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Prolog

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Rockefeller Center

8. Dezember 2003, fünf Uhr nachmittags

New York City zur Weihnachtszeit ist durch nichts zu übertreffen.

Den Duft frisch gerösteter Kastanien in der Nase, schlenderte ich die 49th Street entlang und warf an der Straßenecke einen Dollar in die Sammelbüchse des Weihnachtsmannes.

Der zog den weißen Bart ein Stück herunter. »Frohe Weihnachten!«, rief er mir zu.

»Frohe Weihnachten«, erwiderte ich und ging weiter. Ich liebe dieses Fest, aber der Gedanke, es in diesem Jahr als Single zu verbringen, verdarb mir die Laune. Auch auf die Gefahr hin, dass ich verzweifelt klinge, aber mit 31 steht man nur ungern ohne potenziellen Ehemann da. Man möchte mitten in Hochzeitsvorbereitungen stecken, Geschenklisten bei Tiffany und Bloomingdale’s ausliegen haben und am Stadtrand idyllische Häuser besichtigen, mit gemütlichen Mansarden, die sich perfekt als Kinderzimmer eignen. Weihnachten bringt das auf den Punkt. Plötzlich kommt einem das Leben trist und langweilig vor, weil man keinen Liebsten hat, der beim Schmücken des Christbaums hilft.

Vor dem riesigen Rockefeller Center blieb ich stehen – im Wind flatternde Fahnen, strahlende Lichter am Weihnachtsbaum und natürlich zahllose Touristengruppen, die sich für ein Erinnerungsfoto aufstellten. Wie zum Teufel sollte ich hier Sugar und Leo finden? Leo arbeitete direkt über der Rockefeller Plaza und hätte längst da sein müssen. Aber wahrscheinlich stand er oben am Bürofenster und hatte keine Lust, sich in dieses Gedränge zu stürzen.

Ich klappte mein Handy auf und drückte die Kurzwahltaste für Sugars Nummer. Die Mailbox ihres Handys sprang an. Sugar steckte wohl gerade in der U-Bahn und hatte keinen Empfang. »Ich bin jetzt da«, sagte ich. »Du hattest völlig recht, die Plaza ist das reinste Tollhaus. Du findest mich im Morrell’s an der Bar.« Souverän wie James Bond steckte ich mein Handy wieder ein und wich dem Kamerablitzlicht aus, das auf eine Gruppe Frauen gerichtet war – bestimmt zwei Dutzend und alle blond. Ob die einem speziellen Verein angehörten? Vielleicht den »Blondinen aus Buffalo«?

Im Rockefeller Center herrscht immer Gedränge – allein durch die Heerscharen an Touristen. Sie hoffen auf Schnappschüsse von den Vormittagssendungen, die hinter den Fensterscheiben der ebenerdigen Studios aufgezeichnet werden. Aber zu dieser Jahreszeit platzt der Ort endgültig aus allen Nähten. Die Menschen pilgern in Massen zum Mekka der Weihnachtszeit: dem gigantischen Baum. Die Fifth Avenue ist von promenierenden Limousinen und Luxusgeländewagen noch verstopfter als sonst. Und vor dem Center drängen sich die Fußgänger wie Ameisen um einen Kuchenkrümel. Am Wochenende muss man sich mit aller Gewalt an Kolonnen dicker Daunenmäntel vorbeizwängen, um überhaupt an den Baum heranzukommen.

Aber es lohnt sich. Sobald der Dezember anfängt, werden die New Yorker netter – für ihre Verhältnisse. Ich habe tatsächlich schon erlebt, dass einem bei Bloomie’s die Tür aufgehalten wird. Und einmal hat mir am Broadway, als die Shows zu Ende waren, ein Typ sein Taxi überlassen. Ungelogen! Dabei fing es gerade an zu regnen. Und der Wert eines Taxis bei Regen lässt sich mit Gold aufwiegen. Das muss das Wunder der Weihnacht sein: Jeden überfällt ein wohlig warmes Gefühl. Und ich geb’s ja zu: Ich selbst bin die Erste, die einen verklärten Blick bekommt. Liegt vielleicht auch daran, dass bisher jedes Weihnachtsfest für mich das Aroma eines bestimmten Mannes hatte – meiner Beziehung in dem jeweiligen Jahr.

Vor der Schaufensterauslage von Teuscher Chocolates musste ich einfach stehen bleiben: eine Pyramide aus kleinen Schachteln, jede mit rotem, glänzenden Band verschnürt und mit roten Glöckchen, winzigen gold angemalten Tannenzapfen oder Weihnachtsengeln mit hauchzarten blauen Flügeln verziert. Meiner Meinung nach macht Godiva die beste Schokolade, aber diese hübschen Schachteln sind einfach unwiderstehlich.

Sean hat sie mir immer gekauft. In einem Jahr hat er mir während der Weihnachtszeit jeden Tag eine geschickt. Ich stellte sie auf meinen Schreibtisch im Museum, und die anderen Mädels aus dem Büro wurden ganz neidisch. »Dein Freund ist ja so romantisch!«, hatte Nicole bei dem Anblick geseufzt. Natürlich habe ich diesem Küken nicht auf die Nase gebunden, dass Sean zwar einen exquisiten Geschmack bei Geschenken an den Tag legte, ansonsten aber ein unterkühlter Workaholic war.

Als ich mit ihm Schluss machte, zuckte er nicht mal mit der Wimper. Ich wollte gern glauben, dass er seine Gefühle nicht zeigen konnte, fürchte aber, da war nichts zum Zeigen. Bestimmt kennen Sie die Redensart: »Oben brennt zwar Licht, aber trotzdem ist keiner da.« Ich glaube, genau so ein Typ war Sean Keenan. Intelligent und attraktiv, aber emotional vollkommen unterentwickelt. Damals dachte ich, er wäre genau das, was ich wollte. Ist doch so: Sensible Männer schleppen jede Menge Altlasten mit sich herum, sind oft ängstlich oder gehemmt, und – lassen Sie uns den Tatsachen ins Auge sehen – wer braucht das schon? Sean war da ganz anders. Und trotzdem lief sein Haltbarkeitsdatum letzten Januar ab. Wir waren zusammen in Vermont Ski fahren, und ich beendete unseren Aufenthalt vorzeitig. Grund: unerträgliche Langeweile. Ich hätte nicht einen einzigen weiteren Abend vor dem Kaminfeuer mit Mr Emotionales Vakuum ertragen. Allein der Gedanke lässt mich gähnen.

Davon abgesehen machen mich die Berge verrückt. Viel zu viel Natur. Ich brauche diesen gesegneten Großstadtmief, Tag für Tag. Apropos Mief, an der Fußgängerampel Ecke 49th trat ich ungeduldig auf der Stelle, um endlich rüber ins Morrell’s zu können. Da sah ich im letzten Moment vor mir einen Gitterrost. In so einem Ding den Metallabsatz meiner neuen Slingpumps von Chanel zu verlieren, war indiskutabel. Aber dann blieb mir erst recht die Luft weg: Ein fetter Nager steckte sichtlich unternehmungslustig den Kopf zwischen den Streben durch.

Mitten in der Weihnachtszeit auf dem überfüllten Bürgersteig vor dem Rockefeller Center!

Haben Großstadtratten denn vor gar nichts Respekt? Ich zog mich ein paar Schritte zurück und machte mit den Absätzen möglichst viel Lärm, um das Vieh zu verscheuchen. Warum nur fühlt man sich in einer Stadt voller Menschen derart allein, wenn man einem Nagetier begegnet? Niemand sonst schien zu bemerken, wie diese Ratte verärgert mit dem haarigen Schnäuzchen zuckte, als fühle sie sich gestört.

»Geh wieder da rein!«, befahl ich und stampfte mit meinen Chanels auf. Ein Mann drehte sich um und musterte mich argwöhnisch. Bestimmt dachte er, ich wäre aus der geschlossenen Abteilung des Bellevue Hospitals abgehauen.

»Da ist eine Ratte!«, sagte ich und zeigte darauf.

Der Typ blickte zum Gitterrost und zuckte mit den Schultern, während sich der Schädling wieder zurückzog. Mir reichte es. Statt noch länger auf Grün zu warten, lief ich zwischen den Autos hindurch über die Straße und näherte mich meiner Lieblingsweinbar.

Meine Geschmacksknospen lechzten nach einem Glas samtigem Chardonnay. Ich teilte die schweren Vorhänge am Eingang und trat ein. An der Bar war es so voll, dass die Leute schon in einer zweiten Reihe standen. So stilvoll wie möglich ging ich bis nach hinten durch. Und tatsächlich war da noch eine winzige Lücke, ganz in der Nähe des Telefons. Ich stellte mich dicht an die Wand, knöpfte den Mantel auf und stand vor der schwierigen Entscheidung, mit welchem Wein ich beginnen sollte.

Und dann sah ich ihn – Mr Mittelalter, das laut Statistik mit 45 beginnt. Mit meinen 31 habe ich also noch ein paar gute Jährchen vor mir, bevor ich in Panik verfallen muss. Wie auch immer – Mr Mittelalter hatte mich bereits ins Visier genommen und begann mit einer wenig subtilen Umwerbung. Das lässige Hochziehen der Augenbraue, ein schiefes Grinsen. Irgendwie erinnerte mich sein Gesichtsausdruck an den Nager auf der anderen Straßenseite. War das auf seinem Kopf ein Toupet oder hatte sich der Kerl im Haarspray vergriffen? Um das herauszufinden hätte ich ihn länger ansehen müssen und ihn dadurch womöglich ermutigt. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich mag Männer, aber ich war nicht in der Stimmung, Austin Powers III. in die Flucht zu schlagen.

Also ignorierte ich sein breites Grinsen, knöpfte den Mantel wieder zu und kämpfte mich zurück Richtung Ausgang. Wer hatte bloß diesen Salonlöwen hier hereingelassen? Morrell’s war immer ein sicherer Zufluchtsort gewesen, den man ohne männliche Begleitung betreten konnte und sich trotzdem nicht wie ein Stück Fleisch fühlte. Ich musste unbedingt meine Freundin Lisa anrufen, die hier kellnerte. Draußen in der Kälte überlegte ich bereits, wo man sich stattdessen treffen konnte.

»Madison!«

Leo kam mit seinem typisch mürrischen Gesichtsausdruck auf mich zu. Nicht, dass er ihm schlecht stand. Groß, schlank, mit glattrasiertem, wohlgeformtem Kopf und grünen Augen, die stets etwas in der Ferne zu fixieren schienen, trug Leo seine Unzufriedenheit wie ein modisches Accessoire.

Sugar tänzelte neben ihm her, das dunkle Haar in Strähnen um ihr schokoladenbraunes Gesicht modelliert. Mit dieser Frisur erinnerte sie an eine Weihnachtselfe, allerdings eine ziemlich große. Sugar – Beine bis zum Hals und eine Figur, die mit jedem Jahr aufregender zu werden schien, seit sie die 30 überschritten hatte.

»Wahnsinn!«, rief Sugar. »Hast du gesehen, wer gerade in einem umwerfenden Patchwork-Mantel vorbeimarschiert ist? Steve Tyler!«

»Falsch«, stieß Leo zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Das war Steven Cojocaru, der Modeguru. Man kennt ihn aus der Today Show, und das Studio ist schräg gegenüber.«

»Steven Cojocaru? Ich liebe seine Berichterstattungen vom roten Teppich!«, entfuhr es mir.

Sugar presste die Hände an die Wangen. »Mist! Im Erkennen von Stars bin ich eine absolute Niete. Irgendwann werde ich noch mal die Sendung verpatzen.« Sugar war Moderatorin einer echt heißen Radiosendung – Mornings with Cream and Sugar. Sie hatte zwar ein flottes Mundwerk, verwechselte aber ständig Namen und Gesichter. »Bestimmt rede ich dann Matt Damon mit Matthew Perry oder Matt Launer an, oder wie auch immer.«

»Kann eigentlich irgendjemand diese Olsen-Zwillinge auseinanderhalten?«, fragte Leo. »Ashley ... Mary-Kate ... Ich glaube, die versuchen uns absichtlich zu irritieren.«

Sugar deutete Richtung Bar und fasste sich mit der anderen Hand an den Hals. »Ich bin wie ausgedörrt und dachte eigentlich, du wärst schon längst mit deinem Cocktail beschäftigt.«

»Total überfüllt«, erklärte ich. »Und die Klientel ist heute Abend auch nicht gerade ansprechend. Zu viele Schleimer und Sonnenbankhelden.«

Sugar lachte und versuchte durch das Fenster hineinzugucken. »Mist! Ich hatte mich so darauf gefreut.«

»Das ist echt krank«, sagte Leo. »Ich kann nicht glauben, dass du mich überredet hast, hierherzukommen, wo ich dieses Spektakel doch vom Büro aus sehen kann. Also ehrlich, all diese Menschen quetschen sich auf einem Betonplatz zusammen, nur um einen beleuchteten toten Baum anzustarren!«

»Du bist ein verdammter Lügner, und das weißt du auch.«

Sugar verdrehte die Augen. »Du fährst genauso darauf ab wie wir alle.« Sugar stammte aus dem Süden, und obwohl sie seit mehr als zehn Jahren in New York lebte, verfiel sie gern in schnoddrige Südstaatenmanier. »Ich könnte schwören«, fuhr sie fort, »dass ich ein zartes Rot auf deinen Wangen sehe.«

»Das kommt von der Kälte.« Leo zog einen Filzhut aus der Tasche und setzte ihn auf. »Ich frier mir hier meine Burritos ab. Wenn wir nicht ins Morrell’s gehen, dann lasst uns Schlittschuh laufen.«

»Dir ist kalt, aber du willst auf’s Eis?«, fragte Sugar sichtlich irritiert. »Was ist denn das für ein Unsinn?«

»Jeden Tag gucke ich aus meinem Bürofenster runter auf diese Eisbahn. Scheint eine witzige Angelegenheit zu sein, aber ich habe es bisher einfach nicht fertiggebracht, mich durch diese Horden von Touristen zu kämpfen.«

»Von mir aus können wir eislaufen«, willigte ich ein, während wir uns ohnehin der Bahn näherten. »Hab ich schon lange nicht mehr gemacht, bestimmt vor drei oder vier Jahren das letzte Mal. Damals noch mit Henry.«

Henry – eine Beziehung mit unschönem Ende. Er wollte heiraten und eine Familie gründen. Ich wollte, dass er einen HNO-Arzt aufsucht, um etwas gegen sein Schnarchen zu unternehmen. In der Zeit mit Henry hatte ich ein echtes Schlafdefizit, und das lag nicht etwa an nächtelangem Sex.

»Was ist eigentlich aus ihm geworden?«, wollte Sugar wissen.

»Das Letzte, was ich von ihm hörte, war, dass er verheiratet ist, in Brooklyn lebt und mit seiner kleinen Tochter irgendwelche Frühförderkurse für Kleinkinder besucht«, antwortete ich. »Anscheinend hat er eine Frau gefunden, die trotz seines Schnarchkonzerts schlafen kann.«

»Vielleicht hat er sich mit einer zusammengetan, die auch schnarcht«, bemerkte Sugar. »Im Duett.«

Ich nickte. »Klingt nach einem neuen Musical: Liebesschnarchen im Duett! Neu im Vivian Beaumont Theater!«

»Eifersüchtig?«, fragte Leo. »Du könntest auch schon längst mit Mann und Kind am Stadtrand leben.«

»Eifersucht trifft es nicht«, erwiderte ich. »Eher so etwas wie Bedauern.«

»Unsinn!« Sugar stupste mich am Arm. »Du bist viel zu jung, um etwas zu bedauern.«

»Es ist nur ...« Ich zögerte, weil ich eigentlich keine Lust auf das Thema hatte.

»Komm schon, jetzt kneif nicht«, stichelte Leo. »Du kannst nicht mit dem Köder vor unserer Nase herumwedeln und ihn dann wegziehen.«

»Allerdings«, beharrte Sugar. »Immer raus damit, Süße!«

»Apropos Köder ... was für einen appetitlichen Happen haben wir denn da?«, fragte ich und musterte einen Typen in einer Lederjacke. »Ist das etwa Rick?« Ich packte Leo am Mantelärmel. »Rick Granger, mein anbetungswürdiger Kameramann? Er hat doch immer für NBC hier am Rock Center gearbeitet. Hab ich recht?«

In dem Moment drehte sich die Lederjacke um und präsentierte ein schiefes Gesicht mit riesiger Nase. Also doch nicht Rick.

»Bist du übergeschnappt?«, fragte Leo.

»Vielleicht«, gestand ich. »Weißt du, genau das ist das Problem. In letzter Zeit werde ich von meinen Exlovern heimgesucht. Ich brauche mich nur umzudrehen, und schon taucht in meinem Kopf die Erinnerung an irgendein Weihnachten mit einem Kerl auf. Schlittschuhlaufen mit Henry. Shoppen bei Bendel’s mit Philippe. Nachtisch im Serendipity mit Logan ...«

»Wie schaffst du es nur, dich an all diese Männer zu erinnern?«, staunte Sugar. »Ich müsste eine alte Liebe schon über den Haufen rennen, um sie zu bemerken. Und selbst dann ... Aber ich denke doch nicht jedes Mal an eine frühere Beziehung, wenn ich an einer Straßenecke vorbeikomme, an der wir uns geküsst haben!«

»Also ehrlich«, sagte Leo, »führst du Buch über deine Verabredungen? Oder hast du alles in deinem Computer gespeichert?«

»Ich kann nichts dafür.« In gespielter Hysterie packte ich Leo am Mantelrevers. »Diese Männer verfolgen mich! Ich werde von den Geistern meiner Verflossenen heimgesucht!«

»Ganz ruhig bleiben.« Leo beäugte mich misstrauisch. »Ist das ein neuer Trick, damit wir mit dir diese alten Schinken ›Die Nacht vor Weihnachten‹ und ›Ist das Leben nicht schön?‹ ansehen?«

»Tatsächlich habe ich jetzt beides auf DVD«, gab ich zu. »Aber versuch nicht abzulenken. Es ist zum Gruseln! 31 Jahre lang ein Date nach dem anderen, und was habe ich aufzuweisen?«

»Du wirst hoffentlich deinen Spaß gehabt haben«, sagte Sugar.

»Warte mal.« Leo runzelte die Stirn. »Du hast direkt nach deiner Geburt die ersten Dates gehabt?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich hab halt früh angefangen.«

»Darum geht es doch gar nicht, Leute«, beharrte Sugar. »Der Punkt ist nicht, Übung in Beziehungen zu bekommen oder wie viel Zeit man investiert. Entscheidend ist, gemeinsam Spaß zu haben! Ihr wisst schon – den Augenblick genießen.«

»Aber wenn ich genau das im Moment versuche, wird mir noch unangenehmer bewusst, dass ich allein bin. Mein Leben lang habe ich mich bemüht, Weihnachten zu einem besonderen Erlebnis mit einem besonderen Menschen zu machen – und wozu? Dieses Jahr werde ich zum ersten Mal seit langem an Weihnachten allein sein. Und davor habe ich echt Schiss.« Ich verschränkte die Arme und schüttelte mich unwillig.

»Du musst nicht allein feiern. Du hast doch uns, mein Honiglämmchen!« Sugar drückte mich. »Stimmt doch, Leo, oder?«

»Ja, klar.« Leo tätschelte meine Schulter. »Deine dysfunktionale Großstadtfamilie wird immer für dich da sein und dich auf dilettantische Weise unterstützen. Vermittelt Sugar dir nicht ständig irgendwelche Typen? Ich bin sicher, sie kann dir ein Date fürs Baumschmücken zu zweit besorgen. Und bekommen wir nicht alle bei Jenna kostenlose Therapiesitzungen? Schleiche ich mich nicht heimlich aus dem Büro, um dir beim Ausliefern der Spielsachen zu helfen, damit du deinen Job behältst?«

Die Spielsachen – das hätte ich fast vergessen. »Das erinnert mich an was. Ich brauche dich morgen. Wir müssen bei F.A.O. Schwarz ungefähr 1000 Teddybären abholen und zum Roosevelt Hospital bringen.« Leo hatte sich bereit erklärt, mir bei einer Wohltätigkeitsaktion zu helfen, die ich im Job organisiert hatte. Eine dieser Geschichten, die sich toll anhören und sich dann als weihnachtlicher Alptraum entpuppen.

Sugar sah Leo schräg von der Seite an. »Sie hat dich da mit reingezogen?«

»Sie hat mich in einem schwachen Moment erwischt.« Er blickte hinunter auf die Eisbahn. »Laufen wir jetzt Schlittschuh oder nicht? Ich habe heute Morgen meine Fitnessstunde geschwänzt und könnte ein bisschen Bewegung gebrauchen, aber ...« Er kniff die Augen zusammen. »Du hörst mir überhaupt nicht zu, stimmt’s?«

Ich sah ihn über Sugars Schulter hinweg an. »Ich bin gerade ziemlich damit beschäftigt, mich zu bedauern.«

»Na, dann schwelgt noch ein bisschen in Selbstmitleid, ich gehe mich derweil erkundigen, was es kostet, sich Schlittschuhe zu leihen«, sagte Leo und marschierte die Treppe hinunter.

Ich presste meine behandschuhten Hände an die Wangen und versuchte mich zusammenzureißen. »Ich führe mich auf wie ein großes Kind, nicht wahr?«

»Nein! Ganz und gar nicht«, widersprach Sugar energisch. »Wir hatten in der Sendung gerade einen Beitrag darüber, dass viele Leute während der Feiertage in eine Gefühlskrise stürzen.« Als Moderatorin der Vormittagssendung hatte Sugar eine Menge über Psychologie für den Hausgebrauch gelernt. »Die Erwartungen sind hoch«, fuhr sie fort. »Die Werbung, die Ratgeber und all die Filme lassen uns glauben, wir müssten ein glückliches, mit Zuckerguss überzogenes Weihnachten feiern. Dabei haben wir in Wahrheit alle unser Päckchen an Feiertagstorturen zu tragen.«

»Es ist nicht nur wegen Weihnachten«, versuchte ich zu erklären. »Es geht darum, wo ich im Leben stehe. Über dreißig. Unverheiratet. Nicht einmal in einer Beziehung lebend. Meine Eierstöcke werden vertrocknen wie Pflaumen, wenn ich nicht bald etwas unternehme.«

»Maddy, bitte, ein Problem nach dem anderen. So sehr ich dich auch mag, verschon mich mit Gesprächen über Eierstöcke.«

»Ich kann nichts dafür.« Ich hüllte mich fester in mein Pendleton-Umschlagtuch. »Es beunruhigt mich.«

Sugar hakte sich bei mir ein. »Es geht uns doch gut, oder etwa nicht? Ehrlich, Süße, ein Leben als Single kann sehr lustig sein.«

Ich nickte zögerlich.

»Meine Mummy pflegte immer zu sagen: Wenn die Elefanten panisch die Flucht ergreifen, dann ignorier die Affen, die mit Kokosnüssen werfen.«

»Und das soll helfen, dass ich mich besser fühle?« Manchmal redete Sugar Südstaatenkauderwelsch.

Sie lächelte, und ihre perfekten Jacketkronen schimmerten im Kontrast zu dem wunderschönen braunen Teint. »Herzchen, du wirst von den Affen heimgesucht.«

»Du denkst, ich hätte einen Knall.« Unten auf dem Eis lief Leo bereits Schlittschuh – und zwar erstaunlich gut. Er beugte sich weit nach vorn und schlenkerte mit den Armen wie ein Profi. »Mir ist natürlich klar, dass viele Leute größere Probleme haben, als Weihnachten ohne einen Kerl verbringen zu müssen.«

Sugar nickte. »Mmm. Ehrlich gesagt, so sehr ich einen tollen Typen zu schätzen weiß, habe ich die Männer bisher nie als Weihnachtsschmuck angesehen. Dein Problem liegt in Wahrheit woanders. Du willst eine feste Beziehung – der Himmel weiß warum.«

»Glaubst du wirklich?« Ich hatte da so meine Zweifel. Wenn ich mir die Beziehungen, die ich während der letzten Jahre zu Weihnachten gehabt hatte, genauer anschaute, dann war nie viel Substanz hinter der Fassade gewesen. »O Gott.« Ich runzelte die Stirn. »Bin ich etwa ein Weihnachtsflittchen?«

Sugar verschränkte die Arme. »Blödsinn. Deine Bedürfnisse sind ganz normal. Es gibt einfach zu viele Leute, die nicht die geringste Ahnung haben, wie wichtig Sex für unser Leben ist. Wusstest du eigentlich, dass er gut ist für das Herz-Kreislauf-System?«

Ich runzelte abermals die Stirn. Wieder so eine Sugar-Taktik. Wenn sie dabei war, in einer Diskussion den Kürzeren zu ziehen, wechselte sie das Thema. Außerdem geht es mir bei Beziehungen um mehr als Sex, und es gab auch schon Weihnachtsfeste, bei denen ich ohne Freund dastand. Während der furchtbaren Jahre auf dem College saß ich zum Beispiel ziemlich auf dem Trockenen. Ich war von meinem vertrauten Milieu in San Francisco in die unterkühlte Atmosphäre der Columbia University gekommen, und aus irgendeinem Grund konnten die New Yorker Jungs nichts mit mir anfangen.

In dem Jahr nach meinem Abschluss flog ich an Weihnachten nach Hause und hatte im Bezug auf Beziehungen nichts vorzuweisen.

Doch dann, zu meinem großen Glück, ließen die Weihnachtselfen ihre Zauberkräfte wirken und nahmen Einfluss auf mein Schicksal. Während ich auf die Eislaufbahn hinunterschaute, musste ich an die kleine Figur denken, die Leo mir in jenem Jahr geschenkt hatte. Eine kleine Schneekugel mit dem Rockefeller Center, den rechteckigen Gebäuden rings um die Eisbahn und dem majestätischen Baum – ähnlich der Szenerie, die ich jetzt vor mir sah.

Es war das Weihnachtsfest gewesen, an dem Leo und ich uns zusammentaten. Ein tolles Weihnachten.

Wer küsst schon einen Weihnachtsmann?

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