Читать книгу Sternennächte an der Küste - Carla Laureano - Страница 9
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Malcolm Blake wusste, was er tat. Zumindest konnte sie die Sorge, dass das möglicherweise nicht der Fall sein könnte, schon mal von ihrer Liste streichen.
Serena schaute sich die letzte Seite der Unterlagen an und legte dann alles wieder ordentlich in den Ordner auf Muriels Esstisch. Das Hotel lief gut. Sie würden die gesetzten Einnahmen- und Buchungsziele, die Jamie und Andrea im Businessplan angegeben hatten, voraussichtlich erreichen, und die Kundenzufriedenheit war hoch, wenn man sowohl nach den Onlinebewertungen als auch nach den schriftlichen Bewertungen der Gäste auf den ausgelegten Karten ging, die beim Auschecken an der Rezeption abgegeben werden konnten. Malcolm erfüllte seine Aufgaben genauso, wie er es sollte.
Andererseits war die gute Frühjahrsauslastung einem unerwarteten Artikel in einem Londoner Reisemagazin zu verdanken. Das war zwar eine Riesenchance gewesen, die sie genutzt hatten, aber darauf konnte man sich nicht ausruhen. Serena musste kreativ werden und Ideen entwickeln, wie man neue Kunden gewinnen und die Stammgäste, die in der Zeit verloren gegangen waren, als das Hotel wegen der Renovierung geschlossen gewesen war, zurückgewinnen konnte.
Als Nächstes schaute sich Serena die Gehaltsliste an. Aus den Zahlen ging hervor, dass das Hotel personell auf jeden Fall unterbesetzt war. Mit dem Finger fuhr sie an der Tabelle entlang, in der auch Malcolms Gehalt stand, und seufzte, als sie die Zahl dort sah. Sie würde ihn nicht nur nicht feuern, sondern sogar sein Gehalt erhöhen müssen. Natürlich nicht sofort, denn das wäre wahrscheinlich noch ein Ansporn, bei seinem arroganten Verhalten zu bleiben, und sie brauchte ihn jetzt als Teamplayer. Sie mochten sich ja auf einen Waffenstillstand geeinigt haben, aber die gesamte Situation war sehr viel angespannter, als ihr lieb war, besonders, wenn sie daran dachte, wie er auf ihre unpassende Kleidung angespielt hatte, um in ihrem Gespräch die Oberhand zu gewinnen.
Als sie jetzt noch einmal an diesen Moment zurückdachte, sah sie ihn vor ihrem inneren Auge. Sie schob den Ordner zurück in ihre Umhängetasche und griff nach Notizblock und Stift. Ein paar Minuten später stand plötzlich direkt neben ihrer rechten Hand eine Tasse Tee und Muriel setzte sich mit interessierter Miene auf den Platz neben ihr: „Woran arbeitest du denn da gerade?“, fragte ihre Tante.
„Ach, ich notiere mir nur ein paar Ideen für das Hotel, obwohl ich bezweifle, dass es Malcolm gefallen wird, wenn ich ihm noch zusätzliche Aufgaben und Verantwortung auflade.“
„Malcolm, hmm? Seit wann sprecht ihr euch denn mit dem Vornamen an?“
Serena blinzelte. In Gedanken hatte sie ihn eigentlich schon immer Malcolm genannt, aber sie hatte sehr darauf geachtet, Mr Blake zu sagen.
„Das tun wir gar nicht“, antwortete sie deshalb auch.
„Dann hältst du ihn also doch gar nicht für einen solchen Rüpel?“
Serena legte ihren Stift ordentlich auf den Notizblock und antwortete: „Doch, ich halte ihn immer noch für einen Rüpel, aber seine Arbeit macht er gut.“
„Na, das ist ja dann schon mal ein Anfang. Ich fände es schrecklich, wenn ihr beide euch nicht verstehen würdet. Er ist ein guter Mann, und ich glaube, ihr habt einiges gemeinsam.“
„Was weißt du eigentlich über ihn?“, fragte Serena daraufhin ihre Tante.
„Was hat er dir denn erzählt?“
Serena zuckte mit den Achseln und trank einen Schluck Tee. „Gar nichts. Schließlich haben wir ja nicht die ganze Zeit gekichert und uns gegenseitig Zöpfe geflochten.“
Muriels Augen wurden schmal, und sie sagte: „Serena Marie!“
„Entschuldigung“, murmelte Serena und unterdrückte ihr Lächeln rasch wieder. Muriel hasste Ironie, und auch wenn Serena mittlerweile 39 Jahre alt war, hieß das noch lange nicht, dass die Regeln des Hauses für sie nicht mehr galten. „Ich habe nicht das Bedürfnis, ihn privat kennenzulernen, solange er seine Arbeit ordentlich macht.“
„Wenn du meinst …“, sagte Muriel nur dazu und stupste dann gegen den Notizblock unter Serenas Hand. „Was ist denn das?“
Daraufhin berichtete Serena ihr, dass sie ein paar Gästen Tipps für Besichtigungen und andere Urlaubsaktivitäten gegeben hatte und dass diese Gäste daraufhin wieder nach ihr gefragt hätten. „Ich finde, das Hotel sollte geführte Touren und Ausflüge anbieten.“
„Das ist eine großartige Idee. An was für Touren hast du denn dabei gedacht?“
Sie drehte den Block um, damit Muriel ihre Liste lesen konnte. „Autotouren, Wanderungen und Ausflüge zur Sternbeobachtung. Ich bin sicher, da gibt es noch einiges mehr, aber das ist erst einmal das, was mir spontan eingefallen ist. Wir würden Führungen, Karten von der Umgebung und vielleicht Lunchpakete anbieten. Die meisten Gäste, die nach Skye kommen, möchten zwar viel Natur erleben, aber dabei nicht auf eine luxuriöse Unterkunft und gutes Essen verzichten.“
Muriel rückte mit ihrem Stuhl vom Tisch weg, stand auf und drückte Serenas Schulter. „Du bist ein kluges Mädchen. Was für eine großartige Idee. Aber sprich lieber erst mit Malcolm darüber, denn er muss schließlich dafür sorgen, dass die Angebote auch bestehen bleiben, wenn du wieder weg bist.“
„Ich rede mit ihm, wenn ich alles fertig geplant habe“, sagte Serena. „Im Moment ist es ja nur ein Entwurf.“
„Gut. Ich gehe jetzt schlafen“, verabschiedete sich Muriel.
„Bete, dass Max weiterschläft, sonst hast du nicht viel davon“, bemerkte Serena trocken.
„Ach Kindchen, es ist doch alles gut mit ihm. Sein unruhiger Schlaf wird bestimmt nicht mehr ewig dauern. Das kannst du dir vielleicht jetzt noch nicht vorstellen, aber irgendwann wirst du zurückblicken und dich fragen, wo die Zeit geblieben ist.“
„Ja, weil sich das ganze Jahrzehnt ohne eine durchgeschlafene Nacht wie ein einziger langer Tag anfühlt“, entgegnete Serena.
Darüber schmunzelte Muriel nur, wünschte ihr noch einmal eine gute Nacht und ließ sie dann in dem stillen Esszimmer allein.
Aber Muriel hatte ja recht. Ihre Kinder wurden so schnell groß, und irgendwie verpasste sie es. Sie hatte bei dieser Reise nur an ihre Verantwortung und ihre Verpflichtungen gedacht und, ja, auch daran, sich einen Teil ihrer selbst zurückzuholen, den sie irgendwo und irgendwann unterwegs verloren hatte. Aber diese Reise konnte auch mehr sein als das. Sie war ihre Chance, Max und Em auf den Geschmack der Insel ihrer Kindheit zu bringen, auch wenn sie nur eine kurze Zeit dableiben würden.
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Die nächsten paar Tage hielt sich Serena vom Hotel fern, was Malcolm unerklärlicherweise bedauerlich fand. Er hatte sie eigentlich nur ein bisschen in Rage bringen wollen, weil sie so übereifrig schien, aber absolut nicht die Absicht gehabt, sie zu vergraulen. Weil ihn ihre Anwesenheit von dem Moment an gestört hatte, in dem sie im Hotel eingetroffen war, hätte er sich vielleicht nicht wünschen sollen, dass sein Plan so gut funktionierte, aber er fand es auch seltsam, wie groß seine Erleichterung war, als sie am Sonntagnachmittag ihren Kopf in sein Büro steckte und fragte: „Kann ich mit Ihnen sprechen?“
„Aber natürlich“, sagte er. „Kommen Sie doch bitte herein.“
Sie trat ein und schloss die Tür hinter sich. In ihrer Armbeuge hing eine große Beuteltasche aus Leder, und der Pulli, den sie heute trug, hatte keinen Reißverschluss. Er hatte Mühe, nicht breit zu grinsen, als sie vor seinem Schreibtisch Platz nahm.
„Ich habe eine Idee.“
„Wieso bekomme ich jetzt Angst?“, fragte er.
Einer ihrer Mundwinkel ging zu einem schiefen Grinsen nach oben, und sie holte einen Papierstapel aus ihrer Tasche, den sie ihm über den Tisch hinweg zuschob. „Daran sind Sie selbst schuld, denn Sie haben mich überhaupt erst darauf gebracht, mir Gedanken zu machen.“
Als er den Stapel zu sich hinzog und durchblätterte, war es ein zusätzlicher Marketingplan, der genauso aufgebaut war wie der, mit dem ihn Andrea beauftragt hatte, als sie ihn als Hotelmanager eingestellt hatte.
„Vom Hotel angebotene und organisierte Touren?“, fragte er.
„Ja, ein zusätzliches Angebot für unsere Gäste. Man bräuchte nicht mehr immer wieder die gleichen Fragen zu beantworten, und außerdem würde es uns noch einen Vorteil gegenüber anderen Hotels und Pensionen in der Gegend verschaffen. Wir sind ja im Grunde schon jetzt beliebt bei sehr anspruchsvollen Gästen, und das neue Angebot würde dann sicher Gäste mit dem Wunsch nach Luxus-Abenteuer ansprechen.“
Sie hielt die Luft an, und er merkte, dass sie tatsächlich gespannt und etwas nervös auf seine Reaktion wartete.
„Die Idee gefällt mir. Aber was soll ich dazu sagen? Sie sind die Eigentümerin und können doch machen, was Sie wollen.“
„Aber ich bin nicht dauerhaft hier vor Ort. Sie wären derjenige, der es umsetzen müsste, und ich möchte sicher sein, dass Sie bei dieser Idee mit an Bord sind, bevor ich sie weiterverfolge.“
Er war immer noch dabei, in dem Papierstapel zu blättern, und sah, dass es Pläne für Wandertouren, Autotouren und sogar einen Ausflug zur Sternenbeobachtung gab. „Sie interessieren sich also wirklich für Astronomie?“
„Es ist kaum möglich, auf Skye aufzuwachsen, ohne sich nicht wenigstens ein bisschen dafür zu interessieren. Und die Sterne sind schließlich auch einer der Gründe, weshalb es Urlauber gibt, die sogar im Winter herkommen. Wegen des tollen Wetters kommen sie dann ganz sicher nicht.“
„Nein, sicher nicht, aber wenn wir mit ‚Wintersternen‘ werben, dann würde ich jede Wette eingehen, dass wir die Auslastung in der Nebensaison noch steigern könnten.“
„Das ist wirklich eine großartige Idee, Serena. Lassen Sie uns das machen“, sagte er und blickte von dem Plan auf.
Sie wirkte überrascht. „Ich habe schon ein paar Prospektentwürfe mitgebracht. Sie stecken ganz hinten in dem Ordner. Vielleicht möchten Sie sich die ja noch anschauen und haben Änderungsvorschläge, bevor sie in den Druck gehen.“
Er blätterte ganz nach hinten, wo tatsächlich ein professionell entworfenes und layoutetes Faltblatt steckte. „Das haben Sie gemacht?“
„Ja“, antwortete sie ein wenig stolz und hob das Kinn ganz leicht wie als Warnung, etwas Kritisches darüber zu sagen.
„Das ist perfekt. Wirklich beeindruckend. Ich hatte ja keine Ahnung, dass Sie so etwas können“, bemerkte er.
„Das können Sie ja auch nicht wissen, weil sie mich gar nicht kennen.“
Das saß. Vielleicht hatte er sie wirklich verletzt, weil er so angriffslustig gewesen war. Doch der Konflikt war sicher nicht einseitig gewesen: Sie hatte ihn nur gesehen und sofort angenommen, dass er nicht in der Lage war, ein Hotel zu führen. Aber das wollte er jetzt, da sie endlich ein einigermaßen zivilisiertes Gespräch führten, nicht noch einmal zur Sprache bringen.
„Da haben Sie recht. Sind Sie zufällig auch versiert im Texten?“
„Wieso fragen Sie?“
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und antwortete: „Wir haben jeweils einen Account bei Facebook und Instagram, aber es wird dort praktisch nichts gepostet. Wir brauchen jemanden, der oder die sich um die Social Media des Hotels kümmert.“
„Und was soll da gepostet werden?“, fragte sie.
„Informationen und Neuigkeiten über Skye, Vorschläge für Ausflüge, Besichtigungen und Unternehmungen und Hinweise auf das, was die Insel so einmalig macht. Aspekte, die dem Hotel und der ganzen Location das gewisse Etwas geben. Ich könnte neue Posts unserer Website direkt neben dem Buchungsformular platzieren.“
„Die Idee gefällt mir. Wir könnten auf Veranstaltungen vor Ort und in der Region hinweisen, zum Beispiel wenn Live-Bands in der Bar auftreten“, sagte sie mit lebhafterer Stimme und leuchtenden Augen, und in diesem Moment wurde ihm bewusst, wie hübsch sie immer ausgerechnet dann war, wenn sie ihm das Leben schwer machte … aber jetzt war sie geradezu unwiderstehlich. Offenbar war ihm anzusehen, was er dachte, denn sie verstummte mitten im Satz und fragte:
„Ist was? Warum sehen Sie mich so an?“
„Entschuldigung, habe ich das? Ich habe nur gerade gedacht, dass mich das freut, denn meine Schreibkünste beschränken sich auf technische Themen. Also, was meinen Sie? Würden Sie das übernehmen?“
Serena zögerte, nickte dann aber und antwortete. „Ja, das mache ich.“ Dann hielt sie kurz inne und fügte noch hinzu: „Das ist wirklich eine gute Idee, Malcolm. Das hätten wir schon längst machen sollen.“
„Also, das hier“, er hielt den Ordner mit den Plänen und Entwürfen hoch und fuhr fort, „das ist auch eine gute Idee. Danke dafür.“
Sie wusste nicht so genau, wie sie mit seinem Dank umgehen sollte, also stand sie auf, deutete mit einer Geste auf den Marketingplan und sagte: „Den können Sie behalten. Es ist eine Kopie. Ich gebe die Ideen auch an Jamie und Ian weiter, um sicherzugehen, dass sie mit den Änderungen einverstanden sind. Und vielleicht hat Andrea ja auch noch Vorschläge dazu.“
„Perfekt. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn ich die Änderungen an der Internetseite vorgenommen habe.“
„Danke.“ Sie lächelte ihn zurückhaltend an, nickte und verschwand dann wie der Blitz aus seinem Büro.
Ebenso beunruhigt wie fasziniert starrte er noch eine ganze Weile auf die Tür, als sie schon längst fort war. Je mehr Kontakt er mit der neuen Miteigentümerin hatte, desto mehr fragte er sich, ob die selbstherrliche, Verwöhnte-Prinzessin-Seite an ihr nicht nur geschauspielert war. Auf was er wohl stoßen würde, wenn er sich die Mühe machte, ein wenig genauer nachzuforschen?