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Unarten

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Mit der Forderung einer »edlen Natürlichkeit« – so wollen wir uns also ausdrücken – hängen zusammen einige Dinge, die als üble Gewohnheiten zu bezeichnen sein werden, obwohl sie im Grunde lauter Verstöße gegen eine natürliche Redeweise und Betrachtungsweise der Dinge sind, die durch Überlegung beseitigt werden können. Zunächst die Gewohnheit, in zwei bestimmten, regelmäßig abwechselnden Tönen, einem höheren und einem tieferen, zu reden, oder die Sätze nach der Notwendigkeit des Atemholens einzuteilen, wodurch der eine, kurze Satz sehr langsam, der andere, zufällig etwas längere, sehr rasch gesprochen werden muss.

Ebenso ungehörig – weil unnatürlich – ist ein allzu lautes Beten auf der Kanzel, so, wie man sich in keinem Falle unterstehen würde, einen irdischen Monarchen anzuschreien, oder umgekehrt ein trocken geschäftsmäßiger Amtston, eine Art von Verlesen der Gebete, so, wie eben auch eine ernsthaft gemeinte Bitte nicht vorgetragen zu werden pflegt.16

Völlig schweigen wollen wir von den Gewohnheiten einzelner Prediger, von Zeit zu Zeit den Vortrag zu ihrer körperlichen Erholung abzubrechen oder, was noch öfter vorkommt, ein Gebet oder einige Verslein mitten in die Rede hinein zu streuen, die offenbar nur den Wert einer Erholungspause haben.17

Auch über die naturgemäßen Stellungen und Bewegungen des Körpers und der Hände beim Vortrag ließe sich manches sagen, und bekanntlich legten die Alten darauf einen großen Wert, so dass dies Gegenstand sorgfältiger Trainierung war.18

Die kurze Essenz von allen Regeln, die es darüber gibt und geben kann, ist aber auch hier einfach die Forderung anständiger Natürlichkeit; das künstliche Einlernen von Haltung und Stellung wird selten gelingen.

Eine undeutliche Aussprache hingegen lässt sich verbessern und muss korrigiert werden. Am besten geschieht dies durch öfteres lautes Lesen guter Schriften.19 In dieser Hinsicht bloß, was die Deutlichkeit der Aussprache betrifft, kann das Theater als Schule für den Redner gelten. Sonst aber fehlt den meisten Schauspielern gerade die ruhige Natürlichkeit, die sich mit dem Bewusstsein, eine Rolle zu spielen, und mit der vorwiegend auf Beifall gerichteten Aktion nicht verträgt.

Offene Geheimnisse der Redekunst

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