Читать книгу Die böse Mutter - Catherine Herriger - Страница 13
FALLGESCHICHTE: CÉLINE
ОглавлениеFür meine Mutter blieb ich bis zu ihrem Lebensende das »Hürchen». Auch nannte sie mich prinzipiell immer nur »die Dicke«, nie bei meinem Namen. Stets und stur behauptete sie, ich hätte ihr Leben zerstört. Das Warum fand ich nie heraus.
So bekam sie Migräneanfälle, wenn sie mich nur sah, wurde angeblich tablettensüchtig, schmiss Platten mit Essen schreiend gegen die Wand, anstatt sie auf den Tisch zu stellen. Alles nur wegen mir. Das sagte sie und ich begriff es nicht, kann bis heute nicht begreifen, warum eine Mutter ihre eigene Tochter derart verabscheuen kann. Ich hatte ihr doch nichts getan!
Als Kind dachte ich, dass ich offenbar anders war, zumindest anders als der Rest der Familie, ähnlich einem Kuckucksei, sonst würde meine eigene Mutter mich doch nicht so abschätzig behandeln, nicht so entsetzlich aggressiv auf mich reagieren.
Liebevoll erlebte ich sie nur meinem um zwei Jahre älteren Bruder gegenüber. Der machte immer alles richtig und war vielleicht auch deswegen ihr erklärter Liebling und auch der meines Vaters. Wegen dieses Gefälles – mein Bruder, der stolze Schwan, und ich, das hässliche, dickliche Entlein – konnte sich gar nie eine geschwisterliche Beziehung zwischen ihm und mir entwickeln. Wir blieben einander fremd.
Zu meinem Glück waren immer mehr oder weniger freundliche Kindermädchen da. Zuletzt gab es noch die Heide, die mehrere Jahre blieb, um dann einem Diakonissen-Orden beizutreten. Sie war für mich der eigentliche Mutterersatz – immer da, wenn ich krank war oder jemanden zum Kuscheln brauchte. Heute glaube ich, dass ich emotionale Werte wie Zuneigung und Vertrauen hauptsächlich von ihr lernte.
Richtig schlimm für mich wurde es, als Heide aus dem Haus war. Zwar gab es noch ein Dienstmädchen, aber niemanden mehr, der mir Wärme und Zuneigung gab. Mein Vater schon gar nicht, der schwamm sowieso immer im Kielwasser meiner Mutter und wenn er mich nicht einfach übersah, krittelte er an mir herum. Die meiste Zeit verbrachte er eh in seiner Kanzlei.
Dann wurde ich eingeschult und plötzlich irgendwo wirklich integriert. Ich konnte es jeweils kaum erwarten, in die Schule zu kommen, und fürchtete die Wochenenden und die Ferien mit meiner Familie. Zu Hause ging es mir schlecht, in der Schule gut.
Der Lernstoff war spannend, die vielen Klassenkameradinnen und Kameraden ebenfalls. Ich durfte Kind sein und mit anderen spielen. Dies allerdings nur in der Schule, weit weg von meiner Mutter. Ich suchte und fand immer mehr Kontakte außerhalb meines Elternhauses und versuchte mich auszuklinken, wo es nur ging. Natürlich kam ich deshalb auch immer wieder zu spät nach Hause und wurde entsprechend bestraft. Was nichts nützte und meine Mutter zusätzlich aggressiv auf mich machte.
Sie begann, vermehrt Druck auszuüben, mich immer mehr einzuschränken, herabzusetzen und zu kontrollieren, dies nun auch im schulischen Bereich. Als ich bereits im Gymnasium war, teilte sie meinen Lehrern noch mit, wie schwierig ich sei und wie man mit mir umzugehen habe. Sie verfolgte mich auf Schritt und Tritt, ich fühlte mich jeweils förmlich bespitzelt. Verzweifelt suchte ich nach kleinen Freiheitsnischen, nach Freiräumen, doch es war vergeblich. Wie die Hexe aus den Märchen tauchte meine Mutter immer wieder dort auf, wo ich mich in Sicherheit wog.
Kein Wunder, geriet ich schulisch allmählich in Disziplinarschwierigkeiten. Also steckten meine Eltern mich in ein Internat. Dort sollte ich wenigstens Manieren lernen, um später eine gute Partie zu machen. Für mehr würde ich ja kaum taugen. Im Internat geschah dasselbe wie schon in der Schule: Es ging mir gut, ich fühlte mich befreit, ich konnte aufatmen, ich hatte Freundinnen.
Aus dem Internat zurück, zwangen meine Eltern mich, in der Kanzlei meines Vaters eine Lehre als Notariatsgehilfin zu machen. Ich sah keine Alternativen und musste dies in Kauf nehmen. Irgendwie hoffte ich ja auch, dass sich in der Zwischenzeit das Familienklima mir gegenüber etwas gebessert hatte.
Mitnichten. Der Druck stieg nun aufs Unerträgliche! Tagsüber wurde ich im Büro gemaßregelt und gedemütigt. Nichts, was ich machte, war richtig, und was ich richtig machte, war nicht der Erwähnung wert. Abends ging’s dann zu Hause gleich nochmals von vorne los. Ich war eine Versagerin, ein Nichts, ein Niemand.
Meine Mutter kontrollierte mich bis zum Gehtnichtmehr: Die Post wurde aufgemacht und das Telefon abgehört. Ich durfte rein nie etwas unternehmen, nie ausgehen, weder nachmittags mit Freunden ins Kino noch abends mal auf eine Fete. Alles war verboten. »Komm mir ja nicht mit einem Kind nach Hause!«, warnte sie mich wiederholt. Wie das ging, wusste ich damals eh nicht und Gelegenheiten dazu hätte ich sowieso keine gehabt.
Ich begann, aufsässig zu werden, die Berufsschule zu schwänzen und klaute, mangels eigenem, etwas Geld in der Kanzlei, aus der Portokasse meines Vaters. Natürlich kam alles raus, mein eh schon enger Lebensraum wurde noch eingeschränkter, mein Selbstvertrauen war total weg, meine Lebensfreude ebenfalls. Ich wusste nicht mehr aus noch ein und befand mich am Rande eines seelischen Abgrundes. Ich machte einen Selbstmordversuch mit Metatabletten (zum Anzünden von Campingkochern). Natürlich ohne Erfolg. Was konnte mir denn schon gelingen?!
Da geschah ein für mich entscheidender Glücksfall: Meine Klassenlehrerin, zu der ich Vertrauen gefasst hatte und der ich so einiges aus meiner Familie erzählte, griff ein und bestellte meinen Vater in die Schule. Sie nahm ihn offenbar hart ran mit der Drohung, ihn bei der Vormundschaftsbehörde anzuzeigen – außer er lasse mich während der Woche bei den Eltern einer Freundin wohnen.
Mein Vater wählte das kleinere Übel. Seine Hauptsorge war wohl, was sonst die Leute und Mandanten von ihm denken würden, sollten unsere häuslichen Missstände publik werden.
Von da an musste ich nur noch von Samstagmittag bis Sonntagabend zu Hause sein. Ich konnte aufatmen, ich fühlte mich befreit, ich hatte plötzlich eine liebenswerte »Adoptivfamilie«. Der Vater meiner Freundin war wie mein Vater Jurist und ihre Mutter, eine Französin, charmant und kultiviert. Sie nahm sich Zeit für mich, sprach viel mit mir und vermittelte mir ihre Liebe zur Kunst und zu der kreativen Welt.
Plötzlich begann ein für mich aufregendes Leben mit Vernissagen und mit Ausstellungsbesuchen, gelegentlich nahm sie ihre Tochter und mich mit in die besten Restaurants. So hatte ich mir eine Mutter, eine Familie erträumt. Es war schlichtweg wunderbar, ich blühte auf und wurde selbstsicherer.
Eigentlich hätte meine Mutter erleichtert sein sollen, dass sie fast nicht mehr mit meiner Gegenwart belästigt wurde und ich auch keine Probleme mehr verursachte. Doch dem war nicht so. Ganz im Gegenteil begann sie, die Mutter meiner Freundin zu hassen, in einem Ausmaß, wie sie sonst nur mich ablehnte. Sie wusste, dass die Familie meiner Freundin jüdisch war, und deckte mich mit antisemitischen Sprüchen nur so zu, sobald ich zu Hause war. Ich versuchte die mehr als gehässigen Kommentare und Intrigenversuche meiner Mutter zu ignorieren, wo es nur ging.
Zu der Zeit erlebte ich meine erste Romanze: Ich hatte einen Freund, wurde geliebt und fühlte mich hübsch und attraktiv. Sobald meine Mutter dies bemerkte, stellte sie mich zur Rede und lud dann die Mutter meines Freundes zu uns nach Hause ein, um sie über mich »aufzuklären«.
Sie erzählte ihr unglaubliche Schandtaten, die ich angeblich begangen hatte, und alles nur erdenklich Schlechte über meinen Charakter. Doch trug sie derart dick auf, dass die Mutter meines Freundes sich nicht beirren ließ. Und so änderte sich nichts an der Beziehung zwischen meinem Freund und mir. Sie hielt trotz aller Anfeindungen seitens meiner Mutter weitere zehn schöne Jahre, bis ich ins Ausland zog.
Ich hatte nur eine verkürzte Lehrzeit machen müssen. Nach der Abschlussprüfung war ich noch nicht volljährig und wurde, ob ich nun wollte oder nicht, zu einer entfernten Cousine nach England geschickt. Meine Mutter warnte sie, mich ja nie mit ihrem Mann alleine zu lassen, ich sei sexuell unberechenbar... Sie forderte sie sogar auf, mich permanent zu kontrollieren und zu überwachen.
Trotzdem ging es mir dann gut in England, wie eigentlich immer mit Menschen, sobald ich von meiner Mutter weg war. Meine Cousine fasste schnell Vertrauen zu mir und drückte mir wiederholt ihr Befremden aus über die unerklärlich feindselige Haltung meiner Mutter.
Wieder zurück und endlich volljährig, suchte ich mir eine Stelle außerhalb meines Heimatorts, weit weg von Basel. Doch der Job gefiel mir nicht, ich wollte mich kreativ betätigen. Ich ging nach Zürich und begann eine neue Ausbildung bei einer Filmproduktionsfirma.
Doch zeigte es sich, dass auch Zürich nicht weit genug weg war von meiner Mutter und ihrem Einfluss. Sie hatte eine »passende« Verlobung für mich im Sinne, die ich glatt ablehnte. Dann begann sie, mich vor meiner Wohnung abzupassen und mich psychisch unter Druck zu setzen.
Sie schaffte es wirklich jedes Mal, dass ich mich ihr wehrlos ausgeliefert fühlte, mich wie eine Fliege in ihren schlimmen, klebrigen Netzen verfing. Und doch hoffte ich immer wieder auf eine Art Versöhnung und bemühte mich wiederholt und vergeblich um sie. Allzu gerne hätte auch ich eine mir wohlgesinnte, eine liebevolle Mutter gehabt.
Mit 25 Jahren hatte ich genug, ich ertrug das Ganze nicht mehr. Ich brach alle Zelte ab und reiste fluchtartig nach Norddeutschland. Dies kam auch meiner Laufbahn zugute, denn in der Schweiz hatte ich gute Kontakte zu der Film- und Fotobranche geknüpft. Nun konnte ich Ausstattungen und Kostüme für Filme und Werbeaufnahmen entwerfen und so die ganze Welt bereisen.
In Frankreich erreichte mich dann die Nachricht vom Tode meines Vaters, zusammen mit der Mitteilung über das Ableben meines Bruders vor einigen Jahren. Ich war erschüttert. Niemand aus meiner Familie hatte es für nötig befunden, mir mitzuteilen, dass er unheilbar an Magenkrebs erkrankt war. (Hatte er doch, so wie ich, auch viel zu viel einfach runtergeschluckt? ...) Ich wusste nicht einmal, dass mein Bruder verheiratet gewesen war.
Dank dieser Benachrichtigung durch die ehemalige Sekretärin meines Vaters konnte ich wenigstens zur Beerdigung meines Vaters in die Schweiz reisen. Mein Lebensgefährte begleitete mich. Trotz all der Jahre ohne Kontakt wurde er sofort von meiner Mutter in Beschlag genommen und darüber aufgeklärt, dass ich eine Lügnerin sei und schon immer einen unseriösen Lebenswandel geführt hätte beziehungsweise in ihren Augen eine Nutte sei. Er solle rechtzeitig wissen, dass ich garantiert nie auch nur einen Rappen von ihr erhalten werde – nicht einmal das Schwarze unter ihren Fingernägeln.
Auf eine Weise tat sie meinem Mann und mir leid, schließlich war sie ja inzwischen eine ältere und vereinsamte Frau. Und wieder versuchte ich, irgendwie mit ihr klarzukommen, die Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen. Unmöglich. Sie sah in mir nach wie vor eine Gegnerin und dazu noch eine habgierige. Ihr ging es immer wieder ums Geld. Auch zitierte sie wiederholt, wie ein Mantra, ihr Bedauern darüber, dass ich noch lebe, aber mein lieber Bruder sterben musste ...
Sobald sie mich sah, hagelte es Kritik, über mein Aussehen, meinen Beruf, meine Wohnung, meinen Lebensgefährten etc. Wie schon als Kind, konnte ich es ihr auch jetzt nie recht machen. All meine Bemühungen um sie scheiterten.
Zwei Jahre nach dem Tod meines Vaters heiratete ich in Las Vegas, damit ja niemand aus meinem Familienkreis mit dabei sein konnte. Ich hatte keine Kraft mehr für Auseinandersetzungen mit meiner Mutter.
Nun war ich verheiratet und hatte mir auch beruflich ein glückliches und erfolgreiches Leben erarbeitet. Doch dann stellten sich bei mir zunehmend Essstörungen ein. Ich war nie schlank gewesen, aber nun aß ich wirklich zu viel, gierig und anfallartig. Es war, als wollte etwas in mir meiner Mutter recht geben, die ja schon immer mein Gewicht und mein Aussehen herabgesetzt und bemängelt hatte.
Ich begann eine Gesprächstherapie bei der Autorin dieses Buches und hatte nach einem Jahr die Wurzeln meiner Sucht erkannt und meine Mutter – zumindest im Kopf – verarbeitet und eigentlich überwunden. Dachte ich jedenfalls.
Ein Jahr später wurde ich schwanger und geriet derart in Panik, dass ich mich zu einer Abtreibung entschloss – gegen den Wunsch meines Mannes. Wir führten lange Gespräche und hatten größere Auseinandersetzungen. Er wollte das Kind – ich nicht. Ich fühlte mich weder bereit noch geeignet für eine Mutterschaft. Wie denn auch, mit dem Vorbild, das ich erlebt hatte? Ich wollte mit Nestpflege und Familie nichts zu tun haben. Auch liebte ich meine Arbeit und wollte sie nicht aufgeben.
Da ich zu dieser Zeit allzu viel arbeitete, erlitt ich knapp vor dem Abtreibungstermin eine Fehlgeburt, was die Situation zwischen meinem Mann und mir etwas entspannte. Ganz von selbst hatte das Schicksal eingegriffen.
Meine Mutter hatte nicht einmal auf meine Hochzeitsanzeige aus den USA reagiert, geschweige denn ein Geschenk geschickt. Auch hatte sie in der Zwischenzeit versucht, mich aus dem Grundbuchamt in Basel streichen zu lassen mittels eines »Erbteilungsvertrags«. Ich hatte nicht darauf reagiert.
Leider holte mich das Schicksal in Form eines Gehirntumors ein paar Jahre später wieder ein. Vor der riskanten Operation gab es wieder mal einen Versuch für eine Versöhnung: Mein Mann besuchte meine Mutter, informierte sie über die Situation und fragte sie, ob sie mich noch einmal sehen wollte.
Die Antwort war Nein, und er solle ja nicht meinen, dass sie etwas bezahlen würde. Aber nun wisse sie endlich, warum ich seit Jahren spinnen würde. Das war’s. Mein Mann war wieder mal schockiert und ungläubig. Derartige Familienverhältnisse waren ihm schlichtweg unbekannt und in ihrer Bösartigkeit nicht nachvollziehbar. Wir trösteten uns gegenseitig.
Es wurde aber noch schlimmer! Da ich seinerzeit nach dem Tode meines Vaters den Pflichtteil nicht in Anspruch genommen hatte und ich mir meine Invalidenrente erst erstreiten musste, wollte ich Einsicht in die Finanzen der Erbschaft erhalten. Umgehend beschied mir meine Mutter via Anwalt, ich wäre keine Erbin und es gebe für mich eh keine Erbschaft...
Der finanziellen Not gehorchend, klagte ich sechs Jahre nach meiner Operation um Einsicht in die Bücher, wie auch um den im Testament meines Vaters festgehaltenen Pflichtteil. Leider ließ ich mich da auf einen Kompromiss mit meiner Mutter ein, um die Streitereien vor Gericht zu beenden. Eigentlich hätte ich es besser wissen müssen.
Denn nun ging es erst recht los! Meine Mutter verschleißte insgesamt acht Anwälte, mithilfe derer sie in vier Prozessen versuchte, mich als Erbin meines Vaters zu deklassieren und mir alles wieder wegzunehmen. Bei dem »Kompromiss« wurde mir ein Haus im Tessin zugesprochen, welches sie mir im Zustand einer halben Ruine übergab, diese bis aufs Letzte ausgeräumt, ohne Boiler und ohne Wasserpumpe. Ich war trotz aller schlimmen Erfahrungen mit ihr wieder mal am Boden zerstört. Zum Glück hatte (und habe) ich meinen Mann als liebevolle Stütze.
Im Jahr darauf wurde ich an einem rezidiven beidseitigen Hirntumor operiert in der Hoffnung, ein bisschen von meiner Sehkraft auf einem Auge zu retten, rechts war ich ohnehin schon blind. Meine Mutter wurde wiederum über den Eingriff informiert, ließ mir aber über einen ihrer Anwälte mitteilen, dass sie wegen mir und den von mir verursachten rechtlichen Kosten nicht standesgemäß leben könne. Außerdem wurde mir ausgerichtet, dass sie mich in Zukunft weder sehen noch sprechen wolle und ich sie doch bitte in Ruhe lassen möchte.
Meine Mutter hatte sich vollends in die Opferrolle begeben und ich war definitiv zur egoistischen und habgierigen Tochter gestempelt.
Ich musste mich damit abfinden, keine Mutter zu haben beziehungsweise keinen gereiften Weg zu oder mit meiner Mutter zu finden. Alleine die Tatsache meiner Existenz schien für sie eine Schande, ein Riesenfehler zu sein. Trotz meiner damaligen Therapie mitsamt all den gewonnenen Erkenntnissen bereitete es mir zeitweise noch immer große Mühe, eine derartige Mutter zu haben.
Nach der Operation ging es mir einige Zeit nicht so gut, ich mache nun eine Langzeit-Chemotherapie mit Tabletten, die anfänglich sehr gewöhnungsbedürftig waren. Alle drei Monate muss ich in die Onkoklinik zur Kontrolle.
Im Juli ist sie, meine böse Mutter, gestorben. Ich war nicht traurig über ihr Ableben. Aber sehr wohl um all das, was nie war, was ich mit ihr nie erleben durfte und was eigentlich hätte sein können zwischen ihr und mir.
In ihrem Testament hatte sie zu einem letzten Schlag ausgeholt und mich gänzlich enterbt. Dies mit der Begründung, ich sei meinen familienrechtlichen Pflichten ihr und ihrem verstorbenen Mann (meinem Vater) gegenüber nicht nachgekommen. Ich sei mehrere Male in Basel gewesen und hätte sie nicht besucht. Auch hätte ich immer nur ihr Geld gewollt.
In diesem notariell beglaubigten Testament steht sie ihrem Anwalt ausdrücklich zu, mit dem Geld meiner Erbschaft gegen mich prozessieren zu können. So lange, bis halt alles »verprozessiert« sei. Und das ist nun das letzte Vermächtnis meiner Mutter an mich ...
Jetzt habe ich mir vorgenommen, dass ich ihr Haus in Basel eigenhändig ausräumen werde, Stück für Stück, mit viel Zeit zum Erinnern, Nachdenken und innerem Loslassen. Für mich wird es zu einer Art Teufelsaustreibung und Läuterung, zu einer zweiten und letzten Therapie. Und dann bin ich mit meinen bald sechzig Jahren hoffentlich wirklich frei!