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Prolog

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Es ist Winter und bitterkalt. Die Kälte streicht mit ihren eisigen Fingern an den Mauern entlang, der Wind fährt pfeifend durch die Ritzen und heult in den hohen, langen Gängen. Dafür ist es eine sternklare Nacht, nicht eine einzige Wolke verdeckt die glühenden Punkte am Himmelszelt. Mit einem Mal verdunkelt ein gewaltiger Schatten den Mond und schlagartig verblasst das Licht. Das Ungeheuer breitet seine riesigen Schwingen aus und landet erstaunlich anmutig auf den hohen Zinnen der Burg. Dort stößt es ein tiefes Grollen aus, sodass die Wände erzittern. Geschickt ist es dem Regen aus Pfeilen ausgewichen, es reißt sein Maul auf und speit eine so gewaltige Flammensäule aus, dass alle Wächter, die sich nicht schnell genug ducken, bei lebendigem Leib verbrennen.

Mit einem Hieb seines geschuppten Schwanzes stürzen die Männer über die Brüstung und in die endlose Tiefe. Es dauert, bis man den harten Aufprall ihrer Körper auf dem Wasser weit, weit unten vernehmen kann. Die messerscharfen Krallen des Untiers blitzen in der Nacht auf und zerreißen die Verbliebenen.

Jetzt hockt es auf dem Dach, den Kopf hoch erhoben, die Augen funkeln gefährlich und sein Schwanz peitscht ruhelos hin und her. Es wartet. Geduldig. Bis seine Herrin zurückkehrt.

Unterdessen fliegen die Flügeltüren im Innern der Burg auf und krachen gegen die Wände. Das laute Knallen hallt im ganzen Saal wider, sodass der König auf seinem Thron heftig zusammenfährt. Mit seinen Fingern umklammert er die Armlehnen des prächtigen Stuhles, ganz und gar aus schwarzem Marmor gehauen, düster und mächtig. Seine Rückenlehne ist beachtlich hoch und mit kunstvollen Schnitzereien verziert, dahinter kreuzen sich zwei blitzende Schwerter.

Die helfen ihm jetzt nichts mehr, das weiß er. Sie zum Kampf herauszufordern wäre töricht, dumm. Was hat er für eine Wahl? Kalter Schweiß tritt auf seine Stirn und er kann überdeutlich spüren, wie er über seine Wange läuft. Sie ist gekommen.

Er wusste, dass sie kommen würde.

Zwei in dunkle Umhänge gehüllte Gestalten betreten den beeindruckenden Thronsaal. Ihre Gesichter sind unter den Kapuzen verborgen, trotzdem glaubt er zu spüren, wie ihn silbrige Augen höhnisch anfunkeln, hasserfüllt, machtgierig. Die ganzen letzten Wochen schon hatte er kaum eine Nacht schlafen können, hatte sich unruhig in seinem Bett hin und her gewälzt und sich schließlich in seinem Thronsaal verborgen. Dieser Raum in seiner Festung war besser geschützt als jeder andere, trotzdem hatte er weitere Wachen vor der Tür positionieren lassen, hatte die Verteidigungslinien verstärkt und die schweren Eisentüren verriegeln lassen. Und dennoch wachte er weiterhin schweiß­gebadet aus seinen Träumen auf, klammerte sich an seinen Thron und versuchte krampfhaft, seinen rasselnden Atem zu beruhigen.

Nur ein Traum. Ihm kann nichts geschehen. Sie kann ihn nicht überlisten. Er hat sich so gut geschützt wie nur möglich.

Diesmal ist es kein Traum. Die vordere Gestalt durchquert den Raum zügigen Schritts, selbstbewusst, energisch. Die zweite verbirgt sich halb hinter ihr, sie ist kleiner und er hat schon von ihr gehört.

Schwer schluckt er, seine Kehle ist wie ausgetrocknet. Lange hat er standgehalten. Sehr lange. Doch dann tauchte etwas Neues auf. Eine neue Waffe, mit der er nicht gerechnet hat.

Ein paar wenige Schritte von dem prunkvollen Thron entfernt bleiben beide Gestalten stehen. Der König richtet sich auf und versucht, sein Gesicht hart werden zu lassen, aber seine Stimme zittert.

»Calypso.«

Der Klang des Namens ist eiskalt und fährt wie ein Messer durch den Raum. Sofort fällt die Temperatur weiter und ein frischer Wind bauscht die schweren Vorhänge vor den Fenstern auf. Die vordere Gestalt schlägt die Kapuze zurück. Haare wie aus flüssigem Silber, streng geflochten, kommen zum Vorschein. Auf ihnen sitzt eine Krone, gefertigt aus weißen Kristallen. Sie leuchtet kalt und doch wunderschön wie eine frisch geschliffene Klinge. Wie die Augen der Frau, die ihm gegenübersteht. Silbrig wie der Mond draußen am nachtschwarzen Himmel.

Sie lächelt frostig.

»Erraten.«

Dann dreht sie sich zu der Gestalt hinter sich um. Der König muss scharf die Luft einziehen, als deren Gesicht entblößt wird. Er hat es nicht glauben wollen: Es ist noch so jung, vielleicht neun Jahre alt, mit einem Blick, derart unheimlich, dass ihn ein Schauer überläuft. Er ist voller Gier und Vorfreude. Vorfreude auf das Töten.

Mit der Zunge fährt sich das Kind über die Zähne und grinst mordlustig. Die angriffslustige Art passt entsetzlich wenig zu dem Mädchen, das es noch ist.

Ein unruhiges Feuer flackert in ihren Augen auf und ihr Blick huscht herüber zu der stolzen Frau.

»Darf ich, Herrin?«

Diese dreht sich zu dem König um, legt den Kopf ein wenig schräg. Er hat das Gefühl, etwas sagen zu müssen, nach seinen Wachen rufen zu müssen, doch er weiß, dass das keinen Zweck hat. Calypso wäre nicht hier, wenn noch ein einziger seiner Männer dort draußen leben würde.

Das hier ist eine Sache zwischen ihm und ihr. Darauf lief es die ganze Zeit hinaus. Nun muss er sich ihr stellen. Das wissen sie beide.

Calypsos eisiges Grinsen wird breiter und lächelnd nickt sie dem Mädchen zu.

Flügelschatten

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