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1.4

Profirunde: Der Erklärbär

Oh wir lieben ihn. Kaum jemand bringt uns so viel Spaß wie der Erklärbar. Seine charakteristischen Kennzeichen: er ist Single, aber umgibt sich unheimlich gerne mit Frauen aus seinem Freundeskreis. Das kann eine Kommilitonin sein, eine Party-Bekanntschaft oder auch eine Affäre. Witzigerweise ist es fast egal, ob er mit der Dame nun in einer intimen Beziehung steht oder nicht. Sogar ihm selbst erscheint dies vermutlich nebensächlich, Hauptsache sie ist bereit dazu, ihm lange und aufmerksam zu folgen. Denn der Erklärbär liebt es, sich selbst reden zu hören. Lange, ausufernd, ohne Punkt und Komma, dafür mit weit ausholender Geste und großer Attitüde. Das Letzte, was er bei seinem Auftritt brauchen kann, ist jemand, der sich wirklich auskennt, deshalb haben wir Verkäufer bei ihm frei und dürften gut und gerne nach Hause gehen. Tun wir natürlich nicht, aber wir achten auf ausreichend Abstand zu seiner Lehrstunde und versuchen seine natürliche Autorität nicht zu untergraben.

Der Erklärbär lernt gerne an. Es steckt eben ein echter Führer in ihm. Ein Wissender, ein Praktiker, ein Mann für jede Gelegenheit. Das Tollste ist, dass er alle Produkte kennt. Rundum alle. Alle Produkte, alle Praktiken, alle Exzesse. Der Mann – und ich schwöre, es ist immer ein Mann – ist ein Phänomen, das sich glücklicherweise auch von selbst erklärt, denn: Der Erklärbär lustwandelt ausschweifend durch unsere Fachabteilungen mit den Worten: „Das hier habe ich alles auch zuhause.“

Faszinierend, nicht wahr? 500 qm Fetisch für die unterschiedlichsten Vorlieben und der Erklärbär hat alles zu Hause in seiner gemütlichen Zweizimmerwohnung. Ein wirklich beeindruckender Umstand. Und er wird nicht müde, seine Sicht zu all dem Vielen an seine Begleitung weiterzugeben. Ganz wichtig dabei ist, dieses Wissen mit vielen Auflagen, Warnhinweisen, Gos und No-Gos zu schmücken.

„Das ist eine Bullwhip. Tolles Gerät, habe ich zuhause. Muss man aber mit umgehen können. Das ist schon echt höheres Niveau. Die links taugt nichts, das sehe ich auf den ersten Blick. Die Flechtung ist ungleichmäßig, da kommt kein harmonischer Zug drauf. Mit der rechts kann man was anfangen, die liegt gut in der Hand. Also wenn du mal als ernstzunehmende Sub dort oben mitspielen möchtest, dann solltest du dich vor einer Bullwhip nicht drücken. Wenn jemand damit umgehen kann, dann ist das richtig, richtig gut. Da ist dann halt dein Vertrauen gefragt. Vertrauen ist sowieso alles. Da unterscheiden sich die Echten von den Möchtegern-Devoten. Habe ich dir ja schon mal gesagt, es gibt Regeln. Kopf gesenkt, immer leicht gespreizte Beine, kein Höschen. Das ist das Minimum, um einen echten Herrn zu überzeugen. Submission ist was, das hat man oder hat es nicht. Und wenn ich mir dich so anschaue, dann hast du durchaus Potential. Da drüben übrigens, im Medizinschrank, liegen die Spekulums. Auch was Schönes, das Cusco und das Pederson habe ich jeweils in der XL-Variante zuhause. Sonderausfertigung, bekommst du im normalen Handel gar nicht. Ach und ja, das Wartenbergrad solltest du dir unbedingt mitnehmen. Gibt es mit 1, 3 oder 5 Rädchen. Das Fünfer nur ganz vorsichtig einsetzen, das kann sehr gemein und echt verletzend sein …“

Ohne Punkt und Komma, der Erklärbär wird nicht müde. Dafür ertappen wir selbst die zu Beginn interessierteste Zuhörerin irgendwann beim unterdrückten Gähnen. Mal ganz ab davon, dass irgendwelche Old-School- und Verhaltensregeln gegenüber einer an BDSM interessierten Frau so was von überholt bis ungeheuerlich sind, der Plural eines Spekulums in ordentlichem Latein auf a endet, Cusco und Pederson unter medizinische Standardware fallen und es sich bei einem Wartenbergrad um ein banales Nervenrad für neurologische Untersuchungen handelt, mit dem man vielleicht einen Käfer filetieren, aber sicherlich keine Verletzungen verursachen kann. Auch ignoriert er, dass sich punktuelle Intensität mit Vergrößerung der Auflagefläche vermindert und nicht verstärkt und somit das olle Wartenberg in der 1er Variante spezifischere Reize auslöst als mit der 5er, auch wenn es in breiter Ausführung wie eine martialische Miniaturvariante eines Folterinstrumentes daherkommt.

Selbst wenn wir das alles für einen Moment vergessen wollen und einfach nur lauschen, was der Erklärbär an geballter Kompetenz zu bieten hat, schwankt dieses unfreiwillige Amüsement zwischen grotesk und Slapstick. Und dann kommt es durchaus mal vor, dass einer von uns Angestellten kopfschüttelnd auf dem Oberdeck verschwindet, um in herrlicher Stille eine Zigarette zu rauchen.

Wenn nicht – und das ist der Super-GAU – der Erklärbär beschließt, uns in ein Gespräch miteinzubeziehen. Auch das kommt vor. Weniger um sein Wissen bestärkt zu bekommen, als Lücken in unserem zu suchen. Absolut unvergesslich ist mir ein Kunde, der „endlich einmal einen professionellen Ansprechpartner zu Elektro-Stromgeräten“ suchte und keine Antwort gelten ließ, „da er diese unzureichenden Phrasen bereits auf allen internationalen Foren zum Thema erschöpfend gelesen hätte“. Es ginge ihm mehr um kompetenten Austausch unter Profis, bei dem die großartigen Möglichkeiten von Strom für Zwangsorgasmen bei der Frau in epischer Breite durchgegangen werden. Woraufhin selbst unser freundlicher Vorschlag, vielleicht direkt das Gespräch mit den Herstellern zu suchen, um seinen fundierten Background in die Produktentwicklung einzubringen, eher semi-positiv aufgenommen wurde. Die könnten alle nichts, das wäre alles Pillepalle, was dem Herrn Ingenieur endlich die Möglichkeit gab, raumfüllend über seine persönlichen intimen „Testreihen“ zu dozieren. Neben ihm eine weibliche Begleitung, der dieser Auftritt bereits mehr als peinlich war. Auch weil sie selbst darin vorkam, verständlicherweise aber wenig Interesse daran hatte, wie eine verkabelte Laborratte von Herman Monster vor uns bloßgestellt zu werden. Wie übrigens vor allen anderen Kunden auch, der Erklärbär liebt eben den ganz großen Auftritt.

Worauf wir übrigens nicht selten, von anderen unfreiwilligen Zaungästen auch angesprochen werden. Manchmal mit breiter Verwirrung im Gesicht, manchmal mit bemitleidendem Lächeln, hin und wieder mit Augenzwinkern und einem verschwörerischen, kleinen „Chapeau!“, wenn allzu offensichtlich war, dass sich da gerade jemand selbst ziemlich ins Aus geschossen hat. Wir Angestellten bleiben auf jeden Fall freundlich und entscheiden uns irgendwann für den Königsweg jeden garantierten Diskussionsendes: „Sie haben Recht, ich bedaure es sehr, aber weiter können wir Ihnen an dieser Stelle leider nicht helfen. Gerne ein anderes Mal wieder.“

Was liebe ich in diesen Situationen meinen Kollegen Ernie, der sich gerne erst einmal aus dem Gespräch entfernt, um es nicht unnötig mit zwei Personen zu befeuern. Und nach einiger Zeit zurückkommt, dem Erklärbär brüderlich eine Hand auf die Schulter legt und eines unserer kleinen Werbetütchen in die Hand drückt.

„Komm, min Jung! Manchmal ist es wie es ist und wir wissen auch nicht weiter. Aber ein paar Gummibärchen gehen immer!“

Einer unserer ganz großen, langjährigen Profis hier. Fachlich enorm gut, menschlich ein Ass. Er radebrecht einfach in fast allen Sprachen dieser Welt und bleibt gelassen wie ein Fels, obwohl er auch ganz anders könnte. Buddhistischen Gleichmut kann man hier eben ganz gut brauchen. Und ja: lernen auch.

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