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Luka

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Die Jahre vergingen und Laniki - die Hoffnung - wurde von allen im Dorf geliebt. Im Sturm eroberte sie jedes Herz. Mit ihren blonden Haaren und den großen blauen Augen, hatte sie etwas Engelsgleiches an sich. Nicht dass Niki, wie sie oft nur gerufen wurde, sich immer wie ein Engel benahm. Manchmal, wenn ihr die Jungen aus dem Dorf einen Streich gespielt hatten, fand man sie inmitten einer Rauferei. Doch das war alles nur ein Spaß, wie ihn Kinder sich gewöhnlich gönnen. Von Beginn an war ihr ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn anzumerken, der sie bald zum Fürsprecher der Schwachen werden ließ.

Als Laniki vier Jahre alt war, streifte sie mit ihrer Mutter durch den Wald, um ein paar Beeren zu suchen. Dabei machten sie eine abscheuliche Beobachtung. Ein Tross Soldaten führte eine Gruppe gefangener Tosmanen in ein Arbeitslager. Darunter waren auch Frauen und Kinder. Der Krieg war jetzt schon sehr nah an ihre kleine Oase herangerückt und es glich einmal mehr einem Wunder, dass ihr Dorf noch immer verschont wurde.

Sie sahen eine Frau, die ein etwa zweijähriges Kind auf dem Arm trug. Uma nahm Laniki instinktiv fester an die Hand. Der leere Blick der Frau blieb an dem Mädchen hängen. Laniki machte sich los und berührte sie. In die Augen der Gefangenen trat ein Hoffnungsschimmer. Als sich ihre Blicke trafen, empfand Laniki einen tiefen Schmerz, der jedoch nicht ihr eigener war. Es war nicht der Schmerz, den ein vierjähriges Kind empfand. Das Gefühl nahm ihr die Luft und ruckartig löste sie den Kontakt zu der Fremden wieder. Diese schaute sich nun ängstlich nach den Soldaten um und dann wieder flehend zwischen Laniki und ihrer Mutter hin und her.

„Bitte!“, flüsterte sie kaum hörbar.

Zunächst begriff Uma nicht, doch dann sah sie, wie die Frau ihr schlafendes Kind küsste und nach einem furchtsamen kontrollierenden Blick auf ihre Bewacher, in einem Gebüsch ablegte. Noch einmal drehte sie sich vorsichtig zu den beiden um. Als Uma ihr fast unmerklich zunickte, schaute sie wieder nach vorn und ließ sich mit den anderen Gefangenen weitertreiben.

Nie würden Mutter und Tochter den Anblick der todunglücklich weinenden Frau vergessen, der sie nachsahen, bis sie aus beider Blickfeld verschwunden war.

Als sie sicher sein konnten, dass niemand außer ihnen mehr in der Nähe war, liefen sie eilig zu dem Gebüsch und nahmen den schlafenden Jungen heraus.

Das Mädchen sah sich den Knaben genau an und schloss ihn so ins Herz, wie sie noch nie zuvor einen Menschen in ihr Herz geschlossen hatte. Sie fühlte sich sofort für den Kleinen verantwortlich.

„Wir werden ihn Luka nennen“, legte Laniki fest, ohne die Mutter nach ihrer Meinung zu fragen. Doch Uma hatte nichts dagegen einzuwenden und dachte nur darüber nach, wie sie das alles ihrem Mann beibringen sollte.

„Hör mir jetzt gut zu, Niki! Du darfst nie jemandem erzählen, wo und wie wir ihn gefunden haben. Man würde uns alle schwer bestrafen, wenn es ans Licht käme und er wäre des Todes!“

„Ich weiß, Mama. Es wird keinem etwas geschehen. Ich schwöre es dir!“

Da war es wieder. Was sie jetzt in ihrem Kind sah, machte Uma einmal mehr klar, dass sie kein gewöhnliches Mädchen vor sich hatte. Aus den blauen Kinderaugen strahlte die Weisheit einer Göttin.

„Schon gut, mein Kind! Schon gut! Ich glaube dir ...“

Wie durch ein Wunder schafften sie es, den Kleinen ungesehen in ihre Hütte zu bringen und konfrontierten den überraschten Bahan mit der neuen Situation. Der reagierte unerwartet gefasst und hatte sofort eine Idee, wie sie den Jungen bei sich aufnehmen konnten, ohne den Argwohn der Nachbarn zu erregen.

Ruhig wandte er sich an Uma. „Hör zu, ich werde jetzt, für alle sichtbar, eilig mein Pferd satteln und über Nacht fortbleiben. Ihr streut im Dorf das Gerücht, ich sei auf dem Weg zu einer kranken Base. In der Nacht bringst du mir dann den Kleinen auf die Lichtung hinter dem Erlenwäldchen. Achte darauf, dass dich dabei niemand sieht. Morgen gegen Abend werde ich mit dem Jungen zurückkehren und alle Glauben machen, dass meine Base mir die Vormundschaft für das Kind übertragen und dann das Zeitliche gesegnet hätte. Sie war natürlich Witwe - was uns in diesen Zeiten jeder glauben wird.“

„Danke!“, sagte Uma, wissend was sie da von ihrem Mann verlangte und drückte den Kleinen an sich. Bahan trat an sie heran und strich dem abgemagerten, teilnahmslos wirkenden Jungen über die Wange.

„Ich wäre enttäuscht von dir gewesen, wenn du anders gehandelt hättest. Wir werden ihn lieben, als wäre er unser eigener Sohn.“

Laniki beobachtete die Szene mit einem zufriedenen Kinderlächeln.

Zunächst untersuchten sie Luka auf alles, was ihn als Tosmanen verraten konnte. Uma bereitete einen Kräutersud zu, der ihn bald wieder fest schlafen ließ. Es könnte verheerende Folgen haben, wenn er zu weinen beginnen und damit die Aufmerksamkeit der Nachbarn auf sich ziehen würde. Dann machte sich Bahan, wie besprochen, mit gespielter Eile auf den Weg.

Als es dunkel war, verließ auch Uma das Haus. Den regungslos schlummernden Jungen trug sie versteckt unter ihrem Umhang. Möglichst lautlos schlich sie die schmale Dorfstraße entlang. Sie kam an einigen Hütten vorbei, deren Fenster im Dunkeln lagen. Alles schien schon zu schlafen.

„Uma, so spät noch unterwegs?“

Unerwartet wie ein Peitschenhieb traf sie die Stimme eines Nachbarn. Sie zwang sich zur Ruhe und zog den Umhang fester zusammen. „Guten Abend, Janto! Ich muss nur noch etwas frische Luft schnappen“, antwortete sie schnell.

„So ganz allein? Zu dieser Stunde?“, fragte er ein wenig erstaunt.

„Ich kann nicht schlafen und hoffe so die nötige Müdigkeit zu erlangen.“

Er musterte sie aufmerksam und Uma betete, dass der Kleine sich nicht rühren möge und die Dunkelheit ihnen Schutz bot.

„Du hast doch sicher von der Aufregung um Bahans Base gehört. Es geht ihr sehr schlecht. Sie hat ein kleines Kind und ihr Mann ist kürzlich bei der großen Schlacht am Ratisee gefallen. Wenn sie nicht wieder gesund wird, dann bleiben nur wir, um uns ihres Kindes anzunehmen. Wir wollen ihr diesen Wunsch natürlich von Herzen gern erfüllen, aber das brächte auch einige Veränderungen und Einschränkungen mit sich. Du kannst dir sicher denken, dass mich das alles sehr beunruhigt. Aber egal wie, wir müssen ihr helfen.“

Er nickte. „Ja, ich habe schon von Bahans plötzlichem Aufbruch gehört.“

Das wunderte Uma nicht, denn jede Abweichung vom normalen Dorfalltag machte üblicherweise sofort die Runde. „Also ich werde dann mal gehen. Gute Nacht, Janto!“

Damit machte sie rasch kehrt und eilte davon, bevor ihr der Nachbar eine neue Frage stellen konnte.

Wie vereinbart traf sie Bahan auf der Lichtung.

„Hat dich jemand gesehen?“, fragte er nervös.

„Es war nur Janto. Keine Angst, ihm ist Dank der Dunkelheit nichts aufgefallen. Aber ich muss mich beeilen, denn er denkt, ich mache nur einen kleinen Spaziergang.“

Jetzt erst bemerkte Bahan, wie sehr sie außer Puste geraten war. „Oh nein! Du bist die ganze Strecke hierher gerannt? Mit dem Kleinen auf dem Arm?“ Eilig nahm er ihr den Jungen ab.

„Was blieb mir anderes übrig? Ich kehre jetzt auch sofort zurück. Denkst du, dass du mit dem Jungen allein klarkommst bis morgen früh?“, fragte Uma besorgt und zog noch das Fläschchen mit dem Kräutersud und eines mit etwas Milch aus ihrem Umhang hervor.

„Natürlich!“, antwortete Bahan und wirkte wesentlich sicherer, als er sich fühlte.

Sie war schon ein paar Schritte gegangen, als sie plötzlich noch einmal stehen blieb und sich zu ihm umdrehte. „Schmied Bahan - ich liebe dich von ganzem Herzen!“, sagte sie gerade laut genug, dass er es hören konnte.

Mit einem sinnenden Lächeln schaute er noch lange auf die Stelle, an der sie aus seinem Blick verschwunden war. Dann setzte er sich unter einen Baum und lehnte sich gegen dessen dicken Stamm. Das schlafende Kind lag in seinem Arm. Mit der Überzeugung, das Richtige zu tun, schloss er die Augen und dämmerte in einen leichten Schlaf.

Uma gelangte zur Hütte zurück, ohne jemandem zu begegnen. Erschöpft ließ sie sich auf einen Stuhl fallen und rieb ihren schmerzenden Knöchel. Kurz bevor sie aus dem Wald herausgekommen war, war sie ausgerutscht und hatte sich den Fuß vertreten.

„Tut dir etwas weh, Mama?“, fragte Laniki aus ihrem Bettchen.

„Es ist alles gut, Kleines. Ich bin nur umgeknickt. Schlaf ruhig weiter!“

Doch Laniki stand schon neben ihr. „Lass mich mal sehen.“ Sie strich mit den Fingerspitzen über das bereits anschwellende Gelenk. „Arme Mama“, flüsterte das Mädchen mit jener anrührenden Besorgnis, die Kindern so eigen ist. Die Berührung löste ein angenehmes Kribbeln in Uma aus und plötzlich ließ der Schmerz nach. Laniki schien das Besondere daran allerdings nicht bewusst zu sein. Sie gab der Mutter noch einen feuchten Kuss und ging zurück ins Bett.

Ein sorgenvolles Lächeln lag auf Umas Gesicht, wie jedes Mal, wenn ihr die Zeichen der verschwundenen Gottheit durch ihre Tochter offenbart wurden.

Am folgenden Nachmittag kehrte Bahan mit Luka zurück. Neugierig traten die Nachbarn an die Ankömmlinge heran. Wie erwartet hatte die Geschichte von der schwerkranken Base schon die Runde gemacht. Schließlich drückte man dem Schmied allgemeines Beileid aus und tätschelte dem verängstigten Kind den Kopf.

„Mein Gott, die Hälfte von ihnen hätte den Jungen wahrscheinlich zum Teufel gewünscht, wenn sie auch nur geahnt hätten, wo er herkommt“, meinte Bahan später verbittert, während er sich die Stiefel auszog.

Uma trat hinter ihn und massierte seinen verspannten Nacken. „Das wird, der Göttin sei Dank, hoffentlich bald ein Ende haben“, antwortete sie mit einem Blick auf Laniki.

Bahan wusste sofort, was sie meinte und tätschelte ihr nachdenklich die Hand.

Ihre Tochter war gerade dabei, den weinenden Jungen zu beruhigen und brauchte dazu nicht lange. Schon kurz nachdem er ihr in die Augen geblickt hatte, begann er selig zu lächeln und brabbelte leise vor sich hin.

„Ich bin jetzt deine Schwester und ich werde dich immer beschützen“, teilte sie ihm nun feierlich mit. Sie konnte in ihrer kindlichen Unschuld nicht wissen, dass sie ihm wahrscheinlich nicht zum letzten Mal das Leben gerettet hatte.

Von nun an verbrachten die neuen Geschwister viel Zeit miteinander und bald lief der Kleine Laniki überallhin nach. Ihr war das nur recht, denn mit Luka an ihrer Seite fühlte sie sich erst wie ein vollständiger Mensch. Wann immer ihm ein Unrecht geschah, stellte sie sich schützend vor ihn und bald wussten alle: Wer sich mit Luka anlegte, bekam es auch mit Laniki zu tun.

Mit der Zeit wurde allerdings die Situation im Land immer schwieriger. Mittlerweile mussten sich alle Jungen, die das fünfzehnte Lebensjahr vollendet hatten, in der Heeresschule vorstellen und einem Auswahlverfahren unterziehen. Diejenigen, bei denen man besonderes kämpferisches Potenzial sah, erhielten eine zweijährige Ausbildung und sie wurden zu künftigen Feldherren herangezüchtet. Die anderen bekamen in wenigen Monaten alles beigebracht, was ein einfacher Kämpfer können musste und durften zunächst nach Hause zurückkehren, um dort weiter ihren zivilen Pflichten nachzugehen. Inzwischen herrschte überall Mangel an männlichen Arbeitskräften. Darum warteten sie zu Hause auf den Befehl, für eine der nächsten Schlachten einberufen zu werden. Immer öfter hörte man davon, dass der Feind weit ins Land vorgestoßen sei, doch nach mehreren Wochen erbitterten Kampfes konnte man ihn wieder zurückdrängen. So ging es schon von Anfang an, als läge auch hierin ein zusätzlicher Fluch über den verfeindeten Reichen. Manchmal wünschten sich die Menschen insgeheim beinahe, dass der Feind doch endlich siegen sollte, nur damit das Kämpfen endlich ein Ende hätte. Doch dann wurden ihnen die Gräueltaten des Gegners vor Augen gehalten und mit dem dadurch entstehenden Hass kochte wieder neuer Kampfeswille auf - ganz im Sinne ihres Königs.

Mit jedem Monat wurde der männliche Teil der Dorfbewohner kleiner. Bahan konnte sich vor einem Eintritt ins königliche Heer nur schützen, indem er eine List einsetzte.

Eines Tages kamen die Häscher des Königs ins Dorf, um jeden kampffähigen Mann für die nächste Schlacht anzufordern. Auch Bahan wurde angesprochen. Geistesgegenwärtig wie immer, hatte der kluge Mann schnell einen Plan gefasst.

„Tut mir leid“, sagte er entschuldigend, „vom Kämpfen verstehe ich leider nichts. Ich bin nur ein einfacher Schmied. Aber wenn ich euch mit meiner Kunst dienen kann, dann will ich das gern tun.“

Wortlos überreichte er ihnen ein Schwert, welches er einst für den Fall geschmiedet hatte, dass er seine Familie verteidigen müsse. Es war von außergewöhnlich hoher Qualität, was den Männern von König Saul sofort ins Auge fiel. Sie betrachteten es ausgiebig und unterzogen es sogleich einem Test. Es bestand mit Bravour. Sie nahmen es an sich und schon zwei Wochen später erhielt Bahan den ersten Auftrag. Bald hatte er sich einen guten Namen als Waffenschmied gemacht und stöhnte unter einem Berg von Arbeit.

Laniki wuchs zu einem schönen jungen Mädchen heran und machte ihren Eltern nur Freude. Fast vergaßen sie, dass auf ihr geliebtes Kind eine große Aufgabe wartete, und hofften im Stillen darauf, dass die Friedensgöttin es ihnen gleichtun würde.

Doch der Tag kam, als Era Uma erneut im Traum erschien. Erneut fand sie sich in dem hellen Licht der großen Halle wieder. Die Göttin blickte auf sie herab und begann zu sprechen: „Die Zeit ist gekommen, Laniki ihrer Bestimmung zuzuführen. Zur Sommersonnenwende im nächsten Monat bringt ihr sie um Mitternacht an den Altar, den ihr zu meinen Ehren errichtet habt. Dort wird euch meine treue Dienerin Tana erwarten und das Mädchen in ihre Obhut nehmen. Sie wird Laniki alles lehren, was sie für ihre Aufgabe wissen muss.“

Uma war entsetzt. Sie hatte immer gewusst, dass der Tag kommen würde, aber jetzt, wo es so weit war, brachte sie die Angst vor der Trennung beinahe um den Verstand.

„Wann werden wir sie wiedersehen?“, fragte sie matt.

„In ein paar Jahren, wenn sie so weit ist, wird sie zu euch zurückkehren und auf den Zeitpunkt warten, an dem sie den Ruf hört.“

„Aber ...“, wollte Uma noch einwenden, doch Era fiel ihr ins Wort.

„Du hast es von Anfang an gewusst. Füge dich und habe keine Angst! Es wird ihr gut gehen.“

Bevor sie die Augen aufschlug, hörte Uma noch Eras ermahnende Stimme: „Seid zum vereinbarten Zeitpunkt vor Ort!“

Mit Tränen in den Augen und zitternden Händen, weckte sie ihren Mann.

„Es ist so weit, wir werden Laniki verlieren!“, keuchte sie ihm aufgeregt entgegen.

Er nahm seine schluchzende Frau in den Arm. „Beruhige dich! Was ist denn geschehen?“, fragte Bahan. Uma erzählte ihm alles und dann saßen sie eine Weile schweigend nebeneinander auf ihrer Bettstatt.

„Liebste, wir haben es immer gewusst. Sie ist nicht nur ein Geschenk für uns, sondern auch die Hoffnung für so viele Menschen. Wir hatten nur das Privileg, sie bis hierher zu begleiten. Lass sie gehen und alles wird ein gutes Ende nehmen. Ich fühle es in meinem Herzen.“

Sie antwortete nur mit einem schwachen Nicken, das von einem tiefen Schluchzen begleitet wurde. „Aber sie ist doch fast noch ein Kind!“

„Sie ist fünfzehn! Man muss und wird sie auf ihre Aufgabe vorbereiten. Und dies hier ist wohl eine der größten Herausforderungen, denen sich ein Mensch je stellen musste.“

Den Rest der Nacht lagen sie wach und überlegten, wie sie es Laniki am besten beibringen sollten.

Sie entschieden sich für den direkten Weg.

Eines Abends bat Uma das Mädchen, mit ihr gemeinsam Eras Altar aufzusuchen, um dieser ein paar Blumen zu bringen. Als sie vor dem Stein knieten, begann sie mit ihrer Geschichte. Sie wiederholte für Laniki zunächst die bruchstückhafte Überlieferung der Prophezeiung. Dann erzählte sie ihr von dem lange unerfüllten Kinderwunsch und der Nacht, als ihr Era das erste Mal erschienen war. Langsam und voller Ehrfurcht begriff das Mädchen das wahre Ausmaß von dem, was ihre Mutter ihr zu sagen versuchte.

Als Uma alles offenbart hatte, was sie wusste, blieben sie schweigend nebeneinander hocken.

„Ich soll das Kind aus der Prophezeiung sein? Aber das ist doch nicht möglich?“, unterbrach Laniki nach einer Weile die Stille.

Die Mutter griff nach ihrer Hand. „Doch, das ist es! Und wenn du darüber nachdenkst, erkennst du auch die Zeichen dafür. Ist dir nie aufgefallen, dass du es oft geschafft hast Schmerzen zu lindern oder Streit zu schlichten, ohne dass du etwas Besonderes dafür getan hast? Und Luka? Du hast - wie auch immer - seiner Mutter damals die Gewissheit gegeben, dass es ihm bei uns gut gehen würde. Ich bin mir sicher, dass die Göttin auch dabei ihre Hand im Spiel hatte.“

Laniki erinnerte sich zurück. Nie hatte sie dieses verzweifelte Gefühl vergessen, das sie befiel, als sie der Fremden damals in die Augen sah. Mit ihren vier Jahren konnte sie es noch nicht deuten. Jetzt war sie fünfzehn, fast schon eine Frau, und wusste, dass sie in diesem Moment das Leid einer Mutter gefühlt hatte. Nein! Es war das Leid dieser Mutter, dieser fremden, gefangenen Frau, welches sie gespürt hatte. Es war eine Art Magie gewesen, die sie beide in diesem Moment verband. Sie hatten einander in die Herzen gesehen. Ein Vorzeichen Eras? Ihre Gedanken kreisten in der Vergangenheit und Laniki stieß auf immer mehr merkwürdige Ereignisse, die sie erlebt, aber Dank ihrer kindlichen Naivität nie überdacht hatte. Sie bekam furchtbare Angst, als ihr die Größe und das Gewicht des ihr auferlegten Schicksals bewusst wurde. Doch dann legte sich die Angst wieder und eine angenehme Wärme in ihrem Inneren verschaffte ihr die Erkenntnis, dass sie nicht allein war. Sie hörte tief in sich hinein und nahm die Gegenwart von etwas wahr, das sie nicht beschreiben konnte.

„Era ist hier! Ich kann ihre Nähe spüren“, flüsterte sie ihrer Mutter zu. Sie gab sich noch eine Weile diesem seltsam angenehmen Gefühl hin und sammelte Kraft daraus.

Entschlossen stand das Mädchen auf. „Ich werde es versuchen, Mutter. Es hat keinen Zweck sich dagegen zu wehren, da es mir sowieso vorbestimmt ist.“ Sie hielt Uma die Hände entgegen und half ihr beim Aufstehen.

Langsam gingen sie zum Dorf zurück. Laniki musste an Luka denken. Er war auf sie geprägt und suchte noch immer ihre Nähe, wann immer es ging. Er war inzwischen zwölf und würde in nicht allzu langer Zeit seinen dreizehnten Geburtstag feiern. Laniki war nicht viel älter als er, aber er sah zu ihr auf. Sie hatte immer versucht, ihn von den Gesprächen der anderen Jungen fernzuhalten, die schon früh begannen, ihren Hass gegen Tosman zu entwickeln. Sie drangen früher oder später alle darauf, in Sauls Heer einzutreten und so viele Gegner zu töten, wie ihnen nur möglich war. Es fiel ihr immer schwerer Luka davon zu überzeugen, dass es sich bei den gegnerischen Kriegern auch nur um Menschen handelte, wie sie es selbst waren. Immer öfter kamen auch über seine Lippen die üblichen Hasstiraden gegen die Bewohner Tosmans. Er konnte ja nicht ahnen, dass er selbst einer von ihnen war. Sie hatten es auch ihm gegenüber bei der Geschichte mit Bahans toter Base belassen. Nun redete er ständig davon, es seinem gefallenen Vater gleichzutun und später ebenfalls ins königliche Heer einzutreten, um dessen Tod zu rächen.

Was würde nur aus ihm werden, wenn sie ihn alleinließ.

Besorgt schaute sie ihre Mutter an. „Luka! Er wird leiden, wenn ich gehe. Können wir es ihm erklären? Er braucht mich doch. Er wird denken, dass ich ihn im Stich lasse.“

„Wir können ihm nicht die Wahrheit sagen. Noch nicht. Aber er wird es überstehen, denn wir sind für ihn da.“

Laniki hatte ihre Zweifel, doch sie musste Vertrauen haben. Als sie die Hütte betraten, stand Bahan mit fragendem Gesicht an der Feuerstelle. Als Uma ihm zunickte, kam er ihnen entgegen und nahm seine Tochter wortlos in die Arme.

Die Legende von Assan

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