Читать книгу Wer küsst schon einen Weihnachtsmann? - Carly Alexander - Страница 8

4. Kapitel

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Am nächsten Tag wartete ich mit meinen Enthüllungen, bis Leo und ich es uns an einem Tisch bei Enrico’s – einer meiner Lieblingsbars zum Brunchen mit Tapas – gemütlich gemacht hatten. Erst dann begann ich zu erzählen.

»Das gibt’s nicht!« Leo sah mich staunend an. »Ich bin fassungslos ... und beeindruckt.«

»Danke«, sagte ich und schnitt mir ein Stückchen Lachs-Bruschetta ab. »Ich bin selbst ein bisschen durcheinander. Auf der Highschool hätte dieser Kerl mir nicht einmal die Uhrzeit genannt.« Ich tunkte einen Selleriestreifen in meine Bloody Mary. »Er ist nicht verheiratet. Ich frage mich, ob ... ach Quatsch.«

»Träumst du gerade von einem weißen Gartenzaun und zweikommafünf Kindern?«

Ich schüttelte den Kopf. »Das wäre dumm, oder? Greg ist nichts für eine Beziehung. Ich sollte ihn als kurzfristige Eroberung betrachten.«

Leo probierte eine frittierte Auster. »Eine Kerbe in deinem französischen Bauernbett, das deine Mutter eigenhändig mit Hilfe einer Schablone bemalt hat?«

»Warum denn nicht? Männer tun das ständig.«

»Ich würde nicht im Traum daran denken, dir monogame Moralvorstellungen aufzuzwingen«, erklärte Leo und löffelte Olivenmus von seinem Teller. »Also du Meisterköchin, wirst du noch mal mit ihm zu Abend essen?«

»Das hoffe ich doch sehr! Wäre ziemlich merkwürdig, wenn er mir jetzt aus dem Weg geht – schließlich ist er der Caterer unserer Weihnachtsparty.« Ich schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Daran habe ich gar nicht gedacht. Wenn er das nun absagt? Das wäre mir so was von peinlich!«

»Bevor du dir ein großes scharlachrotes A umhängst, denk daran, dass du im Januar wieder weg bist. Und warum sollte er das Essen absagen, nur weil ihr zwei die ganze Nacht lang die Arbeitsplatte in der Küche poliert habt? Es überrascht mich eher, dass er nicht zum Frühstück schon wieder auf der Matte stand.«

»Ob er wohl anruft? Oder soll ich mich bei ihm melden?«

Leo schüttelte den Kopf. »Warte noch ein paar Stunden. Außerdem hast du versprochen, heute Nachmittag mit mir shoppen zu gehen. Weihnachtseinkäufe – obwohl ich nicht weiß, was das konkret bedeutet. Kaufen wir Mistel- und Tannenzweige? Große rote Schleifen und Weihnachtsmannmützen?«

»Ich will nach einem Geschenk für meine Mutter suchen. Jedes Jahr bin ich auf der Jagd nach dem perfekten Geschenk für sie, was nicht leicht ist.«

»Das kenne ich«, sagte Leo und strich Olivenpaste auf eine knusprige Brotscheibe. »Das perfekte Geschenk zu finden ist wie Beten für den Papst – daran verhebt man sich schnell.«

»Aber Mom weiß persönliche Geschenke zu schätzen«, widersprach ich. »Für Dad besorge ich immer After Shave oder eine Flasche Brandy. Dank seines Sparsamkeitsfimmels erzählt er mir ständig, ich solle mein Geld zusammenhalten. Mom ist da anders.«

»Tante Sophie hat mir mein Weihnachtsgeschenk schon gestern Abend gegeben«, sagte Leo, löste den goldfarbenen Chenilleschal, den er um den Hals trug und warf ein Ende lässig über die Schulter nach hinten. »Wie findest du ihn?«

»Wie für dich gemacht!«

Leo kaute hastig und nickte. »Vermutlich hat meine Mutter ihr einen Tipp gegeben, aber ist ja auch egal. Als ich auf dem Etikett den Namen Neiman Marcus las, fing mein kleines Herz an zu rasen!«

Ich musste lachen und verschluckte mich an einem Stück Brot. »Bitte«, hustete ich. »Wegen dir spucke ich noch eine Auster wieder aus.«

»Behalt dein Essen bei dir, Sally. Wir haben wichtige Einkäufe zu erledigen. Schließlich haben wir beide noch nicht das passende Outfit für die illustre Roter-Teppich-Weihnachtsparty von Robin Greenwood. Ich schlage vor, dass wir uns erst Designerklamotten ansehen und dann bei Marshalls die bezahlbaren Imitate besorgen.«

»Lieber Gott, lass uns etwas auf dem Wühltisch bei Saks finden«, betete ich. »Davon abgesehen, willst du dir etwa keinen Smoking leihen?«

Jetzt verschluckte sich Leo. Ich konnte das Entsetzen in seinen Augen lesen. »Leiht sich Michael Jackson vielleicht einen Smoking? Hat sich Rock Hudson angezogen wie ein großwüchsiger Pinguin? Du machst es mir nicht leicht, Pygmalia. Ich schlage vor, wir frühstücken zu Ende und gehen dann shoppen.«

Ich wischte mir den Mund mit der Serviette ab und ging im Kopf den Zeitplan für die nächsten Tage durch. Geschenke besorgen, Einkaufsbummel wegen Klamotten, Baum schmücken, Plätzchen verzieren. Außerdem hatten Leo und ich Karten für den Nussknacker – und Greg würde ständig bei uns im Haus herumschwirren. Mom hatte bereits erwähnt, dass er auch an diesem Nachmittag vorbeikäme. Ob er mich sehen wollte? Mochte er mich? Allein der Gedanke an ihn brachte meine Hormone auf Touren.

Um meine Teenager-Ängste einzudämmen, nahm ich einen Schluck von meiner Bloody Mary und betrachtete die funkelnden Kerzen an Enricos silber und blau geschmücktem Weihnachtsbaum.

Diese Weihnachtszeit würde für mich eine äußerst erotische Erfahrung sein.

Nach dem Frühstück spazierten wir durch North Beach und stöberten in verschiedenen Boutiquen. Leo erklärte, dass er noch unsicher sei, welche Haltung er mit seiner Kleidung am Weihnachtsabend zum Ausdruck bringen wollte.

»Ich trage nicht gern meine Gefühle mit Hilfe von Klamotten zur Schau«, sagte ich und schob die Hände in die Taschen meiner verwaschenen Jeans.

»Das ist nicht zu übersehen«, murmelte Leo und dirigierte mich zu einem Secondhandladen, in dem ich schon ein oder zweimal gewesen war. Das Rarities war in North Beach eine Institution, aber ich hatte mich nie sonderlich dafür erwärmen können, die abgelegten Sachen anderer Leute zu tragen.

Wir hatten den Laden kaum betreten, da wurde Leo magisch von einem Ständer mit Jacketts und Westen in schrillen Farben angezogen – eine Wolke aus Glitzerperlen, Rüschen und Federn. Leo hatte seine Jacke noch nicht ganz aus, da kam schon eine zierliche Frau mit wallendem schwarzen Haar herbeigeeilt, um sie zu halten, während er ein Patchworkjackett mit goldfarbenem Pelzrevers anprobierte.

»Super, oder?«, rief Leo und fuhr mit dem Handrücken über den Pelz. »Das Gold passt gut zu meinen Strähnchen.«

»Traumhaft!«, schwärmte die Schwarzhaarige.

Ich persönlich fand ja, dass das Gold ein bisschen zu dicht an Leos Strähnchen grenzte. Als hätte er eine goldene Haube über Kopf und Schultern. Aber Leo kaufte nie das, was er als Erstes anprobierte, also hielt ich den Mund und lächelte.

Wie erwartet wechselte Leo rasch zu einer perlenbestickten Weste in weihnachtlichem Rotschwarz. Obwohl er darin aussah wie ein Matador, rief die Verkäuferin, die sich als Angelique vorgestellt hatte, voller Begeisterung: »Fantastisch!«

Ich verzog mich in den hinteren Teil des Ladens, während sich Leo durch den ganzen Verkaufsständer probierte und dabei der dunkelhaarigen Angelique ein begeistertes Kompliment nach dem anderen entlockte. Unbeachtet von den beiden zog ich eine üppig mit smaragdgrünen Perlen bestickte Weste an. Sie roch muffig und fühlte sich schmuddelig an. Ich stöberte in einem Berg Pullover und tat sehr interessiert, während Leo seinem Publikum Angelique »traumhafte« Kreationen vorführte.

Schließlich kam er mit zwei Hosen nach hinten. »Die hier probier ich mal an«, sagte er, während Angelique den Vorhang der Umkleidekabine aufriss und sich dann taktvoll in eine andere Ecke des Ladens zurückzog.

»Ist der Laden nicht absolut spitze?«, schwärmte Leo, verschwand in der Kabine und zog den Vorhang zu. »Ich muss gestorben und im Himmel wieder aufgewacht sein!«

»Ich finde eigentlich, das hier ist der reinste Nepp.« Ich senkte die Stimme zu einem Flüstern und fügte hinzu: »Und die Verkäufer haben so etwas Aufdringliches.«

»Aber doch nicht Angelique!«, widersprach Leo gut gelaunt. »Sie ist einfach süß. Erinnert sie dich nicht auch an Cher?«

»Eher an Morticia Addams.«

Der Vorhang bewegte sich zur Seite, und eine Hand mit einer Hose tauchte auf. »Die hier ist nichts. Sei so nett und sage Angelique, ich werde die aus Schlangenlederimitat anprobieren.«

»Wenn’s sein muss.« Widerstrebend brachte ich die Hose zur Theke, wo Angelique gerade für einen großen dunkelhaarigen Mann mit Pferdeschwanz etwas in die Kasse eintippte. Als ich mich näherte, drehten sich beide zu mir um. Der Mann kniff die Augen leicht zusammen und musterte mich.

»Wolfie?«, fragte ich und war sicher, diese ansehnliche Augenbrauenwulst über den dunklen Augen zu kennen.

Er lächelte. »Nur noch Wolf, aber ich bin’s. Wie geht’s dir?« Er schüttelte mir die Hand auf jene energische europäische Art, die er wohl nie ganz ablegen würde. Er hatte seine Kindheit in Portugal verbracht, denn seine Eltern waren das portugiesische Königspaar. Als Wolf zwölf wurde, wollten seine Eltern aus irgendeinem verrückten Grund, dass er wie ein »normales« Kind aufwuchs, und schickten ihn zu einem Onkel nach San Francisco. Wolf besuchte öffentliche Schulen. Und so, wie Außenseiter eben immer zusammenfinden, wurden wir auf der Highschool Freunde. Nachdem ich dann aufs College wechselte, hatten wir uns aus den Augen verloren.

»Ich bin immer noch in New York«, sagte ich. »Arbeite in einem Zeitschriftenverlag und hasse es. Und was machst du?«

»Ich lebe hier und fühle mich wohl. Nach der Highschool haben mich meine Eltern nach Portugal geholt, aber es war fürchterlich ... also bin ich zurück nach San Fran.« Er blickte über meine Schulter hinweg, weil offenbar etwas hinter mir seine Aufmerksamkeit erregte.

»Madison«, flüsterte Leo mir ins Ohr, »wer ist diese coole Version von Antonio Banderas?«

Auch ohne ihn anzusehen spürte ich, wie Leos Herz vor Aufregung klopfte.

»Ein Freund aus der Highschool, Wolf Tarouca«, stellte ich vor und trat einen Schritt zur Seite, um Leo Platz zu machen. »Und das hier ist mein College-Kumpel, Leo Vespucci. Wir sind für die Weihnachtstage aus New York hergeflogen.«

»Ist mir eine Freude.« Wolf machte einen Schritt auf Leo zu und schüttelte auch ihm die Hand.

Als die beiden einander ansahen, sprühten die Funken nur so. Volltreffer!

»Du lebst also in New York?«, fragte Wolf den Mann, den er soeben kennengelernt hatte – und nicht etwa mich, seine alte Highschool-Freundin. »Hin und wieder bin ich auch dort. Ursprünglich komme ich aus Portugal, aber San Francisco ist meine eigentliche Heimat. Ich finde es hier echt toll.«

»Ich auch.« Leo ließ die Lüge derartig geschmeidig über seine Lippen kommen, dass ich eine Sekunde lang versucht war, ihm zu glauben.

Ich wollte gerade einflechten, wie schön es sei, Wolfie wiederzusehen, da merkte ich, dass ich bei diesem Gespräch gar nicht mehr mit von der Partie war. Ich war wie ein Elektron, das um ein atomares Liebesfest kreiste.

Diese Kerle hatten sich auf Anhieb ineinander verguckt.

Es hätte keine netteren treffen können. Trotzdem verspürte ich Neid. Warum begegnete mir nie die bedinglose Liebe? Klar, ich hatte einen äußerst lustvollen Tag mit Greg verbracht, aber das war etwas anderes. Wir sahen weder Sternchen noch erlebten wir eine emotionale Beziehung von der Intensität kollidierender Planeten.

»Für dich?«, fragte Leo, als Wolf eine Plastiktüte an sich nahm.

Wolf nickte und öffnete die Tüte, damit wir einen Blick auf den kastanienbraunen Hausrock aus Brokat werfen konnten – sehr schick und total retro. »Gerade abgeholt«, erklärte Wolf. »Die Manschetten mussten passend gemacht werden.«

»Ein Traum«, säuselte Angelique. »Einfach fantastisch, nicht wahr?«

»Warum finde ich nie so etwas?«, wandte sich Leo an Angelique.

Die weibliche Variante von Cousin It zuckte mit den Schultern. »Das klappt schon noch. Es braucht eben Zeit.«

Ich wollte gerade die Bemerkung fallenlassen, dass ich auch noch auf der Suche nach dem passenden Weihnachtsoutfit sei. Aber dann würde Angelique denken, dass ich etwas bei ihr kaufen wollte, und wir beide hatten wohl kaum die gleiche Auffassung von »Fantastisch!«.

»Madison, ich freue mich unheimlich, dich zu sehen«, wandte sich Wolf plötzlich wieder mir zu. »Lass uns mal was trinken gehen, so lange du noch hier bist.«

»Unbedingt!« Leo klang wie eine Figur aus einem Noel-Coward-Stück.

»Wie lange bleibt ihr?«

»Ich muss direkt nach Weihnachten zurück«, antwortete Leo.

»Dann bleibt uns nicht viel Zeit«, erwiderte Wolf und sah auf die Uhr. »Was habt ihr beide denn jetzt vor?«

Wie der Zuschauer bei einem Tennismatch blickte ich vom einen zum anderen, während die beiden zügig den Entschluss fassten, sämtliche Shoppingtouren abzubrechen und stattdessen irgendwo ein Bier zu trinken. Und ehe ich mich versah, lag das Rarities mit der transsylvanischen Angelique und den muffigen Secondhandklamotten hinter uns. Wir kletterten in Wolfs BMW-Cabrio und fanden es witzig, mit offenem Verdeck zu fahren. Wolf lenkte mit der einen und schaltete mit der anderen Hand, während er sein Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt hielt, um jemandem in seinem Büro Bescheid zu geben, dass er etwas später zurückkäme.

Ich hockte schweigend auf dem Rücksitz und war mächtig beeindruckt. Ein Typ mit einem coolen Auto, einem Handy und einem Job, bei dem er einfach anrufen und sagen konnte, dass er später kam. Warum hatte ich eigentlich vier lange Jahre auf dem College verschwendet? Wir entschieden, eine neue Bar in der Cannery auszuprobieren, weil man dort jede Menge Touristen begaffen konnte. Während wir über die Hügel und durch dichte Nebelbänke fuhren, alberten wir fast die ganze Zeit herum. Ich hatte diesen feuchtkühlen Nebel, der so typisch ist für San Francisco, ganz vergessen. Als wir in der Cannery ankamen, kräuselte sich mein Haar wegen der feuchten Luft. Aber da ich mit zwei schwulen Männern unterwegs war, die nur Augen füreinander hatten, konnte ich mir die Mühe sparen, es zähmen zu wollen.

Während der ersten Runde Margaritas bekam Leo von Wolfie die Zusammenfassung seines Lebens im Format einer Hochglanzillustrierten präsentiert.

»Meine Eltern sind das portugiesische Königspaar. Ich stehe an erster Stelle der Thronfolge, allerdings fällt es mir schwer, mit dem damit verbundenen Lebensstil zurechtzukommen.« Wolfs Blick verdüsterte sich und er starrte auf die Tischplatte. »Diese endlosen Pflichten und Zeremonien, bei jedem Schritt steht man unter Beobachtung, selbst die alltäglichsten Pläne unterliegen formellen Vorschriften ...«

»Heilige Scheiße!« Leo hielt ehrfurchtsvoll die Luft an. »Du bist ja wie Bonnie Prince Charlie! Ich hatte keine Ahnung, dass es so etwas außerhalb von England und Monaco überhaupt noch gibt.«

»Und ob«, versicherte Wolf. »Aber wir regieren keine Länder mehr, sondern befolgen Protokolle. Die meiste Zeit verbringen wir damit, Spendengelder einzusammeln. Und dann ist da noch diese dämliche Verpflichtung, ein gutes Beispiel abgeben zu müssen. Ein fürchterlich langweiliges Leben.«

Leo nahm sich einen Tortillachip, brach ihn in der Mitte durch und wandte sich mir zu. »Unglaublich, dass du mir nie von ihm erzählt hast.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Wolf ist ein Freund. Dieser ganze königliche Quatsch hat für mich nie eine Rolle gespielt. Auf der Highschool war er für mich wie alle anderen Kumpel.«

»Klar.« Leo lächelte verlegen. »Aber ich stehe nun mal auf Promis, sorry, Wolf. Und ich war noch nie in königlicher Gesellschaft.«

»Keine Sorge«, sagte ich. »Du musst dich nicht verbeugen. Wolf ist ein ganz normaler Typ – allerdings mit Stil.«

»Das ist einer der Gründe, warum es mir hier so gut gefällt.« Wolf hob das Glas, lehnte sich zurück und ließ den Blick über die blaue Bay schweifen. »Nur wenige Menschen wissen, wer ich bin. Und für die ist es nicht wichtig. Das ist unglaublich befreiend. In Portugal stände ich bei jedem Schritt unter Beobachtung.« Er trank einen Schluck und lächelte dann. »Ich liebe meine Familie, aber wenn ich mir vorstelle, wie mein Leben offiziell in fünf oder zehn Jahren aussehen soll, dann weiß ich, dass ich hierher gehöre.«

Leo schlug mit zwei Fingern auf den Tisch. »Dann solltest du, verdammt noch mal, auch hier bleiben.«

»Ich wünschte, es wäre so einfach«, entgegnete Wolf. »Als erstgeborener Sohn bin ich nun einmal der Thronfolger. Ich soll leben, wie es für einen Prinzen – den zukünftigen König – angemessen ist. Aber ich versuche, meinen Vater zu überreden, die Thronfolge an meinen jüngeren Bruder zu übergeben. Jorge ist viel geeigneter für diese Aufgabe und wäre auch bereit dazu. Er hat eine portugiesische Freundin aus guter Familie und mag diesen ganzen Rummel um seine Person.« Wolf rieb über die Kondenstropfen an seinem Glas, dann hob er den Kopf und blickte Leo an. »Was ist mit dir? Wo ist dein Platz auf dieser Welt?«, fragte er ernst. »Wo möchtest du in fünf oder zehn Jahren sein?«

Leo seufzte. »Eure Hoheit, wenn ich darauf eine Antwort wüsste, wäre ich König der Welt.«

Als wir bei der dritten Runde Bier angelangt waren, verfärbte sich der Himmel über der Bay allmählich kobaltblau. Rote und weiße Weihnachtslichter schmückten die Boote am Fuße des Hügels und flackerten in der hereinbrechenden Dämmerung. Dämmerung ... Es wurde langsam spät, Greg wollte vorbeikommen. Aber um wie viel Uhr? Mein alkoholgetränkter Verstand konnte sich an solche Details nicht mehr erinnern, aber ich wusste immerhin, dass ich jetzt mal aufbrechen sollte.

Ich stand auf und fuhr mir mit den Fingern durchs Haar, als könne dies meinen Verstand ausnüchtern. »Ich muss los. Habe noch einen Termin mit dem Caterer«, sagte ich augenzwinkernd zu Leo. »Vergiss nicht, dass wir heute Abend den Baum schmücken sollen.«

»Stimmt.« Leo lehnte sich zurück, war aber ganz offensichtlich nicht willens, sich aus Wolfs Gesellschaft zu verabschieden.

»Ich fahre mit dem Cable Car und wir treffen uns später zu Hause.«

Leo nickte, und Wolf versprach, ihn bei uns abzusetzen. Er konnte sich sogar noch daran erinnern, wo meine Eltern wohnten. »Echt nett von dir«, sagte ich und kramte in meiner Tasche nach Geld, um meine Drinks zu bezahlen.

»Lass mal, ich übernehme das«, beharrte Wolf. »Ich schulde dir sowieso noch einen Gefallen. Dein Vater hat sich super um meinen Dad gekümmert, als der hier war.«

Das war mir neu. »Tatsächlich?«

»Hat er dir das nicht erzählt? Mein Vater war zu Besuch hier und klagte plötzlich über Schmerzen in der Brust. Dein Vater hat sich sofort um ihn gekümmert und ist bei ihm geblieben, bis alle Untersuchungen abgeschlossen waren. Es stellte sich heraus, dass es nur eine Muskelverspannung war. Dein Dad hat ihn beruhigen können.«

»Freut mich«, sagte ich und überlegte, warum mein Vater es nie erwähnt hatte. Allerdings war mein Vater ja nicht gerade der Gesprächigste. Ein guter Arzt und ausgezeichneter Kardiologe, der mich zwar liebte, als Vater jedoch ziemlich unbeholfen war. Dad hatte eine schnelle Auffassungsgabe, aber wenn etwas nicht in einer medizinischen Fachzeitschrift oder als Lehrstoff der medizinischen Fakultät verbreitet wurde, fand es nur schwerlich Dr. Greenwoods Aufmerksamkeit.

Während ich durch den Nebel von San Francisco und diverser Margaritas den Hügel hinunter zur Haltestelle marschierte, fragte ich mich, ob Dad wohl heute Abend zum Schmücken des Baumes auftauchen würde. Es war Familientradition, aber er hatte es trotzdem schon ein paar Mal verpasst, weil es mit irgendeinem Termin kollidierte. Ich fand es bewundernswert, wie meine Mutter es all die Jahre ausgehalten hatte, neben seinem Job immer nur die zweite Geige zu spielen. Kein Wunder, dass sie sich in pedantische Dekorationsorgien stürzte und sich ständig mit Freundinnen wie Emily oder Camille zum Lunch oder Tee traf.

Als ich zu Hause hereinplatzte, saß meine Mutter im Wohnzimmer vor dem Kamin auf dem Fußboden. Das Feuer erfüllte den ganzen Raum mit wohliger Wärme, und Mom hatte rote Wangen. Von ihr ging ein Strahlen aus, das ich nur der Vorfreude auf Weihnachten zuschreiben konnte.

»Wie war dein Einkaufsbummel, Schatz?«, fragte sie und fuhr geschickt mit ihrer Heißklebepistole um eine rote Samtkugel herum, an der sie dann ein goldenes Band befestigte.

»Lustig, aber ergebnislos«, berichtete ich. »Wir haben zufällig Wolfie Tarouca getroffen, und Leo ist noch mit ihm unterwegs. Was machst du gerade?«

»Baumschmuck für die Versteigerung beim Wohltätigkeitsball des Krankenhauses. Wie geht es Wolfie? Und seinem Vater?«

»Gut.« Ich zog meine Lederjacke aus und ließ mich aufs Sofa fallen. »Warum hast du mir nicht erzählt, dass sein Vater bei unserem Dr. Greenwood in Behandlung war?«

»Wusstest du das nicht?« Mom zuckte mit den Schultern. »Du kennst doch deinen Vater. Ich bekam es auch nur mit, weil seine Sekretärin es zufällig erwähnte.«

Ich nahm ein blaues Band mit Pailletten und wickelte es mir um den Zeigefinger. »Mom, machst du dir nicht manchmal Gedanken wegen Dad? Diese Verschlossenheit, diese ... ich weiß auch nicht. Er ist so ein Eigenbrötler.«

Mom nickte. »Und ob ich mir Gedanken gemacht habe! Ich habe mich oft darüber beklagt und ihm Vorwürfe gemacht. Wir hatten mehr als eine Auseinandersetzung, weil er nur für seinen Job lebt und sich kaum für die Familie interessiert.«

»Und was hat es bewirkt?«

»Nichts«, erwiderte Mom und drückte ein Band auf einer Kugel fest.

»Hat er dir denn mal versprochen, dass es sich ändern würde, weil seine Familie ihm am allerwichtigsten ist?« Ich konnte kaum glauben, dass eine derart sentimentale Phrase über meine Lippen kam, aber irgendwie war es mir wichtig.

Mom schaute hoch und sah mich mit ihren grauen Augen bedauernd an. »Er hat immer gesagt, dass ihm die Familie wichtig sei. Aber er hat mir auch erklärt, dass er sich zum Chirurgen berufen fühle. Er hat mich gefragt, was wohl wichtiger sei – ein Menschenleben zu retten oder bei einer deiner Ballettaufführungen dabei zu sein.«

»Das ist eine unfaire Frage!« Ich warf das blaue Band auf den Tisch.

Mom nickte nur.

»Du musst dir echt eine Menge Mist von ihm gefallen lassen.«

»Pass auf, was du sagst, Liebes«, erwiderte Mom. In dem Moment klingelte es an der Haustür. »Das muss Greg sein.«

»Ich mache ihm auf.« Ich fuhr vom Sofa hoch und hatte plötzlich Sorge, dass mein Haar fürchterlich aussah. Vorne im Windfang warf ich rasch einen Blick in den goldgerahmten Spiegel. Der Wind und die feuchte Luft hatten ihren Tribut gefordert, aber ich fand die wilde braune Mähne rund um mein Gesicht gar nicht so schlecht. Ich kämmte sie rasch mit den Fingern und öffnete dann die Tür.

»Hi, Madison.« Greg war ganz in Schwarz gekleidet und wirkte vor dem dunklen Himmel wie das Titelbild von GQ.

Mein Herz machte einen Freudensprung, als er einen Finger in die Schlaufe meiner Jeans hakte und mich an sich zog. Während er seine Wange an meiner rieb, sog ich den dezenten Duft seines Rasierwassers ein. »Ich bin scharf auf dich«, flüsterte er.

Ich legte die Hände auf sein schwarzes Seidenhemd und brannte darauf, zu rufen: »Nimm mich auf der Stelle!« – oder irgendetwas, das cooler wirkte, aber Greg war bereits auf dem Weg hinein. Ich musste sein Hemd loslassen. Verdammt! Wie zum Teufel sollte ich bis in seine Boxershorts vordringen, wenn Mom in der Nähe war?

Während ich ihm ins Wohnzimmer folgte, dachte ich über seine mehr als unkonventionelle Begrüßung nach. Greg wollte mich! Vielleicht hatte ich endlich den Fluch bannen können, der seit vier Jahren alle begehrenswerten Männer von mir fernhielt!

Mom und Greg unterhielten sich bereits angeregt über das logistische Problem, hundert Gäste zu bewirten und dennoch entspannt zu bleiben.

»Ich denke, das Porzellan aus dem Vorratsraum im Keller müsste reichen«, erklärte Mom. »Es muss natürlich erst in die Spülmaschine. Da es sich um verschiedene Muster handelt, sollten wir es entsprechend auf die Räume verteilen. Ich möchte ungern Oliven auf Lenox-Porzellan neben einer Royal-Doulton-Platte mit Rohkost stehen haben.«

»Keinesfalls«, pflichtete Greg ihr bei. »Am besten mache ich eine Bestandsaufnahme vom Porzellan und fange schon mal mit dem Spülen an.«

Mom nickte zustimmend. »Im Keller steht eine neue Spülmaschine, aber Sie können natürlich auch jederzeit die Geräte hier oben benutzen.«

Mom ist leidenschaftliche Sammlerin von Kristallglas und Porzellan. Unser Kellergeschoss war vor Jahren zu einer Einliegerwohnung umgebaut worden, die meine Eltern theoretisch hätten vermieten können, wenn sie es denn ausgehalten hätten, dass Fremde in ihrem Haus lebten. Ich weiß – das klingt alles übertrieben und dekadent, aber Mom hatte ihr kostbares Porzellan im Laufe der Jahre bei unzähligen Reisen zum Beispiel in die Tschechoslowakei (als es den Staat dieses Namens noch gab) und nach Dresden erstanden, und irgendwo musste das Zeug ja hin. Immerhin benutzte sie es täglich– sie servierte Orangensaft in Waterford-Gläsern und Cornflakes in hübschen Mikasa-Schälchen.

»Perfekt«, sagte Greg und drehte sich zu mir um. »Zeigst du mir unten alles, Madison? Mom kann dann hier in Ruhe weiterarbeiten.«

Er nannte sie Mom! Ich musste vor Aufregung schlucken. Hatte ich mir etwa Greg Kasami geangelt, einen der begehrtesten Junggesellen von San Francisco? Ich sah im Geiste schon die langen Gesichter dieser arroganten Zicken von der Highschool vor mir. Ich würde jede einzelne von ihnen zu unserer Hochzeit einladen ... jeden Cheerleader und jede dieser durchgestylten Blondinen.

»Sagt Bescheid, falls ihr irgendetwas nicht finden könnt«, sagte Mom und beugte sich vor, um ihre Klebepistole neu zu laden.

Sollte es tatsächlich so einfach sein, mir ein bisschen Freiraum mit Greg zu verschaffen?, fragte ich mich überrascht. Ich schlüpfte also in die Rolle der gehorsamen Tochter und führte Greg die Treppe hinunter ins Kellergeschoss. Die Bezeichnung »Keller« wurde diesem Teil des Hauses in keiner Weise gerecht, da der hintere Teil normalgroße Fenster hatte und eine Tür, die zu Moms englischem Garten führte. Der befand sich momentan im Winterschlaf, war aber mit Lichterketten an den Blumenspalieren und Glaskugeln in den Bäumen hübsch dekoriert.

Ich schaltete das Licht in der Küche unten an und wies mit ausgebreiteten Armen auf die Einbauschränke. »Und hier sehen Sie das Greenwood-Familienvermögen, angelegt in Kristall und Porzellan.«

Greg warf mir einen überraschten Blick zu. »Ich wusste gar nicht, dass du so viel Humor hast.«

»Wie solltest du auch?«, erwiderte ich, während er einen Schrank nach dem anderen öffnete, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Schließlich hatte er sich früher nicht einen Deut für mich interessiert!

»Lass uns diese hier zuerst spülen«, schlug Greg vor und nahm einen Stapel Royal-Doulton-Servierplatten heraus, weiße Teller mit wunderschönem blaugoldenem Wappen in der Mitte. Während er das Lenox-Porzellan und alle Mikasa-Teile durchzählte, belud ich vorsichtig den Geschirrspüler mit den Platten und verstellte den Oberkorb, so dass der Dreharm genügend Platz hatte. Sobald die Maschine voll war, füllte ich Spülmaschinenpulver ein und drückte den Startknopf.

»Was jetzt, Boss?«, fragte ich und fand, dass wir gut zusammenarbeiteten.

Das Geräusch des hereinströmenden Wassers war zu hören. Greg schloss die Schranktür, kam auf mich zu und stellte sich dicht vor mich. »Als Nächstes ziehen wir uns aus.«

Ich lachte, während er meinen Pullover hochschob und mit den Händen darunterfuhr. Ich trug einen Body, und Greg strich mit den Handflächen zärtlich über die Seide, ehe er meine Brüste umschloss. Wie ich es liebte, von ihm berührt zu werden! Aber ich musste vorsichtig sein, schließlich war Mom oben.

»Okay«, sagte ich und rieb meine Hüften an seinen. »Ich ziehe mich aus. Aber was tun wir, wenn Mom runterkommt?«

Er stöhnte voller Verlangen auf. »Sie wird nicht runterkommen«, murmelte er an meinem Hals. »Oder bringt dich der Gedanke, mit heruntergelassenen Hosen ertappt zu werden in Stimmung? Auf manche Leute wirkt das wie ein Aphrodisiakum.«

So wie Greg mich anfasste, waren anregende Mittel überflüssig. »Ich brauche diese Gefahr nicht«, sagte ich und zog sein Seidenhemd aus der Hose. »Aber das hier schon.« Ich presste meine Hand auf die Wölbung seiner schwarzen Jeans, und Greg stöhnte erneut. Er beugte sich vor, um mich zu küssen, und ich fühlte mich ihm unglaublich nahe. Wir seufzten beide vor Lust.

Schließlich hörte er auf, mich zu küssen, und öffnete rasch den Reißverschluss meiner Jeans. »Lass uns einen geeigneten Platz suchen«, sagte er, während er meine Hose herunterzerrte, die Druckknöpfe meines Bodys öffnete und mit zwei Fingern in mich eindrang. »Hinter einer Tür oder in einem Schrank ... irgendwo, wo man uns nicht sofort sehen kann.«

Ich stöhnte. Wie sollte ich nachdenken, wenn sich mein Körper längst in lustvoller Ekstase befand? »Das hintere Zimmer«, gelang es mir zu hauchen. Ich zog meine Hose hoch und stolperte in das kleine Hinterzimmer, das ursprünglich als Büro meines Vaters gedacht war. Allerdings hatte er es nie genutzt. Ich zog Greg hinter mir her und ließ seine Hand nur los, um den Gaskamin anzuschalten. Er verriegelte die Tür hinter uns, kam im Lichtschein der Flammen auf mich zu und schloss mich zärtlich in die Arme.

Unter leidenschaftlichen Küssen zerrten wir uns gegenseitig die Kleidung vom Leib. Dann lagen wir auf dem Boden, rollten über den Perserteppich, bis Greg stöhnte und mich unter sich festhielt. Ich war so feucht vor Verlangen, dass er ganz leicht in mich hineingleiten konnte. Trotzdem drang er nur ein kleines Stück ein, so zart und lockend, dass es mich nach mehr verlangte.

»Ja!«, stöhnte ich, als er schließlich ganz in mich hineinstieß.

Nebenan machte der Geschirrspüler ein sprudelndes Geräusch. Offenbar lief das Wasser nach. Unter dem Schutz des Rauschens ließ ich mich in die wahnsinnige Lust fallen, die Greg bei mir geweckt hatte.

O ja, ich konnte mir gut vorstellen, genau das in fünf Jahren zu tun ... und in zehn Jahren ... und auch noch in dreißig. Ja, ich könnte das bis in alle Ewigkeit tun.

Wer küsst schon einen Weihnachtsmann?

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