Читать книгу Verteidigung im Verkehrsstrafrecht - Carsten Krumm - Страница 43

3. Totschlag (§ 212 StGB) und Mord (§ 211 StGB)[92]

Оглавление

114

Handelt der Täter in der Absicht, einen Unfall zu verursachen und nimmt er dabei billigend in Kauf, dass durch einen Zusammenstoß andere Verkehrsteilnehmer getötet werden, wird der Vorwurf grundsätzlich auf Totschlag (§ 212 StGB) lauten. Diese Fälle sind aber selten. Denn auf den erforderlichen (bedingten) Tötungsvorsatz kann nach der einschlägigen Rechtsprechung des BGH[93] nicht schon, sofern es sich nicht um ein äußerst gefährliches Tun handelt,[94] aus der Inkaufnahme einer Gefährdung geschlossen werden.[95]

115

In rechtlicher Hinsicht ist nach ständiger Rechtsprechung bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Ziels willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement).[96] Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. [97] Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen.[98] Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht.[99] Dabei ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes.[100] Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts sind jedoch keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Angeklagter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat; vielmehr kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalls an.[101] Dabei hat der Tatrichter die im Einzelfall in Betracht kommenden, einen Vorsatz infrage stellenden Umstände in seine Erwägungen einzubeziehen. [102]

116

Praxishinweis

Beide Elemente des Vorsatzes müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Tatumstände erfolgen. Die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ist dabei ein wesentlicher Indikator für das Vorliegen beider Elemente des bedingten Tötungsvorsatzes. Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Täter die Gefahr des Eintritts eines tödlichen Erfolgs ausnahmsweise nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten, ist der Tatrichter verpflichtet, sich hiermit auseinander zu setzen. Bezugspunkt der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes ist dabei die konkrete Tathandlung, die nach dem Vorstellungsbild des Täters den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges herbeiführen soll.[103]

117

In Fällen einer naheliegenden Eigengefährdung des Täters ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Zwar gibt es keine Regel, wonach es einem Tötungsvorsatz entgegensteht, dass mit der Vornahme einer fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergeht.[104] Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, kann aber eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat.[105] Dementsprechend muss sich der Tatrichter beim Vorliegen einer solchen Konstellation einzelfallbezogen damit auseinandersetzen, ob und in welchem Umfang aus Sicht des Täters aufgrund seines Verhaltens eine Gefahr (auch) für seine eigene körperliche Integrität drohte. Hierfür können sich wesentliche Indizien aus den objektiven Tatumständen ergeben, namentlich dem täterseitig genutzten Verkehrsmittel und den konkret drohenden Unfallszenarien. So kann es sich etwa unterschiedlich auf das Vorstellungsbild des Täters zu seiner Eigengefährdung auswirken, ob er sich selbst in einem Pkw oder auf einem Motorrad befindet und ob Kollisionen mit Fußgängern oder Radfahrern oder mit anderen Pkw oder gar Lkw drohen.[106]

118

Die Feststellung, ob ein Angeklagter vorsätzlich gehandelt hat, ist Tatfrage und obliegt allein dem Tatrichter. [107] Diese Prüfung hat stets einzelfallbezogen zu erfolgen und lässt eine generalisierende Betrachtung – etwa in Gestalt von Rechts- oder Erfahrungssätzen, denen zufolge bei einem bestimmten Personenkreis oder einer bestimmten Vorgehensweise grundsätzlich eine vorsätzliche Tatbegehung zu bejahen oder zu verneinen sei – nicht zu.[108] Dies gilt auch für den Personenkreis der „Raser“ bzw. „die Angehörigen der Raserszene“; auch dieser Personenkreis ist im Hinblick auf die Frage des Vorliegens oder auch des Fehlens eines (Tötungs-)Vorsatzes einer kategorialen Zuordnung über den Einzelfall hinaus nicht zugänglich.[109]

119

Voraussetzung für die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat ist nach § 16 Abs. 1 StGB, dass der Täter die Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, bei ihrer Begehung kennt. Dementsprechend muss der Vorsatz im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung vorliegen.[110] Fasst der Täter den Vorsatz erst später (dolus subsequens), kommt eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat nicht in Betracht.[111] Aus der Notwendigkeit, dass der Vorsatz bei Begehung der Tat vorliegen muss, folgt, dass sich wegen eines vorsätzlichen Delikts nur strafbar macht, wer ab Entstehen des Tatentschlusses noch eine Handlung vornimmt, die in der vorgestellten oder für möglich gehaltenen Weise den tatbestandlichen Erfolg – bei Tötungsdelikten den Todeserfolg – herbeiführt. Es bedarf hierfür tatsächliche Feststellungen zu einem unfallursächlichen Verhalten, das vom Tötungsvorsatz der Angeklagten getragen war.[112]

120

Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen wird in den Fällen des Durchbrechens einer Polizeisperre zumeist der (bedingte) Tötungsvorsatz verneint. Der BGH[113] führt dazu aus:

Fallbeispiel:

Die Beweiswürdigung des LG, der Angekl. sei mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den Polizeibeamten zugefahren, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Senat hat bereits wiederholt (vgl. BGH VRS 50, 94 (95); BGHR StGB § 212 I Vorsatz, bedingter 28 = NZV 1992, 370 m.w. Nachw.) auf die Erfahrung hingewiesen, dass es in den Fällen, in denen Kraftfahrer eine Polizeisperre durchbrechen, um zu fliehen, den bedrohten Beamten meist gelingt, sich außer Gefahr zu bringen, und dass die Täter im Allgemeinen mit einer derartigen Reaktion der Beamten rechnen. Sie nehmen um ihres Zieles willen zwar auch eine Gefährdung der Polizeibeamten in Kauf, in der Regel aber nicht ihre Tötung; denn vor dem Tötungsvorsatz steht eine erheblich höhere Hemmungsschranke als vor dem Gefährdungsvorsatz. Aus dieser Erfahrung ergeben sich strenge Anforderungen an die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz.

121

Noch höher, als die Anforderungen an den Tötungsvorsatz des unmittelbaren Täters ist im Rahmen eines Fahrzeugrennens der Vorsatz der anderen Rennteilnehmer im Hinblick auf eine ihnen vorgeworfene Mittäterschaft.[114]

122

Gelangt das Gericht zu der Auffassung, dass der Kraftfahrzeugführer mit (bedingtem) Tötungsvorsatz gehandelt hat, dann ist auch das Vorliegen von Mordmerkmalen zu prüfen. Insbesondere bei Rennen können die Mordmerkmale des gemeingefährlichen Mittels und der Heimtücke problematisch sein.[115] So hat der BGH in zwei jüngeren Entscheidungen[116] den Pkw des Angeklagten als gemeingefährliches Mittel i.S.d. § 211 Abs. 2 StGB angesehen. In dem einen Fall[117] war der alkoholisierte Angeklagte mit seinem Pkw über den Gehweg in die voll besetzten Außenterrassen zweier Eiscafes gerast und hatte dabei mehrere Personen schwer verletzt. In dem anderen Fall[118] war der Angeklagte darüber verärgert, dass man ihm, als er auf der Abschlussfeier seines Fußballvereins am Tisch eingeschlafen war, ein Büschel Haare abgeschnitten hatte. Um seine Wut abzureagieren, fuhr er, ohne die Scheinwerfer einzuschalten, in Gegenrichtung auf eine Autobahn. Dabei handelte er in der Absicht, einen Unfall zu verursachen, um Selbstmord zu begehen und nahm billigend in Kauf, dass durch einen Zusammenstoß mit dem entgegenkommenden Pkw andere Verkehrsteilnehmer getötet oder schwer verletzt werden. Beim Zusammenstoß mit einem Pkw wurden drei der sechs Insassen getötet. Der BGH hat in beiden Entscheidungen hervorgehoben, dass das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln auch dann erfüllt sein kann, wenn ein Tötungsmittel eingesetzt wird, dass seiner Natur nach nicht gemeingefährlich ist, sofern das Mittel in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Das ist nach Ansicht des BGH anzunehmen, wenn der Täter es nicht in der Hand hat, wie viele Menschen als Repräsentanten der Allgemeinheit in den von ihm geschaffenen Gefahrenbereich geraten und durch sein Verhalten gefährdet werden können.[119] Lässt es der Unfallverlauf jedoch als möglich erscheinen, dass trotz des eingetretenen Kontrollverlustes über das Fahrzeug eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer von vornherein ausgeschlossen war, weil sich das Unfallereignis nur außerhalb des Gefahrenbereichs Dritter zugetragen hat, so kommt eine Verurteilung wegen Mordes nicht in Betracht. Hierzu hat der Tatrichter im Urteil nähere Feststellungen zu treffen.[120] Bei Angriffen auf mehrere Menschen kann Tateinheit vorliegen[121] – es kommt bei der Konkurrenzbetrachtung freilich auf die Einzelfallumstände an.

Verteidigung im Verkehrsstrafrecht

Подняться наверх