viel Sorge um Unwahrscheinlichkeiten, zu wenig um den eigenen Style, alles zusammen Dinge, die einen leider zum Wartenden auf Glück und Erleben machen können.
Der Warter lauert auf Möglichkeiten zu einem Gespräch, einer Veränderung, einer Erfahrung, einem Fick, einer Beziehung, einem etwas mit Abenteuer gefüllten Leben. Und bleibt dennoch dabei unheimlich kritisch, schließlich könnte all das ja auch irgendwelche Gefahren beinhalten. Also nicht gerade die beste Grundlage für ein lockeres Kennenlernen unter entspannten Menschen – auch nicht mit einem Sexshop-Angestellten.
Es bleibt einfach gerne alles ein wenig distanziert. Also ich. Ich bleibe doch tatsächlich distanziert, wenn sich jemand unsicher am Verkaufstresen herumdrückt und dann von einem Leder-Harness erzählt, den er jetzt gerade unter der Kleidung trage. Unterlegt mit diesem „Sie wissen schon“-Blick. Sie wissen schon, ich bin ein unheimlich verwegener Mensch, denn genauso fühle ich mich gerade. Und es wird Ihnen doch bestimmt auch überhaupt nicht seltsam vorkommen, wenn ich Sie darum bitte zu kontrollieren, ob die Lederriemen dieses Harness an allen Stellen richtig sitzen. Denn insbesondere an der Hüfte und hier unten im Schritt …
Äh – nein. Dort kontrollieren wir nicht. Auch nicht, wenn bei uns gekauft. Wir kennen alle diese Geschichten, auch die unterschwelligen und halbseidenen, die uns zu Erfüllungsgehilfen machen sollen. Und exakt so eine wird das gerade. Das ist so ähnlich, wie wenn meine Kolleginnen oder ich uns doch bitte mal eben ein breites Spielhalsband umlegen lassen sollen. Aus reinen Testzwecken natürlich. Nur um mal zu sehen, wie es der heimlich Angebeteten so stehen könnte. Oder wie es überhaupt an einer Frau aussieht.
Wer sich so weit nicht wagt, möchte zumindest von uns in Fesseln gelegt werden. Der Warter nimmt gerne mit, was geht. Auch das Kleinste, die winzigste erreichbare Realität, einen Hauch von Erleben. Und wie hundsgemein, dass wir Verkäuferinnen uns bei Wünschen dieser Art eher sperrig verhalten. Wir behelfen uns mit Formulierungen wie „Ach, das schaffen Sie sicherlich auch selbst“ oder „Halsbänder werden nur mit Stolz getragen und mit Liebe vergeben“. Aber letztendlich ist auch ein freundliches Nein eben doch ein Nein.
Und unter uns Gebetsschwestern: Das geht einigen meiner männlichen Kollegen nicht anders. Klar haben wir ein paar echt leckere Sahneschnitten darunter. Jung und hübsch, sehr sympathisch. Die haben nicht selten eine Besucherhand am Po oder eine bittende Kontaktanfrage auf dem Facebook-Account. Und in den seltensten Fällen sind sie glücklich darüber. Nur weil sie sich charmant aus der Affäre ziehen, wird der plumpe Versuch nicht besser, sondern bleibt übergriffig. Klar kann man/frau seine Nummer auf einen Zettel kritzeln und ein nettes Angebot machen, aber anfassen geht gar nicht. Weder in hetero noch in schwul und das nicht erst seit #metoo.
Doch zurück zum Warter, dessen Lust ist groß und die Suche extrem bestimmend. Hinter einer ganz normalen Puppen-Dekoration kann man bei uns einen winzigen Blick auf einen Raum erhaschen, der nicht öffentlich zugänglich ist. Wenn man sich viel Mühe gibt und einen schwarzen Vorhang ein klein wenig zur Seite schiebt, dann kann man ihn sehen. Man benötigt also eine Menge Neugierde, um ihn zu erkennen. Einen völlig normalen Raum mit schwarzen Wänden, ohne spannendes Interieur. Hier finden hin- und wieder BDSM-Seminare statt, manchmal drehen wir hier auch unsere Produktvideos. Ganz banal. Aber der Warter findet ihn, kommt ganz nah an den Verkaufstresen und raunt regelmäßig mit vor Spannung gesenkter Stimme:
„Sagen Sie – in diesem Raum dort hinten – kann man da auch mal etwas erleben?“
„Wie meinen Sie das genau?“
„Nun ja, ich dachte, dort wird vielleicht mal etwas vorgeführt oder so. Etwas Spezielles.“
„Da muss ich Sie leider enttäuschen. Dort hinten halten wir nur Kunden gefangen, die nachts den Ausgang nicht mehr gefunden haben. Da passiert nicht viel.“
Die kurzzeitige Schnappatmung ist den Spaß wert, auch wenn wir sie mit einem Augenzwinkern schnell wieder weglächeln. Dass es tatsächlich ab und zu Vorführungen gibt, die jedoch keinem festen Zeitplan unterliegen, verschweigen wir lieber. Der aufmerksame Kunde bekommt sie nur mit, wenn er zu passender Zeit am passenden Ort steht und rein zufällig Zeuge einer kleinen Szene wird, die er so sicher nur einmal im Leben erlebt. Eine befreundete Domina des Hauses, eine eloquente, liebenswürdige Dame, terminiert sich hin und wieder mit ihren Einzelgästen bei uns, wenn sich diese die Umsetzung einer Entführungs-Fantasie wünschen.
Man weiß nicht, was für unsere Kunden dann der verwirrendere Moment ist: dass sich plötzlich sehr leise eine Tür der Umkleidekabine öffnet, zwei Voll-Latex-Dominas mit gewaltigen Brüsten einem überraschten Kunden von hinten einen Gummisack über den Kopf stülpen, ihn ruck zuck verschnüren und aus dem öffentlichen Blickfeld schleifen? Oder dass wir Angestellten das ganze Szenario völlig unbeteiligt wahrnehmen und keinerlei Miene verziehen? Man kann nur raten, aber die fassungslosen Gesichter der Besucher wären eine Fotoserie wert.
Unbestritten ein Traum für einen der erlebnisorientierten Warte-Singles, den zu sehen, er nur leider kaum Möglichkeiten haben wird. Solche Aktionen kommen wirklich selten vor und werden von uns nie angekündigt. Und selbst wenn: einmal in eine andere Richtung geblickt und schon ist das Zuschauer-Abenteuer leider verpasst. Der Charme einer Entführung liegt bekanntlich im Überraschungs- und Schnelligkeitsmoment. Beides beherrschen die beiden Damen ausgesprochen gut. Und von der weiteren Behandlung ihrer Gäste bekommen die unseren gar nichts mehr mit. Das Hinterzimmer hat eben doch so seine kleinen, intimen Geheimnisse.
Vielleicht wartet „jung, ungebunden, aufgeschlossen, sucht …“ aber auch gerade an ganz anderer Stelle oder sucht bei einer meiner Kolleginnen einen psychologischen Exkurs über seine persönlichen Vorlieben. Vor deren Umsetzung er oft ebenso viel Angst hat wie vor ihrer Nichterfüllung. Oder noch viel schlimmer: dass irgendjemand davon erfahren könnte. Draußen im richtigen Leben. Dort wo real geliebt und erlebt wird. Naja – Leidenschaft braucht Begeisterung, Begeisterung braucht Realität, Realität braucht Mut. Finde den offensichtlichen Fehler des Wartens.
Man kann es glauben oder nicht: das weibliche Pendant zum aufgeschlossenen Single-Mann zeigt sich übrigens meist bedeutend entschlossener. Selbst eine – auf den ersten Blick – eher graue Maus wagt sich an konkrete Informationen, sucht sich Adressen, geht alleine auf Partys, datet sich und bekommt in der Wartezeit auf Mr. Right ziemlich konkret heraus, wie sie sich den künftigen passenden Partner vorstellt und was mit ihm erlebt werden möchte. Frauen können gnadenlos gut sein, wenn sie es wagen, sich für ihre Bedürfnisse zu entscheiden. Da wird viel weniger hoffnungsvoll herum gesehnt und schließlich doch erst einmal gelassen. Frauen sind da meist offen, machen sich schlau, entscheiden und tun es einfach. Sie fragen ja bekanntlich auch problemlos nach dem Weg und lesen sogar Produktbeschreibungen.
Im Gegensatz zu einem von mir sehr geschätzten, eher zurückhaltenden Stammkunden. Der kam eines Tages untypischerweise etwas grummelnd vorbei und sagte, dass die Idee vom letzten Mal „irgendwie blöd gewesen sei“. Ich erinnerte mich. Er hatte sich ein Shunga Lovebath von mir empfehlen lassen. Eine Art aphrodisierenden Zusatz, dessen Spezialität darin liegt, sich nach Zugabe ins Badewasser in eine besonders sämige Konsistenz aus Gel-Perlen zu verwandeln. Eine Lustwanne voll duftendem Glibber also, was ziemlich genau dem entsprach, was er sich für sein Date gewünscht hatte. Dummerweise las er allerdings die Gebrauchsanweisung nicht und warf das zweite Tütchen Zauberpulver versehentlich mit der Verpackung weg. Nämlich genau jenes, mit dem sich der Glibber anschließend wieder in klares Wasser zurückverwandelt hätte. Somit stand der arme Kerl wohl ausdauernd mit einem Pümpel vor seiner Wanne, um das Lovebath durch den Abfluss auch wieder wegzubekommen. Bei dieser Vorstellung konnte ich die Äußerung „es wäre irgendwie blöd gewesen“ extrem gut verstehen. Bei guten Dates pümpelt man eher nicht.
Und dann gibt es wiederum diejenigen, die aus schierem Glück fast platzen mögen und oftmals schlägt ihr Herz für Dinge, die man nicht in ihnen vermuten würde. Ein sehr netter, kugelrunder, kleiner Rocker beispielweise, in Lederkluft und Jeansweste, kam schwitzend mitten im Hochsommer. Ein ganz liebenswürdiges, kommunikatives Kerlchen, das mir einen ganzen Schwung Korsetts auf den Tresen legte. Es ging um passende Größen für ihn, wir mussten ein bisschen wühlen gehen, denn auch die XXL-Damengrößen wollten seinen Waschbär-Bauch nicht so recht umschließen. Aber wir fanden natürlich etwas und er bat mich mit in die Umkleide, um ihn zu beraten. Das ist dann schon niedlich, wenn unter der Rockerkluft ein Ganzkörperanzug aus rotem Lack zum Vorschein kommt. Kein Wunder, dass diesem kleinen Hobbit extrem heiß war. Jedoch: Seine Augen strahlten, als wir das schwarz-rote Korsett tatsächlich geschlossen und auch ein wenig geschnürt bekamen. Und dann stand er da vor dem Spiegel, drehte sich verspielt ein wenig nach links und nach rechts und wollte von mir wissen, ob er das wohl tragen könne.
Und ich finde: ja! Absolut. Das kann er. Weil er diesen schrillen Fetischtraum glücklich trägt und mit Leben füllt. Es macht nicht unbedingt „einen schlanken Fuß“, aber darum geht es ja auch nicht. Er fühlt sich pudelwohl und wird damit irgendetwas Spannendes anfangen. Zuhause oder in einem Club, der dafür ausgerichtet ist. Und jetzt, in diesem Moment, standen wir eben beide lächelnd in einer Kabine, er legte freudestrahlend die behaarten Hände auf seinen runden Bauch, streckte sich ein wenig aufrechter und sagte völlig überzeugend:
„Stimmt! Das ist sehr schön und betont die Taille. Schließlich kann man doch zeigen, was man hat! Hach, ich liebe mein kleines Geheimnis!“
Ja. Und ich liebe, besonders in solchen Momenten, meinen Job und würde ihn gegen keinen anderen tauschen wollen, in denen wir uns so oft mit all den genormten Masken begegnen. Es hat doch jeder sein sehnsüchtiges, kleines Geheimnis. Auch wenn nicht jedes in Lackrot unter einer Lederkombi herausblitzt.