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2. Fahrlässige Tötung (§ 222 StGB)

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Rechtsgut i.S.d. § 222 StGB ist der lebende Mensch. Daher kann die Tatsache, dass ein Unfallopfer bereits vor dem Verkehrsunfall tot war, Bedeutung im Rahmen der Tatbestandsprüfung erlangen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang an die Fälle, in denen ein auf der Straße liegender Mensch überfahren wird, jedoch zugunsten des Unfallverursachers angenommen werden muss, dass das Unfallopfer schon vor der Kollision verstorben war,[3] oder in denen ein Autofahrer oder Fußgänger kurz vor dem Unfall einen tödlichen Herzinfarkt erlitt.[4]

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Praxishinweis

Der Nachweis in den vorstehend genannten Beispielen wird mitunter schwierig zu führen sein, er wird stets eine Obduktion voraussetzen. Ob es taktisch klug ist, die Obduktion (und möglicherweise auch die Exhumierung) des Verkehrsopfers zu beantragen, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen wird sich so stets allein schon deshalb anbieten, weil das Tatopfer als wichtigstes potentielles Beweismittel nicht mehr zur Verfügung steht.[5]

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Für die Prüfung der Kausalität ist bei fahrlässigen Erfolgsdelikten der Eintritt der konkreten Gefährdungslage maßgeblich, die unmittelbar zum schädigenden Erfolg geführt hat.[6]

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Im Rahmen der Prüfung des Fahrlässigkeitsvorwurfs spielt der Umfang der Sorgfaltspflichtverletzung die entscheidende Rolle. Wer Verkehrsvorschriften verletzt, verhält sich grundsätzlich nicht so sorgfältig, wie dies von ihm als Verkehrsteilnehmer verlangt werden kann. Daher wird einem Verstoß gegen die Vorschriften der StVO und StVZO indizielle Bedeutung für die Verletzung von Sorgfaltspflichten beigemessen.[7]

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Wer sich selbst verkehrsgerecht verhält, darf grundsätzlich darauf vertrauen (daher: Vertrauensgrundsatz), dass sich auch die anderen Verkehrsteilnehmer – zumindest bis zum Erkennen des Gegenteils – ebenfalls verkehrsgerecht verhalten[8]. Der Vertrauensgrundsatz gilt aber nicht:[9]

bei eigenem Fehlverhalten, etwa wenn ein Kraftfahrer nicht „auf Sicht“[10] gefahren ist (vgl. § 3 Abs. 1 S. 4 StVO),
bei erkennbar verkehrswidrigem oder unvernünftigem Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer,[11]
bei kleineren Kindern bis zum beginnenden Schulalter oder Hilfsbedürftigen (dazu zählen auch „Betrunkene“)[12] und hochbetagten Verkehrsteilnehmern (vgl. § 3 Abs. 2a StVO),
bei älteren Kindern, wenn sie am Fahrbahnrand oder auf dem Bürgersteig spielen,[13]
bei Situationen, in denen Verkehrsverstöße häufig auftreten, wie etwa bei langsamer Fahrt das Rechtsüberholen durch Zweiradfahrer[14] oder das plötzliche Betreten des Zebrastreifens durch unvorsichtige Fußgänger.[15]

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Praxishinweis

Die erhöhte Sorgfaltspflicht des Fahrzeugführers gegenüber Kindern (§ 3 Abs. 2a StVO) setzt aber voraus, dass er die Kinder wahrgenommen hat oder bei der von ihm zu fordernden Sorgfalt hätte sehen können und dass ein verkehrswidriges bzw. unsicheres Verhalten der Kinder/des Kindes erkennbar war bzw. aufgrund besonderer Umstände hätte in Betracht gezogen werden müssen.[16] Dies gilt entsprechend auch für Hilfsbedürftige und ältere Menschen.

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Ein Busfahrer muss beim Heranfahren an eine Haltestelle stets gefahrlos lenken und rechtzeitig anhalten können. Eine glatte Fahrbahn, auf der ein Fahrzeug nicht mehr verlässlich zu lenken ist, erfordert die Wahrung eines vergrößerten Sicherheitsabstandes zum Bussteig.[17] Vor der Abfahrt von einer Haltestelle muss der Busfahrer kontrollieren, ob sich an der Türseite niemand mehr aufhält, der durch das Anfahren gefährdet werden könnte. Lässt sich die Türseite des Busses insgesamt durch Spiegel überblicken, so genügt der Busfahrer seiner Kontrollpflicht, wenn er sich unmittelbar vor der Fahrt vergewissert, dass dort niemandem mehr Gefahr droht. Deckt jedoch der Außenspiegel nicht den ganzen Bereich ab, sondern bleibt ein „toter Winkel“ übrig, so obliegen dem Busfahrer weitergehende Sorgfaltspflichten, z.B. die kontinuierliche Beobachtung der Aussteigenden bis zu ihrem Heraustreten aus dem „toten Winkel“.[18] Der Führer eines Straßenbahnzuges braucht nicht damit zu rechnen, dass ein nicht in seinem Blickfeld befindliches schulpflichtiges Kind mit dem Fahrrad blindlings vor der herannahenden Straßenbahn in den Gleisbereich einfährt, und deshalb ohne entsprechende Anhaltspunkte sein Fahrverhalten auch nicht auf einen solchen Fall einzurichten. Sonst müsste er die Straßenbahn vor Fußgängerfurten immer dann zum Stehen bringen, um jede auch nur theoretisch mögliche Gefährdung von Fußgängern und Radfahrern auszuschließen, sobald er keinen ungehindert freien Blick auf die beiden Straßenübergänge hat und die Ampel für die Fußgänger grünes Licht zeigt. Damit aber würde das der Straßenbahn als Massenverkehrsmittel vom Gesetz eingeräumte Vorrecht praktisch ausgehöhlt.[19]

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Bei den §§ 222, 229 StGB reicht bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen (Personenschaden, Kausalität und Fahrlässigkeit) schon jede krankheitsbedingte Einschränkung der Fahrsicherheit des Täters für dessen Strafbarkeit aus.[20] Aber: Weder die bei jedem Kraftfahrer vorhandene Gefahr, während einer Fahrt einen Schwächeanfall oder eine Bewusstseinstrübung zu erleiden und infolgedessen einen Verkehrsunfall zu verursachen, noch jede geringfügige Steigerung dieser Gefahr, wie sie etwa aufgrund eines höheren Lebensalters oder eines angegriffenen Gesundheitszustands eintreten mag, vermag einen Fahrlässigkeitsvorwurf nach den §§ 222, 230 StGB zu begründen. Das allgemeine Risiko des plötzlichen Eintritts einer bei Fahrtbeginn noch nicht vorhandenen und auch noch nicht – aufgrund bestimmter Umstände – vorhersehbaren Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit und die nicht wägbare Steigerung dieses Risikos aufgrund einer allgemeinen Schwächung des Gesundheitszustandes sind von den anderen Verkehrsteilnehmern – anders als etwa eine rausch- oder krankheitsbedingte aktuelle Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit – grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen.[21] Wird der Unfall allerdings durch ein Anfallsleiden, etwa eine epileptische Erkrankung, verursacht, kann je nach Häufigkeit und Intensität der Anfälle eine Sorgfaltspflichtverletzung in Betracht kommen.[22] Dies umso mehr, wenn bei dem zu beurteilenden Anfallsleiden das Risiko einer Wiederholung von Anfällen grundsätzlich nicht unerheblich ist und der Erkrankte jederzeit unvorhersehbar in einen bewusstseinsveränderten Zustand geraten kann, in dem er die Situationsübersicht verliert.

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Die krankheitsbedingte Unfallverursachung wird oftmals (ohne Entsprechende Einlassung des Beschuldigten) nicht beweisbar sein. Auch können sich durch Zeugenaussagen, Unfallspuren oder aus der Analyse eines EG-Kontrollgerätes Anhaltspunkte für eine krankheitsbedingte Bewusstseinstrübung ergeben. So genannter „Sekundenschlaf“ entschuldigt nicht.[23] Leidet der Angeklagte an einer für ihn nicht erkennbaren Synkope, die zu einem plötzlichen Ohnmachtsanfall ohne jede Vorzeichen führte, so kann dies grundsätzlich zur Straflosigkeit führen – der Tatrichter darf eine solche Einlassung aber nicht vorschnell glauben oder die Möglichkeit einer solchen Synkope nicht ausreichend geprüft übernehmen, um dann nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ zum Freispruch zu gelangen.[24] Bei einem solchen Freispruch aus tatsächlichen Gründen sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind beim freisprechenden Urteil nicht geringer als im Fall der Verurteilung. Die Beweiswürdigung eines solchen freisprechenden Urteils ist auch dann rechtsfehlerhaft, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung übertriebene Anforderungen gestellt werden.[25]

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Praxishinweis

Die Verteidigung muss also genau mit dem Beschuldigten besprechen, was dieser wann gegenüber wem gesagt hat. Wechselndes Einlassungsverhalten kann ggf. dazu führen, dass eine Einlassung nicht mehr geglaubt wird, selbst wenn sie der Wahrheit entspricht. Es muss weiterhin abgewogen werden, ob und falls ja, wann eine Einlassung abgegeben werden soll. Die Darstellung einer dem Beschuldigten länger bekannten Krankheit wird einen Unfall mit Todesfolgen eher schlimmer wirken lassen – es sollte somit nicht voreilig vorgetragen werden.

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Der Tatbestand der fahrlässigen Tötung setzt neben der Verletzung einer Sorgfaltspflicht die objektive Voraussehbarkeit des Erfolgseintritts und des Kausalverlaufs voraus.[26] Darüber hinaus muss ein sogenannter Pflichtwidrigkeitszusammenhang bestehen, d.h. die Verletzung der Verhaltensnorm – im Verkehrsrecht ist dabei vornehmlich an die Vorschriften der StVO und StVZO zu denken – muss kausal für den Eintritt des Erfolges in Gestalt eines Schadens oder einer konkreten Gefährdung gewesen sein.[27] In diesem Zusammenhang ist die Vermeidbarkeit des vorausgesetzten Erfolges zu prüfen: Wenn der Unfall mit tödlichem Ausgang auch bei sorgfaltsgemäßem Verhalten des Täters passiert wäre, ist der Pflichtwidrigkeitszusammenhang abzulehnen. Genau genommen kann wegen des Grundsatzes „in dubio pro reo“ der Pflichtwidrigkeitszusammenhang schon dann nicht angenommen werden, wenn lediglich nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Folgen auch bei verkehrsgerechtem Verhalten (rechtmäßigem Alternativverhalten) eingetreten wären.[28] Schließlich muss der Erfolg in den Schutzbereich der verletzten Sorgfaltsnorm fallen.

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Die Voraussehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges wird bejaht, wenn der zum Unfallereignis und schließlich zur Tötung des Unfallopfers führende konkrete Geschehensablauf nicht völlig außerhalb üblicher Lebenserfahrung liegt.[29]

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Praxishinweis

Um keine falsche Hoffnung beim Mandanten zu wecken, sollte dem Verteidiger bekannt sein, dass der Fahrzeugführer dabei auch mit solchen unerwarteten Verkehrssituationen rechnen muss, die bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt noch im Bereich seiner gewöhnlichen Erfahrung liegen. So liegt es für einen schwer alkoholabhängigen Verkehrsteilnehmer, der im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit einen PKW führt, nicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung, während einer solchen Fahrt durch Absinken seines Alkoholspiegels und dadurch eintretenden Alkoholentzugsdelirs in einen Verwirrtheitszustand zu verfallen, schuldunfähig zu werden und in diesem Zustand einen gravierenden Fahrfehler sowie einen Unfall mit tödlichem Ausgang zu verursachen.[30] Auch die Gefährdung durch plötzliches Glatteis liegt noch im Bereich der gewöhnlichen Lebenserfahrung, so dass ein Verkehrsteilnehmer im Winter seinen Fahrstil darauf einrichten muss.[31]

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Die Voraussehbarkeit kann auch bei (möglichem) qualifizierten Rotlichterstoß des Getöteten entfallen: Ein Mitverschulden des Unfallgegners ist nur dann geeignet, die Vorhersehbarkeit eines Unfalls für den Täter einer fahrlässigen Körperverletzung auszuschließen, wenn es in einem gänzlich vernunftwidrigen oder außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Verhalten besteht. Zumindest die vorsätzliche Begehung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes ist bei wertender Betrachtung als gänzlich vernunftwidriges Verhalten anzusehen. Kann ein solches Verhalten des Unfallgegners nicht sicher ausgeschlossen werden, muss es nach dem Grundsatz in dubio pro reo zu Gunsten des Angeklagten unterstellt und damit die Vorhersehbarkeit des Unfalls für den Angeklagten verneint werden.[32]

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Praxishinweis

Nach Ansicht des LG Nürnberg-Fürth[33] soll ein Speditionsunternehmer, der seinen Betrieb so organisiert, dass die angestellten Fahrer regelmäßig die zulässigen Lenkzeiten überschreiten und deswegen fahruntüchtig am Straßenverkehr teilnehmen, eine voraussehbare Ursache für den Tod Dritter gesetzt haben, wenn einer seiner Fahrer übermüdet einen Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang verschuldet. Der eigene Verursachungsbeitrag des Fahrers in Nebentäterschaft lässt die Kausalität des Verhaltens des Speditionsunternehmers nicht entfallen.

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War der zum tatbestandlichen Erfolg führende Geschehensablauf indes so atypisch und ungewöhnlich, dass er auch bei Anwendung der nach Sachlage gebotenen und dem Täter nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten zumutbaren Sorgfalt nicht ins Auge gefasst zu werden brauchte, so entfällt die strafrechtliche Verantwortlichkeit.[34] Insofern darf ein Verkehrsteilnehmer grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Führer eines Fahrzeugs im Wesentlichen fahrtüchtig und nicht in einem solchen Ausmaß gesundheitlich beeinträchtigt ist, dass er sich auch bei einem objektiv nicht schwerwiegenden Unfall derart aufregt, dass er schließlich stirbt.[35]

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Der spätere Tod des Unfallopfers im Krankenhaus, z.B. aufgrund einer dort erlittenen Infektion, wird von Seiten der Verteidigung häufig unter dem Gesichtspunkt mangelnder Vorhersehbarkeit problematisiert. Es empfiehlt sich, zunächst durch Prüfung der einschlägigen Kommentare herauszufinden, ob der Fall nach der Rechtsprechung jenseits der Grenze der objektiven Vorhersehbarkeit eingeordnet werden kann. So existiert z.B. kein Erfahrungssatz, demzufolge etwa der acht Tage nach einem schweren Unfall mit Schädelverletzungen und schwerem Unterschenkelbruch im Krankenhaus eingetretene Tod eines 74 Jahre alten Verkehrsopfers nur auf den vorausgegangenen Unfall zurückzuführen ist.[36] Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass die Behauptung, das erst einige Wochen nach dem Unfall verstorbene Unfallopfer sei nicht an den Unfallverletzungen gestorben, zwar im Rahmen des § 222 StGB beachtlich werden kann; indes besteht keine Aussicht, den Tatbestand des § 229 StGB aus der Welt zu schaffen, wenn die Unfallverletzung selbst nicht geleugnet werden kann.

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Praxishinweis

Die Verteidigung sollte sich genauere Sachkenntnis durch Einsichtnahme in die – ggf. nach entsprechendem Beweisantrag vom Gericht beizuziehenden – Krankenunterlagen verschaffen. Die so erworbenen Kenntnisse bilden dann die Grundlage für die Befragung des medizinischen Sachverständigen.

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Zwischen dem Verkehrsverstoß, der grundsätzlich das fahrlässige Handeln indiziert, und dem Tod des Opfers muss nicht nur Kausalität i.S.d. Äquivalenzformel, sondern auch der sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang bestehen. Dieser ist zu verneinen, wenn der Unfall – z.B. wegen eines schuldhaften Verhaltens des Opfers – auch bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt eingetreten wäre. Berücksichtigt man den Grundsatz „in dubio pro reo“, kann der Pflichtwidrigkeitszusammenhang schon dann nicht angenommen werden, wenn lediglich nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Folgen auch bei verkehrsgerechtem Verhalten (rechtmäßigem Alternativverhalten) eingetreten wären.[37]

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Die Tatsache, dass ein erheblich angetrunkener Kraftfahrer einen tödlichen Unfall verursacht, bedeutet deshalb nicht in jedem Falle, dass ihm die Unfallfolgen auch zugerechnet werden, da ungeachtet der Fahruntüchtigkeit das alleinige Verschulden am Zustandekommen des Unfalles beim Unfallgegner liegen kann, etwa beim entgegenkommenden Mofafahrer, der plötzlich in die Fahrbahn des angetrunkenen Kraftfahrers gerät. Jedoch muss ein alkoholbedingt fahruntüchtiger Kraftfahrer, der entgegen § 316 StGB am Verkehr teilnimmt, die Geschwindigkeit seiner herabgesetzten Reaktionsfähigkeit jedenfalls so anpassen, dass er keinen längeren Anhalteweg benötigt als ein nüchterner Fahrer.[38]

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Ähnlich verhält es sich beim Fahren mit Reifen ohne Profil. Wird mit solchen Reifen auf trockener Fahrbahn gebremst, verbessert sich die Bremswirkung, d.h. der Verstoß gegen § 36 Abs. 2 Satz 3 StVZO kann im Ausnahmefall bessere Bremsbedingungen schaffen; wer seine Geschwindigkeit dem schlechten Reifenzustand anpasst, kann nicht wegen mangelnder Bereifung für einen Unfall verantwortlich sein.[39]

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Bei der Vermeidbarkeitsbetrachtung wird auch der Frage nachgegangen, ob es auch zur Kollision gekommen wäre, wenn der entsprechende Fahrzeugführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit bzw. eine der Situation angemessene Geschwindigkeit eingehalten hätte. Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang ist dann zu bejahen, wenn sich der Unfall nicht ereignet hätte, wäre der Fahrzeugführer bei Eintritt der kritischen Verkehrssituation nicht mit einer höheren als der zugelassenen bzw. der Situation angemessenen Geschwindigkeit gefahren. Bei der Prüfung relevanter Fälle ist zwischen der räumlichen und zeitlichen Vermeidbarkeit[40] zu unterscheiden: Bei der Frage der räumlichen Vermeidbarkeit wird der Frage nachgegangen, ob der Fahrzeugführer mit seinem Fahrzeug bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu seinem Reaktionspunkt noch rechtzeitig vor dem Kollisionsort hätte den Stillstand erreichen können. Die zeitliche Vermeidbarkeit beurteilt die Frage, ob ein Fahrzeugführer, der gegenüber dem tatsächlichen Annäherungsvorgang mit geringerer Geschwindigkeit fährt, aufgrund des dabei entstehenden Zeitgewinns nicht in den Bewegungsraum des Unfallgegners geraten wäre.

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Praxishinweis

Um eine Vorstellung vom Ablauf eines Verkehrsunfalls zu erhalten und festzustellen, unter welchen Umständen dieser hätte vermieden werden können, muss die Entwicklung des Unfalls zu rekonstruiert werden. Ein Unfallanalytiker ist in der Lage, die Bewegungen der Unfallbeteiligten in Beziehung zu setzen und zu untersuchen, wer in welcher Zeit welche Strecke zurückgelegt hat und wo sich die Unfallbeteiligten zur jeweiligen Zeit befunden haben. Diese Vermeidbarkeitsbetrachtung lässt sich am besten in einem Weg-Zeit-Diagramm[41] veranschaulichen, in das bspw. im Laufe der Gerichtsverhandlung gewonnene neue Erkenntnisse meist ohne großen Aufwand eingearbeitet werden können. Neuere Software ermöglicht es gar, den (ungefähren) Unfallhergang wie einen Film abspielen zu lassen, was insbesondere in schwer vorstellbaren Unfallkonstellationen hilfreich ist. Auch dort, wo Schöffen Teil des Spruchkörpers sind erscheint eine solche Rekonstruktion durchaus sachgerecht. Es muss aber zugleich gesagt werden, dass ein filmisches Geschehen dem menschlichen Auge eine Klarheit des Unfallherganges „vorgaukeln“ kann. Oftmals stellt sich das Unfallgeschehen bei nur geringen Änderungen der eingegebenen Parameter in einem solchen filmischen Ablauf ganz anders da – derartige Alternativgeschehen müssen erfragt/herausgearbeitet werden. Der Verteidiger sollte also die Möglichkeit einer solchen Rekonstruktion im Hinterkopf behalten.

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Bei fahrlässigen Erfolgsdelikten ist für die Erfolgszurechnung über die kausale Verursachung i.S.d. Äquivalenztheorie und des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges hinaus erforderlich, dass der Erfolg in den Schutzbereich der verletzten Sorgfaltsnorm fällt. Wird z.B. eine Geschwindigkeitsbeschränkung nur deshalb angeordnet, um der durch einen neuen Fahrbahnbelag erhöhten Rutschgefahr entgegenzuwirken, ist damit nicht bezweckt, dem Einmündungsverkehr das Einfahren auf die Landstraße zu erleichtern. Kommt es in diesem Fall bei dem Einbiegen eines Fahrzeugführers zu einem tödlichen Unfall, so muss trotz überhöhter Geschwindigkeit des auf der Landstraße fahrenden Angeklagten eine Zurechenbarkeit verneint werden, wenn sich ein tödlicher Unfall auf einem nicht mehr neuen, normalen Fahrbahnbelag bei ansonsten unveränderten Umständen in gleicher Weise ereignet hätte.[42]

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Bei der Bearbeitung von Unfällen mit tödlichem Ausgang sollte auch berücksichtigt werden, dass in Ausnahmefällen scheinbare Verkehrsopfer den Freitod gesucht haben. Mindestens 1 bis 2 % aller Straßenverkehrsunfälle dürften einen suizidalen Hintergrund haben.[43] Hier sind etwa in den letzten Jahren so genannte „Geisterfahrer“ in den Blick der Öffentlichkeit gelangt.

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Praxishinweis

Der Verteidiger sollte in geeigneten Fällen, etwa bei entsprechenden Hinweisen von Hinterbliebenen, durch eine verkehrstechnische Prüfung klären lassen, ob sich der Verdacht auf einen suizidalen Hintergrund erhärten lässt. Auch können hier Nachforschungen bei den umliegenden Gerichten nach Betreuungs- oder Unterbringungsverfahren für die zu Tode gekommene Person helfen. Wird ein Unfallrekonstruktionsgutachten eingeholt, so sollte der Sachverständige ausdrücklich nach nicht plausiblen oder nicht erklärbaren Verhaltensweisen des Geschädigten fragen. Auch derartige Gesichtspunkte können auf einen Suizid (jedenfalls als Unfallmitursache) hinweisen.

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Bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit ist Folgendes zu beachten: Handelt es sich bei dem Getöteten um einen Beifahrer bzw. sonstigen Fahrzeuginsassen, der die Defizite des Fahrers (z.B. den Grad der Trunkenheit) oder Fahrzeugs kannte, könnte man an Straflosigkeit nach dem Gesichtspunkt der eigenverantwortlichen Einwilligung des (einsichtsfähigen) Opfers denken. Eine Risikobereitschaft, die sogar den Tod in Kauf nähme, kann jedoch in diesen Fällen nicht unterstellt werden, so dass die eigenverantwortliche Entscheidung der Inkaufnahme der Gefahr durch das spätere Tatopfer nicht die Strafbarkeit gem. § 222 StGB beseitigt. Begründet wird das mit der Sittenwidrigkeit der Einwilligung in die Lebensgefährdung (§ 228 StGB). Diese Rechtsprechung stuft also die Tötung des Beifahrers als strafbare „einverständliche Fremdgefährdung“ ein, im Gegensatz zur straflosen „Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung“.[44]

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Die Rechtsprechung, die bei Mitwirkung an Selbstgefährdungen im Zusammenhang mit Rauschmitteln den Vorwurf der fahrlässigen Tötung zurückweist,[45] wurde vom BayObLG,[46] das den Fall eines tödlichen Unfalles durch Überlassens eines Mopeds mit einer defekten Vorderradbremse zu entscheiden hatte, aufgegriffen. Zutreffend wird in dieser Entscheidung darauf hingewiesen, dass die Strafbarkeit desjenigen, der den Akt der Selbstgefährdung fördert, erst dann beginnt, wenn er erkennt, dass das Opfer die Tragweite seines Entschlusses nicht überblickt, während er selbst kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende.

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Der Vorwurf der fahrlässigen Tötung wird auch oft bei tödlichen Folgen im Zusammenhang von Fahrzeugrennen oder sonst ähnlichen Kraftproben erhoben.[47] Auch hier stellt sich die Frage, ob die Selbstgefährdung den Fahrlässigkeitsvorwurf, der gegen andere am Rennen Beteiligte erhoben wird entfallen lassen kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs[48] bestimmt sich bei Fahrlässigkeitsdelikten die Abgrenzung zwischen der Selbst- und der Fremdgefährdung nach der Herrschaft über den Geschehensablauf, die weitgehend nach den für Vorsatzdelikte zur Tatherrschaft entwickelten objektiven Kriterien festgestellt werden kann. Bei der Prüfung, wer die Gefährdungsherrschaft innehat, kommt dem unmittelbar zum Erfolgseintritt führenden Geschehen besondere Bedeutung zu.[49] Dieser Gesichtspunkt ist insbesondere bei Tötungen im Zusammenhang mit Rennen[50] oder ähnlichen Kraftproben von Bedeutung. Verhalten sich so etwa bei einem Überholvorgang sowohl der überholende als auch der überholte Fahrzeugführer pflichtwidrig und veranstalten spontan eine einem illegalen Rennen zumindest vergleichbare „Kraftprobe“, so wird die Zurechnung der Folgen eines hierdurch verursachten Unfalls an den mittelbaren Verursacher nicht durch das sog. Verantwortungsprinzip ausgeschlossen, wenn die geschädigten Beifahrer des unmittelbaren Verursachers keinen beherrschenden Einfluss auf das Geschehen hatten.[51] Fahrlässig handelt nämlich schon ein Täter, der eine objektive Pflichtverletzung begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte, und wenn gerade die Pflichtverletzung objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat. Die Einzelheiten des durch das pflichtwidrige Verhalten in Gang gesetzten Kausalverlaufs brauchen dagegen nicht vorhersehbar zu sein.[52] Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, kann eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat; dementsprechend muss sich der Tatrichter beim Vorliegen einer solchen Konstellation einzelfallbezogen damit auseinandersetzen, ob und in welchem Umfang aus Sicht des Täters aufgrund seines Verhaltens eine Gefahr (auch) für seine eigene körperliche Integrität drohte. [53] Oft wird bei Tötungen im Straßenverkehr infolge eines Rennens selbst bei anzunehmendem (bedingten) Vorsatz dieser erst zu einer Zeit feststellbar sein, zu der keine weitere Tathandlung mehr festgestellt werden kann. Hier fehlt dann der Tötungsvorsatz bei Begehung der Tathandlung – es liegt also nur Fahrlässigkeit vor. Hatte der Beschuldigte etwa bei Tötung eines anderen Verkehrsteilnehmers in einem Kreuzungsbereich den Tötungsvorsatz erst beim Einfahren in diesen Bereich gefasst, könnte ihre Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts nach den dargestellten Grundsätzen nur dann Bestand haben, wenn sie nach diesem Zeitpunkt noch eine Handlung vornahmen, die für den tödlichen Unfall ursächlich war, oder eine gebotene Handlung unterließen, bei deren Vornahme der Unfall vermieden worden wäre. Hierzu bedarf es tatsächlicher Feststellungen.[54]

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Für die Strafzumessungserwägungen der Gerichte in den Fällen fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr gewinnt die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung in Betracht kommt, besondere Bedeutung. Grundsätzlich ist von folgenden Erwägungen auszugehen:[55]

Fahrlässige Tötungen im Straßenverkehr ohne Alkoholeinfluss werden in der Regel noch mit einer Geldstrafe geahndet, falls keine Besonderheiten im Tatgeschehen bzw. in der Person des Täters, etwa erhebliche verkehrsrechtliche Vorbelastungen, vorliegen.
Die in diesem Bereich eher seltenen Freiheitsstrafen werden fast ausnahmslos zur Bewährung ausgesetzt, vor allem wenn die Sozialprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) günstig ist und es sich um einen Fahrfehler handelt, dem nicht das Stigma „rücksichtslos“ anhaftet bzw. der betreffende Kraftfahrer keine, nur geringfügige oder nicht einschlägige Vorstrafen aufweist[56]. Aber auch bei der Feststellung grob verkehrswidrigen und rücksichtslos falschen Überholens, d.h. einem massiven Verstoß gegen die gebotenen Sorgfaltsmaßstäbe im Straßenverkehr, kann die verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr noch zur Bewährung ausgesetzt werden, wie die viel diskutierte Entscheidung des LG Karlsruhe im sog. Karlsruher Raser-Fall[57] gezeigt hat.
Steht die fahrlässige Tötung jedoch in Zusammenhang mit Alkoholgenuss, wird häufig eine Freiheitsstrafe nicht nur verhängt, sondern auch vollstreckt.

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Auf der Grundlage des durch den BGH entwickelten Gedankens, dass die durch Alkohol im Straßenverkehr hervorgerufenen Gefahren und Schäden ein nachdrückliches und energisches Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden erfordern[58], vertreten die Obergerichte die Auffassung, dass bei auf Trunkenheit zurückzuführenden Verkehrsvergehen mit schweren, insbesondere tödlichen Unfallfolgen, die – auf § 56 Abs. 3 StGB gestützte – Versagung der Strafaussetzung häufig näher liegen wird als deren Bewilligung.[59] Insbesondere der Umstand, dass die Angeklagten die zum Tod führenden Gefahren bewusst geschaffen haben, ist innerhalb von § 56 Abs. 3 StGB von maßgeblicher Bedeutung.[60] Auch die äußerst aggressive Fahrweise der Angeklagten bereits vor der eigentlichen Kollision wird von der Strafkammer nicht in die erforderliche Gesamtwürdigung einbezogen.[61]

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Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Anwendung des § 56 Abs. 1 und 2 StGB und damit eine Strafaussetzung zur Bewährung für derartige Taten von Vornherein ausgeschlossen wäre. Es entspricht vielmehr gefestigter Rechtsprechung,[62] dass die Möglichkeit der Aussetzung zur Bewährung nicht schlechthin für bestimmte Gruppen von Straftaten ausgeschlossen werden kann. Vielmehr muss unter besonderer Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls geprüft werden, ob der Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 Abs. 3 StGB) gebietet, die persönliche Bewährungswürdigkeit im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB hinter dem gewichtigen Interesse an der Erhaltung der Rechtstreue der Bevölkerung zurücktreten zu lassen. Dabei muss abgewogen werden, ob die rechtstreue Bevölkerung in Kenntnis aller für und gegen den Täter sprechenden Umstände die Strafaussetzung verstehen und billigen oder durch eine solche Entscheidung in ihrem Rechtsgefühl verletzt und in ihrer Rechtstreue ernstlich beeinträchtigt würde.[63]

107

Praxishinweis

Neigt das Gericht im Verlaufe des Verfahrens dazu, sich bei der erforderlichen Abwägung, ob die Freiheitsstrafe noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann oder ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung i.S.d. § 56 Abs. 3 StGB gebietet, nicht ausreichend mit den Umständen des Einzelfalles auseinander zusetzen, ist es Aufgabe und Chance der Verteidigung, alle Gesichtspunkte herauszuarbeiten und dem Gericht beweiskräftig darzulegen, die für eine Strafaussetzung sprechen. Von Bedeutung sind aber nur gewichtige Umstände.[64] Die Verteidigung muss diese Beispiele kennen und ggf. in das Verfahren einführen:

Grad der Alkoholisierung noch im Bereich der „relativen Fahruntüchtigkeit“,[65]
erhebliche Mitverursachung (Mitverschulden) durch das Opfer[66], etwa durch das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes,[67]
Angeklagter verfügt über eine langjährigebeanstandungsfreieFahrpraxis bei hoher Jahresfahrleistung,[68]
Fahrt auf einer verkehrsarmen Straße über eine nur kurze Strecke,[69]
Angeklagter hat gerade die Schwelle zum Erwachsenenstrafrecht (§ 1 Abs. 2 JGG) überschritten,[70]
Fehlverhalten Dritter hat zu dem Unfall erheblich beigetragen,[71]
bei dem Opfer handelt es sich um einen nahen Angehörigen oder Freund,[72]
Angeklagter wurde bei dem Unfall selbst schwer verletzt,[73]
beruflich nachteilige Folgen für den Angeklagten,[74]
Mängel der Straßenbeschaffenheit oder der Beschilderung,[75]
Nachtatverhalten, etwa aufrichtige Reue oder Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Einzelintervention,[76]
kein besonders grober und rücksichtsloser Verkehrsverstoß, sondern nur falsche Einschätzung der Verkehrssituation oder bloße Überschätzung der eigenen Fähigkeiten,[77]
Angeklagter hat nicht in Fahrbereitschaft getrunken,[78]
zum Tatgeschehen hat maßgeblich eine „Verkettung unglücklicher Umstände“ beigetragen,[79]
Angeklagter leidet stark unter den Folgen der Tat, musste sich in psychotherapeutische Behandlung begeben,[80]
Vorliegen allgemeiner strafmildernder Gesichtspunkte, z.B. Angeklagter nicht vorbestraft, sozial integriert und in festem Arbeitsverhältnis stehend,[81]
lange Verfahrensdauer.[82]

108

Bei Vorliegen dieser – nicht abschließend – aufgeführten gewichtigen Umstände wird grundsätzlich davon auszugehen sein, dass eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht auf völliges Unverständnis in der Bevölkerung stoßen und deren Rechtsgefühl und Rechtstreue ernstlich beeinträchtigt würde. Dies gilt umso mehr, wenn mehrere der relevanten Gesichtspunkte in die erforderliche Gesamtwürdigung einfließen. Im Hinblick auf herausragend schwere Folgen für den Getöteten und seine nahen Angehörigen, eine das Maß der absoluten Fahruntüchtigkeit weit übersteigende Alkoholisierung des Angeklagten sowie seine aggressive Fahrweise in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat kann trotz zahlreicher mildernder Umstände die Wertung des Landgerichtes, besondere Umstände gem. § 56 Abs. 2 StGB bestünden nicht, vielmehr gebiete die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Freiheitsstrafe, § 56 Abs. 3 StGB, rechtsfehlerfrei sein.[83]

109

Bei der Prüfung der Frage, ob für die Vollstreckung ein unabweisbares Bedürfnis besteht, d.h. eine Strafaussetzung zur Bewährung „auf völliges Unverständnis in der Bevölkerung stoßen und deren Rechtsgefühl und Rechtstreue ernstlich beeinträchtigen würde“,[84] ist die Berichterstattung der örtlichen (Boulevard-)Presse grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.[85] Maßgebend ist nämlich, wie das Urteil auf „Personen, denen es mit den Besonderheiten des Falles bekannt wird“, wirken muss.[86] Bei der Prüfung des § 56 Abs. 3 StGB ist mithin auf die Interessen einer – sachlich und umfassend informierten – Gesamtbevölkerung abzustellen.[87] Diesen Maßstab kann die zumeist schlagzeilenorientierte Berichterstattung der Lokalpresse, soweit sie auf tendenziell „gefilterten“ und insoweit lückenhaften Informationen beruht, nicht erfüllen. Das Gericht muss dies berücksichtigen und seine Prüfung an der gedanklichen Hypothese einer durch verantwortungsbewusste Medien vollständig und zutreffend unterrichteten Öffentlichkeit ausrichten.[88] Das LG Karlsruhe hat in seiner Entscheidung zum Karlsruher Raser-Fall[89] deutlich hervorgehoben, dass die Stigmatisierung des Angeklagten durch eine außergewöhnlich aggressive Presseberichterstattung strafmildernd zu berücksichtigen ist.

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Praxishinweis

Da die Fälle der fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss zumeist von einer tendenziösen (Vor-)Berichterstattung begleitet werden, muss die Verteidigung darauf vorbereitet sein, die einschlägigen Presseartikel formell in das Verfahren einzuführen, etwa durch entsprechende Anträge auf Verlesung.

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Eine Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 ff. StGB) wird nur in seltensten Fällen vorkommen und vertretbar sein.[90]

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Praxishinweis

Stellt der Verteidiger gleichwohl einen Antrag auf Verwarnung mit Strafvorbehalt, so muss sich das gleichwohl verurteilende Urteil dazu verhalten, warum eine Verwarnung mit Strafvorbehalt nicht ausreichte, § 267 Abs. 3 S. 4 StPO. Diese Vorschrift ist sehr revisionsträchtig, da sie gerne übersehen wird. Dann aber fehlen trotz Antrags Ausführungen zur Verwarnung mit Strafvorbehalt. Der Verteidiger muss dabei vor allem darauf achten, dass sein Antrag im Plädoyer auch tatsächlich so aufgenommen wird, wie er diesen gestellt hat.

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Bei Beamten, Richtern und Soldaten können auch Verkehrsstraftaten, wie etwa eine fahrlässige Tötung dienstrechtliche Folgen nach sich ziehen.[91]

Verteidigung im Verkehrsstrafrecht

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