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1. Strafantrag und besonderes öffentliches Interesse

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Das Delikt der fahrlässigen Körperverletzung bietet prozessuale Besonderheiten, die sich vornehmlich aus § 230 StGB ergeben. Danach wird die Körperverletzung nur verfolgt, wenn ein gemäß § 77 StGB wirksamer Strafantrag vorliegt, der innerhalb der 3-Monats-Frist des § 77b Abs. 1 StGB gestellt wurde, oder wenn die Staatsanwaltschaft den fehlenden Strafantrag durch die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses (§ 376 StPO) an der Strafverfolgung ersetzt.

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Praxishinweis

Eine belastende Aussage alleine kann noch nicht als Strafantrag gewertet werden.

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Die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren – RiStBV – sehen nach ihrer Neufassung nicht mehr den Grundsatz vor, bei einer fahrlässigen Körperverletzung im Straßenverkehr das besondere öffentliche Interesse stets oder in der Regel zu bejahen (Nr. 243 Abs. 3 Satz 1 RiStBV). Vielmehr ist durch die Staatsanwaltschaft eine Ermessensentscheidung im Einzelfall zu treffen, bei der an erster Stelle das Maß der Pflichtwidrigkeit stehen soll, nicht der Erfolg. Diesem Grundsatz zufolge wird die Staatsanwaltschaft insbesondere in folgenden Fällen einschreiten (vgl. Nr. 243 Abs. 3 S. 2 RiStBV):

bei einschlägigen Vorstrafen des Täters,
bei leichtfertigem Handeln, insbesondere wenn der Täter alkoholisiert war oder unter Einfluss berauschender Mittel stand,
wenn der Unfall erhebliche Folgen für den Geschädigten hat.

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Praxishinweis

Der Verteidiger sollte in einschlägigen Fällen in denen kein Strafantrag gestellt ist dann auch gegenüber der Staatsanwaltschaft mit der RiStBV argumentieren und ausdrücklich unter diese subsumieren.

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Besonders vorsichtige Staatsanwälte pflegen in ihren Anklageschriften darauf hinzuweisen, dass nicht nur die Geschädigten Strafantrag gestellt haben, sondern auch die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejahe; damit soll klargestellt werden, dass eine Rücknahme des Strafantrages durch den Verletzten (bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens kann der Strafantrag gemäß § 77d Abs. 1 Satz 2 StGB zurückgenommen werden) nichts daran ändert, dass die Staatsanwaltschaft die Angelegenheit weiter verfolgt wissen will.

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Ein Argument für das Absehen von dem besonderen öffentlichen Interesse könnte der Hinweis auf die Nr. 243 Abs. 3 Satz 3 RiStBV sein, wonach in Fällen, in denen die Folgen der Tat auch den Täter oder einen Angehörigen des Täters getroffen haben,[1] oder ein Mitverschulden des Verletzten vorliegt, eine Einschränkung des öffentlichen Interesses geboten ist. Hilfreich kann für die Verteidigung auch ein Hinweis auf die rechtspolitischen Bestrebungen, de lege ferenda die leichte und mittlere Fahrlässigkeit ohne schwere Folgen aus der Strafbarkeit des § 229 StGB herauszunehmen,[2] sein. In diesem Zusammenhang ist das Ergebnis eines Arbeitskreises des 14. Verkehrsgerichtstages von Bedeutung, der eine ernsthafte Prüfung der Beschränkung der Strafverfolgung in subjektiver Hinsicht auf Leichtfertigkeit oder grobe Fahrlässigkeit und in objektiver Hinsicht auf nicht unerhebliche Körperverletzungen empfohlen hat.

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Praxishinweis

Wird der Antragsteller anwaltlich vertreten, sollte nicht verabsäumt werden, mit dem Kollegen Verbindung aufzunehmen, um in geeigneten Fällen die Rücknahme des Strafantrages zu erreichen. Die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie eine zufriedenstellende Schadensregulierung durch den Haftpflichtversicherer des Schädigers erleichtert die Korrespondenz mit dem Kollegen, der um Rücknahme des Strafantrags gebeten wird. Daher sollte man mit dem Haftpflichtversicherer des eigenen Mandanten die strittigen Fragen zuvor abklären. Im Vorverfahren wird die Rücknahme des Strafantrages möglicherweise am Kostenproblem scheitern; dann sollte aber zumindest für die Hauptverhandlung bereits abgeklärt sein, dass spätestens dort der Strafantrag zurückgenommen wird. Die Staatsanwaltschaft sollte in diese Absprache eingebunden werden, da sie jederzeit die Möglichkeit hat, die ausgehandelte Strafantragsrücknahme durch Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses zu unterlaufen. Dies gilt sogar dann, wenn sie das besondere öffentliche Interesse zuvor verneint hatte.[3]

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In der Regel wird die Staatsanwaltschaft bei leichteren Körperverletzungen den Strafantragsteller, d.h. den Verletzten, seinen gesetzlichen Vertreter oder Dienstvorgesetzten (§§ 77 Abs. 3, 77a StGB), auf den Weg der Privatklage gem. §§ 374, 376 StPO verweisen, es sei denn, es lägen Gründe in der Person des Täters vor, die es erforderten, die Strafverfolgung durchzuführen. Die berechtigten Belange der Allgemeinheit werden bei leichteren Verletzungen keine wesentliche Rolle spielen. Im Gegensatz zur Einstellungsmöglichkeit gem. § 153 StPO bedeutet die Verweisung auf den Weg der Privatklage ein Mehr, denn dem Antragsteller bleibt es dadurch überlassen, seinerseits die Strafverfolgung zu betreiben. Nach Verweisung auf den Privatklageweg unternimmt der Antragsteller aber erfahrungsgemäß nichts mehr, zumindest bilden derartige Verfahren die seltene Ausnahme; der Grund dafür liegt wohl in den Formerfordernissen des Privatklageverfahrens,[4] insbesondere des § 381 StPO. Danach wird vom Privatkläger verlangt, dass er die Privatklage entweder zu Protokoll der Geschäftsstelle oder durch Einreichung einer Anklageschrift erhebt, die den Anforderungen des § 200 Abs. 1 StPO entspricht. Zudem ist in den Fällen leichterer vorsätzlicher und fahrlässiger Körperverletzung die Erhebung der Privatklage erst zulässig, nachdem von einer durch die Landesjustizverwaltung zu bezeichenden Vergleichsbehörde die Sühne erfolglos versucht worden ist (§ 380 Abs. 1 StPO).[5] Der Kläger hat die Bescheinigung hierüber mit der Klage einzureichen. Kann dem Verletzten nicht zugemutet werden, die Privatklage zu erheben, weil er die Straftat nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten aufklären könnte, so soll der Staatsanwalt die erforderlichen Ermittlungen anstellen, bevor er dem Verletzten auf die Privatklage verweist (Nr. 87 Abs. 2 RiStBV).

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Die Vorschrift des § 229 StGB entspricht in ihrem Aufbau dem Tatbestand der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB), indes mit der Einschränkung, dass hier nur die Gesundheitsschädigung oder körperliche Misshandlung den Gegenstand der Tat bildet.

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Praxishinweis

Ein Mitverschulden des Unfallgegners ist nur dann geeignet, die Vorhersehbarkeit eines Unfalls für den Täter einer fahrlässigen Körperverletzung auszuschließen, wenn es in einem gänzlich vernunftwidrigen oder außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Verhalten besteht.[6]

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