Читать книгу Das Blutsiegel von Isfadah (Teil 2) - Carola Schierz - Страница 5
Finea
ОглавлениеDie Zeit im Kerker verging nur langsam. Es war kalt hier und roch muffig. Finea war dennoch froh, dass die beschwerliche Reise vorüber war. Man hatte sie verkehrt herum auf ein Pferd gesetzt und ihr die Hände auf den Rücken gefesselt. So kam der Trupp schneller voran als mit einem Wagen und sie hatte trotzdem keine Chance zu fliehen. Nicht nur einmal war Finea fast vom Pferd gefallen.
Doch das alles war nichts gegen den seelischen Schmerz, den sie gewaltsam zu unterdrücken versuchte. Arko und die Kleinen waren tot. Sie hatte eindeutig die Schreie beider Kinder gehört und Fanida sogar als Schatten am Fenster gesehen. Kurz darauf war der Dachstuhl eingestürzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie noch lebend aus dem Haus herausgekommen waren, ging gegen null. Würde sie sich jedoch gänzlich ihrer Trauer hingeben, hätte sie ihrem Leben bereits ein Ende gesetzt. Das Mittel dazu, die tödlichen Beeren der Maruccapflanze, hatte sie schon seit Langem in ihrem Ärmelsaum eingearbeitet. Diese Vorsichtsmaßnahme traf sie, nachdem der Stadtvater von Limera ihr Wächterinnenmal entdeckt und sie vor Sorge kein Auge mehr zubekommen hatte. Ein bis zwei davon würden ausreichen, um eine Frau von ihrer Statur in den schnellen und sicheren Tod zu schicken. Doch sie hoffte, zuvor noch einmal Sina sehen zu können. Finea wusste: Sobald ihre Meisterin davon erfuhr, dass sie hier war, würde diese versuchen, zu ihr in den Kerker zu gelangen.
Etwas später vernahm sie Schritte und das Geräusch eines Schlüssels im Schoss des Gitters. Ein Mann betrat die Zelle und brachte ihr einen Krug Wasser und etwas Brot. Als er schon wieder gehen wollte, erkannte sie in ihm jenen Wärter, den Sina damals bestochen hatte, um Arko den befreienden Trank zukommen zu lassen.
„Wartet!“, rief sie ihm nach. Zögerlich drehte er sich um und kam zu ihr zurück. „Ich erkenne Euch wieder. Ihr seid der Wärter, der …!“
„In Dreiteufelsnamen schweigt! Oder wollt ihr mich gleich mit aufs Schafott nehmen?“, fuhr er sie an.
„Verzeiht! Aber Ihr seid meine letzte Chance. Bitte sagt Sina, dass ich hier bin. Ich muss sie unbedingt sprechen.“
Er sah sie mitleidig an. „Es tut mir leid, aber ich muss Euch jegliche Hoffnung auf Rettung nehmen. Der König hat angeordnet, dass jeder Gefangene, der in diesen Mauern stirbt, seinen Männern präsentiert werden muss, bevor der Leichnam abtransportiert werden darf. Die stoßen den Toten ihren Dolch ins Herz, um sicherzugehen, dass so etwas wie bei Lord Arko sich nicht wiederholt.“
„Seit wann weiß er davon, dass Arko geflohen ist und wie hat er es überhaupt erfahren?“, wollte Finea wissen.
„Keine Ahnung. Offiziell ist auch nichts davon bekannt. Kurz nach dem fünfjährigen Thronjubiläum des Königs wurde plötzlich dieser Befehl herausgegeben. Und noch etwas Seltsames geschah: Der Totengräber wurde wegen Leichenschändung zum Tode verurteilt. Ich bin mir sicher, dass es nur einen Grund dafür geben kann: Der König wusste spätestens zu diesem Zeitpunkt von Lord Arko. Das Ihr jetzt hier seid, ist für mich der letzte Beweis.“
Finea nickte zur Bestätigung. „Sie haben uns vor ein paar Tagen in Blumare gefunden. Ich bin die einzige Überlebende unserer kleinen Familie.“ Eindringlich hob sie den Blick. „Ich muss mit Sina sprechen. Bitte versucht es.“
Der Mann sah sie hoffnungslos an. „Ich werde es probieren, aber macht Euch keine Hoffnung. Es ist nahezu unmöglich.“ Mit diesen Worten ließ er sie allein.
Nur wenig später hörte sie erneut Schritte. Es schienen mehrere Personen zu sein.
Die kurz aufkeimende Hoffnung, es könne sich um Sina handeln, wurde spätestens in dem Moment zerstört, als plötzlich Farid vor ihr stand und sie herablassend anlächelte.
„Welch eine Freude, Euch zu sehen, ehrwürdige Wächterin. Viel zu lange haben wir Euer liebreizendes Antlitz entbehren müssen.“ Langsam trat er an sie heran und griff nach einer ihrer langen roten Haarlocken. Genüsslich ließ er sie durch seine Finger gleiten und näherte sich mit seinem Mund ihrem Ohr. „Schade, dass uns diese Schönheit bald für immer verloren geht. Der Henker hat selten ein solches Prachtweib in seine tödlichen Finger bekommen. Die öffentliche Auspeitschung vor Eurer Hinrichtung wird vielen unserer Untertanen eine Augenweide sein.“ Er richtete sich wieder auf und sah sie abwartend an.
„Wie habt Ihr uns gefunden?“, fragte sie mit gefasster Stimme.
Er sah sie triumphierend an. „Erinnert Ihr Euch an den Stadtvater von Limera? Ihr wart ihm in einer misslichen Lage behilflich und glaubt mir, sein Dank ist Euch auf ewig gewiss. Er war mein Gast, während der Feierlichkeiten zu meinem Thronjubiläum. Auf einem Gemälde im Ballsaal entdeckte er das Zeichen der Wächterinnen.“ Er holte einen Dolch hervor und schnitt ihr Kleid an der Schulter entzwei. Angewidert strich er über die Narbe, die das Mal ersetzte, das Finea einst als Wächterin des Tempels auswies. „Eines ergab das andere. Den Rest kennt Ihr selbst.“ Er machte eine Pause und legte den Kopf schief. Eindringlich betrachtete er sie. „Es wäre nett von Euch, meine Liebe, wenn Ihr mir sagen könntet, ob es sich bei dem Knaben, von dem jener Stadtvater sehr angetan sprach, um meinen Neffen handelte. Und genauso gern würde ich wissen, inwiefern die ehrwürdige Sina in die ganze Sache involviert war. Und ich bin überzeugt, dass sie es war.“
Finea schwieg. In ihrem Inneren fragte sie sich voller Verzweiflung, warum sie vor Arko nicht darauf bestanden hatte, dass sie Bluemare verließen. Sie hätte besser auf ihr Gefühl hören und nicht Arkos Verharmlosungen Glauben schenken sollen. Es war allerdings auch für sie wesentlich angenehmer gewesen, darauf zu hoffen, dass sie dort gemeinsam leben könnten, bis Ammon alt genug war, um sein Erbe einzufordern. Jetzt war alles aus. Finea sah keinen Sinn mehr darin, am Leben zu bleiben. Wohin immer ihre Seele nach dem Tode auch ging, sie wollte dort sein, wo ihre Familie war. Doch eines stand für sie fest: Von ihr würde Farid kein Wort erfahren! „Ich weiß nicht, wovon Ihr redet. Ich habe Arko damals allein befreit. Ich hatte mich im selben Moment in ihn verliebt, in dem ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Das war lange bevor er angeklagt wurde. Wir hielten unsere Liebe geheim, aus Rücksicht auf meine Stellung im Tempel. Als er dann zum Tode verurteilt wurde, wollte ich mit ihm fliehen und ein gemeinsames Leben aufbauen. … Sina hätte das Ganze niemals unterstützt! Das sollte Euch eigentlich klar sein! Ich gab Arko den Trank, der ihn zum Schein sterben ließ, schon vor dem Prozess. Unauffällig ... als ich mit der Königin im Kerker weilte. Der Junge war unser gemeinsames Kind. Ich war bereits im vierten Monat schwanger, als wir flohen.“
Farid sah sie beinahe freundlich an, bevor er ausholte und ihr mit der flachen Hand fest ins Gesicht schlug. Finea spürte einen brennenden Schmerz und schmeckte Blut, vermied aber jeden Laut. Er sollte sie nicht jammern hören. Der Schmerz des Schlages überdeckte für einen Moment den der Trauer und das tat beinahe gut.
Farid schloss die Augen und atmete tief durch. „Verzeiht! Ein Ausrutscher. Ich lasse mich nur nicht allzu gern vorführen. Zufälligerweise hat uns Sina erklärt, Ihr würdet den Tempel andernorts vertreten. Warum sollte sie so etwas behaupten, wenn Ihr zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr zu den Wächterinnen gehört habt? Und dann noch Eure Aussage gegenüber dem Stadtvater von Limera. Ihr sagtet ihm, der Junge wäre Euer Neffe. Das Kind Eurer Schwester. Warum diese Geschichte?“
„Ich schätze, Sina wollte den Tempel nicht in Schande stürzen. Eine schwangere Wächterin, die durchbrennt, ist nicht gerade eine Ehre für den Orden. Sie wusste von der Schwangerschaft, aber nicht wer der Vater des Kindes war! Was meine Erklärung gegenüber dem Stadtvater von Limera betrifft: Ich war der Überzeugung, der Mann würde sich früher oder später erinnern, wofür das Mal steht. Eine Wächterin, die Mutter ist, wäre ihm seltsam vorgekommen. Hingegen eine Wächterin, die für einen gewissen Zeitraum ihre Familie unterstützt, eher nicht. Ich wollte keine Aufmerksamkeit auf mich und damit auf Arko lenken, um uns zu schützen. Wie man sieht war dies durchaus notwendig, aber leider erfolglos.“
Sie sah Farid an, dass er ihren Worten nicht traute. Nur mühsam beherrschte er seinen Zorn. „Gut! Ich dachte, wir könnten uns das ersparen, aber ... Da ich mir noch immer ziemlich sicher bin, dass Sina hinter alldem steckt, werden wir unsere kleine Unterhaltung im Beisein des Folterknechtes fortsetzen. Ich lasse Euch jetzt eine Stunde Zeit zum Nachdenken. Entweder Ihr sagt freiwillig gegen die Großpriesterin aus und beeidet dies schriftlich oder man bringt Euch dazu. Ihr habt die Wahl!“ Er nickte seinen Begleitern zu und ließ sie allein.
Finea wusste, sie hatte keine Chance. Sie hielt nichts mehr in dieser Welt und jede Stunde, die sie länger lebte, würde Sina nur unnötig in Gefahr bringen. Sie war sicher nicht zimperlich, doch einem Verhör, unter den Händen eines Folterknechtes, war sie nicht gewachsen. Irgendwann, wenn die Schmerzen zu groß wären, würde sie zusammenbrechen und alles gestehen, was Farid von ihr verlangte. Und im Gegensatz zu ihr hing Sina an ihrem Leben. Sie sollte es behalten. Diese Welt war besser mit Sina darin.
Entschlossen riss sie ihren Ärmelsaum auf und holte die fünf winzigen getrockneten Beeren hervor. Sie lächelte, als sie sie sich in den Mund schob. Sie schmeckten, wider erwarten, angenehm süß. 'Wie schön, mit diesem lieblichen Geschmack auf der Zunge, die Reise zu Arko und den Kindern anzutreten', war das Letzte, was Finea dachte, bevor sich ihr Geist von ihrem Körper löste und sie diese Welt für immer verließ.
Als Farid später mit seinem Gefolge zurückkehrte, fand er sie lächelnd vor, den Blick ins Unendliche gerichtet. Er stieß laut einen derben Fluch aus und verließ, bebend vor Zorn, den Kerker.
Seine schlechte Stimmung sprach sich unter den Dienstboten schnell herum. Da sich alle Mägde weigerten, sein Gemach zu betreten, um sein Bett für die Nacht vorzubereiten, wurde ausgelost wer sich der Gefahr seiner Nähe aussetzen musste. Schließlich sah man die beiden unglücklichen Verliererinnen, mühsam ihre Tränen zurückhaltend, in Richtung seiner Gemächer eilen. Jeder, der ihnen auf ihrem angstvollen Weg begegnete, senkte den Blick betreten und wünschte ihnen im Geiste, dass sie verschont bleiben mögen.