Читать книгу Das Juwel der Talmeren (Band 1) - C. M. Spoerri - Страница 11
Kapitel 3 - Lucja
ОглавлениеEinige Wochen zuvor …
Ich pariere den Schlag des Dunkelelfen mit meinem Schwert. Mein ganzer Arm erzittert unter der Wucht des Aufpralls, während das Klirren des Stahls in meinen Ohren schellt. Schweiß rinnt mir über das Gesicht und ich blinzle, damit er nicht in die Augen tropft.
Mein Blick ist auf mein Gegenüber gerichtet, das kaum eine Armlänge vor mir auf dem Trainingsplatz des Magierzirkels von Merita steht und mich mit stoischer Miene ansieht. Aber nichts anderes bin ich vom ehemaligen Assassinen namens Schatten gewohnt, der mir in den vergangenen sieben Jahren hier im Zirkel mehr ans Herz gewachsen ist, als ich jemals zugeben würde.
Schon bei unserer ersten Begegnung war ich fasziniert von ihm. Von seiner unnahbaren Art, dem Schmerz, der ab und zu in seinen Augen aufblitzt, und der geheimnisvollen Melancholie, die ihn umgibt. Natürlich auch von seiner Kampfkunst und dem gestählten Körper. Wahrscheinlich ist das der Grund, wieso ich mich vor ein paar Jahren etwas verjüngte, um ebenfalls attraktiv zu bleiben. Eine Möglichkeit, die mächtigen Magiern wie mir erlaubt, rein äußerlich so jung auszusehen, wie wir uns fühlen.
In den vergangenen Jahrhunderten habe ich mich sehr oft verjüngt. Zu oft? Womöglich … aber als Tochter des ehemaligen Zirkelleiters von Arganta sehe ich es als meine Pflicht an, auch optisch ein passables Erscheinungsbild abzugeben. Daher wirke ich rein äußerlich wie eine junge Frau Mitte zwanzig, obwohl ich schon so viele Jahrhunderte lebe.
Ich weiß, dass ich mit der schlanken Figur und den für meine dunkelbraune Haut außergewöhnlich blauen Iriden attraktiv bin. Etwas, das auch der Elf, gegen den ich gerade einen erbitterten Trainingskampf ausfechte, bemerkt zu haben scheint. Selbst wenn er erst seit ein paar Jahren zu Gefühlen fähig ist, nachdem die Assassinengilde von Karinth diese beinahe in ihm ausgelöscht hätte, registriere ich eine Veränderung an ihm, sobald er mich ansieht. Wenn er mir so nahe ist wie jetzt gerade.
Ich starre in seine roten Augen, mit denen er mich ebenso intensiv mustert wie ich ihn. Wir kämpfen in der beginnenden Abenddämmerung, daher trägt er keinen Sichtschutz, um seine Dunkelelfenaugen vor dem Licht der Sonne abzuschirmen, das ihn ansonsten blendet. Sein Gesicht wäre anmutig, würde nicht eine wulstige Narbe, die von der Stirn über seine Nase bis zum Kinn führt, es verunstalten. Er hat sich bisher geweigert, sie durch einen Heiler komplett entfernen zu lassen, doch was andere abschrecken würde, macht ihn für mich nur noch interessanter.
»Seid Ihr etwa bereits müde?«, frage ich ihn höhnisch, als er mich kraftvoll von sich wegdrückt und wieder etwas Distanz zwischen uns schafft.
Die schwülwarme Luft, die hier im Süden Altras herrscht, wird gegen Abend zum Glück vom Meer her abgekühlt, ansonsten wäre ein Training auf dem Außengelände eine noch größere Tortur als ohnehin schon. Doch ich mag es, mich so lange zu verausgaben, bis ich jeden Muskel spüre und alle meine Glieder wie Pudding anmuten. Dann fühle ich mich lebendig.
Der salzige Geschmack der Gischt, die von den Wellen über die Insel getragen wird, auf welcher der Magierzirkel steht, legt sich auf meine Zunge, als ich mir über die Oberlippe lecke. Mit dem Unterarm fahre ich mir über die Augenpartie, um sie vom Schweiß zu befreien und klare Sicht zu bekommen.
»Ich sorge nur dafür, dass Ihr Euch nicht übernehmt«, knurrt der Dunkelelf und streicht sich eine Strähne seines weißen Haares hinter das spitze Ohr.
Obwohl er einwandfrei alle Sprachen Altras spricht, höre ich immer noch einen leichten Akzent heraus, der verrät, dass er in Karinth aufwuchs. Wann und wie er zur Assassinengilde kam, hat er mir bisher nicht erzählt und wird er wohl auch niemals tun. Er redet ohnehin kaum über seine Zeit als Auftragsmörder.
Aber das ist für mich in Ordnung – nicht jeder hat den Drang, seine Vergangenheit aufzuarbeiten, und den Dunkelelfen würde es wohl zerstören, finge er einmal damit an. Was er erlebt und getan hat, übersteigt das, was ein Mensch – oder Elf – normalerweise verkraftet.
Ich stelle mich wieder in die Startposition und halte mein Schwert so, dass ich sofort parieren könnte, wenn Schatten mich angreift. Dem lauernden Ausdruck auf seinem Gesicht nach zu schließen, sucht er nach einer Lücke in meiner Deckung. Die wird er allerdings nicht finden – ich bin nicht nur mit Magie, sondern auch mit dem Schwert eine ernst zu nehmende Trainingspartnerin.
Um ihn aus der Reserve zu locken, vollführe ich einen raschen Ausfallschritt, was seine beeindruckenden Reflexe zutage bringt. Innerhalb eines Lidschlags steht er wieder vor mir, doch darauf hatte ich abgezielt. Ich wirble herum, um ihn in die Flanke zu treffen, da spüre ich seinen Arm, der sich quer über meinen Hals schlingt, und werde im nächsten Moment mit dem Rücken gegen seine Brust gedrückt. Mein Hinterkopf prallt dabei an seine Schulter.
»Ihr braucht anscheinend eine Pause«, höre ich seine Stimme nahe an meinem Ohr. Sein Atem verpasst mir einen Schauer, den ich gerade nicht zulassen will.
»Lasst mich los!« Ich knirsche verärgert mit den Zähnen, presse die Lippen zusammen und versuche, mich aus seinem Griff zu winden.
Doch je mehr ich mich zur Wehr setze, desto stärker schnürt sein Arm mir die Luft ab. Keuchend ringe ich nach Atem.
»Glaubt Ihr etwa, Euer Feind lässt Euch los, nur weil Ihr darum bettelt?«, raunt Schatten.
Seine Lippen berühren kurz meine Ohrmuschel. Nicht um mich zu küssen, sondern um seine Macht zu demonstrieren.
Wie ich diesen Dunkelelfen hasse!
Na gut. Das stimmt nicht so ganz. Ein Teil von mir genießt die ungewöhnliche Nähe zu ihm viel zu sehr und verleitet mich dazu, die Gegenwehr auf ein Minimum zu beschränken. Gerade so, dass er mich noch festhalten muss – aber nicht ernsthaft genug, um tatsächlich von ihm loszukommen.
»Lasst Euer Schwert fallen«, fordert er mit rauer Stimme.
»Niemals!«, stoße ich hervor.
Die Muskeln seines Unterarms spannen sich noch stärker an und jetzt kriege ich wirklich keine Luft mehr. Dunkelheit beginnt mein Sichtfeld einzuschränken.
Dieser Scheißkerl wird mich tatsächlich so lange würgen, bis ich bewusstlos bin!, schießt es mir durch den Kopf und ich bekomme es doch noch mit der Angst zu tun.
Schatten ist wie ein domestizierter Tiger. Wenngleich ihm die Krallen gestutzt wurden, so bleibt er ein Raubtier, das man nicht unterschätzen darf.
Ein Training mit ihm gleicht einer Gratwanderung, wie mir gerade wieder bewusst wird. Der Dunkelelf wurde in der Assassinengilde zu einer Waffe geschmiedet und ich befinde mich in seiner Gewalt. Das ist definitiv nicht der richtige Moment, um über irgendwelche Machtverhältnisse zu diskutieren.
Verfluchter Mist …
Ehe ich michs versehe, lassen meine Finger das Schwert los und es fällt zu Boden, indes meine Augenlider sich wie von selbst schließen.
»So ist’s brav«, höre ich Schatten an meinem Ohr knurren und sein Griff lockert sich endlich ein wenig, sodass ich röchelnd Luft hole.
Während meine Lunge sich brennend dehnt, hält er mich weiterhin mit dem Rücken an sich gepresst, als wollte er seinen Sieg auskosten. Ich begehe nicht den Fehler, mich erneut aus seiner Umklammerung freizustrampeln, sondern bleibe stocksteif stehen, versuche, mein rasendes Herz zu beruhigen und den zurückgewonnenen Atem zu kontrollieren.
»Wenn Ihr dann fertig gekuschelt habt, würde Euch die Herrscherin gern sehen!«
Die Männerstimme, die zu meiner Rechten erklingt, lässt mich zusammenfahren. Schatten gibt mich augenblicklich frei, tritt zurück, als hätte er sich an mir verbrannt.
Gleichzeitig wenden wir uns dem Sprecher zu, der den Trainingsplatz betreten hat und uns mit einem vielsagenden Grinsen betrachtet.
Es ist der Gemahl der Herrscherin des Landes Altra. Ein schlanker Elf, der zu den Lichtelfen gehört. Im Gegensatz zu den Dunkelelfen besitzt er blondes langes Haar, das er vorne in zwei Zöpfe geflochten und nach hinten gebunden trägt, sodass ihm die Strähnen nicht ins Gesicht fallen, zudem eine helle Haut, die sich von jener meines Trainingspartners und meiner eigenen unterscheidet.
Rein äußerlich wirkt er kaum älter als zwanzig Jahre, doch ich weiß, dass dieser Anschein auch bei ihm täuscht. Elfen können Jahrtausende alt werden und altern viel langsamer als Menschen.
Mein Kampfgefährte verbeugt sich respektvoll vor dem Neuankömmling und ich tue es ihm hastig gleich.
»Komme ich ungelegen?«, fragt der blonde Elf und neigt den Kopf zur Seite, während er amüsiert vom Assassinen zu mir und wieder zurück schaut.
»Nein, wir wollten ohnehin gerade eine Pause machen«, erkläre ich mit einem raschen Blick zu Schatten, der zustimmend nickt.
»Soso.« Der Gemahl der Herrscherin lässt seine dunkelblauen Augen blitzen. »Na dann ist ja gut – folgt mir, ich bringe euch in den Thronsaal.« Er beschreibt eine Kopfbewegung in Richtung Hauptgebäude des Zirkels, in welchem wir seit einigen Jahren wohnen.
Eigentlich habe ich ursprünglich nur kurze Zeit hier im Süden bleiben wollen, um als Diplomatin zwischen Arganta und Merita zu verhandeln. Doch das Land und seine Bewohner gefielen mir immer mehr – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ich die Nähe zu einem gewissen Dunkelelfen nicht missen möchte.
Ich schiele verstohlen zu Schatten, der mit undurchsichtiger Miene neben mir hergeht.
Ob er dieses Prickeln, das vorhin zwischen uns war, ehe der Gemahl der Herrscherin auftauchte, ebenfalls gespürt hat? Ja, mir ist bewusst, dass er mich beinahe bewusstlos würgte, aber da war etwas … etwas, das stets zwischen ihm und mir besteht, sobald wir Zeit zusammen verbringen. Was oft ist, denn wenn er seinen Pflichten als Leibwächter der Herrscherin nicht nachkommt, trainieren wir häufig.
Meine Aufgabe hier in Merita ist es, der Herrscherin mit meinem Rat zur Seite zu stehen. Nebenbei habe ich auch noch begonnen, ihrem jüngeren Bruder unter die Arme zu greifen und mit ihm zusammen Rekruten auszubilden. Sen ist trotz seines Alters von dreiundzwanzig bereits Hauptmann der Sonnengarde, wie sich die Soldaten nennen, die der Herrscherin dienen. Wenngleich er noch einiges an Erfahrung sammeln muss und keine Magie beherrscht, schlägt er sich wacker und hat mit seinem Kampfgeschick nicht nur mich, sondern auch Schatten beeindruckt, mit dem er ebenfalls regelmäßig trainiert.
Als wir den Thronsaal betreten, fällt mein Blick direkt auf die Herrscherin, die auf einem vergoldeten Thron sitzt. Den ursprünglichen Herrschersitz, der vor dem Machtwechsel vom Tyrannen Lesath hierhin gestellt wurde, hat sie verbrennen lassen und eigentlich nie wieder auf einem solchen Stuhl sitzen wollen. Doch ich konnte sie davon überzeugen, dass gewisse Machtsymbole nun mal notwendig sind, um seine Herrschaft zu untermalen. Also ließ sie sich einen prunkvollen Thron anfertigen, den sie allerdings nur benutzt, wenn es zu wirklich wichtigen Gelegenheiten kommt. So wie jetzt anscheinend.
Ich mustere die dunkelhaarige Frau aufmerksam. Ihre Schönheit ist in den vergangenen Jahren noch strahlender geworden. Sie ist zwar erst Mitte zwanzig, dennoch bergen ihre dunklen Augen eine Weisheit, die mich jedes Mal fasziniert. Kein Wunder, ist ihr der Elf, der uns geholt hat und der nun an ihre Seite tritt, mit Haut und Haar verfallen. Sie schenkt ihm ein warmes Lächeln, das er mit einem Augenzwinkern ebenso zärtlich erwidert. Für sie hat er sogar seine geliebten Wälder verlassen und ein Leben am Meer, fernab von seiner Heimat, gewählt.
»Ich danke Euch, dass Ihr so rasch zu mir gekommen seid«, spricht sie und lässt ihren Blick zwischen Schatten und mir schweifen.
»Können wir etwas für Euch tun?«, frage ich, nachdem ich mich höflich verneigt habe.
Die Herrscherin setzt zum Sprechen an, da unterbricht sie eine helle Kinderstimme.
»Tante Lucja!«
Sofort wende ich mich der Seitentür zu, die in den Thronsaal führt und durch welche nun ein Mädchen schlüpft, dicht gefolgt von einem breitschultrigen Elfen mit dunkler Mähne, der vergeblich versucht, den Wirbelwind zu fassen zu kriegen.
»Bleibst du wohl stehen?!«, knurrt er und ich schmunzle unwillkürlich, denn die Kleine macht es ihrem Begleiter alles andere als einfach – und das, obwohl der Lichtelf einer der legendärsten Männer dieser Welt darstellt.
»Maryo, deine Fähigkeiten als Kindermädchen lassen sichtlich nach«, ruft ihm der Gemahl der Herrscherin entgegen, ehe er einen Ausfallschritt vollführt und das siebenjährige Mädchen mit einer geschmeidigen Bewegung festhält.
»Lass mich los, Papa, ich will zu Tante Lucja!«, ruft sie und strampelt in den Armen des blonden Elfen, der jedoch nur lachend den Kopf schüttelt.
»Tante Lucja ist gerade in einer wichtigen Besprechung, Layla«, erklärt er und die Art, wie er sie ansieht, zeugt von der Liebe, die er für das Mädchen empfindet.
Obwohl sie nicht von seinem eigenen Blut ist, habe ich nie einen liebevolleren Vater kennengelernt. Er vergöttert Layla mindestens genauso wie ihre Mutter. Auch mir ist das Mädchen in den vergangenen Jahren ans Herz gewachsen. Sie ist wild, neugierig, intelligent und ihre beinahe pechschwarzen Augen leuchten immer von einem inneren Schalk, den sie mit ihrem Ziehvater definitiv gemeinsam hat.
»Lass sie doch kurz zu ihr«, sagt nun die Herrscherin, die ihre Tochter ebenfalls liebevoll ansieht.
Ihr Gemahl lässt sie los und Layla läuft mit einem freudigen Aufschrei in meine Richtung.
Nie hätte ich gedacht, dass ich irgendwann ein Kind so sehr ins Herz schließen könnte, denn ich selbst habe nie den Wunsch verspürt, eine Familie zu gründen. Doch jetzt, da ich in die Hocke gehe, um Layla mit weit ausgebreiteten Armen und einem mindestens so breiten Lächeln wie ihrem in Empfang zu nehmen, stelle ich fest, wie mich Wärme durchflutet.
»Tante Lucja!«, ruft sie erneut und schlingt ihre dünnen Arme um meinen Nacken, ehe sie mir einen klebrigen Kuss auf die Wange drückt. Anscheinend hat sie mit dem Elfen Maryo zusammen wieder die Küche unsicher gemacht.
Ich bin eigentlich nicht ihre Tante, sie nennt einfach nur alle Personen, die ihr etwas bedeuten, Onkel oder Tante – gut, bis auf Maryo Vadorís, der tatsächlich ihr Patenonkel ist.
Dieser bezieht neben der Herrscherin Stellung und sieht mit zusammengezogenen Brauen zu Layla und mir. Er ist äußerst breitschultrig für einen Elfen und sein langes dunkles Haar trägt er vorne in einige feine Zöpfe geflochten. Das Faszinierendste an ihm sind aber wohl seine Augen, die in einem warmen Gold leuchten – und die Geschichten, die sich um ihn ranken, denn der Elfenkapitän ist eine lebende Legende. Umso amüsanter mutet es an, dass er in Gegenwart des kleinen Mädchens, das gerade seinen Kopf in meine Halsbeuge drückt, weich wie Butter werden kann.
Normalerweise ist Maryo Vadorís auf hoher See unterwegs, um Kontakte zu knüpfen, Handel zu treiben und seine Legende um weitere Abenteuer zu ergänzen. Alle paar Monate besucht er Merita und damit sein Patenkind, das sich nun von meinem Hals löst und mich mit strahlenden Augen ansieht.
»Onkel Maryo hat mir gezeigt, wie man einen Seemannsknoten macht. Willst du es sehen?« Ihr Lächeln ist so glücklich, dass mein Herz sich weitet.
»Später«, sage ich ebenfalls lächelnd. »Ich muss erst noch etwas mit deiner Mama besprechen.«
»In Ordnung!«, ruft Layla und ihr Blick gleitet kurz zum Assassinen an meiner Seite.
Vor ihm hat sie immer etwas Respekt, was wohl daran liegt, dass Schatten selten bis nie ein freundliches Gesicht aufsetzt. Auch jetzt erwidert er Laylas Musterung mit undurchsichtiger Miene – trotzdem weiß ich, dass er sein Leben geben würde, um sie zu beschützen. Ebenso wie jeder andere hier im Raum.
»Layla, komm her«, ruft die Herrscherin und ihre Tochter rennt zu ihr. Ihre Mutter fährt ihr mit einer liebevollen Geste über das Haar, dessen dunkelbraune Farbe sie mit ihr gemeinsam hat, und ihre Gesichtszüge werden so weich, dass sie förmlich von einem inneren Licht zu erstrahlen scheint. »Hör zu, Liebes, wir müssen mit Lucja und Schatten noch etwas besprechen, ja?« Sie wendet sich dem Elfenkapitän zu, der mit verschränkten Armen neben ihr steht. »Maryo, könntest du sie bitte auf ihr Zimmer begleiten? Ihre Lehrerin hat sie bereits gesucht, der Unterricht beginnt bald. Es ist der letzte für heute, dann soll sie sich fürs Abendessen bereit machen.«
Die Augen des dunkelhaarigen Elfen funkeln. »Selbstverständlich.« Er streckt die Hand nach dem Mädchen aus und es ergreift seine Finger umgehend, während es seinen Patenonkel anhimmelt. »Komm, wir lassen die Erwachsenen ihre Erwachsenengespräche führen«, sagt Maryo schmunzelnd. »Was lernst du denn gerade im Unterricht?«
Fröhlich plappernd erzählt Layla ihm von ihren Biologiestunden, indes er sie aus dem Thronsaal führt.
Ich schaue ihnen lächelnd hinterher. Die beiden sind ein wirklich amüsantes Gespann und ich werde später nach Layla sehen, damit sie mir ihren Seemannsknoten vorführen kann.
Meine Aufmerksamkeit wird auf zwei Männer gerichtet, die in ebenjenem Moment durch die Flügeltüren in den Thronsaal treten, als Maryo und Layla ihn verlassen.
Der Elfenkapitän nickt ihnen im Vorbeigehen zu, was diese respektvoll erwidern. Ich registriere, wie der schlankere der beiden Männer Layla zuzwinkert, woraufhin sie ein Kichern ausstößt. Kurz darauf sind sie und ihr Patenonkel weg.
»Seid willkommen, Léthaniel und Steinwind«, höre ich die Herrscherin die Neuankömmlinge begrüßen, die nun näher treten.
Distanziert schließe ich mich ihr an. Ich mag diesen Léthaniel nicht – er glaubt, nur weil er ein hübsches Gesicht hat, würden ihm alle Frauen zu Füßen liegen. Seine arrogante Art und das selbstverliebte Auftreten tun ihr Übriges, sodass ich seine Nähe normalerweise meide. Ihm auf den Fersen folgt sein Greif Meteor – ein zugegebenermaßen beeindruckendes Geschöpf, das die Größe eines kleinen Ponys besitzt und mit seinem schwarzen Löwenfell und den intelligenten Adleraugen meinen Argwohn schürt. Gepaart mit dem Hünen Steinwind, der Léthaniel wie ein Schatten überallhin folgt und dessen Verstand seinen Muskeln weit hinterherhinkt, ist das Trio definitiv nicht das, was ich gern um mich habe.
Da ist mir der schweigsame Assassine um Längen lieber, der sich gerade ebenfalls stirnrunzelnd nach den Neuankömmlingen umdreht.
»Gut, dann haben wir ja nun alle beisammen«, ertönt die Stimme des blonden Elfen und lenkt damit meine Aufmerksamkeit wieder zum Thron.
»Wie meint Ihr das?«, fragt Léthaniel, der zu Schatten und mir aufgeschlossen hat. Er verneigt sich anmutig vor der Herrscherin.
»Wir haben eine Mission für Euch«, präzisiert diese nun mit einem leichten Lächeln. »Eine, die sowohl Muskelkraft als auch Verstand, Geschick und Diplomatie benötigt.«
Léthaniel streckt seine Schultern durch und legt den Kopf schief, ehe er einen Seitenblick zu Schatten und mir wirft. »Das erklärt, warum ich hier bin, aber nicht, wieso die beiden da auch hinzugerufen wurden.«
Der Dunkelelf neben mir stößt ein warnendes Knurren aus, das Léthaniel bloß mit einem frechen Grinsen pariert.
»Ihr werdet nach Fayl reisen«, fährt die Herrscherin fort, ohne auf Léthaniels sarkastischen Spruch einzugehen.
»Nach Fayl?« Meine Augen weiten sich. Seit Jahren war ich nicht mehr so nahe an meiner Heimat Arganta.
Die Herrscherin nickt. »Ich möchte den Zirkelleiter ein für alle Mal von unserer Sache überzeugen. Und dabei zähle ich auf Euer Verhandlungsgeschick, Lucja. Ihr kennt Venero und könnt ihn womöglich dazu bewegen, dem Friedensbündnis beizutreten.«
Ich hole fahrig Luft. »Natürlich. Ich …«
»Mir ist bewusst, dass Ihr womöglich danach Eure Heimat besuchen möchtet«, sagt die dunkelhaarige Frau mit einem warmen Lächeln. »Hiermit entbinde ich Euch von Euren Aufgaben, die Ihr in Merita hattet. Geht nach Hause – oder kehrt hierher zurück. Ich überlasse diese Entscheidung Euch, obschon ich Euren Rat vermissen werde.«
Mein Herz zieht sich zusammen und ich weiß gar nicht, warum genau. Ein Teil von mir kann es kaum erwarten, meinen Vater wiederzusehen, der immer noch im Zirkel von Arganta nach dem Rechten sieht, auch wenn er inzwischen kein Zirkelleiter, sondern nur noch einer der fünf Zirkelräte ist. Der andere Teil … wird Merita vermissen. Nein, nicht nur Merita …
Mein Blick gleitet zum Assassinen, der mit gleichmütiger Miene neben mir steht und mich nicht ansieht. Dennoch vermeine ich, seine Kiefermuskeln zucken zu sehen.
Ob er mich ebenfalls vermissen würde? Ich kann es weder in seinem Gesicht noch in seiner Haltung lesen.
»Ihr habt Zeit, Euch Eure Entscheidung zu überlegen«, sagt die Herrscherin und lenkt damit meine Aufmerksamkeit erneut auf sich. »Und Ihr, Léthaniel« – sie wendet sich dem Greifenreiter zu – »Ihr werdet danach nach Chakas reisen und meinen Cousin Cilian von den Ergebnissen Eurer Mission berichten. Auch Euch sei gestattet, danach in Eurer Heimat zu bleiben oder hierher zurückzukehren. Mir ist bekannt, dass Cilian stets Verwendung für hervorragende Greifenreiter wie Euch hat und sich freuen wird, Euch wieder in seinem Orden willkommen zu heißen, solltet Ihr das denn wollen.«
Léthaniels Körper durchfährt ein Zittern, das ich bloß erkenne, weil er dicht neben mir steht. Ich weiß, dass er ursprünglich aus Chakas stammt, und habe Gerüchte gehört, dass er durch seinen Aufenthalt hier in Merita vor einer Liebe floh, die er in seiner Heimat zurücklassen musste. Nun ja, ein Mann wie er wird wohl an allen Orten, an denen er war, ein gebrochenes Herz hinterlassen, daher habe ich bisher nie viel auf dieses Gerede gegeben.
Jetzt aber, da er von der Herrscherin direkt auf Chakas angesprochen wird, scheint mir, dass da doch etwas dran ist. Womöglich werde ich auf unserer Reise mehr darüber erfahren – oder auch nicht. Ist mir im Grunde gleichgültig. Ich habe genug eigene Probleme, unter anderem muss ich die Entscheidung treffen, wohin mich meine Zukunft bringen soll. Zurück nach Arganta oder wieder nach Merita. Die Wahl wird mir definitiv nicht leichtfallen.