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8. Kapitel

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Der Tempel der CHURCH OF JUDGEMENT war in einem Gebäude im Cast Iron Stil in Chelsea untergebracht. Es gab hier außer Gebetsräumen vor allem ein Schulungszentrum für Prediger und ein Kongresszentrum. Ein Security Service sicherte den Eingang. Auf den Beistand des Herrn schien man sich allein nicht verlassen zu wollen.

Wir zeigten unsere Ausweise. Schließlich gelangten wir in das Büro eines blassen, hageren Mannes mit hervorspringendem, v-förmigen Kinn und grauen, sehr buschigen Augenbrauen.

„Guten Tag, Gentlemen. Mein Name ist Marvin Kendall, ich bin der Tempelvorsteher der CHURCH OF JUGDEMENT für New York. Was kann ich für Sie tun?“

„Jesse Trevellian, FBI. Dies ist mein Kollege Milo Tucker. Wir suchen einen gewissen Bud Nolan, der in Ihrer Organisation eine prominente Rolle spielt.“

„Ich würde die Bezeichnung Kirche bevorzugen“, fiel mir Marvin Kendall in scharfem Tonfall ins Wort. „Und was Mister Nolan betrifft, so gibt es gewisse Differenzen zwischen ihm und der Hauptströmung unserer Gemeinde.“

„Er ist nach wie vor im Vorstand einer Stiftung tätig, die...“

„...volle Unabhängigkeit von unserer Kirche genießt“, fiel mir Kendall erneut ins Wort. Das schien eine unangenehme Angewohnheit von ihm zu sein. Kendall beugte sich etwas vor, hatte die Hände auf den Schreibtisch gelegt und dort wie zum Gebet gefaltet. Sein Blick wirkte so kalt wie seine eisgrauen Augen. CHURCH OF JUGDEMENT – sein scheinbar alles durchdringender Blick schien zu dieser Bezeichnung sehr gut zu passen. Schon eine einzige Musterung durch dieses Paar grauer Augen glich einem unabänderlichen Urteilsspruch, gegen den es keine Berufung geben konnte. Dass Barmherzigkeit nicht unbedingt zu den Werten gehörte, die von der CHURCH OF JUGDEMENT betont wurden, schien dieses Gesicht eindrucksvoll zu illustrieren.

„Mister Kendall, es geht hier nicht um Spitzfindigkeiten Ihrer Organisationsstruktur. Das sind Dinge, mit denen sich die Steuerfahndung befassen kann, falls dazu irgendein Anlass bestehen sollte. Wir ermitteln in einer Reihe von Mordfällen an Personen, die als Spitzen des organisierten Verbrechens angesehen werden.“

„Dann sprechen Sie offenbar über vollstreckte Gerichtsurteile – nicht über Morde“, erklärt Kendall kühl. „Oder sehe ich das etwa falsch?“

„Unser Gesetz sagt dazu etwas anderes, Mister Kendall.“

„Die Gesetze des Menschen sind unvollkommen, Agent Trevellian. Unvollkommen und inkonsequent. Aber die Gerechtigkeit des Herrn ereilt schließlich jeden! Und es gibt keine Möglichkeit, ihr zu entrinnen. Keine mildernden Umstände und Ausflüchte.“

Ich hatte keinerlei Lust, mich mit ihm auf eine Diskussion über Gott und Gerechtigkeit einzulassen. Die Ansicht, dass es die Pflicht jedes einzelnen war, ein Werkzeug der Gerechtigkeit des Herrn zu werden, wie man das hier nannte, würde er kaum aufgeben. Ich konnte nur hoffen, dass er diesen Gedanken nie in die Tat umsetzte. Denn wenn das geschah, dann hatte er in mir sofort einen unerbittlichen Gegner. Das Recht schützte schließlich alle gleich und war kein Freibrief für selbstgerechte Eiferer.

„Mister Nolan hatte seit längerer Zeit keinen festen Wohnsitz mehr“, erklärte nun Milo und ich war ihm dankbar dafür, dass er mich nun ablöste. Manchmal ist es einfach das beste, wenn man sich in einer Vernehmung abwechselt. „Wir wüssten ganz einfach gerne seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort. Dann können wir alles weitere mit ihm selbst besprechen.“

„Ich kann Ihnen im Moment nicht sagen, wo Mister Nolan ist“, erklärte Kendall nun ruhig und sehr viel weniger angespannt, als es dem bisherigen Verlauf des Gesprächs entsprach, davon abgesehen sprach er auch deutlich leiser als bisher.

„Gut“, sagt ich. „Wie ich Ihnen schon sagte, nehmen wir an, dass Mister Nolan der Komplize eines sehr gefährlichen Täters ist, der seine Opfer mit einem Scharfschützengewehr ermordet. Und wir gehen weiter davon aus, dass dieser Täter den Lehren Ihrer Kirche folgt und sich dazu ausersehen fühlt, auch weiterhin das zu vollstrecken, was er Gerechtigkeit nennt. Es wird sicher kein Problem sein, einen Durchsuchungsbeschluss für Ihr gesamtes Gemeindezentrum zu bekommen. Dann wird man hier alles auf den Kopf stellen, um Hinweise darauf zu finden, wo sich Bud Nolan aufhalten könnte.“

„Soweit unsere Innendienstler herausgefunden haben, ist die CHURCH OF JUDGEMENT ja im Besitz einiger Immobilien hier in New York“, ergänzte Milo. „Vielleicht sollten wir vorschlagen, dass diese in eine solche Aktion mit einbezogen werden.“

„Mal ganz davon abgesehen, dass eines der Mordopfer – Mister Ray Scirea – kurz vor einem Tod offenbar mit Bekehrungsschriften und Prospekten Ihrer Gemeinschaft geradezu postalisch überschüttet wurde“, fügte ich noch hinzu.

„Möglicherweise hatte dieser Mister Scirea ernsthaft erwogen, sein Leben vielleicht doch noch grundlegend zu ändern“, erwiderte Kendall.

„Man könnte darin aber auch eine Drohung sehen, was zumindest Scireas Tod mit Ihrer Vereinigung in Zusammenhang bringen würde.“

Kendall lächelte breit und kalt.

„Es fällt Ihnen anscheinend immer noch schwer, im Zusammenhang mit der CHURCH OF JUDGEMENT von einer Kirche anstatt von einer Vereinigung oder was auch immer Ihnen an Synonymen einfällt, zu sprechen, Agent Trevellian.“

„Und mir fällt es schwer zu glauben, dass es einen anderen Grund hat, dass Sie überhaupt keine Nachfragen zu Ray Scirea stellen, als den, dass Sie genau wissen, wer er ist!“

Kendall schluckte. „Natürlich wissen wir, wer Ray Scirea ist – jemand, den die Gerechtigkeit des Herrn seit langem hätte ereilen sollen. Ein Mann, der viele tausend Drogentote auf dem Gewissen hat, auch wenn er sicher meistens darauf geachtet hat, dass er sich nicht selbst die Hände schmutzig macht. Eigentlich sollten wir doch auf derselben Seite ein, Agent Trevellian, und die Tatsache begrüßen, dass sich die Rache des Herrn offenbar an ihm vollzogen hat!“

„Ich glaube nicht, dass wir auf derselben Seite sind“, gab ich zurück.

„Wir führen Listen über sündige Personen, und denen lassen wir in der Tat vermehrt Informationsmaterial zukommen“, erklärte Kendall. „Daran ist weder etwas Illegales noch dürfte sich daraus sonst irgendein Ermittlungsansatz gegen uns ergeben.“

„Wenn diejenigen, die auf diesen Listen stehen, plötzlich reihenweise Kugeln in den Kopf bekommen, vielleicht schon!“, erwiderte ich.

Unser Gegenüber sprang förmlich auf und hob die Hände – fast so, wie ein in flagranti ertappter Täter, der zu erkennen gibt, dass er sich der Polizei ergibt.

„Gut, ich will Ihnen ja gerne weiterhelfen“, versprach er daraufhin.

„Bitte, wir hören!“, gab ich zurück.

Er druckste etwas herum. „Das geht nicht so einfach. Ich muss mich erst bei bei unserem Zentralsekretariat vergewissern, dass ich in dieser Sache Handlungsfreiheit habe!“

„Der Tempelvorsteher von New York City kann so etwas nicht allein entscheiden?“

„Ich bitte Sie einfach nur um einen Moment Geduld. Wenn Sie bitte so lange im Vorzimmer platznehmen würden. Man wird Ihnen etwas zu trinken anbieten.“

Wir ließen uns darauf ein. Während Kendall in seinem Büro mit dem so genannten Zentralsekretariat der CHURCH OF JUDGEMENT sprach, bot seine Sekretärin uns etwas zu trinken an.

Mineralwasser.

„Vielleicht haben Sie Tee oder Kaffee erwartet“, sagte sie uns bedauernd, „aber beides widerspricht unseren Nahrungsvorschriften. Wir sehen darin berauschende Getränke und zählen sie zusammen mit dem Alkohol und anderen Drogen zu den Dingen, die wir meiden.“

„Das Wasser schmeckt jedenfalls vorzüglich!“, meinte Milo.

„Wir beziehen es aus einer gesegneten Quelle und vertreiben es weltweit“, erklärte uns die Sekretärin. „Wenn Sie wollen, nehmen wir Sie gerne in die Liste unserer Kunden auf.“

Es dauerte eine Viertelstunde, bis Kendall uns wieder hereinrief.

„Ich hoffe, Sie haben alles in unserem Sinne klären können – denn ansonsten werden wir jetzt für eine Klärung sorgen“, eröffnete ich ihm.

Kendall sah ziemlich blass aus. „Also ich bin autorisiert, Ihnen folgendes zu sagen: Mister Bud Nolan ist nicht mehr für unsere Stiftung tätig. Der Grund dafür sind finanzielle Unregelmäßigkeiten. Eine Klage wegen Veruntreuung wird erwogen, aber andererseits ist die CHURCH OF JUDGEMENT nicht daran interessiert, auf diese Weise mit negativen Schlagzeilen in Verbindung gebracht zu werden.“

„Ich dachte, diese Stiftung ist vollkommen unabhängig von der CHURCH OF JUDGEMENT“, konnte ich mir eine bissige Bemerkung nicht verkneifen.

„Der Informationsfluss scheint aber sehr reibungslos zu laufen!“, fügte Milo hinzu.

Kendalls Gesicht wurde zu einer eisigen Maske. „Wie auch immer. Es gibt keinerlei Verbindungen mehr zwischen unserer Kirche,und dem Mann, den Sie suchen!“

Ich hob die Augenbrauen. „Das scheint Ihnen das Allerwichtigste zu sein, was?“

„Mister Nolan residiert zur Zeit noch in einer Wohnung, die die CHURCH OF JUDGEMENT normalerweise für Gäste und Referenten in ihrem Gemeindezentrum zur Verfügung stellt. Ich gebe Ihnen die Adresse. Außerdem liegen uns drei verschiedene Mobilfunknummern vor, die wir Ihnen ebenfalls mitteilen können. Ich fürchte allerdings, das ist dann alles, was ich für Sie tun kann.“

„Nicht ganz“, widersprach ich und legte Kendall eine Kopie des Führerscheinbildes von John Smith auf den Schreibtisch. „Wir suchen auch diesen Mann – und es besteht der Verdacht, dass er ebenfalls Mitglied Ihrer Kirche ist oder war.“

Kendall sah sich das Bild an und und sagte dann: „Bedaure, aber hier in unserem New Yorker Tempel habe ich ihn nie gesehen.“

„Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder, Sie ersparen uns den Weg zu einem Richter und durchforsten selber Ihren Datenbestand nach einer Person, zu der dieses Foto passt und die vielleicht unter dem Namen John Smith, vielleicht aber auch unter einem ganz anderen Namen auftritt oder...“

„Oder was, Agent Trevellian? Wollen Sie mir jetzt drohen?“

„Oder wir beschlagnahmen Ihre Mitgliederdateien. Und zwar bundesweit. Macht ein bisschen Papierkrieg, aber den nehmen wir notfalls auf uns.“

Kendall schluckte. „Gut, ich werde tun, was ich kann.“

„Und Sie werden damit spätestens heute Abend fertig sein. Rufen Sie mich an, wenn Sie gefunden haben, wonach wir suchen.“

Ich gab ihm meine Karte.

Wir notierten uns noch die Adresse von Bud Nolan und dessen Mobilfunknummern. Kaum waren wir zur Tür des New Yorker Tempels der CHURCH OF JUDGEMENT heraus, da hatte ich auch schon mein eigenes Handy am Ohr, um mit Max Carter zu sprechen. Ich gab ihm die Nummern sofort durch, damit sie gepeilt werden konnten.

„Bei der Gelegenheit kann ich dich gleich über die neuesten Entwicklungen informieren“, sagte Max. „Auf Harry Marini ist geschossen worden. Er hatte wohl gerade zusammen mit den Captains seiner Familie eine kleine Konferenz abgehalten, um die – wie soll ich mich da ausdrücken? - vakanten Posten neu zu besetzen. Der Killer hat seine übliche Methode angewendet und von einem hohen Gebäude in der Umgebung aus gefeuert. Clive und Zerry sind schon dort, um sich um alles zu kümmern.“

„Wenn es John Smith war, dann wird er wohl wieder eines seiner Patronenhülsenkreuze zurückgelassen haben!“, vermutete ich.

„Ich wollte nur, dass du auf dem letzten Stand der Dinge bist, Jesse.“

„Danke, Max.“

„Wenn sich was Neues ergibt, melde ich mich wieder!“

„Okay!“

Ich beendete das Gespräch und steckte das Handy ein.

„Das Klang nach brisanten Neuigkeiten“, meinte Milo, der natürlich nur die von mir gesprochene Hälfte des Gesprächs mitbekommen hatte.

„Kann man wohl sagen!“, gab ich zurück.

Wir stiegen in den Chevy und noch während Milo das Rotlicht auf das Dach setzte, begann ich ihm das Gespräch mit Max so knapp wie möglich zusammenzufassen.

––––––––




DIE ADRESSE, DIE KENDALL uns gegeben hatte, gehörte zum Penthouse eines zehnstöckigen Sandsteinbaus in der Lower East Side.

„Gastreferent der CHURCH OF JUDGEMENT müsste man sein – wenn man dann so fürstlich untergebracht wird!“, lautete Milos Kommentar.

„Ich schätze, dass diese Wohnung in erster Linie eine Wertanlage darstellt“, glaubte ich.

„Wie auch immer...“

Wir hatten Glück, denn immerhin war von den drei Mobilfunknummern, die Bud Nolan derzeit benutzte, zumindest ein Gerät eingeschaltet, sodass es angepeilt werden konnte.

Gensau das hatten unsere Kollegen vom Innendienst gemacht. Über den Bordrechner unseres Chevy konnten wir verfolgen, wo sich der Träger des Mobilfunkgerätes gerade befand.

Und wenn nicht alles täuschte, dann war Bud Nolan gerade zu Hause.

Verstärkung war bereits angefordert. Schließlich würde das Penthouse von unseren Erkennungsdienstlern auf den Kopf gestellt werden müssen.

Wir stellten den Chevy auf den Parkplatz, der zu dem Gebäude gehörte und stiegen aus. Eine Viertelstunde später standen wir zusammen mit einem Angestellten des hauseigenen Sicherheitsdienstes vor der Tür zum Penthouse.

Als Eigentümer der Wohnung war tatsächlich die Stiftung eingetragen, deren Vorstand Bud Nolan noch bis vor kurzem gewesen war.

Der Security Guard hieß Myers und hatte uns zugesichert, das elektronische Schloss notfalls öffnen zu können, falls Bud Nolan nicht dazu gewillt sein sollte.

Ich betätigte die Klingel.

An der Sprechanlage meldete sich allerdings niemand.

Milo und ich zogen unsere Dienstwaffen. Myers öffnete für uns die Tür mithilfe einer Chipcard und eines Notfallcodes, der manuell eingegeben werden musste.

Die Tür ließ sich öffnen.

Wir stürzten mit der Waffe in der Hand in die Wohnung.

Das Wohnzimmer war riesig. Und dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, dass es zwar edel, aber verhältnismäßig karg eingerichtet war.

Die Möbel waren sehr modern. Sie bestanden zumeist aus einem Metallgestänge. In den Bücherregalen standen Schriften, die wohl aus dem Fundus der CHURCH OF JUDGEMENT stammten. Die Titel auf den Buchrücken lauteten zum Beispiel 'Vorbereitung auf die letzten Tage' oder 'Der Tag des Gerichts kommt ganz sicher'. Ein großformatiges, im Airbrushverfahren hergestelltes Gemälde zeigte ein Kreuz aus leuchtenden Schwertern, die über einer paradiesisch anmutenden Landschaft schwebten, während am Horizont die Sonne aufging und die gesamte Szenerie in ein quasi magisches Licht tauschte.

Von Bud Nolan war allerdings nirgends etwas zu sehen.

Milo überprüfte Bad und Schlafzimmer, während ich mir die Küche vornahm.

„Mister Nolan ist ganz offensichtlich nicht zu Hause“, stellte Myers fest.

Ich sah mich schließlich noch auf dem Dachgarten um, der zu dem Penthouse gehörte. Es gab keine Möglichkeit, das Penthouse auf einem anderen Weg, als durch die Eingangstür zu betreten oder zu verlassen.

„Auch wenn Nolan nicht hier ist – sein Handy muss hier sein“, stellte ich fest, nahm mein eigenes Mobiltelefon heraus und wählte einfach die Nummer des Gerätes, das unsere Innendienstler angepeilt hatten.

Wir hörten ein Klingeln.

Es kam aus dem Schlafzimmer. Milo war dort, als ich eintrat und öffnete den Kleiderschrank.

Aus einem der Jacketts zog er dann ein Gerät hervor.

„Hat Nolan wohl vergessen mitzunehmen“, meinte Milo.

„Verdammt!“, presste ich zwischen den Zähnen hindurch.

„Du hast gedacht, wir könnten wenigstens schon einem der beiden Mitglieder dieses tödlichen Duos Handschellen anlegen!“

„Du etwa nicht? Vor allem hätten wir dann eine ernsthafte Chance gehabt, auch diesen Smith zu finden.“

Ich rief Max an, um ihn darüber zu informieren, dass wir Nolan nicht in seiner Wohnung angetroffen hatten.

„Okay, falls eines der beiden anderen Mobiltelefone von ihm benutzt wird und angepeilt werden kann, sage ich euch sofort Bescheid“, versprach Max. „Ach und ich soll euch von Sam ausrichten, dass ihr nicht schon alles anfassen sollt, bis er bei euch ist und dann die meiste Zeit damit verbringen wird, eure Spuren von denen zu unterscheiden, die er hinterlassen hat!“

Wir sahen uns in der Wohnung um und suchten nach Hinweisen darauf, wo sich Nolan jetzt wohl aufhalten konnte. Es gab ein Laptop, das aber passwortgesichert war. So ohne weiteres konnten wir nicht an die Daten heran und etwa nachsehen, mit wem Nolan in letzter Zeit emails ausgetauscht hatte.

Darum würden sich unsere Kollegen kümmern müssen, sobald sie eintrafen.

Ergiebiger war da schon das Menue des Mobiltelefons, das Nolan in seiner Wohnung zurückgelassen hatte. Einige Nummern waren darin gespeichert. Die gaben wir sämtlich an Max Carter durch, damit sie überprüft werden konnten.

Ob uns das wirklich weiter brachte, musste man abwarten.

Milo fand einen Zettel, der zusammengeknüllt in einem Papierkorb zu finden gewesen war. PADDY'S PUB stand da, außerdem eine Nummer und eine Adresse.

„Das ist hier ganz in der Nähe“, meinte Milo. „Ein original irischer Pub – nur eben hier in New York. Aber ansonsten ist alles originalgetreu. Nur darf man da inzwischen nicht mehr rauchen.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob dass in der Originalversion in Irland nicht ebenfalls verboten ist!“

„Kann schon sein“, nickte Milo. „Wenn wir nur wüssten, weshalb sich Nolan das aufgeschrieben hat?“

„Gehen wir hin und fragen“, schlug ich vor.

––––––––




WENIG SPÄTER TAUCHTEN Sam Folder und Mell Horster auf, um sich die Wohnung von Bud Nolan vorzunehmen. Kurze danach rief Max an.

„Eines der beiden anderen Mobiltelefone von Bud Nolan ist für wenige Augenblicke eingeschaltet worden. Lange genug, um es zu lokalisieren. Die Angabe ist allerdings nicht so genau, wie wir uns das wünschen würden. Das liegt an der Position der Sendemasten. Der Träger des Geräts befindet sich irgendwie zwischen.“

„Schau einfach mal nach, ob sich in dem Bereich zufälligerweise PADDY's PUB befindet“, fuhr ich ihm ins Wort und gab ihm auch noch die Adresse durch.

„Liegt drin.“

„Dann ist er dort.“

„Er war dort, Jesse. Grade eben. Ob er da immer noch sitzt und sein Bier trinkt, kann ich dir nicht garantieren!“

„Dann wollen wir hoffen, dass in diesem Pub ordentlich viel eingeschenkt wird!“, gab ich zurück.

––––––––




DER PUB WAR NUR WENIGE Blocks entfernt. Wir parkten den Chevy am Straßenrand und hatten Glück, gerade noch einen Platz in dem Bereich zu finden, in dem das Parken erlaubt war.

Wenig später erreichten wir den Pub.

Um diese Zeit war hier die Stimmung gewiss noch weit vom Siedepunkt entfernt. Ein paar Männer saßen am Tresen und unterhielten sich mit dem Wirt. Dieser hatte asiatische Gesichtszüge und erzählte, wie der Sohn eines koreanischen Einwanderers auf die Idee gekommen war, einen irischen Pub zu eröffnen. „Das muss an meiner irischen Mutter liegen“, erzählte er, allerdings schien ihm kaum einer der Zuhörer abzunehmen, dass er wirklich eine irische Mutter hatte.

„Naja, sie war Halb-Irin und Halb Italienerin“, gab er zu.

„Dein Bier ist trotzdem gut“, tröstete ihn einer der Männer.

Wir sahen uns um.

Kurze Zeit, nachdem wir den Pub betreten hatten, verebbte das Gespräch am Tresen und alle starrten uns an.

Wir entdeckten in der hintersten Ecke zwei Männer an einem Tisch.

Der eine – ein Mann mit dunklen, gelockten Haaren, stand gerade auf, während er einen Umschlag in sein zerknittertes Jackett gesteckt hatte.

Der zweite Mann saß mit dem Rücken zu uns am Tisch. Er drehte sich jetzt halb herum und ich erkannte sofort, dass es Nolan war.

„Sitzenbleiben!“, sprach Milo den gerade aufgestandenen Lockenkopf an und hielt ihm seine ID Card entgegen. „Milo Tucker, FBI!“

Ich sah das Zittern in Nolans rechter Hand. Sie lag auf einem Umschlag. Mit dieser Hand hätte er wohl nie wieder einen Scharfschützenjob ausführen können. Aber das bedeutete nicht, dass er nicht auf kurze Distanz mit einer Waffe viel Schaden anrichten konnte. Er griff plötzlich unter seine Jacke.

Ich zog meine Dienstwaffe, ehe er seine Pistole herausreißen konnte.

Nolan blickte in den Lauf meiner P226. Er verstand, dass er keine Chance mehr hatte und hob die Hände. Ich griff in sein Jackett und nahm ihm die Pistole weg.

„Bud Nolan, Sie sind wegen Beihilfe zu einer Reihe von Morden verhaftet. Sie haben das Recht zu schweigen. Falls Sie davon keinen Gebrauch machen sollten, kann und wird alles, was Sie von nun an sagen, vor Gericht gegen Sie verwendet werden!“

„Worum immer es auch gehen mag – ich habe nichts damit zu tun!“, zeterte der Lockenkopf.

„Das werden wir sehen“, erwiderte Milo.

Nachdem ich bei Nolan die Handschellen hatte klicken lassen, nahm ich den Umschlag, der auf dem Tisch lag an mich und öffnete ihn.

Er enthielt einen Satz Papiere für einen gewissen Brian McCoy. Nur das Foto, das für Führerschein und Reisepass verwendet worden war, kam mir sehr bekannt vor.

„Bisher kenne ich diesen Gentleman unter dem Namen John Smith“, stellte ich fest.

„Ich will einen Anwalt!“, sagte Nolan.

„Den werden Sie auch brauchen“, nickte ich, während sich Milo nun anschickte, auch dem Lockenkopf Handschellen anzulegen. „Das Fälschen von Dokumenten ist noch immer strafbar“, sagte Milo ihm. „Und wenn Sie wirklich mit den Morden an Jimmy DiCarlo, Ray Scirea und einigen anderen nichts zu tun haben, dann sollten Sie uns schleunigst sagen, was Sie wissen, wenn das auf irgendeinen Richter oder Staatsanwalt noch Eindruck machen soll!“

––––––––




WIR MUSSTEN WARTEN, bis Kollegen die beiden Gefangenen abholten und zur Federal Plaza brachten, wo sie wohl beide die nächste Nacht in den Gewahrsamszellen verbringen würden, die wir dort für solche Fälle bereithielten.

Wir begaben uns ebenfalls zur Federal Plaza. Und auch wenn Mister McKee uns dort ein großes Lob ausstellte, waren Milo und ich keineswegs zufrieden damit, wie die Sache gelaufen war.

„Wir haben die falsche Identität, die Mister Smith als nächstes annehmen wollte“, stellte ich klar, als wir im Besprechungszimmer unseres Chefs saßen. „Leider nützt uns das nicht viel, denn da diese Papiere Smith nie erreichen werden, wird er diese Identität auch nicht benutzen.“

„Das bedeutet, er ist gezwungen, immer noch John Smith zu sein“, sagte Mister McKee. „Und allein diese Erkenntnis wird die Fahndung nach ihm schonmal sehr erleichtern.“

„Wenn er klug ist, dann wird er jetzt einfach untertauchen“, vermutete Milo. „Den Vorsprung, den er vor uns hat, ist durchaus groß genug. Er kann versuchen sich auf eigene Faust eine neue Identität zu besorgen oder irgendwo über die grüne Grenze nach Kanada zu gehen, um zu versuchen, von dort aus weiter zu kommen. Und wer weiß, vielleicht gibt es ja auch noch Sympathisanten innerhalb dieser CHURCH OF JUDGEMENT, die ihn unterstützen und insgeheim billigen, was er tut – auch wenn sich die offiziellen Sprecher dieser so genannten Kirche natürlich auf das Schärfste distanzieren werden!“

„Ich glaube nicht, dass er versucht zu verschwinden“, sagte ich.

„Wieso nicht?“, fragte Mister McKee. „Er muss jetzt damit rechnen, dass sich die Schlinge enger um ihn zieht. Er kann nicht mehr so frei agieren wie bisher. Er wird kein Flugzeug mehr benutzen können und sein Bild liegt längst in jedem Polizeirevier vor!“

„Ich glaube, er will es zu Ende bringen“, hielt ich dagegen.

„Zu Ende bringen?“, fragte Mister McKee mit einem Stirn runzeln. „Mit Harry Marini hat er nun bereits die unumstrittene, bisherige Nummer eins einer der wichtigsten Syndikate des organisierten Verbrechens hier in New York City aus dem Weg geräumt!“

„Mister McKee, es ist nur ein Gefühl. Nennen Sie es Instinkt – aber dieser Mann handelt nicht wie jemand, der kühl seine Chancen abwägt. Dieser Hass, der in manchen seiner Taten zum Ausdruck kommt, regiert ihn. Ein Hass, deren Grund wir bisher noch nicht wirklich kennen und der auch nicht allein dadurch zu erklären ist, dass er vielleicht in die Fänge einer etwas eigenartigen Religionsgemeinschaft geraten ist und deren Ideen etwas stärker verinnerlicht hat, als andere ihrer Mitglieder.“

„Sie meinen, wir werden bald wieder von Smith hören?“, schloss Mister McKee aus meinen Worten.

Ich nickte.

„Und er wird sich beeilen! Denn er weiß genau, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt!“



Konzert der Mörder: 11 Strand Krimis

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