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Einleitung

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Unter der Redekunst verstehen wir die Fähigkeit, unsere Gesinnungsweise oder unsere Ansicht über einen bestimmten Gegenstand durch geeignete Worte auch in Anderen zu erwecken, gleichsam den Strom unserer Gedanken und Empfindungen in sie hinüberzuleiten. Es ergibt sich daraus, dass sie, neben der Feder, das wirksamste Mittel ist, durch das wir unseren Ideen Ausdruck und Verbreitung geben, mit unserer Persönlichkeit auf die Welt einwirken können. Namentlich ist sie in politisch lebendigen Gemeinwesen allezeit von großer praktischer Bedeutung, aber auch hier in ihren Hilfsmitteln und Hindernissen lange nicht so bekannt, als es sein sollte.

Es ist zwar von Seiten in der politischen Geschäftsführung bewanderter Personen mitunter die Parole ausgegeben worden: »Taten, keine Reden!« Genau besehen ist das aber doch nur ein Schlagwort, indem politische Taten selten, am wenigsten bei der heutigen Regierungsweise, ohne vorherige Reden zu geschehen pflegen. Ja noch mehr, es liegt darin ein Widerspruch, denn dieses Wort musste zuerst ausgesprochen werden, damit diese Tat daraus folgen könne; es ist selbst nichts anderes als eine kleine, auf Wirkung wohlberechnete Rede. Demgemäß ist auch nicht wahr, was Faust behauptet1; im Anfang ist niemals die Tat, sondern der individuellen und Völkerentwicklung entspricht es, dass zuerst das halbbewusste Gefühl, sodann der Gedanke besteht, hieraus das erklärende und befreiende Wort folgen muss und aus diesem erst die kräftige Tat entspringt.

Geheimnisse nennen wir die hier folgenden, vorwiegend auf eigener Erfahrung beruhenden Erörterungen deshalb, weil es doch sehr viele tüchtige Menschen gibt, denen das richtige Verständnis für den mündlichen öffentlichen Vortrag entweder wirklich abgeht oder die wenigstens glauben, sie seien nicht imstande, in einer größeren Versammlung Gedanken zu äußern, die ihnen ganz klar sind, wobei sie dann unter dem Drucke dieses vermeintlichen Mangels empfindlich leiden. Offene Geheimnisse aber sind es, weil es lauter einfache Regeln sind, die der gesunde Menschenverstand, ja bei vielen Menschen schon das unbewusste natürliche Taktgefühl mit sich bringt und von denen auch alsbald jedermann überzeugt wird, sobald sie nur einmal von jemand ausgesprochen werden.2

Wir glauben demnach, dass der gute öffentliche Vortrag eine Kunst ist, die gelernt werden kann, nicht bloß eine angeborene Naturgabe, und dass, wenn auch die Naturanlage wie bei jeder Geschicklichkeit erleichternd oder erschwerend mitwirkt, es doch jedem nicht geradezu unbegabten Menschen möglich ist, wenn nicht ein besonders guter, so doch ein sehr brauchbarer Redner zu werden, wenn er nur die dazu absolut erforderlichen Voraussetzungen sich einmal klar macht und einige leicht zu vermeidende Unarten ablegen will.

Offene Geheimnisse der Redekunst

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