Читать книгу Die Legende von Assan - Carola Schierz - Страница 8

Das Zeichen

Оглавление

Einige Monate geschah nichts Außergewöhnliches um das Mädchen herum. Sie half ihren Eltern bei der anfallenden Arbeit und gewöhnte sich wieder ein. Es tat gut, den alltäglichen Aufgaben nachzukommen und sich wie ein normaler Mensch zu fühlen. Den ganzen Winter über hatte Bahan alle Hände voll zu tun, um eine große Waffenbestellung des Königs anzufertigen. Es wurde gemunkelt, dass es in wenigen Monaten einen großen Angriff auf Tosman geben sollte. Im Frühjahr bepackte der Vater das Fuhrwerk, um die Bestellung auszuliefern. Laniki ging ihm dabei zur Hand. Mit jedem Schwert, das sie auf den Wagen lud, hatte sie das Gefühl, selbst zu Sauls Gehilfin zu werden. Doch sie wusste, dass ihre Eltern davon lebten und dass Bahan nur so einer Teilnahme an den Feldzügen entging. Wenn er die Waffen nicht schmiedete, würde es ein anderer tun. Es war eben, wie es war und sie hatte nicht das Recht, ein Urteil zu fällen.

Plötzlich begann das Medaillon an ihrer Brust heiß zu werden und Laniki zog es schnell heraus. Sie konnte nichts Auffälliges erkennen, außer der Hitze, die es ausstrahlte.

War dies das erwartete Zeichen? Begann jetzt ihre Reise? Nun, da sie darüber nachdachte, wurde das Schmuckstück in ihrer Hand wieder angenehm kühl. Sie traf eine Entscheidung.

„Ich werde dich begleiten, Vater!“, sagte sie entschlossen und packte ihr Bündel zusammen.

„Nein, tu das nicht!“, rief Uma hinter ihr. „Dein Vater muss durch unsichere Gegenden. Die Leute sind verbittert und voller Hass. Sie denken nur an sich und wenden schnell Gewalt an.“

Laniki ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken.

„Deine Mutter hat recht, Kindchen! Du glaubst nicht, was für Elend ich auf diesen Reisen schon gesehen habe“, sagte Bahan streng. Damit wähnte er die Sache für erledigt und schaute später überrascht drein, als Laniki ihr Bündel dennoch auf den Wagen legte.

„Wir haben dir doch gesagt ...!“

„Ich muss gehen. Ihr wisst, dass ich die letzten Jahre nicht fort war, um mich dann hier zu verstecken. Ich fühle - ich weiß, dass heute der Tag ist, an dem meine Aufgabe beginnt.“ Sie sagte das mit einer solchen Überzeugungskraft, dass weder Uma noch Bahan an ihr zweifeln mochten. Bald schon gaben sie ihren Widerstand auf.

„Aber du bist doch gerade erst zurückgekehrt“, seufzte die Mutter beim Abschied.

Laniki antwortete ihr mit einer innigen Umarmung.

„Pass auf dich auf, mein Kind!“, flüsterte Uma.

„Das werde ich! Und vergiss nicht, Era beschützt mich! Ich bin nicht allein.“

Mit diesen Worten stieg sie zu ihrem Vater auf das Fuhrwerk und sie rollten vom Hof.

Nach zwei Tagen näherten sie sich der Festung von König Saul. Viele Menschen lebten im Umkreis des gigantischen Gemäuers. Als sie eine größere Ansiedlung durchquerten, begegnete ihnen ein Trupp Gefangener, die von Soldaten getrieben wurden. Sofort fielen Laniki die Bilder von einst wieder ein, als sie im Wald auf Luka und seine Mutter getroffen waren. Der Vater hielt an, um die Geschundenen vorbeizulassen. Die Menschen an den Straßenrändern riefen den abgemagerten kranken Gestalten wüste Beschimpfungen zu und feuerten die Bewacher an, wenn sie sie mit ihren Peitschen zur Eile trieben. Kein Funken Mitgefühl war in ihren Gesichtern zu erkennen.

„Eine Schande ist das!“, flüsterte Bahan ihr zu. Laniki versuchte sich zurückzuhalten, denn sie hatte noch immer Tanas mahnende Worte im Ohr. Doch als ein alter Mann zu Boden ging und um Wasser flehte, war sie nicht mehr aufzuhalten. Sie griff nach ihrem Wasserschlauch und sprang vom Wagen.

„Niki, nein!“, rief ihr entsetzter Vater, doch sie achtete nicht darauf. Als sie neben dem Mann niederkniete und ihm das ersehnte Nass an die Lippen hielt, wurde sie derb zur Seite gestoßen.

„Was fällt dir ein, Weib?“ Ein grobschlächtiger Kerl mit eiskalten Augen stand über ihr. Langsam erhob sie sich und stellte sich vor ihn hin.

Ohne die geringste Spur von Unsicherheit zu zeigen, erwiderte sie seinen Blick.

„Dieser Mann bittet nur um etwas Wasser. Wenn er stirbt, wird er euch nicht mehr von Nutzen sein.“ Durch eine Kopfbewegung gab sie ihrem Vater zu verstehen, dass er sich heraushalten sollte. Mit geballten Fäusten beobachtete der die Szene weiter und hielt sich nur widerwillig zurück.

„Wen interessiert das? In ein paar Monaten gibt es wieder Nachschub. Und jetzt verzieh dich!“

Seine Peitsche erhob sich in die Luft und wollte auf den Mann am Boden niederfahren, als Laniki seine Hand ergriff und ihm fest in die Augen sah. Unter ihrem Blick veränderte sich das kalte Gesicht des Mannes zusehends. Die Umstehenden wurden Zeuge einer unglaublichen Vorstellung. Der Koloss ging auf die Knie, als würde ihn eine untragbare Last zu Boden ziehen. Er vergrub sein Antlitz in den Händen und begann bitterlich zu weinen. Ein anderer Gefangener half dem Alten auf und nahm rasch den Wasserschlauch an sich. Sie warfen Laniki einen dankbaren Blick zu und machten sich schnell daran, den Mitgefangenen zu folgen. Inzwischen kamen andere Soldaten zu ihnen, um nachzusehen, was die Gruppe aufgehalten hatte.

„He, Batu, was ist mit dir?“, fragten sie den immer noch am Boden hockenden, gebrochenen Mann. Als der keine Reaktion zeigte, zogen sie ihn hoch.

Laniki und Bahan nutzten die allgemeine Verwirrung, um sich aus dem Staub zu machen.

Als sie weit genug entfernt waren, hielt der völlig entsetzte Vater sein Fuhrwerk an und polterte los. „Bist du verrückt geworden? Wir hätten jetzt tot sein können! Was, wenn dieser Schinder nicht zufällig zusammengebrochen wäre?“

Laniki blieb ruhig. Sie konnte seinen Zorn verstehen. Sie wusste, dass ihr Vater im Grunde richtig fand, was sie getan hatte. Ihm fehlte nur selbst der Mut dazu, genau wie etlichen anderen auch. Den meisten war es wirklich egal, was mit den Tosmanen geschah, aber es gab Menschen, die sich beim Anblick solcher Szenen zumindest unwohl fühlten, doch dies aus gutem Grund verbargen. Mitgefühl für den Feind, soweit es überhaupt irgendwo auftauchte, wurde hart bestraft.

„Er ist nicht zufällig zusammengebrochen“, sagte sie nur knapp.

„Wie meinst du das?“, fragte Bahan überrascht.

„Ich habe einiges bei Tana gelernt, wie du weißt. Ich habe ihn gezwungen, seine eigenen Untaten zu sehen. Sagen wir einfach, ich habe ihm mein Mitgefühl geliehen. Er hat sich dabei selbst durch meine Augen gesehen. Sein Herz hat noch nie einen solchen Schmerz und solche Scham durchlebt wie in diesen Sekunden. Ihm muss es endlos erschienen sein. Dieses Gefühl hat er nicht ausgehalten. Nur darum ist er zusammengebrochen.“ Aus ihren Worten klang keine Genugtuung. Sie empfand eher Mitleid mit diesem Mann, der sein ganzes Leben ohne Gefühl gelebt hatte.

Bahan brauchte noch eine Weile, um sich zu sammeln. Er betrachtete Laniki, als sähe er sie heute zum ersten Mal. Sie hatte sich wirklich verändert! Nur zu gern hätte er etwas von ihrem Mut gehabt. „Und wird er sich in Zukunft bessern?“, fragte er zögernd.

„Ich glaube, die Sache wird ihm in Erinnerung bleiben, aber deshalb besitzt er noch lange kein gutes Herz. Er ist allein nicht dazu in der Lage, fremdes Leid zu empfinden.“

„Wie auch immer, wir können jetzt nicht mehr zur Festung fahren. Man würde dich wiedererkennen und sofort in den Kerker werfen lassen.“

Laniki dachte einen Augenblick nach. „Verlasse dich auf deine Instinkte!“, hatte Tana ihr geraten. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie den Dingen ihren Lauf lassen sollte. Sie war sich plötzlich sicher, dass sie sogar zur Festung musste! Doch sie wollte den Vater nicht unnötig in Schwierigkeiten bringen. Bald kam ihr eine Idee.

„Nein! Wir werden wie geplant hinfahren. Aber wir werden nicht gemeinsam hineingehen. Wenn dich jemand mit mir in Verbindung bringt, dann behaupte, dass du mich nur auf deinem Wagen mitgenommen hast, aber nicht kennst. Dann erledige deine Geschäfte und fahre nach Hause.“

„Das kommt überhaupt nicht infrage!“, rief Bahan erzürnt aus. „Ich werde meine Tochter nicht dieser Gefahr aussetzen, und wie ein Feigling verschwinden!“

Laniki beugte sich zu ihm hin und sah ihm verschwörerisch in die Augen.

„Doch, du musst! Mein Weg hat begonnen und ich werde ihn jetzt gehen. Nur auf diese Weise kannst du mir helfen. Ich muss mir sicher sein, dass Mutter und du in Sicherheit seid.“

Langsam begriff Bahan, dass er keinerlei Chance hatte und begann sich damit abzufinden. „Also gut!“, sagte er nur knapp und das Fuhrwerk setzte sich wieder in Bewegung.

Sie warteten bis kurz vor Sonnenuntergang und verabschiedeten sich schweren Herzens, für unbekannte Zeit, voneinander. Als Laniki sah, dass der Wagen das Tor passiert hatte, wartete sie noch eine Weile und tat es ihm gleich.

Sie ließ sich durch die Gassen treiben und beobachtete, wie ein paar Männer - überwiegend Soldaten - bei einem Becher Wein Karten spielten und dabei nicht selten in Streit und wilde Raufereien ausbrachen. Laniki wusste nicht, was sie tun sollte, darum setzte sie sich an einen Brunnen und wartete einfach, bis das Schicksal sie weiterführte.

Die Legende von Assan

Подняться наверх