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1. Umfang der Akteneinsicht

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Sobald die Akten zur Einsichtnahme vorliegen, hat der Anwalt zu entscheiden, welche Seiten aus den amtlichen Ermittlungs- oder Strafakten zu kopieren sind. In der Regel sollten die Akten einschließlich etwaiger Beiakten, Beweismittelordner etc, vollständig kopiert werden.[1] Eine sachgerechte Verteidigung setzt die Kenntnis aller verfahrensrelevanten Details voraus. Selbst Fehlblätter können Anlass zur Nachprüfung geben, was „fehlt“ und warum es sich nicht in der Akte befindet. Was kopiert werden muss – und insoweit erstattungsfähig ist –, entscheidet daher der Verteidiger nach seinem Ermessen, denn er muss die Verteidigung führen und nicht das Gericht.[2] Die Intention, im Sinne einer Parität zwischen Verteidigung und Ermittlungsbehörde oder Gericht eine vollständige Akteneinsicht zur Verfügung zu haben, sollte letztlich die für die Erstattung der Fotokopierkosten erforderliche vorausschauende Würdigung, welche Seiten der Akten für die Verteidigung notwendig sind, bestimmen.[3] In diesem Sinne hat auch das LG Frankfurt[4] die Frage nach der Erstattungsfähigkeit der Fotokopierkosten entschieden, denn es billigt dem Verteidiger zu, grundsätzlich jede Seite der Ermittlungsakte zu kopieren und nicht nur die auf den ersten Anschein bedeutend erscheinenden Seiten. Letztendlich muss bei Strafverteidigern ausgeschlossen werden, dass sie hinsichtlich des ihnen zur Verfügung stehenden Aktenmaterials im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft und dem Gericht benachteiligt werden.[5]

Fraglich und umstritten ist, ob und ggf. in welchem Umfang die Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG für das Einscannen einer überlassenen Akte beansprucht werden kann. Nach den Änderungen durch das 2. KostRModG v. 3.7.2013 wird dieser Anspruch in der Rechtsprechung bezweifelt.[6] Daran schließt sich die Frage an, ob bei Einscannen einer digitalisiert überlassenen Akte das Fertigen einer Fotokopie der Akten erstattungsfähig ist. Nach wohl h.M. entsteht auch diese Gebühr grundsätzlich nicht, denn dem Verteidiger sei zuzumuten, mit der ihm zur Verfügung gestellten elektronischen Akte zu arbeiten.[7] Es soll dann eine besondere Begründungs- und Darlegungslast bestehen, warum der zusätzliche Ausdruck der digitalisierten Akte erforderlich war.[8]

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Nach Herstellung der erforderlichen Kopien/Scans sollte jeweils überprüft werden, ob das Büropersonal auch tatsächlich alle relevanten Seiten kopiert/eingescannt hat. Diese Prüfung sollte geschehen, solange sich die Originalakten noch in der Kanzlei des Anwaltes befinden. Die Akten sind nach Fertigung der Kopien auch daraufhin zu überprüfen, ob die Kopien tatsächlich das wiedergeben, was z.B. bei den Akten befindliche Originalfotos vermitteln. Dies ist in Verkehrssachen gerade bei Tatortfotos von Polizei und/oder Sachverständigen von immenser Bedeutung. Gegebenenfalls sind Anmerkungen zu mangelhaften Kopien zu fertigen. Wer den Kopien nicht die gebührende Aufmerksamkeit widmet, kann spätestens in der Hauptverhandlung unliebsame Überraschungen erleben. In diesem Zusammenhang darf als selbstverständlich vorausgesetzt werden, dass der Verteidiger regelmäßig zweimal ergänzende Akteneinsicht nehmen sollte, und zwar zum einen, wenn die Staatsanwaltschaft die Akten dem Gericht vorgelegt hat, zum anderen – unabdingbar – unmittelbar vor der Hauptverhandlung.[9]

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Besonderes Augenmerk ist darauf zu richten, ob dem Verteidiger die Akten komplett zur Einsichtnahme überlassen werden, also nicht etwa Beiakten[10] oder der Strafregisterauszug (vgl. Nr. 187 Abs. 3, 16 Abs. 2 RiStBV) fehlen, was leider häufig zu bemängeln ist. Der Verteidiger hat nämlich einen Anspruch gemäß § 147 StPO auf Einsicht auch in diese Aktenteile.[11]

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Das gilt auch für Videoaufzeichnungen und Lichtbildern, etwa von Verkehrsvorfällen oder Gegenüberstellungen, die in Kopie zur Verfügung zu stellen sind.[12] Dem Verteidiger kann nicht zugemutet werden, die vorhandene Videoaufzeichnung bei einer unter Umständen weit entfernten Polizeidienststelle oder Staatsanwaltschaft einzusehen.[13] Es ist ihm vielmehr eine Kopie des verfahrensrelevanten Teils der Videoaufzeichnung zu übermitteln.[14]

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Sollten ausnahmsweise in einer Verkehrsstrafsache, z.B. wegen Unfallflucht, mehrere sog. polizeiliche „Spurenakten“, d.h. Vorgänge, die die tatbezogenen Überprüfungen eines Sachverhaltes und einer Person enthalten,[15] angelegt, aber nicht dem Gericht vorgelegt worden sein, besteht zumindest ein teilweises Akteneinsichtsrecht.[16] Wird die Einsichtnahme in die polizeilichen Spurenakten versagt, kann der Rechtsweg über § 23 EGGVG gewählt werden.[17]

Praxishinweis

Für die Verteidigung in Verkehrsstrafsachen wird mithin darauf zu achten sein, dass relevante Messunterlagen, ggf. auch die Lebensakte eines Messgerätes, Bild- oder Videoaufnahmen vom Unfallort und sämtliche Gutachten von Verkehrssachverständigen oder anderen beauftragten (zumeist medizinischen) Sachverständigen übermittelt wurden. Es besteht aber kein Einsichtsrecht in die Arbeitsunterlagen eines Sachverständigen.[18]

Verteidigung im Verkehrsstrafrecht

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