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Stille und Angst

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Die herabstürzenden Splitter des Himmels hatten in Dustrien eine Zerstörung angerichtet, wie es alle Bomber aus der Flotte der Königin nicht vermocht hätten. South Harrow, eine der größten Städte des Landes, war fast vollständig unter einem Trümmer zermalmt worden. Er sah aus wie Glas, hatte jedoch keine Konturen. Gelbe Funken umspielten seine Oberfläche, während er nahtlos in den ihn umgebenden Raum überzugehen schien.

Ein weiteres Fragment des Himmels, groß wie ein Berg, war vor der Südküste des Landes niedergegangen und hatte eine Flutwelle apokalyptischen Ausmaßes ausgelöst. Sämtliche Schiffe im Umkreis von hunderten Kilometern wurden von der Wassermasse verschlungen, ehe sie mit der kinetischen Energie mehrerer heranrasender Kohlezüge das Land erreichte. Donnernd brach sie sich vor der Steilküste, auf der der Leuchtturm von Treedsgow stand, und preschte den Sithwell stromaufwärts wie eine marine Kavallerie. Die Schiffe, die im Hafen der Stadt ankerten, wurden wie Spielzeuge emporgehoben und über die Dächer des Hafenviertels geworfen. Kein Gebäude hielt der Gewalt der Katastrophe stand. Treedsgow sowie Wither, Riverton und Gatling wurden von der Landkarte gewischt wie Schmutzflecken von einer Tischplatte.

Am schlimmsten aber traf es Horizone. Ein verhältnismäßig kleiner Splitter beschädigte den dort befindlichen Elementarreaktor und löste einen Super-GAU aus. Die dabei freigesetzte entrische Energie verwandelte die Stadt in einen Moloch weißglühender Schmelze und zog die Wolken in der Atmosphäre zu sich heran. Ein riesiger, von zuckenden Lichtbögen umspielter Blitz ragte aus der Schmelze in den Himmel hinauf und verschwand im Zentrum des Wolkenstrudels. Gemächlich drehte er sich im Einklang mit dem Wirbel um sich selbst, als tanzten zwei Urgewalten einen langsamen Walzer.

Auch wenn die Folgen der herabstürzenden Himmelstrümmer in allen anderen Städten Dustriens nicht so gravierend waren, kam doch keine unbeschadet davon. Die von Erdbeben begleiteten Einschläge der Splitter ließen zwei der größten Bergwerke von Rust einstürzen. Zahllose weitere Gebäude brachen zusammen, darunter Saint Ergustin, die wohl größte Kathedrale des Landes, sowie große Teile der Zitadelle von Rust.

Das Ereignis beendete den Bürgerkrieg in Dustrien weitestgehend. Die Kirchen füllten sich mit Menschen, und das Volk bat um Vergebung für seine Sünden. Die Besatzungen mehrerer Luftschiffe entschlossen sich einstimmig zu desertieren, und flohen aus dem Land in der Hoffnung, in einem fernen Teil der Welt sicher zu sein. Als der vorerst letzte Splitter auf das Land gestürzt war, senkte sich Stille über Dustrien herab. Hätte die Angst in den Köpfen der Menschen eine Stimme gehabt, wäre wohl lautes Kreischen erklungen. Und wäre die Bedrohung, die von dem Loch im Himmel ausging, nicht so schleichend nähergekommen wie ein Seeungeheuer, das sich im Schutz des dunklen Wassers seiner Beute nähert, hätte man wohl ferne Kriegstrommeln und Hörner, die zum Angriff bliesen, gehört.

Die Angst im Zellenblock 13 von Blackworth lastete dreifach auf den Schultern der Gefangenen. Zum ersten schien das Land selbst reglos wie ein Reh in Alarmbereitschaft zu lauschen. Kein Flüstern tönte in den kahlen Kronen der Bäume, kein Zwitschern aus der Kehle eines Vogels. Die Welt schwieg und wirkte somit wie ein billiges Imitat der Wirklichkeit.

In die Furcht des Landes stimmte die der Gefangenen mit ein: Beim Anblick des aufbrechenden Himmels verloren sie allen Mut, den sie einander hätten zusprechen können. Im Chor des Schweigens, der dabei ertönte, schwang kaum wahrnehmbar die dritte Angst mit – die Sorge um eine sterbende Hoffnung, die ausgerechnet nur der Mann nähren konnte, der alle Zuversicht verloren zu haben schien. Die Gedanken der Gefangenen scharten sich um die Hoffnung wie um ein angeschossenes Tier, das auf dem schmalen Pfad zwischen Leben und Tod balancierte.

Dreizehn. Das Tagebuch. Band 1

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