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Einen Monat später stand Serena unter einem stahlgrauen Himmel am Ufer des Sound of Sleat, wo ihr der Wind durchs Haar und unter den Saum ihrer Jacke blies. Als sie auf den Eingangsstufen der Highlands Academy die dramatische Ankündigung ihres Umzugs gemacht hatte, war sie eigentlich davon ausgegangen, dass alles schneller vonstatten gehen würde, aber der Papierkrieg im Zusammenhang mit der Auflösung ihres Investments und dem Rückkauf ihres Anteils an dem Hotel war gar nichts im Vergleich zu dem Verwaltungsaufwand, den es mit sich brachte, Em von der Schule ab- und für das verbleibende und das nächste Schuljahr an der Schule auf Skye anzumelden. Dazu kam noch die Abwicklung all ihrer Aktivitäten in Arbeitsgruppen und Ausschüssen sowie der Mitgliedschaft im Fitnessstudio; mit all dem ließ sie ihr gesamtes gewohntes Leben in Nairn hinter sich.

Jetzt betrachtete sie das sanfte Plätschern der Wellen am Ufer, atmete die kalte, salzige Luft ein und merkte zum ersten Mal seit Wochen, wie sich etwas mehr Frieden in ihr einstellte. Die Kinder schliefen noch bei ihrer Tante Muriel, deren Haus ein Stückchen die Straße hinauf lag, weil sie bei ihrer späten Ankunft völlig übermüdet gewesen waren. Dadurch hatte Serena jetzt noch ein bisschen Zeit für sich allein.

Sie war in den vergangenen Jahren häufig auf Skye gewesen, aber jetzt fühlte es sich anders an – eher wie nach Hause kommen. Trotz der Veränderungen am Hotel war ihr die Landschaft so vertraut wie ihr eigenes Gesicht: das wogende Gras und die krüppeligen Büsche und Sträucher, zwischen denen in der Ferne die weiß gekalkten Gebäude des Dorfes Isleornsay herausragten; der schlanke weiße Leuchtturm am Sund; die geheimnisvollen Nebelschwaden, die über dem Wasser waberten und abstrakte Muster auf die dunkle, spiegelglatte Wasseroberfläche warfen. Sie atmete noch ein wenig den Geruch des Meeres und des feuchten Laubes ein und wandte sich dann wieder vom Wasser ab.

Sie kürzte den Weg über ein Feld ab, auf dem sich durch die ungewöhnlich lang andauernde Kälte gerade erste grüne Spitzen zeigten, und ging zum Haupteingang des MacDonald Guest House. Trotz des Anbaus, der das kleine Hotel vergrößert, modernisiert und zweckmäßiger gemacht hatte, hatte es den altmodischen Charme bewahrt, den es durch die alten gekalkten Mauern und die kleinen Holzfenster bekam. Andrea und Jamie hatten wirklich großartige Arbeit geleistet und aus einem bescheidenen regionalen Gästehaus ein international renommiertes Ferienziel gemacht.

Als Serena das Hotel betrat, ließen Essensduft und Geklapper aus der Küche darauf schließen, dass das Frühstück gerade hergerichtet wurde; und dem leisen Gemurmel im Speiseraum war zu entnehmen, dass zumindest einige Gäste bereits zu diesem frühen Zeitpunkt nach unten gekommen waren. Der Empfang war nicht besetzt, doch ein Blick auf den Parkplatz ließ darauf schließen, dass das Hotel ausgebucht war und mit Sicherheit bald viele Gäste auftauchen würden, um auszuchecken, damit sie den Nachmittagsflug in Inverness noch erreichen konnten. Gab es in ihrem Hotel etwa gar keinen Empfangschef? Wo war der Hotelmanager, den Jamie eingestellt hatte?

Während Serena ziemlich irritiert im Foyer stand, tauchte ein junges Paar am Empfang auf, das offenbar einen Sightseeing-Tag geplant hatte und selbst für die kühlen Temperaturen draußen viel zu warm angezogen war. Die Mienen der beiden hellten sich auf, als sie Serena sahen.

„Arbeiten Sie hier?“, fragte die Frau. „Wir sind gerade erst angekommen und möchten so viel wie möglich erleben und auf keinen Fall etwas verpassen.“

Ihr spanischer Akzent mochte erklären, warum sie dicke Daunenmäntel trugen. Denn Gäste aus dem Süden Europas meinten fast immer, dass Schottland nur wenig unterhalb des Polarkreises lag.

„Ich mache Ihnen gerne ein paar Vorschläge“, sagte Serena, trat hinter den Empfangstresen, fand dort in einer der Schubladen eine Faltkarte von der Insel, markierte eine Fahrtroute mit einem gelben Textmarker und erklärte: „Da Sie ja schon auf Kälte eingestellt sind, müssen sie während Ihres Aufenthaltes unbedingt die Sterne beobachten. Hier bei uns auf Skye gibt es mehr Orte als irgendwo sonst in Europa, an denen es keine Lichtverschmutzung gibt.“

Die beiden Gäste sahen sich an und waren offensichtlich von der Idee begeistert.

„Ich drucke Ihnen gern gleich noch eine weitere Karte und ein paar Sternenbildskizzen aus und hinterlege sie hier am Empfang für Sie. Dann können Sie die Informationen mitnehmen, wenn Sie zurückkommen.“

„Gracias“, sagte der Mann. „Vielen Dank für Ihre Hilfe.“

„Gern geschehen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt auf Skye.“

Sobald das Pärchen gegangen war, tat Serena, was sie versprochen hatte. Sie suchte mehrere Skizzen mit Sternbildern heraus und druckte sie aus, dann nahm sie noch ein weiteres Exemplar der Karte aus der Schublade und markierte darin die besten Orte für Sternenbeobachtungen in der Nähe des Hotels. All das hatte sie eigentlich nicht vorgehabt, als sie sich auf den Weg ins Hotel gemacht hatte, aber da sie nun schon einmal da war, konnte sie sich ja auch ebenso gut nützlich machen.

Als sie das dumpfe Geräusch von Schritten auf der alten Holztreppe hörte, drehte sie sich um und sah ein für eine Wanderung gekleidetes Paar mit Gepäck herunterkommen.

„Sie checken aus?“, fragte Serena höflich.

Die junge Frau warf ihren rötlichen Pferdeschwanz über die Schulter nach hinten und antwortete: „Ja, wir wollen noch im Quiraing wandern, bevor wir dann heute Abend nach Manchester zurückfahren.“

„Dann haben Sie sich ja den richtigen Tag für Ihre Wanderung ausgesucht. Es ist heute zwar nebelig, aber für den Rest der Woche ist zusätzlich auch noch Regen angesagt.“

Der Mann angelte den Zimmerschlüssel aus seiner Hosentasche und gab ihn Serena, die zögerte und in diesem Moment nicht so recht wusste, was sie tun sollte. Sie konnte einfach den Schlüssel annehmen und die beiden ziehen lassen, aber sie hatte keine Ahnung, ob die beiden ihre Rechnung schon beglichen hatten.

Sie setzte sich also kurz auf den gepolsterten Bürostuhl vor dem Computer, gab Muriels Passwort ein und bedankte sich innerlich bei ihrer Tante dafür, dass sie es ihr noch mit auf den Weg gegeben hatte. Mithilfe der Zimmernummer auf dem Schlüssel konnte sie die Reservierung aufrufen und druckte die Quittung für das Zimmerkonto aus. Die Rechnung war allem Anschein nach schon vollständig bezahlt.

Mit einem Lächeln reichte sie die Quittung über den Tresen und sagte: „Vielen Dank für Ihren Aufenthalt bei uns. Wir hoffen, Sie bald wieder bei uns begrüßen zu dürfen.“

„Tschüss“, sagte die junge Frau fröhlich, und dann waren die beiden auch schon zum Haupteingang hinaus.

Serena drehte sich noch einmal um und schaute mit gerunzelter Stirn auf den Computerbildschirm. Sie hätte schwören können, dass sie die beiden gerade aus dem Zimmer ausgecheckt hatte, aber es wurde immer noch als belegt ausgewiesen. Hatte sie beim Auschecken einen Schritt ausgelassen? Sie drückte eine Taste, woraufhin sie der Computer penetrant anpiepste. Sie versuchte es noch einmal, erntete für ihre Bemühungen aber nur ein weiteres Piepsen.

„Was machen Sie denn da?“

Mit einem Ruck drehte sie sich auf dem Bürostuhl um, und eine Welle von Schuldgefühlen erfasste sie, bevor sie sich selbst beruhigen konnte, dass es dafür absolut keinen Grund gab. „Ich habe nur …“

Der Rest des Satzes blieb aus, als sie den Mann, der mit verschränkten Armen hinter ihr stand, genauer betrachtete. Er war größer als sie – aber wer war das nicht? –, mit dem Körperbau eines Rugbyspielers und entsprechend finsterer Miene. Er hatte aschblondes Haar, dunkle Augen und einen Dreitagebart, der eher vermuten ließ, dass er sich einfach nicht rasiert hatte, als auf einen ernsthaften Versuch, sich einen Bart wachsen zu lassen. Irgendetwas in ihrem Hinterkopf sagte ihr, dass das der neue Manager sein musste, obwohl er in seinen Jeans und der abgewetzten Lederjacke eher wie ein Türsteher vor einem Club aussah als wie der Direktor eines kultivierten Hotels.

Serena schluckte heftig und musste sich vom Anblick seines muskulösen Brustkorbes richtig losreißen, während sie das leichte Flattern im Bauch verwünschte, das sie bei seinem Anblick verspürte. Doch dann stand sie von dem Stuhl auf, reichte ihm die Hand und sagte: „Malcolm Blake, nehme ich an. Ich bin Serena Stewart.“

Er machte keine Anstalten, ihr die Hand zu geben, sodass sie wie bestellt und nicht abgeholt dastand. „Ich weiß, wer Sie sind. Wir haben uns letzten Sommer kennengelernt. Was machen Sie hier?“

„Im Moment sorge ich dafür, dass die auffällig unbesetzte Rezeption besetzt ist, damit unsere Gäste auschecken können.“

„Unsere Gäste?“

„Ja, unsere Gäste.“

Er starrte sie einfach nur an, und ein Schauer lief ihr über den Rücken – allerdings kein unangenehmer.

„Und warum das?“

„Weil ich seit dieser Woche wieder Miteigentümerin des MacDonald Guest House bin.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Mein Bruder Jamie hat mir meinen Anteil wieder zurückverkauft.“

„Und warum?“

Sein harter Tonfall löste schließlich ihre Hirnblockade und sie richtete sich ein bisschen gerader auf.

„Ich weiß nicht, ob Sie das etwas angeht.“

Er wischte sich mit einer Hand übers Gesicht und erklärte: „Was ich sagen will, ist, dass es James und Ian völlig ausreicht, per Mail und Telefon mit mir zu kommunizieren, und bis heute schienen sie auch damit zufrieden zu sein, wie ich das Hotel führe. Also, Mrs Stewart, warum sind Sie hier?“

Aus seinem Mund klang das Mrs abschätzig, so als bedeute die Tatsache, dass sie eine verheiratete – oder ehemals verheiratete – Frau mit Kindern war, dass sie nicht das Recht habe, sich um den guten Zustand ihres Investments zu kümmern.

„Ich denke, das wissen Sie, Mr Blake. Und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie in Ihrer knapp bemessenen Zeit vielleicht einige Stunden erübrigen könnten, mich über die Arbeitsabläufe in diesem Hotel zu informieren.“ Sie hob eine Hand. „Damit ich alles verstehe, was hier vor sich geht.“

Er bedachte sie mit einem kaum wahrnehmbaren, schmallippigen Lächeln und sagte mit einem sarkastischen Unterton: „Aber selbstverständlich. Nichts lieber als das.“ Und weiter mit einem Blick auf den Computer: „Die erste Lektion wäre dann vielleicht, wie man das Buchungssystem richtig anwendet, denn anscheinend sind Sie gerade dabei, eines meiner Custom Scripts zu ändern.“

Sie drehte sich wieder zu der Fehlermeldung um und tiefe Röte stieg ihr in Gesicht. Sie konnte sich ja wohl kaum über seinen Ton ärgern, wenn sie das, was er da sagte, tatsächlich um ein Haar getan hätte. „Ja“, antwortete sie deshalb. „Ich glaube, das wäre vielleicht eine gute Idee.“

„Darf ich?“, fragte er, woraufhin sie praktisch von dem Stuhl aufsprang. „Ja sicher.“

Er sah sie kaum an, als er sich hinsetzte und seine Finger mit überraschender Sicherheit und Exaktheit über die Tastatur huschten. „Lassen Sie uns mit einem eigenen Benutzerkonto für Sie beginnen. Ist ‚ssstewart‘ okay für Sie?“

„Ja gut“, murmelte sie.

Ein paar Klicks und Tasten später stand er wieder auf und bedeutete ihr mit einer Geste, sich wieder zu setzen. „So, jetzt sind Sie eingeloggt.“

„Mein Passwort?“

„Safezone, kleingeschrieben, alles in einem Wort.“

„Ach ja?“

Jetzt umspielte ein kaum wahrnehmbares Lächeln seine Mundwinkel. Nein, eigentlich war das kein Lächeln, sondern eher ein Grinsen. „Ich habe Ihnen nur eine einfache Zugangsberechtigung gegeben, um wirklich auszuschließen, dass Sie noch einmal irgendetwas Wichtiges löschen können. Als neuer Miteigentümerin ist Ihnen ja sicher klar, wie ärgerlich es wäre, wenn ich Zeit, die ich eigentlich für andere Aufgaben brauche, dafür verwenden müsste, noch einmal das Buchungsprogramm in Ordnung zu bringen.“

Er machte sich über sie lustig, was bei ihr den Wunsch weckte, ihm das Grinsen aus seinem attraktiven Gesicht zu ohrfeigen. Denn was auch immer sie von seinem Benehmen hielt, er sah gut aus. „Ja, sehr ärgerlich. Und da Sie ja so viel zu tun haben, bin ich sicher, dass sie gegen ein paar zusätzliche Hände hier im Hotel nichts einzuwenden haben. Ich möchte haarklein alles wissen, was Sie hier im Hotel tun.“

Sein Lächeln schwand. „Was immer Sie wünschen, Mrs Stewart, stets zu Diensten.“

„Ja“, sagte sie und genoss einen Moment lang diese Machtverschiebung zu ihren Gunsten. „Da bin ich ganz sicher.“

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Malcolm Blake wusste, wann er in der Klemme saß, und dem befriedigten kleinen Lächeln in Serena Stewarts Gesicht nach zu urteilen, ging er davon aus, dass er eher sein Bein aus einer Bärenfalle würde befreien können als diese neue Chefin wieder loszuwerden. Und der Zeitpunkt für eine solche neue Situation war gerade denkbar ungünstig. Das Hotel war ständig bis auf den letzten Platz ausgebucht, und er hatte noch nicht einmal angefangen, sich um die zwei Dutzend Probleme zu kümmern, auf die er schon zu dem Zeitpunkt gestoßen war, zu dem er an diesem Tag das Hotel betreten hatte.

Die schnellste Methode, sie wieder loszuwerden, bestand wahrscheinlich darin, bei ihrem plötzlichen Drang, Hotelbesitzerin zu spielen, mitzumachen, bis es ihr langweilig wurde und sie eine andere Beschäftigung fand. Mit etwas Glück würde er sie mit seiner Arbeitseinstellung beeindrucken können und am Mittag wäre er sie höchstwahrscheinlich schon wieder los. Was auch immer sie von ihm halten mochte, er war stolz auf seine Arbeit und würde nicht zulassen, dass irgendein vorschnelles Urteil der neuen Miteigentümerin alles zunichtemachte, was er schon geschafft hatte, seitdem er eingestellt worden war.

„Vielleicht möchten Sie sich ja erst noch umziehen“, sagte er schließlich.

„Ist etwas nicht in Ordnung mit meiner Kleidung?“

Am liebsten hätte er gesagt: Doch, absolut alles, aber es wäre ihm bestimmt nicht gelungen, seine Bewunderung zu verbergen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ihre Kleidung seine Aufmerksamkeit genau auf die Stellen lenkte, die er gerade zu ignorieren versuchte. Man musste schon blind sein – oder tot –, um nicht zu bemerken, wie ihr lavendelfarbener flauschiger Pullover ihre Figur betonte oder wie die dunkle, enge Jeans ihre schlanken Beine eng umschloss.

Er riss sich von dem Anblick los und schaute ihr wieder direkt ins Gesicht, aber das half auch nicht besonders, weil er eine Schwäche für den Kontrast zwischen heller Haut und dunklem Haar hatte – besonders in Verbindung mit ihren blauen Augen, die genau die Farbe des Wassers im Sund draußen hatten.

Er atmete einmal tief durch und hoffte, dass das als Zeichen der Verärgerung durchgehen würde. Serena Stewart schien ihm nicht der Typ Frau zu sein, der sich von einem Angestellten begaffen ließ, auch wenn er hätte schwören können, dass sie ihn angestarrt hatte. „Wie Sie meinen. Ich muss aber nachher ein paar Kisten Schnaps in die Bar tragen, und es wäre sicher nicht schön, wenn dabei Ihre hübschen Sachen beschädigt würden.“ Dabei dachte er besonders an ihre Stiefel, die wahrscheinlich mehr gekostet hatten als sein Auto.

Mit gerunzelter Stirn sah sie ihn an und sagte. „Das geht schon. Ich trage ja kein Abendkleid. Und warum übernimmt das eigentlich nicht der Lieferant?“

„Weil wir hier auf Skye sind und der Lieferant ich selbst bin. Ich bin heute Morgen selbst bei der Brennerei vorbeigefahren, um unsere Bestellung dort abzuholen.“

„Dann helfe ich natürlich gerne mit“, erklärte sie und setzte ein freundliches Lächeln auf, hinter dem sie jedoch wahrscheinlich seine Eltern und seine bloße Existenz auf diesem Planeten verwünschte.

„Vorher muss ich aber noch ein paar andere Dinge erledigen. Ich nehme doch an, dass Sie sich bis dahin auch allein beschäftigen können, oder?“

„Ich laufe einfach mit, und dann können Sie mir alles zeigen.“

Na, sie wollte wohl eher herausfinden, ob er ihre Erwartungen erfüllte, aber er nickte nur und behielt die spitze Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag, für sich. Lästig oder nicht – diese Frau hatte seinen Lebensunterhalt in der Hand. Und so ungern er es zugab, das hier war der einzige anständig bezahlte Job, den er gefunden hatte, seitdem er wieder zurück nach Skye gezogen war, und er konnte es sich einfach nicht leisten, ihn wieder zu verlieren. Zwar hatte er auch seinen Stolz, aber dafür konnte er sich auch nichts kaufen oder davon seine Rechnungen bezahlen.

In den darauffolgenden vier Stunden checkte er vier Gäste aus und machte sich dann daran, zwei Zimmer zu putzen, die für den Abend wieder gebucht waren. Sie hatten zwar Reinigungskräfte, eine, die an Werktagen arbeitete, und eine für die Wochenenden, aber die Reinigungskraft für werktags hatte sich krank gemeldet, kurz bevor er am Morgen an die Rezeption gekommen war.

Er grinste, als er Serena eine Ladung schmutziger Bettwäsche in den Arm drückte, und rechnete fest damit, dass sie sich daraufhin plötzlich an einen ganz dringenden Termin erinnern würde, doch sie half tapfer weiter mit, und es kam ihr keine Klage über die Lippen, nicht einmal, als er sie aufforderte, das Waschbecken und die Toilette zu putzen. Sie mochte ja vielleicht eine Prinzessin sein, aber sie war eine störrische Prinzessin.

Als die Zimmer geputzt und hergerichtet waren, ging er mit ihr nach draußen auf den Parkplatz, wo sein schwarzes Ford Coupé stand, das nach dem letzten Regen voller Schlammspritzer war. Normalerweise füllte er die Bestände der Bar sonntags auf, aber der unerwartete Andrang bei einer der Veranstaltungen mit Livemusik hatte dafür gesorgt, dass kaum noch regionale Spirituosen da waren. Deshalb war es unsinnig gewesen, auf den Lieferanten zu warten, wenn doch die Brennerei nur ein paar Autominuten entfernt lag.

„Nehmen Sie eine von den Kisten“, sagte er. „Ich glaube, diese hier ist nicht zu schwer für Sie.“

Serena warf ihm einen herausfordernden Blick zu und hievte eine Kiste mit zwölf Flaschen aus dem Kofferraum, zwar nicht mit Leichtigkeit, aber mit sehr viel weniger Mühe, als er gedacht hätte. Er nahm ebenfalls eine Kiste, ging vor ihr her wieder ins Gebäude und deutete dann mit dem Kopf auf die Bar. Serena war so klein, dass sie die Kiste nicht hoch genug heben konnte, um sie auf den Tresen zu schieben, deshalb stellte sie sie auf einem der Barhocker ab. Darüber musste er sich ein Lächeln verkneifen.

„Warum lachen Sie? Sie sind hier nicht der Einzige, der Krafttraining macht.“

Jetzt grinste er ganz offen. Sie hatte ihn also tatsächlich etwas genauer angeschaut. Diese versnobte Prinzessin von einer Chefin hatte ihn also genauso abgecheckt wie er sie. Obwohl sie sich nicht an ihn erinnert hatte.

Das ist das eigentliche Problem, oder? Sie hat Eindruck auf dich gemacht, als du sie das letzte Mal gesehen hast, aber du stehst zu weit unter ihr, als dass sie sich an dein Gesicht erinnern würde. Wenn er schlau war, dann ließ er ganz schnell all die lächerlichen Gedanken sausen, die ihn bedrängten, seitdem er sie hinter dem Computer hatte sitzen sehen. Aber er war nicht so schlau und auch nicht diszipliniert genug, und das bedeutete, dass er am besten bei seinem ursprünglichen Plan blieb, sie so schnell wie möglich aus der Zone der Versuchung verschwinden zu lassen.

Als sie alle Kisten aus seinem Auto in die Bar geschleppt hatten, lehnte sie sich an die Mahagonibar und sagte: „Würden Sie mir jetzt bitte das Lager zeigen und mir erklären, wie Sie den Lagerbestand und die Bestellungen organisieren?“

Er nickte, obwohl er die Zähne zusammenbeißen musste, um nicht die schlaue Erwiderung von sich zu geben, die ihm auf der Zunge lag. Am Ende hatte er Serena dann auch noch das Abrechnungssystem, die Kasse, die Speisekarte und so ziemlich jedes kleinste Detail erklärt, nach dem sie gefragt hatte.

Mit jeder weiteren Frage fiel es ihm schwerer, cool zu bleiben.

„Hören Sie, James und Ian waren doch offenbar absolut zufrieden damit, wie ich das Hotel hier führe“, sagte er schließlich. „Warum sagen Sie nicht einfach, was Ihnen Sorgen macht?“

„Sorgen macht mir gar nichts. Aber falls Sie es noch nicht gemerkt haben, sind James und Ian kaum hier, und genau das ist der Grund, weshalb ich meinen Anteil an dem Hotel wieder zurückgekauft habe. Es ist kein guter Führungsstil, sich vor Entscheidungen zu drücken und sie von jemand anderem treffen zu lassen.“

„Einem Angestellten, meinen Sie.“

„Ich meine jemandem, der nicht auch persönlich Interesse am Erfolg des Unternehmens hat.“ Sie richtete sich jetzt auf, als könnte sie ihrer geringen Größe mit reiner Willenskraft ein paar Zentimeter hinzufügen.

„Sie sind also der Meinung, ich hätte kein persönliches Interesse an dem Hotel? Lassen Sie mich dazu Folgendes sagen: Wenn ich nicht gut arbeite, werde ich nicht bezahlt, und deshalb gehe ich mal davon aus, dass ich wahrscheinlich ein größeres persönliches Interesse am Erfolg des Unternehmens habe als Sie.“

„Angesichts der Tatsache, dass dieses Anwesen bereits seit Generationen in Familienbesitz ist, bezweifle ich das“, entgegnete sie und er zuckte zusammen.

Er hätte sich ja denken können, dass sie die Statuskarte ziehen würde. Sie war Eigentümerin, er nur ein Angestellter, und wenn er klug war, dann entschuldigte er sich. Aber das „Tut mir leid“ gefror ihm auf den Lippen. Es tat ihm nämlich kein bisschen leid. Also räusperte er sich stattdessen und fragte: „Wie lautet also Ihr Urteil?“

Sie hob das Kinn ein bisschen, und zum ersten Mal sah sie aus, als empfände sie Unbehagen. „Ich finde, dass Sie Ihre Arbeit richtig gut machen“, sagte sie.

„Wie bitte?“

„Sie haben alles im Griff, Ihre Lagerhaltung ist wahrscheinlich strenger und genauer, als es bei der Größe der Bar nötig wäre, aber ich bin sehr dankbar dafür, dass Sie dabei so gründlich und gewissenhaft sind. Sie haben eindeutig mehr Ahnung vom Computersystem als ich“, ein schwaches selbstironisches Lächeln umspielte ihren Mund, „und den Onlinebewertungen der Gäste nach zu urteilen sind alle mit dem Service absolut zufrieden.“

„Aber warum dann all die Fragen, wenn ich meinen Job offenbar gut mache.“

„Weil Sie auch nur ein Mensch sind, und nach dem, was ich bis jetzt gesehen habe, ist das Hotel personell völlig unterbesetzt. Wenn ich den nötigen Personalbedarf ermitteln soll, muss ich jeden kleinsten Arbeitsschritt hier im Hotel kennen. Es sei denn, Sie können absolut nicht darauf verzichten, Bettwäsche zu wechseln und Waschbecken und Toiletten zu putzen.“

Der Hauch von Humor in ihrem Tonfall und die Art, wie sie kaum merklich die Augenbrauen hochzog, ließ ihn innerlich etwas auftauen – bis er merkte, dass sie mit seiner Angst spielte, entlassen zu werden. Er achtete darauf, dass seine Miene teilnahmslos blieb, und sagte: „Ich werde mich Ihrem Urteil in dieser Angelegenheit selbstverständlich fügen.“

Da wurden ihre Augen ein ganz klein wenig schmaler und sie sagte: „Dann werde ich Sie jetzt mal in Ruhe Ihre Arbeit machen lassen, schließlich möchte ich nicht diejenige sein, die Sie daran hindert, Ihren Job zu machen.“

„Es war mir ein Vergnügen, Mrs Stewart.“

„Das bezweifle ich doch erheblich, Mr Blake.“

Malcom verkniff sich eine Antwort darauf und nickte ihr gerade so höflich zu, wie er es noch fertigbrachte. Sie warf ihren Zopf über die Schulter nach hinten und verließ die Bar, ohne sich noch einmal umzudrehen, und er fuhr sich mit einem Aufstöhnen mit der Hand durch sein Haar.

Das hatte er wirklich gründlich vermasselt. Im Umgang mit Gästen mochte er ja richtig gut sein, aber wenn er es mit Autoritätspersonen zu tun bekam, war er eine absolute Niete. Und ob es ihm gefiel oder nicht, die neue Eigentümerin Serena Stewart hatte mehr als deutlich gemacht, dass sie hier das Sagen hatte.

Sternennächte an der Küste

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