Читать книгу Kann Mahler Monroe lieben? - C.-A. Rebaf - Страница 14
Schauspielern müsste man können!
ОглавлениеGerstenmayer fühlte sich sehr unwohl und sah sich ständig um. Aber es folgte ihm wohl niemand, als er aus Baums zerwühlter Wohnung hin-austrat, zumindest niemand, der ihm aufgefallen wäre. Dennoch fühlte er sich beobachtet. Blicke trafen und durch stachen ihn von hinten – so kam es ihm vor. Zu allem Übel wurde es auch noch schwarz am Himmel und ein Regenguss kündigte sich an. Gerstenmayer überlegte, was er jetzt unternehmen sollte. Einen öffentlichen Schutzraum aufsuchen und warten, bis der Regen aufhörte? Gerade kürzlich hatte ihm Christiane, seine Assistentin, von einem Doppelmord in dieser Gegend erzählt. Dann fiel ihm ein, dass der U-Bahn-Schacht gerade wieder freigelegt worden war und man sich dort unten gut zu Fuß fortbewegen konnte, wenn man einmal die Donau überquert hatte. Denn der Teil des Schachtes unter dem Fluss stand seit der Katastrophe bis zur Decke unter Wasser. Er schaute er zum Himmel, es wurde schwarz und noch schwärzer – er musste sich beeilen.
Bei diesen Überlegungen hatte er das brisante Papier ganz vergessen, das er in der Innentasche seiner Jacke trug.
„Warum haben diejenigen, die etwas beim Baum gesucht haben, dieses Papier nicht mitgenommen? Oder kannten sie den Inhalt schon? Haben sie noch etwas anderes gesucht?“ Gerstenmayer grummelte die Sätze vor sich hin. Das machte er gerne, weil er sich einbildete, mit solcher akustischen Unterstützung, konzentrierter denken zu können. Deshalb las er sich auch im Labor die schwierigen Vorschriften erst einmal laut und deutlich vor, manchmal ein, zwei, ja sogar drei Mal, bevor er sie wirklich verstanden hatte. Christiane lachte ihn dabei gerne aus, wenn sie ihn wieder einmal bei solchen ‚Selbstvorträgen‘ ertappte.
„Vielleicht haben sie den Inhalt auch nicht verstanden“, kam ihm eine wichtige Erleuchtung, die ihm lauter als zuvor aus dem Munde kam.
„Warum? Verstehst du’s denn?“, vernahm er plötzlich deutlich und überraschend nah eine Stimme neben sich. Woher war dieser Mann in seinem schwarzen Mantel, mit einem altmodischen Bowler auf dem Kopf und britischem Akzent in der Stimme, plötzlich aufgetaucht? Gerstenmayer erschrak zu Tode und blieb wie versteinert stehen.
„Mein Herr, wa-a-s meinen Sie denn? Ich verstehe Ihre Frage nicht. Oder können Sie etwa Gedanken lesen?“
„Das nicht gerade, aber ich habe gute Ohren, und du hast eben vor dich hin gequasselt, dass ‚die‘ den Inhalt nicht verstanden hätten. Also kombiniere ich messerscharf, dass du es geschnallt hast. Meine Auftraggeber und mich interessiert der Inhalt dieses Schreibens in deiner Jacke sehr, und du wirst es mir sicher genau erläutern können. Es soll auch nicht zu deinem Nachteil sein. Ansonsten ….“, jetzt wurde das vulgäre, aber bis dato noch freundliche Gesicht des Fremden steinhart. Dazu grinste er gemein und schielte auf einen verdeckten Gegenstand in seiner Hosentasche.
Gerstenmayer erschrak sichtlich. „Seit wann duzen wir uns?“ fragte er, um etwas Zeit zu gewinnen, und setzte dann hinzu: „Wie käme ich dazu, einem Wildfremden Laborgeheimnisse anzuvertrauen?“ Etwas Besseres war ihm in der Kürze der Zeit nicht eingefallen.
„Aha, in einem Labor arbeitest du also? Gibt es so was überhaupt noch? Und wenn ja, wo? Etwa hier in Wien? Du wirst ja immer interessanter! Da habe ich ja einen Volltreffer gelandet!“ Der Fremde war plötzlich wieder höflich und freundlich.
Gerstenmayer merkte, dass er wohl einen großen Fehler begangen hatte. War der Fremde neben ihm nicht kürzlich am Laboreingang gestanden und hatte nach dem Chef gefragt? Sollte dieser wirklich nicht gewusst haben, dass er vor dem Eingang eines unterirdischen Labors stand? Ja sicher! Schließlich gab es keinerlei Hinweisschilder an der Pforte.
War er dem rätselhaften Fremden auf den Leim gegangen? Jetzt konnte er es nicht mehr ändern! Plötzlich schoss ihm ein Gedanke in den Kopf, und er plante, der Schauspielerei seines Gegenübers mit einer gelungen eigenen Aufführung zu entgegnen.
Er ließ sich plötzlich fallen und gab mit gestenreichen Schmerzverzerrungen im Gesicht und Aufschreien vor, über eine über den Weg ragen-de Baustahlstange gefallen zu sein und sich dabei verletzt zu haben. Blitzschnell befeuchtete er seine Hand mit Speichel und schmierte sich den rotbraunen Rost des Eisens das Bein entlang. In der einbrechenden Dunkelheit sah es wirklich etwas wie Blut aus, und der Fremde reagierte zunächst verblüfft, zog aber sofort die Waffe aus der Tasche und bedrohte seinen Gefangenen, den so fühlte sich Gerstenmayer jetzt. Immerhin nahm ihm der Fremde seine Filmreife Szene ohne Verdacht ab. Dieser bog ihm den Arm auf den Rücken und hielt ihm mit der anderen Hand den Mund zu, um das klägliche Schreien zu unter-drücken. Sie waren inzwischen schon am Ufer der Donau, und die chinesischen Vasudevas waren durch den gut gespielten Schmerzensschrei auf die beiden aufmerksam geworden und rannten ihnen entgegen. Der Fremde war sich einen Moment lang unsicher, wie er sich jetzt verhalten sollte, schätzte aber seine Chancen, gegen so eine Übermacht anzukommen, trotz seiner Waffe als sehr schlecht ein, deshalb ließ er Gerstenmayer ruckartig los und türmte mit einem ärgerlichen Zischen zwischen seinen Lippen: „Freundchen, wir sehen uns wieder!“ Sein letzter Blick traf Gerstenmayers Gesicht. Der Fremde war wütend, die erleichterten, triumphierenden Züge seines entglittenen Opfers gerade noch erkennen zu können.
Kaum war der erste Chinese bei ihm, verschwand der unangenehme Fremde schon in einer nahen Ruine. „Das war knapp, aber gut gemacht“, lobte sich Gerstenmayer deutlich hörbar selbst.
Die Fährleute halfen ihm auf, erkannten aber in der Dämmerung nicht, aus welcher Gefahr sie ihren Kunden gerettet hatten, auf den sie jetzt werbend jetzt einstürmten. Dieser heuerte gleich beim Erstbesten an und gab ihm alles, was er bei sich hatte. Der Mann war sehr verwundert und dachte, er solle sich im Gegenzug sehr beeilen, weil der Regen gleich losbrechen würde. Sie eilten zum Boot, und der Ruderer legte sich gleich hoch motiviert in die Riemen.
Gerstenmayer versuchte, die Sprache des Ausländers anzunehmen, und fragte: „Tunnel, wo? Tunnel, U-Bahn?“
Der Chinese schaute ihn so an, als ob er nur Bahnhof und Abfahrt verstehen würde. Gerstenmayer versuchte es noch einmal etwas lauter: „Wo Tunnel?“
Diesmal erläuterte er den Suchbegriff mit einer pantomimischen Einlage, die die Erdoberfläche und wuselnde Finger darunter andeutete. Zum Abschluss ließ Gerstenmayer es noch mit den Fingern regnen, und sein besorgter Blick ging gen Himmel. Jetzt strahlte das Gesicht des Ruderers wie eine unter Strom gesetzte Glühbirne, und er deutete auf die Reste eines Stahlskelettes, dessen Verglasung zum größten Teil verschmolzen aussah. Gerstenmayer hoffte, das dies ein-mal ein Aufzug zur U-Bahn gewesen sein könnte. Am anderen Ufer rannte er zu dem skurrilen Ruinenkunstwerk, denn die ersten Tropfen fielen bereits vom Himmel. Zum Glück stand er vor den U-Bahn-Schienen. Er war doppelt gerettet! Aber wo war Prof. Baum? In welche kriminellen Machenschaften war dieser verwickelt? … und schon nahmen seine Gedanken die kurz verlassene Spur wieder auf.