Читать книгу GUARDIANS - Der Verlust - Caledonia Fan - Страница 11
Оглавление~~~ KAPITEL 3 ~~~
12. Juni 2024, Mittwoch, 11:00 Uhr
Blackpool Airport
Tamira und Tiana winkten, bis ihnen die Arme wehtaten.
Die Bewohner von Darach Manor standen am Rollfeldrand, aufgereiht wie Dienstpersonal bei der Ankunft der Herrschaft. Da waren die Schulleiterin Penelope und hinter ihr Tanyel, der Steward. Daneben Imara mit Jala und Satu. Um sie herum hatten sich Sadik mit seinem Bruder Gaz und ihr Doc Issam aufgebaut.
Das Wetter war traumhaft und der Himmel postkartenblau. Für Tiana gab es im Moment nichts, was ihre Stimmung trüben konnte. Aufatmend lehnte sie sich zurück und schloss den Sicherheitsgurt. Die Zurückbleibenden verschwanden einer nach dem anderen aus dem Sichtfeld, als die Gulfstream G650 sich langsam drehte und in Richtung der Startbahn rollte.
Kurz sah Tiana auf ihre heißgeliebte Armbanduhr. Die Reise versprach angenehm zu werden im komfortablen Firmenjet von GenMed, dem Pharmakonzern, der die Guardians finanzierte und auf dessen Leitung sich Nakoa vorbereitete. Wenn alles gutging, würden sie in zwölf Stunden auf dem Flughafen in Flores im Norden Guatemalas landen.
Sie setzte die Kopfhörer auf, wählte eines ihrer Lieblingskonzerte aus der Playlist, streifte die flachen Schuhe ab und zog die Füße auf den weichen, cremefarbenen Ledersitz. Tamira, die ihr gegenübersaß, hatte sich etwas zu lesen mitgenommen.
La'ith, auf der anderen Seite der Kabine, schaute aus dem Fenster. Tiana musterte sein finsteres Gesicht. Ob es daran liegt, dass er sein Kampfmesser zu Hause lassen musste?, grübelte Tiana. Es war von Anfang an klar gewesen, dass die Einreise mit einer Waffe in Guatemala nicht möglich sein würde. Und La'iths Messer ging keinesfalls als Souvenir oder Spielzeug durch, dafür war es zu gefährlich.
Aus dem Augenwinkel musterte sie ihn. Vielleicht machte er sich über ganz andere Dinge Gedanken? In seinen Kopf konnte man nicht hineinschauen und sein Gesicht gab selten eine Regung preis.
Während sie der Musik lauschte, ließ sie die Ereignisse der letzten Woche noch einmal Revue passieren.
Ihr Bruder hatte von drei weiteren Fällen berichtet. Wieder lebten zwei von ihnen in Mittel- beziehungsweise Südamerika. Der Dritte kam aus Norwegen. Die Personen waren bereits vor Romaru verschwunden. Trajan vermutete, dass es noch mehr von ihnen gab.
Sadik hatte einen Guardian ins Boot geholt, der inzwischen nur noch im Innendienst arbeitete. Senad war Softwareentwickler und Programmierer bei GenMed und bei den Guardians für alles zuständig, was mehr als normale Computerkenntnisse erforderte. Ihm standen fast unbegrenzte Möglichkeiten zur Verfügung, wenn er nach Informationen im Netz suchte. Und er hatte herausgefunden, dass sich sowohl die Frau aus Liverpool als auch die Männer aus Norwegen und Saudi-Arabien zum Zeitpunkt ihres Verschwindens auf dem amerikanischen Kontinent aufgehalten hatten. Ebenso Tian-Ti, die zu Besuch bei einer Tante in Denver gewesen war.
Die Heimat der Entführten spielte demnach keine Rolle. Die Orte, an denen sie sich befunden hatten, waren der Schlüssel. Jede von den ermittelten Personen hatte sich zum Zeitpunkt ihres Verschwindens entweder in Nord-, Mittel- oder Südamerika aufgehalten.
Inzwischen zweifelte niemand mehr daran, dass hinter diesen Aktionen ein Verbrecher steckte. Es musste einen Punkt - egal, ob Zeit oder Ort - geben, an dem sich die Leben dieser Personen und das ihres Entführers berührt hatten.
Wo ist er ihnen begegnet, überlegte Tiana. Wie ist es ihm gelungen, Details über sie und ihre Reisepläne in Erfahrung zu bringen? Wo war die Verbindung? Und woher wusste der Kerl überhaupt, dass diese Menschen eine besondere Fähigkeit besaßen?
Mit einem Ruck setzte sie sich auf.
Tamira sah von ihrem Buch hoch und auch La'ith wandte ihr den Blick zu.
"Wie hat der Stealer all diese Leute gefunden?", stieß Tiana hervor. "Wie hat er von ihnen erfahren und wie konnte er an sie herankommen?"
Einen Moment herrschte Stille. Dann klappte Tamira ihr Buch zu.
"Nach welchen Kriterien hat er seine Auswahl getroffen? Und wie konnte er das alles in so kurzen Zeiträumen schaffen?", führte sie die Liste der Fragen fort und schwang die Beine auf den Boden.
"Er könnte ein Teleporter sein", meinte La'ith nach einer Weile des Schweigens. "Das würde die kurzen Zeitabstände ermöglichen."
"Das wäre denkbar", stimmte Tamira zu, "und es würde erklären, wieso er so schnell ist, dass niemand die Entführungen bemerkt hat. Schließlich geschah das bei einigen am hellen Tag mitten in der Öffentlichkeit."
"Und ich vermute, er hat entweder legal Zugriff auf die internationale Begabten-Datenbank oder er hat sich reingehackt." La'ith wandte den Blick wieder aus dem Fenster und machte damit deutlich, dass er nicht vorhatte, sich weiter an der Unterhaltung zu beteiligen.
"Du hast Recht, das würde erklären, wie er sie gefunden hat. Dann musste er ja nur noch auf einen günstigen Zeitpunkt für die Entführung warten."
Tiana zog die Füße wieder auf den Sitz hoch und lehnte sich zurück. Sie erinnerte sich an den langen Genehmigungsvorgang für ihren Antrag, Zugriff auf die Datenbank zu erhalten. Für die Suche nach zukünftigen Internatszöglingen war dieser Pool eine wichtige und ergiebige Quelle. Ihre Genehmigung galt immer nur ein Jahr und war auf den Personenkreis der unter Achtzehnjährigen beschränkt, da ältere Jugendliche an der Schule nicht aufgenommen wurden.
Die Erfassung in der Begabten-Datenbank war freiwillig. Obwohl eine besondere Fähigkeit heutzutage nicht mehr als Makel galt, zögerten viele Eltern, ihren Sohn oder ihre Tochter eintragen zu lassen. Demzufolge gab es nur wenig Kinder darin, schon gar keine unter zehn Jahren. Tian-Ti mit fünfzehn und der zwölfjährige Romaru waren die Jüngsten der Entführten, alle anderen hatten das Erwachsenenalter erreicht.
"Clarice wurde erst eingetragen, nachdem ich ihre Eltern darauf aufmerksam machte, dass es so etwas gibt. Aber die anderen beiden Kandidaten für unsere Schule habe ich in der Datenbank entdeckt", ließ Tiana ihre Gedanken laut werden. "Lasst uns mal prüfen, ob auch die anderen von uns Aufgespürten dort zu finden sind."
Sie holte ihr Datenpad hervor und gab nach dem Einschalten ihren Zugangscode ein. Tamira nannte ihr die Namen und bei jedem schüttelte Tiana den Kopf, nachdem sie ihn eingetippt hatte. "Sie sind nicht drin." Enttäuschung klang in ihrer Stimme mit. Es war eine Erfolg verheißende Spur gewesen.
"Oder nicht mehr drin", ließ sich La'ith erneut vernehmen.
Überrascht schaute Tiana zu ihm hinüber. "Du hast Recht. Sie haben keine Fähigkeit mehr. Möglicherweise wurden sie bereits gelöscht. Das wäre schlecht. Aber vielleicht kann Senad herausfinden, ob kürzlich Leute aus der Datenbank gelöscht wurden?"
Obwohl sie nicht viel Hoffnung hatte, schrieb sie dem ehemaligen Guardian eine Nachricht und bat ihn, danach zu suchen. Gespannt warteten sie auf das seine Antwort.
Als sie eintraf, las Tiana vor. Es waren exakt die Namen, die Tamira ihr vorhin angesagt hatte, inklusive der drei künftigen Internatszöglinge. Sechzehn Leute, die aus der Datenbank entfernt worden waren, weil sie ihre Fähigkeit nicht mehr besaßen.
Das sagte alles. Der Stealer musste Zugriff darauf haben, entweder legal mittels eines Accounts oder durch einen gewieften Hacker.
12. Juni 2024, Mittwoch, 10:00 Uhr
Flores, Guatemala
Als sie am nächsten Tag kurz vor Mittag auf dem Mundo Maya International Airport in Flores aus dem Flieger stiegen, schlug ihnen die feuchte, tropische Luft wie eine Wand entgegen. Miami war heiß gewesen, aber Guatemala im Juni war noch heißer und dazu extrem schwül. Man meinte förmlich, etwas Flüssiges einzuatmen.
Und es goss in Strömen. Die Regenzeit hatte begonnen und Flores lag weit im Norden. Hier regnete es an mindestens vierzehn Tagen im Monat. Dazu stiegen die Temperaturen tagsüber auf über dreißig Grad Celsius. Als sie sich die ersten Schweißperlen von der Stirn wischte, zweifelte Tiana, ob die Reise um diese Jahreszeit eine gute Idee gewesen war.
Das bestellte Taxi wartete am Rollfeld. Nachdem sie sich von den beiden Piloten und der netten Stewardess verabschiedet hatten, stiegen sie - bereits bis auf die Haut durchnässt - ins Innere des Wagens. Einzig La'ith, der das Gepäck verstaute, ließ sich Zeit, um unbeeindruckt von dem strömenden Regen wie gewohnt seinen Blick umherschweifen zu lassen. Es war alles ruhig. Niemanden hier interessierte ihre Ankunft.
Als das klimatisierte Taxi vom Rollfeld fuhr, lehnten sich die Frauen aufatmend in die Polster im Fond zurück. La'ith saß vorn beim Fahrer. Bei einer Autovermietung in der Innenstadt hatten sie einen Leihwagen bestellt. Von dort aus lag dann noch eine halbstündige Fahrt zum Hotel im Nachbarstädtchen San Andrés vor ihnen. Ihr eigentliches Reiseziel im tropischen Regenwald des nördlichen Landesteils würden sie erst morgen sehen.
Alle drei hatten die vergangene Woche genutzt und sich kundig gemacht über Land und Leute.
Ihr Zielort Carmelita, das Zuhause von Romaru, war eine Siedlung, die für die Arbeiter in den nahegelegenen Holzabbaugebieten errichtet worden war. Das Dorf hatte sich nach der Jahrtausendwende durch seine vorteilhafte Position nahe den Maya-Ruinen positiv entwickelt, denn die geführten Touristentouren zu den Ruinenstätten El Tintal und El Mirador starteten dort. Früher ohne Strom und nur auf kaum passierbaren Straßen erreichbar, hatte es durch den Tourismus einen Boom erlebt, der ihm sogar eine Schule, Restaurants, Einkaufsmöglichkeiten und eine kleine Arztpraxis bescherte.
Doch das war ein paar Jahre her. Die Maya-Ruinen, die der Dschungel inzwischen fast wieder verschluckt hatte, lockten niemanden mehr. Die Unruhe im Land brachte den Tourismus zum Erliegen und das Dorf fiel in die Bedeutungslosigkeit zurück. So kam es, dass die Straße von Flores, die damals mit Schotter befestigt worden war, wieder zu einem ausgefahrenen Pfad wurde, der sich bei Regen in eine gefährliche Schlammpiste verwandelte.
In Carmelita endete nicht nur die Straße, sondern auch die zivilisierte Welt. Weiter kam man nur mit einem Maulesel oder zu Fuß. Ein Hotel gab es nicht im Dorf. Sie mussten also morgen auch wieder zurückfahren nach San Andrés. Ob Internet und Handynetz verfügbar waren, hatte Tamira im Vorfeld nicht in Erfahrung bringen können. Vorsichtshalber war ein altes Satellitentelefon im Gepäck. La'ith hatte sich von Senad vor dem Abflug noch die Handhabung erklären lassen.
Dreißig Minuten später steuerte er einen bulligen Toyota Offroader aus der Innenstadt, um den weit ins Land reichenden Ausläufer des Petén-Itzá-Sees zu umfahren. Und nach einer weiteren halben Stunde erreichten sie den Parkplatz des kleinen, familiären Hotels in San Andrés, das Tamira im Internet gefunden hatte.
Der Flug gestern war lang und die Nacht in Miami nicht erholsam gewesen. Jedes Kleidungsstück klebte auf der schwitzenden Haut. Sie waren erschöpft, alle drei. Ein durch die Zeitumstellung um sechs Stunden längerer Tag forderte seinen Tribut.
Morgen würden sie in den Norden, tief ins Landesinnere fahren. Die Zivilisation, so, wie sie sie kannten und schätzten, ließen sie hier zurück.