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Beim Tierarzt

Dr. vet. Benedikt Brkic steht auf dem Schild an der Tür. „Oh mein Gott, wie man das wohl ausspricht?“ Maria wirkt richtig verzweifelt. Ich kann mir gar nicht erklären, warum. Mit einem Mal scheint ihr eine Last von den Schultern zu fallen und sie sagt: „Ach was, ich sag einfach Herr Doktor.“

Zum Glück bleiben ihr die Anspracheprobleme erspart. An der Rezeption sitzt eine sehr nette Tierarzthelferin, auf deren Namensschild ein fettgedrucktes „Müller“ prangt. Es kann also doch noch alles gut werden.

„Guten Tag Frau Müller. Maria Tschida ist mein Name. Mir ist dieser kleine Hund vors Moped gelaufen und ich möchte gerne sichergehen, dass er unverletzt ist.“

Hab ich da richtig gehört? Unverletzt? Dem widerspreche ich direkt mit einem kläglichen Stöhnen. Davon ist sogar die Arzthelferin alarmiert und kommt hinter ihrem Tresen vor. Sie nimmt mich aus Marias Arm und trägt mich in ein Untersuchungszimmer. Ins Wartezimmer ruft sie schnell: „Sorry, es dauert ein Weilchen. Notfall nach Unfall!“. Und in Richtung „Heilige Hallen der Tierarztpraxis“ fordert sie den Tierarzt an. „Benedikt, kommt schnell! Französische Bulldogge nach Unfall.“ Maria steht kurz etwas hilflos an der Rezeption. Dann eilt sie der Frau Müller und mir hinterher.

Als Frau Müller mich auf die kalte Untersuchungsliege legt, geht ein Zittern durch meinen Körper. „Oh mein Gott, hat er Schmerzen?“ Maria hat Tränen in den Augen. Schräg von hinten eilt eine angenehm tiefe Stimme an mich heran, die sagt, dass sie zum Tierarzt gehöre. „Doktor Brrrkitsch, Benedikt reicht. Ob er Schmerzen hat, werden wir gleich feststellen.“ Mir persönlich wäre es ja lieber, wenn sie erst einmal feststellen könnten, dass ich ein Mädchen bin und mich genderkonform ansprächen. Nun ja, ich will nicht kleinlich sein.

Doktor Benedikt drückt an mir rum und ich fiepe mal ein wenig. Meine Tierarzterfahrung besagt nämlich: Je schlimmer die Untersuchung, desto bessere Entschädigungsleckerlis gibt es am Ende der Prozedur. Während die mir auf dem Bauch rumdrücken, jaule ich prophylaktisch auf. Maria hat ein total schlechtes Gewissen, das kann ich sehen. Gut so. Sie ist genau der Typ Mensch, der versucht ein Unrecht tausendmal wiedergutzumachen.

„Oh. Er ist ja eine Sie.“ Na endlich! Doktor Brrrkitsch hats bemerkt. „Wussten Sie das etwa gar nicht?“

„Nein. Der Hund gehört mir nicht. Er ist mir vors Moped gelaufen. Ich konnte keinen Besitzer ausfindig machen.“

„Ok. Nadja, also Frau Müller geht jetzt mal mit der Bullydame zum Röntgen, damit wir sicher sein können, dass keine Rippen oder andere Knochen gebrochen sind. Und ich schaue mir mal Ihre Verletzungen an, wenn ich darf.“ Er zeigte auf die zerrissene Hose und den recht großen Blutfleck, der sich bereits vom Knie bis zum Schienbein etwa, ausgebreitet hatte.

Maria stotterte vor Überraschung. „Hm. Ja. Oh.“

„Setzen Sie sich doch. Wie war noch Ihr Name?“

„Maria. Entschuldigung, ich hab mich gar nicht vorgestellt. Tschida, Maria Tschida.“

„Wie ist es denn zu dem Unfall gekommen?“

„Ich war in Gedanken und habe nicht aufgepasst. Als ich den Hund gesehen hab, war es zu spät. Ich hab noch versucht auszuweichen und bin gestürzt. Wir lagen dann beide unter meiner Vespa.“

„Na wenigstens war es nur eine Vespa und die Geschwindigkeit vermutlich auch nicht so hoch. Sonst hätte das vor allem für Sie wohl ganz anders ausgesehen. Die Abschürfungen an der Hand sind nicht weiter schlimm. Die desinfiziere ich etwas. Wenn Sie in Wasser tauchen müssen, beim Geschirr spülen oder Putzen, sollten Sie einen Gummihandschuh drüber ziehen. Zumindest in den ersten zwei bis drei Tagen. Ist Ihre Tetanusimpfung aktuell?“

„Das weiß ich jetzt gar nicht so genau. Aber ich denke schon. Mein Hausarzt achtet eigentlich penibel auf solche Dinge.“

„Das ist vorbildlich. Das Knie sieht ziemlich lädiert aus. Um das genauer anschauen zu können, müssten Sie die Hose herunter lassen.“

Maria wurde tatsächlich rot. Irgendwie war das jetzt total peinlich. Also sowohl das Hose runterlassen, wie auch das verweigern. Sie setzte sich umständlich auf einen Hocker und versuchte, das Hosenbein hochzuziehen. Doch das tat zu sehr weh, als dass sie es bis übers Knie geschafft hätte. Also stand sie auf und ließ mit hochrotem Kopf ihre Jeans herunter. Benedikt grinste, senkte aber den Kopf, damit Maria es nicht so sah. Er tupfte die Wunde sauber, desinfizierte ordentlich und meinte, dass es besser wäre, wenn das noch einmal ein Humanmediziner anschauen würde. Es klaffte ein ziemlicher Hautfetzen weg, den er richtig positionierte und den Riss mit dünnen Stripes überbrückte.

„Ich hab vor lauter Aufregung gar nicht gemerkt, dass es so schlimm ist.“ Maria sah dem Tierarzt in die Augen und fragte sich kurz, wie sie selbst wohl gerade aussah. Immerhin hatte sie seit dem Streit mit Lukas nur noch geheult. Vermutlich würde Benedikt denken, dass es wegen des Unfalls war. Zum Glück.

Ein Signal vom Monitor zerstörte den kurzen Moment des ‚In den Augen des Anderen Ertrinkens‘. Was ich ausgesprochen bedauerte. Vielleicht hätten ein paar Sekunden mehr, mir eine Menge Arbeit gespart und vor allem meine Nerven geschont.

„Oh, die Aufnahmen des anderen Unfallopfers sind da.“ Benedikte wandte sich ab und schaute auf die Röntgenbilder. Ha, die bewiesen, dass ich von innen genau so schön wie von außen bin.

„Brüche kann ich nicht erkennen. Auch der Bauch fühlte sich unauffällig an. Vermutlich ist die kleine Dame etwas theatralisch und möchte Mitleid haben und Leckerli.“

„Dann ist bei ihr also alles in Ordnung?“

„Ja. Der Schreck wird ihr in den Gliedern sitzen und die ein oder andere Blessur kann auch zwicken. Aber gemessen an dem Geschehenen, ist es wirklich glimpflich ausgegangen für sie und für Sie.“

„Gott sei Dank! Was passiert nun mit dem Hund?“ Frau Müller krault mich unterm Kinn und ich muss mich arg zusammenreißen, das Leiden nicht zu vergessen. Nicht, dass ich mich noch ganz dem Genuss hingebe. Mich beunruhigt, dass ich von Maria nicht sofort höre: „Was soll die Frage?“ Stattdessen sagt der Doktor vet. was von Tierheim. Hatte ich Sympathiepunkte vergeben? Die sammel ich gerade alle wieder ein.

„Tierheim? Ach die arme süße Maus. Aber eine andere Lösung fällt mir auch nicht ein.“ Na toll Maria. Da bin ich nun das Opfer deiner miserablen Fahrkünste und dann auch noch das, deiner Einfallslosigkeit. Beleidigt drehe ich ihr meinen Hintern zu und pupse leise, aber herausragend olfaktorisch. Maria wedelt auch direkt mit der Hand vor ihrer Nase rum und fühlt sich korrekterweise angesprochen. „Ich komm dich auch besuchen. Versprochen!“, flüstert sie asthmatisch. Das ist zwar nicht ganz das, was ich mir als Ziel gesetzt habe, aber besser als nichts.

„Sie haben Glück Maria, ich arbeite für das hiesige Tierheim und kläre das gleich mal ab, ob ein Platz für das kleine Pupswunder vorhanden ist. Vorher prüfe ich aber noch, ob sie gechipt ist. Vielleicht ist das Tierheim gar nicht nötig, wenn ein Halter den Hund bei Tasso oder so registriert hat.“ Ohne extra Anweisung reicht Nadja ihm das Chiplesegerät. Damit werde ich von oben bis unten gestreichelt. Ich komme mir vor wie ein räudiger Köter, dass sie mich nicht mal mehr mit der Hand anfassen mögen. Doch wohl nicht bloß wegen etwas entwichener Darmluft? Da wären die aber ganz schön überempfindlich.

„Ich finde keinen Chip. Das ist außergewöhnlich, immerhin handelt es sich hier um ein reinrassiges Tier, das außerdem aktuell auch durchaus im Trend liegt und entsprechend Wert hat.“

„Im Trend? Wert?“ Marias Begriffsstutzigkeit rührt mich regelrecht. Dafür sinkt Ben in meinem Ansehen, als er wieder den Mund aufmacht: „Ja. Modehunde halt. Nun ja, dann müssen wir sie tatsächlich erst einmal ins Tierheim bringen. Möchten Sie ihr nicht einen Namen geben?“ Einen Namen geben? Hallo, geht es noch? Ich habe einen Namen. Ich heiße nämlich Milly. Aber ok, das steht mir natürlich nicht auf meiner süßen Nase geschrieben. Hoffentlich nennt Maria mich jetzt nicht Berta oder so.

„Milly, wäre doch schön.“, sagt Maria da und ich bin außerordentlich glücklich, mich nicht noch einmal umgewöhnen zu müssen. Dazu müsst ihr wissen, ich dachte am Anfang nämlich, mein Name wäre Nein. Bis ich gerafft hab, dass das nicht der Fall war, dauerte das eine Weile.

„Milly passt doch ausgesprochen gut zu dieser kleinen Bullydame. Dann kümmere ich mich darum, dass sie ins Tierheim kommt.“

„Meinen Sie, ich kann Milly da besuchen gehen?“

„Aber natürlich. Ich vermute allerdings, dass sie schnell ein neues Zuhause finden wird. Wie gesagt, diese Hunde sind aktuell stark nachgefragt. Allerdings ist das Tierheim in Emmenburgstedt sehr genau, wenn es um die Halterüberprüfung geht und nicht jeder, der sie haben will, wird sie auch bekommen.“

„Das ist beruhigend zu wissen.“

Beim Abschied hat Maria Tränen in den Augen. Ich werte das als gutes Zeichen. Sie bezahlt die Tierarztrechnung und wird dann wohl zu dem roten Ungetüm zurücklaufen.

Milly con Carne

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