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Durch die Schüssel

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Die irische Geographie gleicht einer flachen Schüssel. Mittendrin ist’s überwiegend platt. An den Rändern dieser Insel wölbt sich Mutter Erde zu beachtlichen Mittelgebirgen. Der höchste Punkt Eires, der Carrantuohill auf der Halbinsel Kerry im Südwesten, misst immerhin 1038 Meter über dem Meeresspiegel. Apropos Mutter Erde, in der Nähe von Killarney, dem „irischen Davos“ und touristischen Zentrum Kerrys, zeigt sie sogar ihre Brüste. In Sichtweite der Straße nach Cork erheben sich „The Paps“, zwei wohlgeformte, halbkugelige Bergkuppen, bis auf 696 Meter.

Doch soweit ist es noch nicht. Zunächst gilt es die Schüssel zu durchqueren. „Nestor“ fährt durch reihenhausgesäumte Vorortavenues und hält schließlich am Ufer des Liffey River, mitten im Herzen der Stadt von Swift, Joyce, Behan und anderen irischen Edelfedern, die den Namen dieses Flusses in die Weltliteratur getragen haben.

Ein Stopp von einer halben Stunde – direkt gegenüber dem Custom House, einem imposanten Riesenbau, der heute nicht mehr die Hafenzollbehörde beherbergt, sondern ein Museum. „Anna Livia“, wie Joyce den Fluss seiner Heimatstadt in „Finnegans Wake“ nennt, entfaltet an diesem grauverhangenen Tag zur Mittagszeit keinen sonderlichen Charme.

So wende ich mich denn den „Irish Times“ zu, einer lesenswerten, liberalen Dubliner Zeitung. Etwas amüsiert fragt sich der Kolumnist, wer denn eigentlich nicht am politischen Wettbewerb um die Nachfolge der heutigen „Anna Livia“, Mary Robinson, ihres Zeichens erste Präsidentin der Republik Irland, teilnehme. Abgehalfterte „Taoiseachs“ (ausgesprochen T-shock wie abgestandener Tee) stehen gleich zu mehreren in den Startlöchern. Und neben den „Häuptlingen“, was das gälische Taoiseach eigentlich heißt, bevor dieser Titel dann an die Regierungschefs überging, tritt auch noch eine leibhaftige Siegerin des Grand Prix Eurovision de la Chanson an.

Doch „Dana“, die einst mit „All Kinds of Everything“ den europäischen Gipfel stürmte, erhielt unter ihrem bürgerlichen Namen Rosemary Browne von den Iren diesmal nicht „douze points / twelve points / zwölf Punkte“. Immerhin auf die linksliberale Mary Robinson, die zur UN-Menschenrechtsbeauftragten berufen wurde, folgte mit Mary McAleese wieder eine Frau im Amt – was ich an Bord von „Nestor“ noch nicht ahnte. Während ich mich also in die irische Innenpolitik vertiefte, flogen an den Fenstern des Coaches die Midlands vorbei.

Die an diesem Tag graugrünen Countys Kildare, Meath, Westmeath, Offaly und Roscommon durchkreuzt bzw. streift der Bus. An dörflichen und kleinstädtischen Haltestellen wechseln die Passagiere. Im mittelalterlich geprägten Athlone sind wir mittendrin in der Schüssel. „Nestor“ überquert den vielbesungenen Shannon, der hier aus dem fischreichen Lough Ree austritt und seinen Weg südwestlich zum Atlantik fortsetzt.

Kurz vor dem Athlone Castle an der westlichen Seite der Shannonbrücke, einem seit dem 13. Jahrhundert strategisch wichtigen Militärposten, hätte „Nestor“ seinen Konkurrenten von CityLink beinahe eingeholt. Doch während der schneeweiße Link-Liner bereits wieder ablegt, geht der gemütliche bunte Namensvetter des mythischen Argonauten erst einmal am Straßenrand von Athlone City vor Anker. Kein militärischer Zwist am Shannonufer oder neuzeitliches PS-Kräftemessen auf der Strecke nach Galway treibt unseren bus driver um. An diesem lazy Saturday afternoon ist ein Schwätzchen mit dem rundlichen Gemischtwarenhändler neben dem bus stop viel verlockender. Mit Blick auf das Castle und diese bunt-charmante Ladenzeile im Zentrum der irischen Schüssel möchte man verweilen.

Indes, auch der Nachfahre des Königs von Pylos hat einen Fahrplan. Keine zwanzig Kilometer hinter Athlone beginnt bereits die County Galway, eine der weitläufigsten Grafschaften der irischen Republik. Vom Shannon-Nebenfluß Suck, der County-Grenze im Osten, bis zur Küste bei Clifden sind es über hundert Kilometer. Doch dazwischen wölbt sich zunächst der Schüsselrand, der schon bald am Horizont ins Auge sticht.

Wirklich stattlich werden die Berge zwar erst westlich von Galway, doch auch auf dem Weg zu diesem einstigen Auswandererhafen bekommt man schon einen leichten Vorgeschmack von Berg- und Talfahrt. Und als „Nestor“ am Spätnachmittag auf dem Eyre Square der Grafschaftshauptstadt einbiegt, stellt sich heraus, dass dieser eine rechteckige schiefe Ebene bildet – wie um zu beweisen, dass wir uns nunmehr am Schüsselrand befinden.

Eire wem Eire gebührt

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