Читать книгу Schlaflose Nächte - Carl Hilty - Страница 5

II.

Оглавление

Daraus ergibt sich (wenigstens für mich), dass die Schlaflosigkeit nicht immer ein Unglück ist, ebenso wenig wie die Krankheit, die sie gewöhnlich verursacht.

Dies vorausgeschickt, darf man sich aber dennoch mit der Frage beschäftigen, wie sie abzuhalten sei. Denn, wie ein deutscher Dichter sagt: »Die Nacht ist himmlisch und ein göttlich Wunder, die schönste aber ist, die man verschläft.« Als Regel und für gewöhnliche Zeiten bleibt das richtig.

Um Schlaflosigkeit zu vermeiden, ist es zunächst wichtig, die Nachtruhe nicht mit aufregenden und unruhigen Gedanken zu beginnen, sondern mit möglichst stillen und guten sowie mit Frieden im Herzen. Das ist das beste aller Schlafmittel. Wie das nun zu erzielen sei, ob mit einer leichten Arbeit, einer freundlichen Unterhaltung oder einer guten Lektüre (die aber etwas mehr als Zeitungslektüre ist) das wird sehr auf die Individualität ankommen. Sicher ist nur, dass eine sehr ernsthafte Arbeit, die viel Nachdenken erfordert, oder überhaupt Arbeit bis tief in die Nacht hinein nicht unmittelbar vor dem Schlafengehen vorgenommen werden sollte. Gleiches gilt für jede sorgenvolle Beschäftigung, ganz besonders etwa Rechnerei und dergleichen. Dem Schlafe ebenso wenig förderlich ist die gewöhnliche Geselligkeit, die mit viel Essen und Trinken oder vielem und dabei ziemlich leerem Gerede verbunden ist, sowie das Theater, das auch leicht eine Überreizung des Gehirns herbeiführt.

Die künstlichen Schlafmittel sind alle, ohne Ausnahme mehr oder weniger schädlich und nur im Notfall und nach ärztlicher Konsultation zu gebrauchen. Ich rechne zu diesen Mitteln auch die alkoholischen Getränke. Dagegen kann nicht bloß ein zu voller, sondern auch ein zu leerer Magen die nächste Ursache der Schlaflosigkeit sein. Wenn man gar keinen Schlaf finden kann, ist es überhaupt viel besser, Licht zu machen, sogar ein wenig aufzustehen, möglicherweise etwas zu essen, was leicht verdaulich ist, und sich erst nach einer gewissen Beruhigung wieder hinzulegen.

Das Beste ist aber sehr häufig eine gute Handlung, ein bestimmter guter Vorsatz, ein Bekenntnis, eine Umkehr, eine Aussöhnung mit Menschen, ein klarer, guter Entschluss zu künftiger Lebensführung. Das beruhigt die Nerven oft am meisten. Auf jeden Fall ist dies zweckmäßiger als Gedanken von Zorn, Hass, Eifersucht oder Sorgen, die in der Regel gar nichts nützen, am wenigsten in der Dunkelheit der Nacht. »Die Nacht ist keines Menschen Freund«1 heißt es mit Recht. Nachts erscheint alles Schwere und Dunkle noch schwerer als im Licht des folgenden Tages, der doch immer mit neuer Kraft beginnt.

Natürlich gilt alles Vorstehende zunächst nur für diejenige Schlaflosigkeit, deren Ursache nicht eine bestimmte Krankheit ist. Aber es wird sich in der Zukunft sicherlich als wahr erweisen, dass man selbst die Heilung von Krankheiten durch eine gehobene, kräftige Stimmung des Geistes sehr erleichtern kann und darauf größere Rücksicht nehmen sollte als bisher. Diese geistige Nachhilfe ist unentbehrlich; in den Kranken selbst muss eine Kraft der Gesundung der äußeren medizinischen Hilfe entgegenkommen.

Diese Kraft lässt sich, wo sie nicht vorhanden ist, durch keine Ratschläge oder Aufforderungen »sich zusammenzunehmen« herbeiführen und, wie die tägliche Erfahrung zeigt, auch durch keine Philosophie oder geistige Kultur. Letzteres versagt gerade bei Gebildeten oft gänzlich, sobald sie völlige Kraftlosigkeit in sich empfinden. Diese innere Kraft lässt sich nur herbeiführen durch den freien Zugang und starken Anhalt an eine Kraft außer uns, die unerschöpflich vorhanden und jeden Augenblick zu haben ist. Sie »gibt Stärke genug den Unvermögenden« und kann dem menschlichen Geist diejenige Elastizität und sogar Freudigkeit verleihen, die selbst körperliche Gebrechen erleichtert, wenn nicht gar überwindet.

Um so mehr ist dies der Fall, als diese Gebrechen oft genug die direkte Folge von Schäden sind, die dem geistigen und moralischen Gebiet angehören. Besonders auf dem vielseitigen und trotz allen Fortschritts der Wissenschaft noch sehr dunklen Gebiet der Nervenleiden und des beginnenden Irrsinns ist die Aufgabe der Heilung nicht bei der körperlichen Wirkung, sondern stets bei der geistigen Ursache anzufassen. Dies ist auch die Erklärung vieler sogenannter »wunderbaren« Heilungen, die noch in der heutigen Zeit vorkommen und nicht einfach in das Gebiet der Täuschung oder Selbsttäuschung zu verweisen sind. Eine große Hilfe auf dem richtigen Lebensweg ist es überhaupt, wenn der Geist im Menschen so mächtig geworden ist, dass er den Körper völlig beherrscht, dergestalt, dass man das sittlich Unrichtige als körperliches Unwohlsein, widerliches Gefühl, Schwäche der Nerven empfindet, das Gute und Wahre aber als Kraft, Frische, Klarheit des Kopfes, ruhigen Schlag des Herzens. Dann ist der Körper der richtige Diener und Träger des Geistes geworden, der ihm in seiner Tätigkeit hilft, statt ihn zu hindern. Für manche Schwächen sollte daher der Mensch Gott danken und ihre Heilung auf dem rechten Wege suchen, statt die Warnung und Aufforderung, die in ihnen liegt, in grobem Missverstand ihrer höheren Absicht durch äußerliche Mittel beseitigen zu wollen.

Dieser Gedanke liegt den sogenannten »Gebetsheilanstalten« zu Grunde, wird aber oft unrichtig ausgeführt, und überhaupt braucht es hierfür gar keine besonderen Orte. Jedes Haus ist dafür geeignet, in dem Gott wohnen kann. Stets in Gott wie in einer Festung leben, aus der man nie mehr herausgeht; immer am Tage, solange man überhaupt wachenden Auges ist, etwas Gutes tun und Richtiges arbeiten; fest und immer fester in allen Lebenslagen auf Gott vertrauen — das ist der alleinige unfehlbare Weg zur menschlichen Vollkommenheit und gleichzeitig auch zur Gesundheit. Wer ihn von Jugend an direkt und unentwegt geht, der gelangt früh zu einer großen Vollendung, wie Katharina von Siena, die infolgedessen schon im 33. Lebensjahr ihre irdische Laufbahn abschließen konnte. Die weitaus meisten Menschen aber haben diesen entschlossenen, alles andere verschmähenden und zur wahren Weisheit führenden Willen nicht so frühzeitig. Sie bekommen heute auch selten die ganz richtige Anleitung dazu und lenken daher erst viel später in ihrem Leben in diesen direkten Heilspfad ein, den auch dann noch viele Irrwege durchkreuzen.

1 1 Erste Zeile aus dem Gedicht »Das hat die Sommernacht getan« von Anna Ritter (1865-1921)]

Schlaflose Nächte

Подняться наверх