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3. Kapitel

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3. Kapitel

Die Rede, mit der Franz Joseph I. noch im selben Jubeljahr den Reichsrat eröffnete, wovon Papp natürlich wieder berichtete, war freilich, dem feierlichen Anlass gemäß, geradezu vor unechter Zuversicht übergeflossen:

"Nach wechselvollen Schicksalen und schweren Kämpfen steht Österreich, im Inneren sich verjüngend, nach Außen Achtung gebietend da, auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens sind die Schranken, welche der freien Bewegung hemmend entgegenstanden, beseitigt und die Wege betreten, welche zur Lösung der großen Aufgabe führen: Zur Einigung der Völker Österreichs zu einem mächtigen, von den Ideen des Rechtes und der Freiheit getragenen Staate."

Offiziell stand es um die Monarchie somit bestens.

In Wahrheit jedoch hatte schon der Verlust der Lombardei nach dem Krieg von 1859, den der Kaiser zeitweilig selbst als glückloser Oberbefehlshaber geleitet hatte, nicht nur eine Lockerung des Neoabsolutismus ratsam erscheinen lassen, sondern, gleichsam im Nebeneffekt, eine schleichende Lähmung der Wirtschaft bewirkt. Produktion und Absatzmärkte stagnierten, Staatspapiere und Aktien schwankten wie die sprichwörtlich gewordenen Rohre im Wind - der überaus peinlichen, absoluten Geldknappheit wegen war sogar die staatliche Südbahn in Privathand übertragen worden.

Nach dem bösen Ausgang des "Bruderkampfes" gegen Preußen deutlich vor Augen, das, mit Italien und Frankreich verbündet, Österreich bei Königgrätz eine schwere Niederlage zugefügt hatte, waren - realpolitisch gesehen - außerdem sämtliche Hoffnungen auf eine deutsche Politik unter einer Führung Habsburgs unweigerlich dahingeschmolzen, die ohnehin in periphere Sphären gerückte Vorstellung eines Kaisers und Reichs damit unweigerlich ausgeträumt, Venetien damit ebenso verlorengegeben wie die äußerst vagen Pläne einer etwaigen europäischen Neuordnung unter Österreich-Ungarn.

Rückblickend gesehen verdankten die Hohenzollern jedoch einzig der persönlichen Dominanz und Durchsetzungskraft Fürst Bismarcks die Gründung eines Kaiserreichs, das, wie Arpad Papp, der, überaus rasch steile Karriere machend, zum politischen Kommentator aufgerückt war, es trefflich formulierte, die traditionellen preußischen Gesellschaftsstrukturen trotz aller inneren Widerstände in die neue Zeit weiterzuführen wusste.

Schon der sich im Juli 1870 nach einer kurzen internationalen Krise entzündende Deutsch-Französische Krieg, mehr noch: - der schockartig erfolgte, militärische Zusammenbruch Frankreichs, hatte die überkommenen Spielregeln des europäischen Mächtesystems als hohle und brüchige Konventionen entlarvt. Die Entscheidung, die schwelende Rivalität über eine Vorherrschaft in Mitteleuropa durch einen Krieg auszutragen, dem der schicksalhafte Aufstieg Preußens zur kontinentalen Großmacht gefolgt war, ließe freilich, wie Papp - den nunmehr der in Budapest erscheinende, berühmte >Pester Lloyd< für teures Geld als Sonderkorrespondenten engagiert hatte -, es schwungvoll anzudeuten verstand, seither auch weitere militärische Lösungen durchaus im Lichte "praktikabler Möglichkeiten" erscheinen.

Nicht zuletzt vom Sog dieser dramatischen Wende, die Europa erfasst hatte, aufgescheucht, suchte die in einer Phase der Niedergeschlagenheit und suggestiven Friedensbereitschaft dahindämmernde österreichisch-ungarische Außenpolitik ein ihrer Großmachtstellung gemäßes, neues Betätigungsfeld, nachdem ihr - aus Italien hinausgedrängt -, vom Fall des Zweiten Französischen Kaiserreichs sowie der folgenschweren deutschen Reichsgründung faktisch jede weitere Aussicht auf eine künftige Wiederherstellung einer Hegemonie im Norden genommen war, wogegen das Debakel des maroden Staatswesens (bereits 1867) den so genannten >Ausgleich< zwischen Österreich und Ungarn herbeigeführt hatte.

Als zwingende Neuordnung angesehen, ohne der der Staat anhand seines permanenten Nationalitätenkonfliktes zu zerfallen drohte, sollte der Ausgleich die schwindende innere Stabilität gewährleisten. Gleichzeitig als politischer Gipfelpunkt des einsetzenden Liberalisierungsprozesses verstanden, für den sich die, wie Papp stets zu erinnern wusste, stark Magyaren-freundliche Kaiserin Elisabeth persönlich eingesetzt hatte, bedeutete der Ausgleich jedoch nicht nur die Auflösung einer unhaltbar gewordenen zentralistischen Reichseinheit, sondern entsprach de facto auch einer Aufteilung der Monarchie in die zwei Hauptstädte Wien und Budapest, zwei getrennten Parlamenten sowie einem Komplex von teils gemeinsam, teils getrennt geführten Ministerien und untergeordneten Behörden.

Während in der alten Kaiserstadt dem gehässigen Wortspiel "Österreich ist in den Ausgleich gegangen" noch Flügel wuchsen, waren die den Magyaren zugestandenen Sonderrechte, hauptsächlich in den böhmischen Ländern, wo man sich nicht zuletzt verständlicherweise als übergangen ansah, scharf kritisiert worden. Das leidige Nationalitätenproblem hatte sich aber noch mehr zugespitzt, seitdem die vollzogene >Versöhnung< mit Ungarn durch die feierliche Krönung des Kaiserpaars in Budapest ihren zeremoniellen Abschluss gefunden hatte, während eine ebensolche versprochene Krönung zu Königen von Böhmen weiterhin ausblieb.

"Die Krönung sagt uns", hatte seinerzeit hingegen hoch befriedigt das Hauptblatt der Deák-Partei kommentiert, "dass sich für Ungarn die Pforten einer neuen Zeit eröffnet haben, ohne dass es seine Vergangenheit aufzugeben brauchte..."

Seine Karriere inzwischen weiter vorantreibend, hatte Papp begonnen, die schwelende politischen Krise, die einen chronischen Charakter angenommen hatte, unentwegt als das >wohl fundamentalste Drama der Doppelmonarchie< zu thematisieren, ohne freilich irgendwelche reale Lösungsmöglichkeiten zu finden. Ein nahezu unbeschränktes Betätigungsfeld vorfindend, spießte er seine Feder in jene offene Eiterbeule, wann immer es galt, pünktlich seine ausgefeilten Berichte abzuliefern und im Gegenzug dafür großzügige Honorare sowie fette Spesenabrechnungen einzustreifen.

Sozusagen einen Gemischtwarenhandel auf Gegenseitigkeit betreibend, schrieb Papp, innerlich unberührt, ziemlich genau das, was für gutes Geld zu erwarten war.

Rasch zu einem Dandy der Überzeile, der fettgedruckten Einleitung, der halbversteckten Anspielung sowie eines Wortwitzes aus zweiter Hand gereift, der die seltene Fähigkeit besaß, das Glück anzuziehen und es vermehren zu können, verwandelte der dick aufgetragene patriotische Anstrich sich wie von allein in klingende Münze.

Erfindungsreich in der Anfertigung seiner geschliffenen Fertigfabrikate, Vorspanne, Abspanne sowie all jener standardisierten Stellen, die, im Bewusstsein der Wiederholbarkeit, bestimmten Stanzmustern glichen, um sogar noch die gedankenlosesten Abonnenten sofort einen "echten >Ari Papp< beziehungsweise >Arp< erkennen zu lassen, setzte er, jeder Zoll ein in seinem Stilempfinden bestärkter Aufsteiger, dem aus harten Anfängen der Durchbruch geglückt war, seine produktive Schreibpraxis ausdauernd und konsequent fort. Nagender existentieller Sorgen längstens enthoben und zumeist erst um drei, vier Uhr morgens vom Theater, aus den Kaffeehäusern oder sonstigen Lustbarkeiten heimkehrend, blieb Papp, immerfort auf dem Sprung, auch im schönen Budapest, dem Sitz seiner Redaktion, eine Person mit wenig festen Momenten.

Zeit als Maß aller Dinge besagte Papp gar nichts; ihrer Kontinuität kam per se so wenig Bedeutung zu, wie dem altbekannten Vogel aus der geschnitzten Kuckucksuhr. Doch von diskursiver Natur, beißt die Zeit irgendwann jeden Menschen ins Bein - niemand vermag ihr auf Dauer den Rücken zukehren, niemand wissen, wie ihre Konstellation auf uns einwirkt, niemand ahnen, was sich vielleicht schon hinter der nächsten Ecke verbirgt.

Springt einem dort vielleicht der Teufel ins Gesicht, ein neuer Referenzrahmen, oder gar eine göttliche Eingebung?

Sich eines späten Morgens noch behaglich im Bett räkelnd, entstand in Papps Kopf solcherart, buchstäblich aus dem Nichts heraus, fast kristallklar der Satz: "Aus der Inflation des Geschriebenen muss das Geschriebene sich erst hervordrängen können." –

Noch vom Echo der inneren Stimme, oder was auch sonst in ihm oszillierte, begleitet und seinen Einfall sorgsam notierend, folgte die schlagartig einsetzende Erkenntnis, als Aufsteiger, der er unzweifelhaft war, sein Bekenntnis zu einer bestimmten Gesellschaftsordnung bisher, im Gegensatz zu seinen übersichtlichen Lebensverhältnissen, eigentlich nur ungenügend definiert zu haben. Von kurzen Ausrutschern abgesehen, die mehr oder weniger seiner Vorliebe für triviale Inhalte entsprachen, verfügte seine eifrige Produktion weder über ein kennzeichnendes, durchgängiges Feuer noch über die Geschraubtheit wahrhafter Anliegen - seinem unbekümmerten Talent zufolge, das souverän mit der Sprache hantierte, sowie seiner kühlen Auffassungsgabe, fehlte, so wurde ihm unvermittelt schreckhaft bewusst, sozusagen die schärfende Würze, während seine wahre Meisterschaft doch vielmehr darin bestand, auch wo er de facto über nichts schrieb, sich darüber erheben zu können.

Papps Selbstbeschränkung hatte bisher auf handliche Definitionen verzichtet - in wichtigen populistischen, aus parteipolitischem Kalkül kritisierenden Leserkreisen, ignorierte man seine Artikelreihen daher vollkommen. Drehte er aber nur ein wenig am Kaleidoskop, so änderte das Tableau sich entsprechend – und jeder einzelne, am blutbefleckten Altar staatstragender Vaterlandsliebe abgelegter, zum Wiederkäuen geeigneter, hingeworfene Satz wuchs daraufhin zur Sprosse einer Leiter, die letztlich bis zur Gloriole höchster journalistischer Politur emporführen musste. Einmal aus nüchterner Perspektive betrachtet, prosperierte der seitens Papps Laufbahn durchwegs vernachlässigte, autoritäre Patriotismus, mindestens genauso krisenfest, wie vergleichsweise nur noch die Heilige Religion. Hier – und nur hier - eröffnete sich seinem präzisen Blick ein neues, erfolgssicheres, aus der Singularität des Unerklärbaren gelöstes Betätigungsfeld – auch ein Ari Papp durfte daher nicht länger im Abseits stehen.

Kaum, dass der Gedanke gefasst war, begehrte seine Edelfeder schon nach neuen Triumphen, als giere sie danach, die angestammten, großkotzigen Platzhalter und Vorbeter auf jenem Gebiet als geistige Hinterbänkler zu übertrumpfen und all diesen Schreiberlingen voraus in den Zenit des Buchstabenhimmels abzuheben.

Papps jäher Erkenntnisgewinn, sich in nationalistisch strukturierten Bereichen überdeutlich situieren zu wollen, war gewiss nicht hoch genug anzusetzen – immer noch im Bett befindlich, entledigte er sich darauf in einem einzigen Atemzug sämtlichen anstehenden sozial-politischen Fragen, wie etwa der Abschaffung des Zinssatzes, der Börsen, einer Verstaatlichung des Bankwesens, oder der Landreform zwecks Enteignung der Großgrundbesitzer - alles Probleme, die sein jugendliches Gemüt manches Mal noch gefährlich entzündet hatten.

Beinahe vergnügungsvoll Anlauf nehmend, unterfing Papp sich damit einer genaugenommen wahrhaftig welt-historischen Mission - nämlich der künftigen Erlösung der Menschheit durch Österreich-Ungarn.

Er wusste genau: Oft genug wiederholt, verwandelt die Presse auch die allergrößte Lüge und Dummheit zur unumstößlichen Wahrheit. Seiner blitzartigen Eingebung folgend, ergriff er noch im selben Moment Papier, Tinte und Feder. Religion und Patriotismus pragmatisch vereinend, warf er, von einem fieberhaften Schreibrausch gepackt, furchtlos Senecas Zitat: >Der Gottheit zu gehorchen ist Freiheit<, woran nie und nimmer Falsches sein konnte, als Titel hin. Papps spitze Feder, die alles voraus wusste, eilte bereits in atemloser Schnelligkeit weiter: "Geist, der zur Macht strebt, muss sich vom Staube erheben..."

Kaum zwei Stunden später lag sein Elaborat vollendet vor Papp. Nachdem es die Setzerei passiert hatte und die riesigen schwarzen Walterpressen in der von zischenden Gasflammen erhellten Druckerei mit stampfendem Getöse ihre Tätigkeit aufnahmen, mechanische Laufbänder mächtige Rollen endlosen Zeitungspapiers verschlangen und unter dem dröhnenden Schlittenwerk der Auftragswalzen schwarz bedruckt wieder ausspuckten, begann seine Karriere eine folgenschwere Wendung zu nehmen, ohne dass er noch davon ahnte.

Sein Augenmerk in der Folge auf die revidierte Verfassung heftend, die hauptsächlich dem magyarischen Adel die Herrschaft im Reichstag überließ, wobei finanzschwere Grundherren auch in den nichtmagyarischen Komitaten nachdrücklich dafür sorgten, dass dort nur "patriotische" (also national gesinnte Abgeordnete gewählt wurden), hob Papp hervor, dass eine der schwierigsten Aufgaben, die der ungarischen Regierung gestellt worden waren, in der Regelung mit den Kroaten bestanden habe. Als die so genannten Ausgleichsgesetze nämlich bestimmten, dass Kroatien und Slawonien der ungarischen Reichshälfte zufallen, Dalmatien jedoch der österreichischen verbleiben sollten, hatten die Magyaren es schlauerweise vermocht, sich den Gegensatz zwischen Kroaten und Serben politisch nutzbar zu machen und Kroatien, das stark mit den panslawistischen Ideen sympathisierte, durch ihr Entgegenkommen von den übrigen Slawen abzutrennen.

Deák, ein gewiefter ungarischer Volksführer und Diplomat, hatte den Kroaten seinerzeit das nachmals berühmte >Weiße Blatt< hingehalten - sie selbst sollten ihre Bedingungen formulieren. Die seither völlig veränderten Verhältnisse innerhalb der Doppelmonarchie legitimierten aber, wie Ari Papp nunmehr in seinen Berichten verdächtig oft anklingen ließ, naturgemäß gleichzeitig, dass deren vitale auswärtige Interessen sich zwangsläufig neuorientierten. Nicht ganz von ungefähr hatten verschiedene Hof- und Regierungskreise seit geraumer Zeit, obgleich noch klammheimlich, damit begonnen, ihr Hauptaugenmerk vermehrt den ständigen Krisenregionen des Balkans zuzuwenden.

Die allgemeine Spannung, die den sogenannten >Europäischen Orient< erfüllte, zeigte sich besonders deutlich in den ewigen Unruheherden Bosnien-Herzegowinas, wo blutige Zwischenfälle sowie häufig aufflackernde Aufstände einander in beiden Provinzen unentwegt abwechselten.

Einen halbvertraulichen Bericht des österreichischen Generalkonsuls zitierend, der sich besorgt darüber geäußert hatte, dass Montenegro die in der Herzegowina vorhandene Missstimmung dahingehend ausnutzen könne, das Land zu okkupieren, bezeichnete Papp, seine scharfsinnige Wortgeißel schwingend, diese Entwicklung als "Symptom eines Zustands, der sich mit Palliativmaßnahmen nicht bekämpfen lassen würde"; - demgegenüber verfolge die eigene Außenpolitik auf dem Balkan bisher lediglich eine Schaukeldiplomatie des Abwartens und starren Beharrens, um in der bloßen Aufrechterhaltung des Status quo ihr Auslangen zu finden und, wie er betonte, staatspolitische Entscheidungsprozesse möglichst hintanhalten zu können. Andererseits beobachteten - was der rasch mit diskreten Informationen versorgte Schreiberling seinen Lesern natürlich verschwieg -, höchste österreichisch-ungarische Militärkreise die problematischen Vorfälle in Bosnien und der Herzegowina aus einem Blickwinkel, der die Erfüllung ihrer heimlichen Begehrlichkeit bereits in die Bereiche des Möglichen rückte – nämlich in eine Annexion dieser Provinzen durch den Kaiserstaat.

Die traditionelle Präsenz der Monarchie auf dem Balkan reiche, so erinnerte Papps schwungvolle Feder, immerhin bereits von der vormaligen Eroberung Belgrads und den Siegen bei Peterwardein und Zenta historisch legitimiert, bis in die glorreichen Zeiten der Türkenkriege des 17. und 18. Jahrhunderts zurück, in denen man den Muselmanen reihenweise die Köpfe von den Schultern gehauen habe.

Die Tatsache verschweigend, dass diesbezügliche fiktive Militärversionen sich – trotz aller steten Vorbehalte - eine rasche Vereinnahmung der diesbezüglichen Gebiete unter dem Vorwand äußerer Friedensbewahrung an der österreichisch-ungarischen Staatsgrenze versprachen, der im Prinzip nur noch die notwendige Initialzündung fehlte, stellte Papp fest, dass man vom Logenplatz Wien aus den Balkan stets aus einer gewissen Perspektive des Exotischen betrachtet habe, während man entlang der sogenannten Militärgrenze zur Krajina den dramatischen Gegebenheiten bedeutend realistischer gegenüberstünde.

Ständige räuberische Überfälle aus >Türkisch-Kroatien<, die im Westen bis in die Untersteiermark und im Osten bis Siebenbürgen auf österreichisches Staatsgebiet vordrangen, hätten, wie Papp plötzlich nicht müde zu beteuern wurde, der dort ansässigen Grenzbevölkerung schon seit Jahrzehnten ihr hartes Dasein noch mehr erschwert. Selbst die häufigen Strafexpeditionen des zur Abwehr dieses Banditenunwesens gebildeten >Instituts der Militärgrenzer<, die, mitunter sogar auf türkischem Territorium ausgetragen, häufig in regelrechte Gefechte mit schwerbewaffneten Gesetzlosen ausarteten und sogar die Indianerkriege in den Schatten stellten, hätten die gewalttätigen Übergriffe der organisierten Räuber und Mordbrenner nie gänzlich einzudämmen vermocht. Mittels seiner, in die üblichen Gussformen verpackten Machtworte und Beschwörungen komplexe Sachverhalte unsäglich simplifizierend, um aber eine bewusste Grundskepsis anzudeuten, forderte Papp in regelmäßigen Kommentaren eine mehr oder minder ungleich aktivere Politik ein und denunzierte die Gegenwart, der er die Schuld an allen vorhandenen Unzulänglichkeiten zuschob, vor akuter politischer Blindheit warnend, als zusehends dekadent. Wenn das Laute in seinen Aufsätzen zu laut ausfiel, das Nationale zu national, die Metapher zu bildhaft wurde, entwickelte Papp vor seinen Leserkreisen wechselweise phantasievolle Zukunftsperspektiven. Von seinem neuen Ehrgeiz veranlasst, in seine wortverliebte, auch noch im Schweren stets leichte Sprache, in direkte Konkurrenz zu den übrigen Bannerträgern des florierenden Chauvinismus-Gewerbes zu stellen, wirkten seine Aussprüche mitunter so hochtrabend und absolut, als stünde der gesamte Erdkreis schon halb und halb unter der Fuchtel Österreich-Ungarns.

Seinem sprunghaften, um breites Einverständnis heischenden Instinktjournalist, haftete neben der unbedingten Entschlossenheit stets etwas Hochmütiges und Unduldsames an, das auch noch in den alltäglichsten Wendungen mitschwang, sobald >Ari< beispielsweise wieder einmal unterstrich, dass die an Liebenswürdigem und Absonderlichem aller Art zwar reichlich gesegnete Monarchie bloß auf die Erfahrungen früherer Zeiten zurückgreifen solle, die einwandfrei erwiesen hätten, dass einzig ein imperialistisch zupackendes Staatswesen in der Lage sei, schon verfahren scheinende außenpolitische Verhältnisse wieder entsprechend zurechtzurücken.

"Vom Feind mit bluttriefender Gegnerschaft umringt, vom eigenen Hinterland weitgehend isoliert, bleibt die alte österreichische Militärgrenze auf sich alleine gestellt. Hier, in diesem Gebiet, wird niemals Friede sein. Zwischen Tag und Nacht wächst hier bloß wilder Hass und neue Mordbereitschaft", kommentierte Papp, der bereits vorhatte, seine Feder, wie manch andere Kollegen, falls nötig, anstatt in Tinte in Blut zu tauchen.

Im Wissen, dass einerseits jede echte Unterstützung seitens der Türkischen Behörden, gegen das Bandenunwesen vorzugehen, vollkommen aussichtslos war, andererseits aber Wien ängstlich bemüht bliebe, mögliche politische Verwicklungen auf dem Balkan um jeden Preis zu vermeiden, verwies Papp seine Leserschaft darauf, dass die Angelegenheit im Allgemeinen zwar wenig gedieh, aber erhabene Geisteskräfte den erwarteten Umschwung mit Leichtigkeit herbeiführen könnten.

Die radikale Gesetzlosigkeit so genannter >Pseudotürken<, die ihre Mord- und Plünderungszüge zu patriotischen Handlungen erklärten, wären, wie er drastisch wiederholte, im bedrohten Dasein der Militärgrenze längst zur alltäglichen Wirklichkeit geworden. Bewohner des bosnischen Dorfes Podvizd, forschte er nach, hätten schon 1844/45 österreichische Grenzer auf grausame Weise ermordet, worauf Baron Jellacic, zu harten Repressalien entschlossen, den ganzen Ort nach einem ungemein erbitterten, verlustreichen Kampf, worin etwa 100 Österreicher und 200 Bosnier ums Leben gekommen seien, mit Fug und Recht zerstören hatte lassen.

Absichtsvoll darauf Bedacht nehmend, dass die stets gegenwärtige, unabsehbare Reihe von kriegsähnlichen Scharmützeln, Morden und Gräueltaten an der österreichischen Grenze in hiesigen Militärkreisen längst die weitverbreitete Absicht, Bosnien zumindest teilweise zu besetzen, geweckt hatte, wogegen man selbst in Wien die fernen Ereignisse am Balkan nicht bis zum Nimmerleinstag bagatellisieren können würde, zog Papp als blendender, kleiner Komet, seine elliptischen Bahnen.

Einen dementsprechenden ins Auge springenden Aufmacher mit knüppeldicken Schlagzeilen formulierend, führte er ins Treffen, dass bereits der überaus berühmte Heerführer Josef Wenzel Graf von Radetzky (ein in Wahrheit hochverschuldeter Held österreichischer Kriegsgeschichte, der sogar seinen Leichnam einem reichen Militärlieferanten verpfändet hatte), in einer längst vergessenen Denkschrift darauf hingewiesen habe, dass eine Besitznahme Bosnien-Herzegowinas für die Monarchie schon insofern äußerst wünschenswert wäre, weil Dalmatien dringend eines natürlichen Hinterlandes bedürfe.

Kaum, dass Papps Aufsehen erregender Kommentar erschienen war, den lesehungrige Abonnenten ohne eigene Maßstäbe wie ein Stärkungsmittel zur Brust nahmen und verschlangen, sprach der ordenklirrende Militärbefehlshaber Kroatiens, Feldzeugmeister Mollinary, schon dem Kaiser gegenüber anlässlich einer nachmittäglichen Kaffeejause blumenreich aus, dass in Bosnien wohl erst wieder Ruhe und Ordnung einkehrten, sobald der Doppeladler seine Schwingen über das Land ausbreiten würde.

"Was meinen Seine gnädige Majestät dazu?"

"No ja - was soll ich schon sagen - dieser Menschenschlag da unten ist ja nicht einmal imstande, das Hemd ordentlich in der Hose zu tragen." Noch unentschlossen, wie es seine Art war, zupfte der glücklose Monarch sich am Bart, rief nach mehr Milch, biss in sein weiches Kipfel und träumte sich, durchaus kein Kostverächter, in vorgeneigter Haltung ungeduldig ein busenwogendes Fräuleinwunder herbei, dessen noch unbekannte Trägerin, Demoiselle Kathi Schratt, später einen glitzernden Funken in seinen Augen entzünden sollte.

Adler von Österreich

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