Читать книгу Ändere deine Welt - Cédric Herrou - Страница 8

2. Mein erstes Mal

Оглавление

Ein Jahr später, im Frühjahr 2016. Diesmal sitze ich nicht auf dem Motorrad, sondern in meinem Kastenwagen C15; ich fahre dieselbe Strecke in umgekehrter Richtung, von Ventimiglia nach Breil-sur-Roya. Ich kenne die kurvenreiche Straße in- und auswendig und habe die schlechte Angewohnheit, die Kurven mit einem Bier in der einen und einer Zigarette in der anderen zu nehmen. Plötzlich tauchen in der Dunkelheit Gestalten vor mir auf, die die Straße entlanglaufen. Aus meinen Träumereien aufgeschreckt, reiße ich das Steuer herum, um ihnen auszuweichen. Mit einem Kloß im Hals drücke ich meine Kippe aus und fahre weiter.

Es ist Donnerstagabend; wie jede Woche habe ich meine Eier, meine Pasta und mein Olivenöl in Nizza ausgeliefert. Vor ein paar Jahren habe ich dort Kunden gefunden, die Achtung vor der Landwirtschaft haben, keine Massenkonsumhändler. Wenn es wegen des Wetters oder eines Fuchsüberfalls weniger Eier gibt, haben sie Verständnis; in der einen Woche bekommen sie kaum etwas, die nächste ist besser, das sind eben die Wechselfälle der Landwirtschaft.

Aber was tun diese Leute auf der Straße? Ich meine, Kinder gesehen zu haben … Die Nacht ist so dunkel, und sie haben keine Lampe – ich habe Angst, dass sie überfahren werden. Ich bin genervt. Kehre um. Auf ihrer Höhe angekommen, erkenne ich zwei Kinder und ihre Eltern. Es muss Mitternacht sein. Ihre Haut ist so dunkel wie die Nacht, die von meinen Scheinwerfern nur schwach erleuchtet ist. Ich schlage ihnen vor, hinten einzusteigen, sich zwischen die leeren Eierkartons zu setzen. Sie wollen zu einem Bahnhof. Aber zu dieser späten Stunde fährt kein Zug mehr. Ich lade sie zu mir ein und biete ihnen an, sie am nächsten Tag zu begleiten.

Unten an dem steilen Pfad, der zu meinem Haus führt, spüre ich, dass sie Angst bekommen. Weiter unten die etwas bedrohlichen Fluten der Roya. Gegenüber an der Gebirgsflanke steigt der Hang steil an, und man sieht praktisch nichts durch die dichte Vegetation. Dort hinauf sollen sie. Nicht sehr beruhigend. Dieser Bärtige mit der runden Brille könnte sie entführen, ausrauben oder Schlimmeres, wie das auf den Wegen des Exils oft genug passiert …

Nur die beiden Kinder scheinen vertrauensvoll; das ist das Gute mit Kindern: nicht nötig zu reden, Blicke genügen. Die Mutter wirkt erschöpft und hinkt; der Vater, ernst, bleibt stumm. Wir steigen im Gänsemarsch hinauf, einen Jungen habe ich auf dem Arm, der größere geht im Schein meiner Stirnlampe hinterher.

Ich habe dieses verwilderte Stückchen Land 2002 gekauft, wieder urbar gemacht und hergerichtet. Seit dem Krieg nicht mehr genutzt, war das weite Gelände am Hang ein Dschungel, das Haus fast eine Ruine. Ich habe mich um die Olivenbäume gekümmert und meine Hühner aufgezogen. Ich bin glücklich hier oben, weit weg von der Welt, die mir oft unerträglich ist. Jetzt holt sie mich ein.

Wir essen schnell eine Kleinigkeit. Der Mann legt sich aufs Sofa, die Frau mit den beiden Kindern auf eine Matratze auf dem Boden, unter ein paar Decken. Ich klettere in mein Zimmer auf der Galerie hinauf, direkt über ihnen, voller Unbehagen, aber beruhigt, sie nicht mehr am Straßenrand zu wissen. Nachdem ich selbst schon Tausende Kilometer per Anhalter gefahren bin, kann ich doch niemanden am Straßenrand stehen lassen.

Am Morgen weckt mich Kaffeeduft, die Matratze ist weggeräumt, die Decken zusammengefaltet, alle vier sind draußen auf der kleinen Terrasse. Ich radebreche die paar Brocken Arabisch, die ich während meiner Afrikareise gelernt habe, und sage, dass ich Brot kaufen gehe. Ein Vorwand, um fünf Minuten allein zu sein und nachzudenken.

Ändere deine Welt

Подняться наверх