Читать книгу Im Auftrag Ihrer Möwlichkeit - Carmen Immel - Страница 9

Kontakt

Оглавление

Thomas arbeitete als Anwalt in Frankfurt. Er wohnte in einer Dachgeschosswohnung, hoch über der Stadt und konnte sich dank seiner zahlungskräftigen Mandanten alles leisten. Er war Mitte 40 und recht gut aussehend. Allerdings war Thomas nie ganz zufrieden mit seinem Leben und träumte schon lange davon, auszuwandern. Er hatte die Großstadt satt. In seiner Wohnung konnte er weit über die Stadt blicken und manchmal verspürte er große Sehnsucht, wenn Vögel auf seinem Balkongeländer saßen und zwitscherten. Thomas hatte sich gerade von seiner Freundin getrennt. Sie war eigentlich eine Art Traumfrau und passte perfekt in sein Leben. Aber seine Katharina war kaltherzig. Abgebrüht und irgendwann erwischte er sie beim Flirten mit einem Mandanten. Sein Leben plötzlich war leer und inhaltslos. Er fühlte sich ausgebrannt. Oft sprach er mit seinen Freunden darüber. Die wussten aber auch keinen Rat. Wie gerne würde er mal wieder ans Meer fahren und einfach mal tief durchatmen. Ein Cut musste herbei. Ein kompletter Schnitt in seinem Leben. Aber wie sollte er das machen? Verträumt saß er eines Abends auf seiner Dachterrasse, als eine kleine Schar Vögel auf seinem Balkongeländer Platz nahm. Er war entzückt und sprach freundlich zu ihnen. Die Vögel hörten ihm anscheinend aufmerksam zu.

»Ach, ihr habt es so gut. Ihr könnt fliegen, wohin ihr wollt. Ich bin hier an Menschen gebunden, die sich wegen Nichtigkeiten streiten. Ich mache aus Freunden Feinde. Ich frage nicht nach Ungerechtigkeit in Scheidungsangelegenheiten, ich folge dem, der kräftig zahlt. Und? Ist das alles gewesen? Früher hatte ich einen Hund. Wir machten lange Spaziergänge. Ich wohnte mit meinen Eltern auf dem Land. Ich kann heute noch den Duft von Heu riechen. Jetzt rieche ich nur noch die Stadt. Ich habe das Gefühl, mein Leben zieht an mir vorbei« Die Vögel schauten sich an und nickten. »Jungs und Mädels? Ich glaube, hier sind wir richtig. Was hat die Tretmiene von den Azoren gesagt? Sucht den Anwalt im feinen Zwirn. Der Schäferhund läuft vorm Hochhaus herum. Da unten pinkelt er gerade an die Laterne. Also muss er es sein. Zudem wird dem Schlipsträger schwindelig, wenn wir zwitschern. Das ist das Zeichen. Gib mal das Bild her, Karlchen«, zwitscherte Kuddel der Mauersegler. Karlchen zog aus seiner Tasche ein Bild und hielt es den anderen Vögeln hin. Thomas nippte gerade an seinem Whiskyglas, und als er das sah, nahm er einen kräftigeren Schluck und setzte sich auf. Er rieb sich die Augen. Hatten die Vögel sich gerade über ihn unterhalten? Er musste weniger trinken, das war ihm jetzt klar. Die Vögel flogen davon. Ein kleines Zettelchen fiel vor Thomas auf den Terrassenboden. Er hob es auf und erschrak. Das war ein Foto von ihm. Thomas brauchte frische Luft. Sofort. Obwohl er ja im Freien stand. Er musste raus hier. Laufen, gehen, egal. Er wollte sich noch einmal Gedanken zu seiner Auswanderung machen und zog sich eine leichte Jacke an. Dann stieg er in den Fahrstuhl und fuhr grübelnd nach unten. Sein Handy klingelte. Mal wieder. Er schaute auf das Display und drückte das Gespräch ärgerlich weg. Er verließ den Eingangsbereich durch die Drehtür und blieb kurz danach stehen. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Ein kurzes "Wuff" von der anderen Straßenseite erklang und Thomas sah einen Schäferhund. Er ging los. Er war fast alleine auf der Straße. Ziemlich ungewöhnlich für diese Uhrzeit. Er ging zum Main hinunter. In den Augenwinkeln sah er, dass er von dem Hund verfolgt wurde. Er drehte sich ruckartig herum, blieb stehen und sagte laut zu dem Schäferhund:

»Ok, ich weiß nicht, was du von mir willst, aber bitte suche dir ein anderes Herrchen. Ich bin nicht geeignet« Der Schäferhund reagierte und gab Antwort. Obwohl er sich umschaute, erkannte Thomas niemanden, der ihn sonst hätte, ansprechen können. Er schaute also wieder auf den Schäferhund und fing laut anzulachen. Dies wiederum passte dem Hund gar nicht und der schimpfte wild drauf los.

»Eye Alter, sag mal, ich bin zwar ein Hund, aber so lustig finde ich das jetzt nicht. Ich weiß, dass Du Tiere verstehen kannst und man hat mir gesagt, wo ich Dich finden kann. Jetzt hör´ auf zu kichern und hör´ mir doch mal zu - dann kannst Du immer noch umfallen« Thomas taumelte, stolperte und schlug mit dem Kopf aufs Bordsteinpflaster. Als er aufwachte, schleckte ihm eine lange Zunge quer durchs Gesicht und er blickte in die Augen des Hundes. Hatte ihm sein Hirn also doch nichts vorgegaukelt?

***

Das war vor ein paar Tagen. Nun saß Thomas in seinem Büro und hielt einen Brief in der Hand. Es waren also nicht nur die Papageien von seiner Ex-Freundin, die ihn tatsächlich angesprochen hatten. Er hatte zudem auch noch die Katzen aus dem Nachbarhaus verstanden. Bei den Papageien war er nicht sonderlich verwundert, aber wenn Katzen sich Witze erzählten oder von der letzten Mäusejagd berichten, dann sollte einem das schon zu denken geben. Aber er durfte jetzt nicht an seinem Verstand zweifeln, den brauchte er noch, denn beruflich war er Anwalt und musste seinen Mandanten - so gut es ihm nur möglich war - beiseite stehen. Das hatte er bis vor einigen Tagen auch noch getan. Bis zu diesem Erlebnis. Er benötigte unbedingt eine berufliche Auszeit, das war ihm jetzt klar. Anscheinend fing er an zu spinnen. Er ging ans gekippte Fenster im Büro, weil er eine affektierte Stimme keifen hörte. Da sah er auf der Straße einen Hund und eine Frau, die laut auf ihn einsprach. So hätte man noch nicht einmal mit einem Baby geredet, dachte sich Thomas. Dann hörte er den Hund sprechen:

»Sach´ mal Muttchen, heute zuviel Talkshow geguckt? Bist ja wieder vollkommen von der Rolle. Erst soll ich genau neben Deinen Stinkefüßen hergehen und dann soll ich wieder platzen oder sonst was Blödes machen. Was willst Du eigentlich von mir?«, rief der Hund empört.

»Ich habe die Faxen dicke, ich nehme mir einen Anwalt!«, sprach er weiter und schnappte nach der Frau. Diese nahm die Leine, die sie die ganze Zeit aufgerollt in der Hand hatte, und wollte damit zuschlagen. Thomas klopfte wie wild gegen die Scheibe und die Frau schaute zu Thomas hoch. Schnell versteckte sie die Leine in ihrer Tasche und zog den Hund am Halsband zu ihrem Auto, welches in der Nähe stand. Bevor der Hund in den Kofferraum des Autos sprang, zückte er noch seine Vorderpfote und streckte den hündischen Mittelfinger aus. Die Frau sah das natürlich nicht. Aber Thomas spuckte seinen Kaffee aus, den er gerade geschluckt hatte. Er war gespannt, ob das sein nächster Fall sein würde. Aber erst musste er sich um den Brief kümmern, der auf seinem Schreibtisch lag. Den Psychiater musste er auch anrufen, denn die Telefonseelsorge würde wahrscheinlich direkt auflegen und seine Bekannten ihm einen Vogel zeigen. Was also tun? Er verstand Tierstimmen. Das hatte er jetzt begriffen. Er wurde gezwungenermaßen zum Tierschützer und hatte sich bisher nie Gedanken darum gemacht. Aber wenn er die Briefe las, sein Staunen und seinen immer noch Nix-Kapier-Status ablegte - was ihm sichtlich schwerfiel - erkannte er die Notwendigkeit. Die Tiere hatten es bitter nötig. Laut schriftlicher Aufforderung sollte er demnächst tierische Mandanten betreuen. Hühner, die ihren Hahn verklagten. In einem Messi-Haushalt mussten Kaninchen und Katzen versorgt werden und der Besitzer lehnte sich gegen die Tierschützer auf. Hühner waren ja schon schlimm in Sachen Berichterstattung, aber wenn Katzen loslegten, wurde es brisant. Alle redeten durcheinander und falls sie ihren Willen nicht sofort bekamen, fauchten sie ihn auch noch an. Er hatte sich also in kürzester Zeit einigermaßen mit der Tatsache angefreundet, dass er Tiere verstand. Aber nun hielt er diesen Brief in der Hand. Er schaute zudem auf den PC vor sich und grübelte. Immer wieder sah er auf die Bilder und langsam fand er Gefallen an der Sache. Was würde nun auf ihn zukommen? Er war gespannt. Aber er musste den Brief noch einmal lesen, weil er immer noch dachte, er hätte eine Meise. Er sah ein letztes Mal auf den Monitor, kniff die Augen zusammen und versuchte zu kapieren. Er kniff die Augen zusammen und las den Brief.


Verehrtester Anwalt,

Sie lesen richtig. Ziehen Sie Ihre Brille gerade und hören Sie auf zu staunen! Ja, Sie haben Post von einer Seemöwe. Ich kann Ihren Gesichtsausdruck geradezu vor mir sehen. Kinnlade hochziehen und konzentrieren! Häkem … da ist ein Delfin. Sein Name ist Sam und in der Kartei Nr. 17. Er soll aus dem Delfinarium ausgewildert werden und das Projekt ist einzigartig. Meine ehrenwerte Kollegin Sandra, ein Menschenkind, wird sich mit ihrer Organisation um die Auswilderung kümmern. Sie gehen bitte zu Sam und erklären ihm alles Weitere. Wir haben Sam schon einige Nachrichten zukommen lassen und er würde sich mächtig freuen, wenn Sie ihm helfen. Wenn es uns gelingt, Sam da raus zu holen, haben Sie etwas gut bei mir. Überraaaaschung! Hi, hi, hi, oh Entschuldigung. Es geht immer mit mir durch. Sind Sie eigentlich Single? Hoppla. Wenn sie mit dem Staunen fertig sind, können Sie sich auf den Weg machen und mich fortlaufend über den Gang der Dinge unterrichten!

Ihre Elise von und zu, nicht adelig, aber goldig

Im Auftrag Ihrer Möwlichkeit

Подняться наверх