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Tana

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Die Wochen vergingen wie im Fluge und der Tag des Abschieds kam. Sie hatten Luka und allen anderen erzählt, dass sich Laniki, weit ab von zu Hause, um eine Stelle als Magd beworben habe, bei der sie sehr gut entlohnt würde. Schon einige junge Mädchen waren diesen Weg tatsächlich gegangen. Der Krieg machte die Menschen arm. Da es immer weniger heiratsfähige Burschen im Umkreis gab, die für die Zukunft der jungen Frauen gesorgt hätten, waren die Eltern gezwungen, ihren Töchtern Arbeit zu suchen. Dies nicht zuletzt in der Hoffnung, dass es in der Ferne noch potenzielle Ehegatten zu finden gab. In der Heimat blieb den Mädchen nur die Möglichkeit, die schwere Arbeit der fehlenden Männer zu übernehmen und wahrscheinlich irgendwann als alte Jungfer zu sterben.

Luka hatte heftig protestiert. Auch jetzt, als Laniki mit ihrem Bündel bereitstand, um von ihm Abschied zu nehmen, hing er an ihrem Arm. Er bat, sie möge ihn doch mitnehmen oder dableiben. Er hatte große Mühe seine Tränen zurückzuhalten, war aber auch zu stolz dazu, ihnen einfach freien Lauf zu lassen.

Liebevoll erwiderte sie seine Umarmung. „Vater und Mutter brauchen dich hier! Du wirst doch ein guter Sohn sein und sie in allem unterstützen?“

Er versicherte es ihr mit einem heftigen Kopfnicken.

„Ich verspreche dir, wenn ich zurückkomme, werden wir uns nie wieder trennen müssen.“

Im Gegensatz zu Luka hielt Laniki ihre Tränen nicht zurück. Bald brannten ihre Augen ebenso schmerzhaft wie ihr Herz. „Ich muss jetzt gehen“, sagte sie leise und schob ihn sanft, aber bestimmt von sich. Dann nahm sie ihr Bündel auf, verabschiedete sich vom Vater und folgte ihrer Mutter zur Tür hinaus.

Es war ungewöhnlich still, als sie durch den nächtlichen Wald liefen. Nur das gelegentliche Knacken eines zertretenen Zweiges und das Geräusch ihres eigenen Atems durchbrach die gespenstische Ruhe.

Als sie an Eras Altar ankamen, wurden sie sich einer Gestalt in ihrer Nähe bewusst.

„Ihr seid pünktlich. Das ist gut“, sagte eine Frauenstimme.

Uma durchfuhr die Erkenntnis wie ein Blitz. Sie kannte diese Frau. Es war die Heilerin, die ihr bei Lanikis Geburt zur Seite gestanden hatte. Als sie ihr Gesicht sah, stellte sie fest, dass sich die Frau in den vergangenen fünfzehn Jahren nicht im Geringsten verändert zu haben schien. Sie sah eher um etliche Jahre jünger aus.

„Du?“, entfuhr es Uma.

„Ja ich! Mein Name ist Tana. Ich diene Era schon seit einer Ewigkeit und das meine ich wörtlich. Glaubst du, die Göttin hätte die Geburt der Auserwählten dem Zufall überlassen?“

Mit einem freundlichen Lächeln wandte sie sich jetzt Laniki zu. „Du hast dich prächtig entwickelt, mein Kind! Hab keine Angst, ich werde dir eine gute Lehrerin sein!“

Aber Laniki hatte keine Angst. Ein Gefühl der tiefen Vertrautheit verband sie sofort mit Tana. Entschlossen, den Abschied so kurz wie möglich zu machen, drehte sie sich zu ihrer Mutter herum und gab ihr einen Kuss auf jede Wange.

„Achtet auf Luka!“, bat sie noch einmal. Dann ging sie zu Tana hinüber. Diese nahm ihre Hand, nickte Uma zuversichtlich zu und zog das Mädchen sanft mit sich fort.

Mit dem Gefühl, ihr Herz würde brechen, schaute die Mutter ihnen nach und begab sich bekümmert auf den Rückweg.

Laniki konnte weder sagen, wie lange sie unterwegs gewesen waren, noch hätte sie je allein den Weg zurückgefunden. Sie gelangten schließlich an eine kleine Hütte, am Fuße eines Berghanges. Drinnen brannte ein Feuer. Es schien fast so, als wären sie erwartet worden. Doch außer ihnen war niemand da. Die Sonne ging bereits wieder unter. Tana wies auf ein einfaches Lager in einer Ecke des einzigen Raumes der Behausung.

„Das ist für dich. Ruhe dich eine Weile aus. Es war ein anstrengender Weg bis hierher.“

Laniki blickte sich um. Es gab neben der Feuerstelle noch einen Tisch mit zwei Stühlen und ein wackliges Regal mit etwas Kochgeschirr, das an der Wand stand. Doch nirgends konnte sie eine zweite Schlafstelle ausfindig machen.

„Und du?“, fragte sie schüchtern.

Tana lächelte sie gutmütig an. „Ich schlafe nie“, sagte sie knapp.

Erstaunt musterte das Mädchen die Frau. Sie sah aus wie Ende fünfzig. Doch etwas stimmte nicht an ihrer Erscheinung. Sie hatte dunkles, mit grauen Strähnen durchwirktes Haar, das sie zu einem Knoten aufgesteckt trug. Das ovale Gesicht kündete von einstiger Schönheit. Sie war mittelgroß und recht zierlich, doch sie strotzte nur so vor Energie und ihre Augen wirkten wie die einer viel jüngeren Frau.

„Wer bist du wirklich?“, fragte Laniki mit prüfendem Blick.

Tana lächelte wieder. „Nun, das wirst du früh genug und völlig allein herausfinden“, gab sie zur Antwort. Wohl oder übel musste Laniki sich damit abfinden. Nachdem sie etwas gegessen hatte, kam sie Tanas Aufforderung nach und legte sich nieder. Schnell fiel sie in einen unruhigen Schlaf.

Im Traum sah sie zwei Männer vor sich. Sie konnte sie nicht erkennen, denn ihre Umrisse erschienen nur schemenhaft. Sie kämpften miteinander. Dann hörte Laniki das Geräusch von brechendem Glas und wachte schweißgebadet auf.

Neben ihr stand Tana und schaute ihr fragend ins Gesicht. „Hast du gut geschlafen?“

Laniki setzte sich auf und strich sich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn. „Ich glaube nicht ... Ich weiß nicht ... Ich hatte einen Traum. Es waren zwei Männer im Kampf miteinander. Ich hatte wahnsinnige Angst. Aber ich weiß nicht warum.“

Tana sah sie aufmerksam an. „Nun, Träume können vieles sein. Aufarbeitung von bereits Erlebtem, Vorboten auf das, was noch kommt oder Warnungen aus unserem Inneren. Was glaubst du, war dein Traum?“

Laniki schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich weiß es nicht.“

Tana lächelte wieder. „Siehst du, das wird ein Teil von dem sein, was ich dir beibringen werde. Erkenne die Zeichen, die dir gegeben werden!“

Das Mädchen erhob sich und machte sich etwas frisch. Dann nahm sie ein einfaches Frühstück zu sich und erwartete gespannt, was der Tag für sie bringen mochte.

Tanas erste Lektionen begannen draußen in der Natur.

„Um die Welt besser zu verstehen, musst du lernen, ihre Zusammenhänge zu erfassen und zu begreifen. Du musst die Zeichen der Natur zu deuten wissen und ihre Schätze ehren. Wenn du alles Leben um dich herum respektierst und achtest, selbst das kleinste, unscheinbare, wirst du daraus Kraft erhalten.“

Sie gingen hinaus. Tana führte sie tief in den Wald hinein und blieb an einem kleinen Bachlauf stehen. Sie beugte sich nieder und ließ das Wasser durch ihre Finger sprudeln.

„Sieh dir das Wasser an. Es entspringt aus einer kleinen Quelle und wird irgendwann zu einem großen Strom. Alles, was du tust und erlebst, kann als kleine Sache beginnen, die irgendwann zu einem gewaltigen Fluss wird, der allen Leben spendet - oder auch vernichtend sein kann. Unterschätze nie die kleinen Dinge, die du tust oder unterlässt. Sie könnten der Anstoß zu etwas sehr Großem und Wichtigem werden und das Leben von vielen Menschen beeinflussen. Ein unbedachtes Wort zum Beispiel oder eine scheinbar kleine, aber folgenreiche Verfehlung.“

Sie gingen weiter und folgten dem Lauf des Wassers. Dabei sammelten sie noch einige Heilkräuter, deren Bedeutung und Wirkungsweise Tana ausführlich erklärte.

In den folgenden Monaten erfuhr Laniki alles, was man über die Pflanzen- und Tierwelt wissen musste, um eben diese Achtung zu erlangen, von der Tana gesprochen hatte.

Eines Tages forderte die Lehrerin mit gewichtiger Miene, Laniki möge ihr folgen. Sie blieb vor dem Regal an der Wand stehen und sagte: „Jetzt werde ich dir eines der großen Geheimnisse zeigen, die ich behüte.“

Zu Lanikis Überraschung offenbarte sich hinter dem wackligen Regal eine geheime Tür. Durch diese betraten sie eine Art Höhle, in der sich eine Kräuterküche sowie einige Truhen befanden. Tana ging zu einer davon, die mit fremdartigen Inschriften und goldenen Beschlägen versehen war. Andächtig strich sie über deren Oberfläche.

„Diese Truhe enthält Schriften von großer Wichtigkeit! Vieles, was darin geschrieben steht, ist der Menschheit verloren gegangen oder sie wollten es einfach vergessen. Ich werde dir ihre Inhalte offenbaren und sie verstehen lehren.“

Rolle für Rolle nahmen sie sich vor. Laniki lernte viel über die Geschichte der Götter und der Menschen. Sie versuchte, sich alles zu merken und war eine aufmerksame Schülerin.

Die Legende von Assan

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