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7. Kapitel

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John Smith trug eine Sonnenbrille und nahm seinen Cappuccino in einem Coffee Shop in der Mott Street. Er hatte sich einen Platz am Fenster gesucht. Es war immer besser, alles beobachten zu können, immer die Lage im Blick zu haben. Planung und Übersicht. Das war alles. Das hatte man ihm lange genug eingebläut.

Er kratzte sich an dem Tattoo an seinem Unterarm. Irgendwie hatte er nicht zum ersten Mal das Gefühl, dass es sich um ein juckendes Ekzem handelte. Er wusste, dass das Unsinn war, aber er spürte es trotzdem. Aber das war besser, als wenn er sich plötzlich an den Moment erinnerte, da es ihm gestochen worden war.

Lange her war das.

Sehr lange.

Er war noch klein gewesen. Ein Kind. Aber das Tattoo war mit ihm gewachsen und die etwas verwaschene Form, die die Sonnenblume inzwischen aufwies, kam wohl genau daher.

Ein Mann in einer blauen Windjacke kam durch die Tür.

Er setzte sich zu dem Mann, der sich John Smith nannte, an den Tisch. Dieser schien ihn zunächst keines Blickes zu würdigen. Er starrte weiter aus dem Fenster, hörte aber damit auf, sich an dem Sonnenblumen-Tattoo zu kratzen.

„Hallo Bud“, sagte Smith dann. „Schön, dass du endlich kommst.“

„Es ging nicht schneller. Ich bin bis Vermont gefahren, um den Van zu entsorgen.“

„Was hast du damit gemacht?“

„Ihn irgendwo in den Wäldern abgestellt.“

„Man wird ihn aber finden.“

„Glaub mir, ich habe bei den SEALS gelernt, wie man ein Fahrzeug tarnt. Es kann lange dauern, bis jemand darauf stößt. Du kannst mir vertrauen.“

„Ich habe ein Problem, Bud.“

„Und das wäre?“

„Ich bin meinen Führerschein los. Keine Ahnung, wo der geblieben ist, aber ich glaube, als ich bei Francine Benson war, ist es passiert. So ein Typ hat mich auf dem Flur angerempelt. Danach war er weg.“

„Du hättest dort nie hingehen sollen.“

„Francine wollte das Geld in bar. Andernfalls hätte sie nicht mitgemacht. Sie hat befürchtet, dass das FBI vielleicht ihre Kontobewegungen überwacht. Und ich glaube, der Verdacht ist nicht ganz unbegründet.“

„Jetzt wird das FBI auf jeden Fall ihre Konten überprüfen“, meinte Bud.

Wenig später ließ Bud sich einen Donut und einen Milchkaffee bringen. Er zahlte ein so hohes Trinkgeld, dass Tony Pradini, der kahlköpfige Besitzer des Coffee Shops, die Überraschung ins Gesicht geschrieben stand.

„So etwas fällt auf“, meinte Smith ein paar Augenblicke später, als Pradini wieder hinter seinen Tresen gegangen war.

„Nun hab dich nicht so“, meinte Bud. „Nimm es cool, so wie bisher. Damit kommt man am weitesten.“

„Du meinst, wie ein Navy Seal.“

„Ja, genau“, bestätigte Bud.

„Dann will ich mal hoffen, dass Tony sich nicht an uns erinnert, wenn ihn jemand nach uns fragt“, meinte Smith ziemlich düster. „Bud, ich brauche eine Satz neuer Papiere, und zwar umgehend. Verstehst du?“

„Ich werde sehen, was sich machen lässt.“

„Nein, du versuchst, so schnell wie möglich etwas zu arrangieren! John Smith ist gestorben!“

„Okay, okay. Sonst noch Wünsche?“

„Ich muss die die Klinik und die Zimmernummer wissen, in der Ellroy Garcia sich zurzeit aufhält. Und dann muss noch die größte Aufgabe erfüllt werden.“

„Du hast sie dir ganz bis zum Schluss gelassen!“

„Richtig. Es wird alles gut, Bud.“ Ein Lächeln erschien auf Smiths Gesicht, das ansonsten immer ziemlich angespannt wirkte. In diesem kurzen Moment strahlte es so etwas wie Zufriedenheit aus. Ein tiefes Gefühl der Genugtuung durchflutete ihn. „Ich tue das Richtige“, sagte er.

„Daran darfst du nie zweifeln“, sagte Bud.

„Ich weiß. Und es ist ein sehr gutes Gefühl!“

Smith atmete tief durch, so als wäre eine zentnerschwere Last von seiner Seele abgefallen.

––––––––




WIR WAREN AUF DEM WEG zurück zur Federal Plaza. Dort, wo Francine Benson und Ray Scirea sowie dessen Chauffeur und Leibwächter niedergeschossen waren, gab es für uns jetzt nichts mehr zu tun.

Einige Kollegen würde dort noch etwas länger bleiben.

Unsere Erkennungsdienstler Sam Steinburg und Mell Horster zum Beispiel.

„Du denkst, dass dieser John Smith unser Mann ist“, sagte Milo, als wir in einer Snack Bar unterwegs kurz hielten, um dafür zu sorgen, dass unsere knurrenden Mägen sich nicht mehr bemerkbar achten.

„Das war keine Frage, oder, Milo?“

„Nein. Eine Feststellung. Ich frage mich nur, wie das alles miteinander zusammenpasst. Eigentlich schien doch dieser Michael Chambers unser Mann zu sein.“

„Das würde bedeuten, dass Smith die Methode dieses Hit-man ziemlich exakt kopiert“, meinte ich. „Wäre doch nicht das erste Mal.“

„Du meinst, das ist wie in jedem anderen Job – man versucht erfolgreichen Kollegen nachzueifern.“

„So ungefähr. Allerdings glaube ich in diesem Fall einfach nicht daran, dass es sich um einen Profi handelt. Professionelles Vorgehen – ja! Aber diese ungeheure Wut. Milo, die muss ihre Ursache haben und wenn wir die finden, dann ist das vielleicht auch der Weg, der uns zum Täter führt!“

Sam Steinburg hatte längst den Führerschein dieses Mannes eingescannt und die Datei an unser Field Office in der Federal Plaza geschickt, damit Max Carter und seine Kollegen aus dem Innendienst unserer Fahndungsabteilung schonmal damit anfangen konnten, über diesen Mann so viel wie möglich herauszufinden. Wir suchten jemanden, der offensichtlich eine Ausbildung zum Scharfschützen absolviert hatte. Jemand, der bei den Navy Seals, bei den Marines, beim SWAT-Team eines Police Departments oder vielleicht sogar beim FBI gewesen war.

Und das bedeutete, es musste Daten über ihn geben.

Natürlich gab es sowohl bei den Streitkräften, als auch bei den verschiedenen Polizeieinheiten hunderte von Trägern des Namens John Smith. Aber wir hatten zusätzlich das Bild und den kompletten Datensatz des gefälschten Führerscheins. Auch wenn der Name wohl falsch war – das Bild musste dem tatsächlichen Aussehen des Täters entsprechen. Und selbst wenn er sich mit Hilfe kosmetischer Mittel oder auf Grund von Gewichtsveränderung, Bartwuchs oder der natürlichen Alterung verändert hatte, gab es doch einige Merkmale, an denen man ihn eindeutig identifizieren konnte und die selbst durch Operationen kaum zu verändern gewesen wären. Der Augenabstand zum Beispiel.

Ich war gespannt, ob dabei irgendetwas herauskam, das uns weiterbrachte.

Mein Handy klingelte. Es war Sam.

„Jesse, ich habe die Tür von Tyra Benson nach Abdrücken abgesucht. Es war tatsächlich ein Ohrabdruck darunter.“

„Bingo!“, entfuhr es mir.

„Freu dich nicht zu früh. Ich hätte vielleicht genauer sagen sollen: Es war der Teil eines Ohrabdrucks. Und der stimmt mit dem überein, den wir an der Tür von Sonny Alvarez gefunden haben. Da es sich allerdings nur um den Teil eines Abdrucks handelt, wäre ich mir nicht sicher, ob das vor Gericht ausreichen würde.“

Anders als bei Fingerabdrücken oder Gentests, wo es seit langem Standards gibt, wie viele übereinstimmende Merkmale vorhanden sein müssen, um die gerichtsfeste Bestätigung zu haben, dass es sich um Spuren handelt, die ein und dieselbe Person hinterlassen hat, existieren diese Vorgaben bei Ohrabdrücken noch nicht.

Trotzdem war diese Nachricht interessant.

„Das bedeutet, wir können diesen John Smith mit der Ermordung von Sonny Alvarez in Verbindung bringen“, meinte ich wenig später an Milo gewandt, als ich das Gespräch mit Sam Folder schon beendet hatte. „Das heißt, dass Sonny Alvarez und sein bisher unbekannter Komplize die Wohnung von Jack Luigini dann wohl im Auftrag von Mister Smith verwanzt haben. Und Mister Smith hat offenbar sowohl Luigini als auch Alvarez aus dem Weg geschafft.“

„Für das Schicksal von Alvarez' Komplizen lässt das nichts Gutes erahnen“, meinte Milo. „Aber du hast recht. Das ergibt Sinn. Schließlich konnte Smith auf diese Weise sein Opfer ausspionieren. Und wer weiß, wo Alvarez sonst noch Wanzen installiert hat!“

Ich kaute auf dem letzten Bissen meines Hot Dogs herum.

„Wir kommen der Sache langsam etwas näher – aber ich denke immer noch, dass das Motiv des Täters entscheidend ist. Und ich glaube einfach nicht, dass wir es mit jemandem zu tun haben, der für Geld tötet. Zumindest nicht ausschließlich.“

––––––––




ES FING AN ZU REGNEN, als wir am nächsten Morgen bei Mister McKee im Besprechungszimmer platznahmen und Mandy jedem von uns einen Becher mit ihrem berühmten Kaffee brachte.

Ich hatte kurz zuvor noch in der Werkstatt angerufen, wie weit man dort mit der Reparatur des Sportwagens war. Die erste Diagnose war ziemlich niederschmetternd und ich musste mich wohl noch eine Weile gedulden, bis ich wieder am vertrauten Steuer meiner Lieblingskarosse saß. Der Tag hatte also schon schlecht begonnen. Ich hoffte, dass wenigstens gute Nachrichten aus den Labors oder von Max Carter und den Innendienstlern uns erwarten würden.

Doch auch in dieser Hinsicht wurde ich enttäuscht.

„Wir haben alles getan, um diesen John Smith zu identifizieren“, erklärte Max. „Immerhin wissen wir nun, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit niemals in der Army oder bei irgendeiner Polizeieinheit gewesen ist. Niemand, zu dem dieses Gesicht passt, ist dort je gewesen. Und was den Rest der Identität angeht, so ist sie von einem gewissen Edgar John Kerrysmith gestohlen worden. Der Name ist also definitiv falsch.“

„Aber irgendjemand muss ihm doch beigebracht haben wie man so schießt!“, entfuhr es Mister McKee, der in diesem Augenblick ein ziemlich ratloses Gesicht machte. Ich kann nur sagen, dass ich seine Ratlosigkeit teilte.

„Was ist, wenn der Täter in einer ausländischen Armee zum Scharfschützen ausgebildet wurde“, warf Clive Caravaggio ein. „Wäre doch auch denkbar.“

„Das würde nicht zu der verwendeten Waffe passen“, meinte unser Chefballistiker Dave Oaktree. „Die Mk-23 ist im Ausland noch seltener als bei uns.“

„Das spricht nicht unbedingt dagegen“, meinte Mister McKee.

„Aber wenn Sie solche Mordanschläge durchführen wollen, wie der Killer, mit dem wir es hier zu tun haben, dann ist dazu äußerste Präzision vonnöten.“

Mister McKee hob die Augenbrauen. „Das bedeutet dann in diesem Fall?“

„Dass der Täter automatisch die Tendenz hat, das Equipment zu benutzen, das er am besten kennt.“

„Also die Waffe, an der er ausgebildet wurde!“, stellte ich fest.

Dave nickte. „So ist es!“

„Ich kann das nur aus eigener Erfahrung bestätigen“, mischte sich Jay Kronburg ein. „Schließlich benutze ich ja immer noch meinen .457er Magnum Revolver und habe mich bislang beharrlich geweigert, gewisse waffentechnische Innovationen mitzumachen, die inzwischen beim FBI und anderen Polizeieinheiten zum Standard geworden sind. Aber neu ist ja auch nicht unbedingt besser!“

„Aus den Zeugenaussagen zum Fall Luigini wissen wir doch, dass der Täter zumindest in diesem Fall einen Komplizen hatte“, stellte ich fest. „Der zweite Mann im Van...“

„Ich sehe noch nicht, was das mit der Problematik zu tun hat, über die wir gerade gesprochen haben“, bekannte Mister McKee.

Ich trank meinen Kaffee aus. „Ich will darauf hinaus, dass der Täter sein Scharfschützenhandwerk vielleicht bei jemand anderem gelernt haben könnte. Wir wissen, dass John Smith oder wie immer auch in Wahrheit heißt, ein Sonnenblumen-Tattoo am Unterarm hat. Dieser Täter hatte bei dem Mord ein langes Gewehr mit Zieloptik bei sich. Also vermutlich eine M-23...“

„...während sein Komplize eine MPi trug“, erinnerte mich Mister McKee. „Wenn der Komplize bei der Army zum Scharfschützen ausgebildet wurde, wieso sollte dann Smith der Schütze sein? Das ergibt keinen Sinn.“

„Warum nicht? Es soll schon vorgekommen sein, dass ein Schüler seine Lehrer übertrifft“, wandte ich ein. Ich drehte mich zu Max Carter um. „Max, wir brauchen die Daten von allen Scharfschützen bei der Army oder in Polizeieinheiten, an denen irgendetwas Auffälliges ist, was sie vielleicht mit diesem Fall verbindet.“

„Das ist eine Mammutaufgabe, Jesse!“, erwiderte Max und atmete erstmal hörbar und sehr tief durch.

„Nein, das können so viele nicht sein. Wir suchen nur diejenigen, die an der MK-23 ausgebildet wurden. Das dürfte überschaubar sein.“

Mister McKee stand mit in den tiefen Taschen seiner Flanellhose vergrabene Händen da und dachte einen Augenblick lang nach. Die Hemdsärmel hatte er wie üblich hochgekrempelt. Er ging fünf Schritte bis zum Fenster, dort verharrte er kurz und kehrte dann zurück. Während unserer Besprechungen hielt es den Chef unseres Field Office selten auf seinem Platz.

„Versuchen Sie das, Max“, richtete er dann das Wort an an unseren Kollegen aus der Fahndungsabteilung. „Vielleicht kommt ja irgendetwas dabei heraus, was uns diesem mysteriösen Schützen endlich etwas näher auf die Spur bringt.“

„Ich werde tun, was ich kann!“, versprach Max.

Mister McKee wandte sich an Sam. „Gibt von Ihrer Seite irgendwelche neuen Erkenntnisse?“

„Wir konnten John Smith auf dem Videomaterial der Überwachungskameras identifizieren. Er muss tatsächlich durch den unbewachten und normalerweise verschlossenen Hintereingang in das Gebäude gelangt sein. Aber wie uns der Kollege vom Security Service schon erläuterte, muss er auf seinem Weg auf das Dach durch einen Bereich, der überwacht wird. Das hat unsere Sache sehr erleichtert. Ich kann Ihnen das Material mal zeigen.“

„Bitte“, sagte Mister McKee.

Sam Steinburg aktivierte den Beamer seines Laptops. Wenig später erschien an der Wand des Besprechungszimmers eine Video-Sequenz. Ein Mann war zu sehen, der eine Tasche für Golfschläger über dem Rücken trug – eine ideale Aufbewahrungsmöglichkeit für eine MK-23. Er trug unter seiner Jacke ein Kapuzenshirt. Die Kapuze hatte er ziemlich tief ins Gesicht gezogen, dass man davon nichts erkennen konnte.

„Gute Qualität nenne ich was anderes“, meinte Mister McKee.

„Ich habe einen Ausschnitt etwas vergrößert und bearbeitet!“, sagte Sam, während seine Finger über die Tastatur glitten. Unser Kollege hatte sich eine Einstellung ausgesucht, in der der rechte Ärmel ganz kurz etwas nach oben rutschte und das Sonnenblumen-Tattoo erkennbar wurde.

Zumindest eine Hälfte davon.

„Und noch etwas!“, ergänzte Sam. Diesmal wies er uns auf einen Ausschnitt hin, der den Bereich zeigte, in dem eigentlich das Gesicht zu sehen war und der leider im Schatten lag. „Durch eine nachträgliche Aufhellung kann ich leider das Gesicht in diesem Fall nicht erkennbar machen. Aber es lässt sich genau bestimmen, wie weit einige markante telemetrische Punkte an Nase und Kinn voneinander entfernt sind und das stimmt so exakt mit den Werten überein, die wir durch das Lichtbild in dem John Smith-Führerschein gewinnen konnten, dass man den Mann mit der Golfschläger-Tasche wohl als eindeutig identifiziert betrachten muss.“

„Immerhin“, meinte Mister McKee. „Das ist ja schonmal ein Schritt in die richtige Richtung.“

„Noch ein Detail ist nicht ganz alltäglich und sollte zumindest in keiner genauen Beschreibung dieses Täters fehlen“, fügte Sam noch hinzu.

Er zoomte auf den Hals des Mannes.

Eine Kette war dort zu erkennen. Das daran hängende Amulett reflektierte das Licht und war wohl nur aus diesem Grund überhaupt zu sehen. Mit ein paar Veränderungen an den Einstellungen bekam Sam es so hin, dass man die Form erkennen konnte.

„Ein Kruzifix, das durch zwei Schwerter gebildet wird!“, stellte ich fest.

„Hat Jesus nicht gesagt, dass derjenige, der das Schwert nimmt, dadurch umkommen wird?“, mischte sich Clive ein.

„Tja, wer immer dieses Amulett entworfen hat, scheint da eine etwas andere Interpretation zu haben“, meinte Mister McKee. „Was ist das für ein Zeichen?“

„Keine Ahnung, Sir“, meinte Sam. „Aber ich bekomme es heraus!“

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ETWAS SPÄTER KAM UNSER Kollege Nat Norton herein.

Der Experte für betriebswirtschaftliche Fragen in unserem Field Office hatte sich unter anderem Francine Bensons Finanzen eingehend vorgenommen.

„Ich konnte Zahlungen von Ray Scirea zurückverfolgen“, erklärte er. „Aber Francine Benson scheint ziemlich vermögend gewesen zu sein. Es gibt einige Nummernkonten in der Schweiz, von denen sie sich regelmäßig etwas auf ihr hiesiges Konto überweisen lässt. Es spricht einiges dafür, dass diese Nummernkonten ihr gehören, auch wenn ich dafür natürlich nur ein paar Indizien anführen kann. Auffällig ist, dass sie eine Reihe von Bareinzahlungen gemacht hat, die immer knapp unter der Grenze zu Meldepflicht lagen.“

„Dann hat dieser John Smith sie tatsächlich bar bezahlt“, stellte ich fest.

„Ja“, nickte Nat. „Das liegt nahe.“

„Aber unter ihren Sachen war kein Bargeld“, erklärte ich. „Wir haben alles durchsucht.“

„Dann sollte man vielleicht mal ihre Schwester Tyra danach fragen“, meinte Nat. „Oder es gibt ein Versteck in der Wohnung. Die üblichen Orte. Klospülung, Kühlschrank, Fußbodenleisten und so weiter.“

„Nur, dass sich rein rechtlich darauf unsere Durchsuchungsmöglichkeiten in Tyra Bensons Wohnung nicht erstrecken“, warf Milo ein. „Tyra war schließlich weder Mordopfer noch Verdächtige.“

„Wir könnten eine solche Durchsuchung sicher noch nachholen lassen“, meinte Mister McKee.

„Ich vermute, dass sie die Bargeldbeträge bis dahin längst fortgeschafft hat“, meinte Nat. „Aber etwas anderes ist sehr interessant. Denn sie hat außer von Ray Scirea und Jimmy DiCarlo auch noch Geld aus einer anderen dubiosen Quelle bekommen. Es ist das Konto einer Firma auf den Cayman-Islands, das mit einer Stiftung zur Unterstützung von Verbrechensopfern zusammenhängt, die wiederum finanziell von einer kleinen kirchliche Gemeinde mit der Bezeichnung CHURCH OF JUGDEMENT eingerichtet wurde. Das seltsame ist erstens, dass ich bis jetzt keinen Grund finden kann, wieso Auszahlungen aus einem Stiftungsfond über derart verworrene Verbindungen laufen müssen und zweitens bin ich auf dieselbe Zahlungsquelle auch bei Sonny Alvarez gestoßen!“

„Der Mann, der die Abhöranlage bei Jack Luigini installierte und von dessen Komplizen wir bisher immer noch nicht mehr als ein schlechtes Phantombild haben“, murmelte Mister McKee. „Forschen Sie weiter nach, was es mit dieser Stiftung und dieser CHURCH OF JUGDEMENT auf sich hat!“

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ES WAR AM FRÜHEN NACHMITTAG, als Max Carter Milo und mir einen Besuch in dem Dienstzimmer abstattete, dass wir uns zusammen teilten.

„Ich habe vielleicht etwas gefunden“, meinte er. „Es ist wahrscheinlich nur ein Anfang, aber möglicherweise führt es uns ja zu weiteren Erkenntnissen.“

„Worum geht es?“, fragte ich.

„Um einen Scharfschützen, der die MK-23 benutzte und an dem irgendetwas auffällig gewesen ist.“

„Und?“

„Am besten, ihr seht euch das auf meinem Rechner an!“, schlug Max vor.

Wir folgten Max also in sein Dienstzimmer, das er sich noch mit zwei anderen Agents aus der Fahndungsabteilung teilte.

Auf dem Schirm seines Rechners erschien das NYSIS-Dossier von einem gewissen Bud Nolan, ehemals Scharfschütze bei den Navy Seals. Dort allerdings war er aus gesundheitlichen Gründen entlassen worden.

„Steht Bud eigentlich für was anderes?“, fragte Milo.

„In diesem Fall nicht. Bud ist sein richtiger Vorname“, erklärte Max. „Die entsprechenden Stellen beim Militär waren übrigens sehr kooperationsbereit. Ich habe nämlich auch herausfinden können, weshalb Bud Nolan aus der Armee entlassen wurde. Er hatte neurologische Ausfälle. Seine Hand zitterte. Und das wäre auch die Erklärung dafür, weshalb er nicht selbst die Präzisionsschüsse durchführen konnte – sondern sich jemanden heranziehen musste.“

„Und wie kommst du darauf, dass dieser Nolan etwas mit unserem Fall zu tun haben könnte?“, fragte Milo.

„Deswegen!“, antworte Max. Er zeigte uns die Website der CHURCH OF JUGDEMENT. „Interessant ist das Symbol, das die verwenden: Ein Kreuz aus Schwertern. Sie vertritt sehr radikale Positionen. Abtreibungsärzte verdienen den Tod und auch ansonsten ist denen unsere Justiz viel zu lasch. Jeder einzelne müsse sich, wenn nötig, zum Werkzeug von Gottes Gerechtigkeit machen.“

„Soll das ein Aufruf zur Selbstjustiz sein?“, fragte Milo.

„Das könnte man durchaus so verstehen“, stellte Max fest. „Allerdings fällt es unter die Meinungsfreiheit, so etwas zu fordern – strafbar macht man sich erst, wenn man den Worten Taten folgen lässt!“

„Dann gehört John Smith dieser Kirche vielleicht an!“, meinte ich. „Und hat Taten folgen lassen. Ein einsamer Kampf gegen das organisierte Verbrechen – militärisch geführt wie eine Scharfschützenoperation.“

„Das wäre ein Motiv“, nickte Milo.

„Der Name Bud Nolan taucht in der Geschichte dieser Sekte immer wieder auf. Ich habe ihn in Foren gefunden und auch in Zeitungsartikeln, die sich mit der CHURCH OF JUGDEMENT beschäftigt haben.“

„Gibt es auch ein Foto?“, fragte ich.

„Ja, aber das ist schon fünf Jahre alt. Hier!“ Max ließ ein Bild auf dem Schirm auftauchen. Es war grobkörnig und stammte aus einem Zeitungsartikel. „Damals vertrat Nolan wohl noch die Mehrheitsmeinung innerhalb der CHURCH OF JUDGEMENT, später hat er sich offenbar radikalisiert und ist beinahe aus der Sekte ausgetreten – oder wurde ausgeschlossen. Darüber gibt es in den diversen Foren unterschiedliche Darstellungen.“

„Aber es kam dann doch nicht zum Bruch?“

„Offensichtlich nicht, denn von den Kollegen der Steuerfahndung weiß ich, dass er anscheinend immer noch eine wichtige Rolle in einer Stiftung spielt, die Nat schonmal erwähnt hat. Die ist zwar formal unabhängig, steht aber der CHURCH OF JUGDEMENT sehr nahe und dürfte auch die meisten ihrer Einlagen durch die Sekte bekommen.“

„Und was ist mit John Smith? Auch wenn der Name falsch ist, vielleicht ergibt ja die Bildersuche irgendeinen Hinweis.“

Max schüttelte den Kopf. „Nein, leider nicht. Übrigens hat diese CHURCH OF JUDGEMENT Dependencen in New York und an der Westküste. Also genau da, wo mit einer MK-23 massenweise Köpfe in der Unterwelt rollten.“

„Ellroy Garcia liegt schwer verletzt und unter Bewachung in der Klinik“, sagte ich. „Und das waren vermutlich Leute aus dem Marini-Clan. Ich nehme an, dass es für Männer wie Nolan oder Smith das Höchste ist, wenn sich die Gangster gegenseitig auslöschen.“

Ich beugte mich über Tastatur und klickte etwas auf der Homepage der CHURCH OF JUGDEMENT herum. Wenn es rechtens ist, Osama bin Laden zu töten – wieso erschießen wir dann nicht auch die Drogenbosse vor unserer Haustür?, fragte da ein Kommentator. Das war offensichtlich der Geist, der hier vorherrschend war.

Ich fand schließlich auch eine Übersicht der so genannten Tempel der CHURCH OF JUGDEMENT. Einer der größten war in einer noblen Adresse im New Yorker Stadtteil Chelsea. Geldprobleme hatte diese Kirche offensichtlich nicht.

„Wir sollten diesem Tempel mal einen Besuch abstatten“, meinte ich.

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ZUR GLEICHEN ZEIT WAREN unsere Kollegen Jay Kronburg und Leslie Morell nach Staten Island gerufen wurde. Möwen kreischten über der großen, zentralen Müllhalde, die wegen Methanausgasungen so berüchtigt gewesen war, dass man sie schließlich hatte schließen müssen.

Die Renaturierungsvorhaben waren mehr oder weniger in den Kinderschuhen stecken geblieben. Und schließlich hatte man tonnenweise den Schutt des 11. September hier abgeladen. Ein Ort, wie geschaffen, um etwas abzuladen, was man schnell loswerden wollte. So war in den letzten Jahren aus der legalen Müllkippe eine illegale geworden, über der ein noch furchtbarerer Gestank hing, als je zuvor. Nichtmal die Möwen schienen wirklich Freude an dem zu haben, was sie hier vorfanden, denn sie hielten sich respektvoll in den Außenbereichen des Geländes.

„Ich hoffe, das geht einigermaßen schnell hier“, meinte Jay Kronburg. Er verzog dabei das Gesicht.

Lieutenant Detective von der Homicide Squad des zuständigen Polizeireviers war ein hochgewachsener, sehr schlanker Mann mit einem zerzausten grauen Haarschopf. Er wandte sich an einen Kollegen mit Mundschutz und in weißem Schutzoverall. „Drehen Sie den Toten um, Gary!“, sagte er.

Der Tote hatte einen Kopftreffer bekommen – genau zwischen die Augen. „Der Mann heißt Logan Mariner. Auf diesen Name ist sein Führerschein ausgestellt. Die Übereinstimmungen mit einem Phantombild, das ihr in die Fahndung gegeben habt, ist beträchtlich. Ich habe das ja schon am Telefon erläutert.“

„Der gesuchte Komplize, der zusammen mit Sonny Alvarez die Wanzen bei den Luiginis installiert hat“, stellte Leslie fest.

„Ja, da hat jemand kurzen Prozess gemacht“, meinte Jay Kronburg. „Manchmal frage ich mich, mit wem dieser Killer unbarmherziger gewesen ist – mit seinen Opfern oder mit seinen Komplizen!“



Konzert der Mörder: 11 Strand Krimis

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