Читать книгу Konzert der Mörder: 11 Strand Krimis - Cedric Balmore - Страница 21

6. Kapitel

Оглавление



Der junge Latino wirkte nervös. Er hatte die Kapuze seines Kapuzenshirts über den Kopf gezogen, sodass es ihm fast bis zum Nasenansatz herunterhing. Die obere Hälfte seines Gesichts lag im Schatten.

Die schwarze Stretch-Limousine hielt. Eine Scheibe glitt herab.

„Was gibt es, Paco?“, fragte eine ruhig klingende Stimme.

„Ich dachte, wir regeln vielleicht erst das Finanzielle.“

„Du kannst ziemlich lästig werden.“

„Aber das, was ich Ihnen zu sagen habe, wird Sie brennend interessieren. Die Lady, die ich beobachten soll, war nämlich nicht allein.“

„Und? Etwas genauer hätte ich es schon ganz gerne!“, forderte die Stimme aus dem Inneren des Wagens. Aber Paco war offenbar nicht gewillt, seinen Trumpf vorzeitig aus der Hand zu geben.

„Wie ich schon sagte, Mister Scirea. Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn Sie zuerst Ihre Außenstände begleichen würden, comprendido?“

Ray Scirea griff in die Innentasche seines Jacketts, holte ein paar Scheine heraus und gab sie Paco. Dieser steckte sie ein und machte danach allerdings keinerlei Anstalten, den Mund aufzumachen und einen Ton zu sagen. Stattdessen hielt er Scirea noch einmal die Hand hin und grinste dabei. Er kaute dabei auf einem Kaugummi herum, machte eine Blase damit und ließ sie platzen.

„Das waren die Alt-Schulden. Aber ich denke, Sie sollten noch etwas drauflegen. Das unterstützt mein Erinnerungsvermögen immer ungemein, müssen Sie wissen.“ Paco grinste fast von einem Ohr zum anderen. Sein zweiter Versuch, eine Blase zu produzieren, schlug kläglich fehl.

Ray Scireas Gesicht lief unterdessen tiefrot an. Seinen Zorn vermochte der Italoamerikaner nur sehr mühsam im Zaum zu halten. Aber im Moment blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als noch ein paar Scheine dazuzulegen.

„Da war ein Typ, mit dem sich Ihre Lady getroffen hat.“

„Etwas mehr wüsste ich schon gerne!“

„Mitte dreißig, groß, aschblonde Haare, trug Jeans und einen Blouson. Außerdem eine Baseball-Kappe.“

„So wie eine Million Männer sonst noch in New York!“

„Er trug ein Kreuz um den Hals. War aus Rotgold.“

„Viel ist das nicht, was du mir da lieferst!“

„Das Kreuz war schon ziemlich seltsam. Es bestand aus Schwertern und – Jesús y Maria! - war gar kein richtiges Kruzifix, wenn Sie verstehen, was ich meine!“

Scirea runzelte die Stirn. Paco hielt ihn immer noch hin. Scirea gab Paco noch einen hundert Dollar Schein und sagte: „Wenn das, was du ausspuckst den Schein hier nicht wert ist, dann hol ich ihn mir zurück – und deinen Skalp dazu. Hast du mich verstanden, Paco? Ich kenne Leute, die dich für die Hälfte in eine Portion gekörntes Fischfutter verwandeln.“

„Hey, Hombre, warum so gestresst?“ Paco hob die Arme. Unter seiner Jacke beulte sich in Gürtelhöhe etwas. Wahrscheinlich eine Waffe. „Ich will ja nichts weiter als einen Riesen, Senor!“

„Du kannst eine Ladung Blei frei Haus geliefert bekommen, Bürschchen!“

„Dann sind Sie an dem Führerschein von diesem Typ gar nicht interessiert? No Problemo...“ Paco drehte sich um. Er ging zwei Schritte. Seine Hand glitt dabei unter die Jacke.

„Warte!“, rief Scirea.

Paco drehte sich um.

„Ist schon okay, wenn Sie nicht interessiert sind, Mister Scirea.“

„Du hast den Führerschein?“

„Si. Für einen Riesen.“

„Den kriegst du!“

„Jetzt kostet er anderthalb.“

Paco kam zurück. Scirea zählte eintausendfünfhundert Dollar ab und gab sie Paco. Dieser zählte noch mal nach und gab Scirea dann die Fahrlizenz.

„Ist doch immer wieder ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Senor!“, lachte er. Die Dollar-Scheine verschwanden in den Taschen seiner übergroßen Jeans.

„Wie bist du an die Fahrlizenz herangekommen?“, fragte Scirea.

Paco zuckte mit den Schultern. „Ich habe den Typ im Flur angerempelt. Der Rest ist ein Kinderspiel, wenn man weiß, wie es geht. Ich dachte, Sie wollten irgendwas Handfestes.“

„Alles klar, wir sehen uns, Paco.“

„Adios y muchos gracias!“

––––––––




RAY SCIREA LIESS DAS hintere Seitenfenster sich schließen, während sich die Stretch-Limousine bereits wieder in Bewegung setzte.

Scirea blickte auf den Führerschein.

Er war ausgestellt auf einen gewissen John Smith. Auf Scireas Stirn erschien eine tiefe, langgezogene Falte. Er wandte den Blick zu dem gelangweilt neben ihm sitzenden Leibwächter und zeigte ihm das Bild.

„Sieh an, wer hätte das gedacht!“, meinte der Leibwächter – ein rothaariger Mann, der mit irischem Akzent sprach. Er gehörte nicht zur Familie, aber genau deswegen vertraute Scirea ihm ganz besonders.

„Viel Fantasie hat der Bastard bei der Erfindung eines Namens allerdings nicht gehabt“, gab Scirea zurück und steckte die Fahrlizenz ein.

„Sir, wenn ich mir eine Bemerkung erlauben dürfte...“, begann der Ire.

„Du darfst!“, meinte Ray Scirea mit einem harten Zug um die Mundwinkel, der das gönnerhafte Grinsen, das zuvor dort zu sehen gewesen war, völlig hatte verschwinden lassen.

„Ich rede von diesem Paco“, meinte der Ire.

„Du hast recht, Paddy!“, gab Scirea zu. „Ich werde jemanden verständigen, der das erledigt. Aber das hat noch etwas Zeit. Zuerst müssen wir uns um diese Francine kümmern.“

„Wie Sie meinen, Sir.“

„Ich hatte es von Anfang an im Gefühl, dass mit ihr etwas nicht stimmt“, murmelte Ray Scirea. Er saß in sich zusammengesunken da. Die Stretch-Limousine erreichte inzwischen eine Ampel und musste anhalten. Der Fahrer tickte nervös mit den Fingern auf dem Lenkrad herum.

Scirea schloss für ein paar Sekunden die Augen. „Wir werden etwas umdisponieren müssen!“, meinte er mit einem Blick, der grimmige Entschlossenheit ausdrückte.

Seine Augen wurden schmal. Einer musste die Familie vor dem nahenden Verhängnis bewahren. Einer musste die Kraft und die Skrupellosigkeit aufbringen, um das zu zu tun, was getan werden musste.

Eigentlich wäre das Harry Marinis Aufgabe gewesen, aber auf den konnte man im Moment wohl einfach nicht zählen. Also blieb nichts anderes übrig, als die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Vielleicht ist Harry einfach zu weich geworden, dachte Scirea. Die Härte und Kompromisslosigkeit, die den großen Boss früher einmal ausgezeichnet und dorthin gebracht hatte, wo er jetzt war, schien ihm irgendwann auf dem Weg nach oben verloren gegangen zu sein.

––––––––




DER LETZTE PUNKT, AN dem das Handy von Scirea geortet worden war, lag wenige Blocks von der Wohnung der Benson-Schwestern entfernt. Milo hatte das Rotlicht auf das Dach des Chevys aus der Fahrbereitschaft gesetzt, mit dem wir immer noch durch die Gegend fahren mussten.

Aber das höhere Beschleunigungsvermögen des Sportwagens hätte uns im dichten Verkehr des Big Apple wohl kaum genutzt.

Unsere Kollegen Clive und Orry waren in der Wohnung der Scireas geblieben.

Ein Anruf aus dem FBI Hauptquartier an der Federal Plaza erreichte uns.

Es war Mister McKee persönlich.

„Ich habe sämtliche Kollegen, die sich irgendwo in der Nähe befanden, zur Adresse von Francine Bensons Schwester beordert“, sagte er. „Und außerdem weiß die City Police Bescheid.“

„Ich hoffe, dass Scirea vernünftig ist“, meinte Milo. „Allerdings dürfte er wohl kaum ohne Leibwächter unterwegs sein und niemand kann vorhersagen, wie die reagieren, wenn wir ihn festnehmen.“

Mister McKees Stimme war über die Freisprechanlage zu hören, sodass wir beide mitbekommen konnten, was er zu sagen hatte. Unter anderem teilte er uns noch eine interessante Neuigkeit mit. Die Männer, die wir im Zusammenhang mit dem Anschlag auf Ellroy Garcia festgenommen hatten, waren offenbar inzwischen zu einer Aussage bereit. Es lief wohl darauf hinaus, dass sie mit dem Staatsanwalt einen Deal eingehen wollten, weil sie sich Strafnachlass erhofften und keine Lust hatten, die alleinige Schuld auf sich zu nehmen. „Die Sache ist noch nicht offiziell, aber so wie es derzeit aussieht, ist einer der Festgenommenen bereit vor Gericht auszusagen, dass Scirea den Auftrag gegeben hat, Ellroy Garcia auszuschalten!“

„Also doch“, murmelte Milo. „So wie wir es vermutet hatten.“

„Offenbar glaubte Scirea, dass Ellroy Garcia hinter dem Mord an Jimmy DiCarlo steckte!“ schloss ich.

„Das liegt ja auch nahe“, meinte Mister McKee. „Allerdings kann ich mir kaum vorstellen, dass Scirea eine solche Racheaktion ohne das Wohlwollen oder sogar den direkten Befehl von Harry Marini durchführen würde.“

„Es sei denn, Marini ist inzwischen vielleicht schon faktisch entthront und hat sich auf die weiße Seite des schmutzigen Geschäfts zurückgezogen“, wandte Milo ein.

„Haben Sie irgendeinen Anhaltspunkt dafür, dass das so sein könnte?“, hakte Mister McKee nach.

„Nein, Sir, das war einfach nur so ein Gedanke, der mir gerade kam.“

Mister McKee schwieg plötzlich, hatte aber die Verbindung noch nicht unterbrochen. Im Hintergrund waren ein paar Geräusche zu hören.

„Ich bekomme hier gerade die Nachricht, dass Scirea sein Handy erneut benutzt hat. Wir konnten den Standort des anderen Gesprächsteilnehmers orten.“

„Heißt das, unser Ziel ändert sich?“

„Nein, das nicht. Aber es ist schon merkwürdig, dass der Teilnehmer nicht identisch ist mit dem Gesprächspartner von vorhin – trotzdem aber ebenfalls nur einen Block von Tyra Bensons Wohnung entfernt ist!“

„Mister Scirea scheint viele Bekannte in diesem Viertel zu haben“, meinte ich.

„Ja, das wundert mich auch.“

––––––––




RAY SCIREA LIESS DEN Wagen vor dem Haus parken, in dem die Benson Schwestern wohnten.

„Warten Sie hier auf mich“, sagte er zum Chauffeur.

„In Ordnung, Sir.“

„Und lassen Sie den Motor an.“

„Okay.“

Er ging zur Haustür und klingelte.

„Ich bin es“, sagte er wenig später in die Sprechanlage. „Scirea. Kann ich zu Ihnen hinaufkommen?“

„Nein, das möchte ich nicht, Mister Scirea. Ich komme zu Ihnen herunter.“

„Auch gut.“

„Schließlich haben Sie mir ein Essen im Palace versprochen.“

„Habe ich.“

„Bis gleich.“

Sie konnten sich schließlich auch noch auf der Fahrt unterhalten, dachte er. Über den Typ, von dem Paco den Führerschein gestohlen hatte zum Beispiel, den mysteriösen Mister John Smith.

Wo die Fahrt dann enden würde, war eine ganz andere Frage. Jedenfalls wohl kaum auf dem Parkplatz des Palace, einem Nobelrestaurant im Westen von Brooklyn, wohin Francine aus irgendeinem Grund unbedingt von ihm ausgeführt werden wollte, um dort über ein paar Dinge aus Jimmy DiCarlos Leben zu sprechen, die besser nicht die Runde machen sollten. Dinge, die es wert waren, dass man einige zehntausend Dollar Schweigegeld dafür zahlte.

Oder vielleicht war es besser, jetzt nicht in Dollars, sondern in Blei zu zahlen.

Ray Scireas Hand umfasste die Pistole in seiner Manteltasche.

Wenig später erreichte Francine die Tür.

Sie trug ein atemberaubendes Kleid, darüber einen dünnen Mantel. „Ich hoffe, Sie empfinden mich nicht als overdressed“, meinte sie.

„Keineswegs“, sagte Scirea.

„Wissen Sie, dass ist ein Kleid, das Jimmy mir geschenkt hat und das mich ewig an ihn erinnern wird!“

„Kommen Sie jetzt!“

„Warum so ungeduldig?“

Sie hatten die Limousine gerade erreicht. Scireas Chauffeur stieg aus, um die Tür zu öffnen. Da durchzuckte den Conciliere des Marini-Clans plötzlich etwas. Er taumelte einen Schritt zurück. Auf seiner Stirn war ein rotes Loch, aus dem Blut rann.

Er riss noch die Waffe aus seinem Mantel heraus. Ein Schuss löste sich und ging in den Asphalt.

Francine wirbelte herum. Sie sah noch, wie auch der Chauffeur eine Kugel in den Kopf bekam. Sie drang in die Schläfe ein. Er hatte seine Hand unter dem Jackett – vermutlich, um eine Waffe zu ziehen. Aber dazu kam er nicht mehr. Wie ein Taschenmesser klappte er zusammen. Francines Mund war weit geöffnet. Sie hatte gewusst, dass dies alles geschehen würde. Nur hatte sie nicht damit gerechnet, dass es hier geschehen würde. Der Mann, den sie unter dem Namen John Smith kannte, blieb eben unberechenbar. Er schlug zu, wann immer es ihm am günstigsten erschien. Er änderte Pläne, wie es ihm passte. Und er war absolut kompromisslos. Aber er hatte sie gut bezahlt. Besser als jeder andere.

Jimmy DiCarlo eingerechnet.

Einen Moment lang stand sie wie erstarrt da.

Dann ging auch durch ihren Körper ein Ruck. Die Kugel ging ins rechte Auge und als sie fiel, traf sie noch eine zweite in den Bauch.

Niemand war mehr am Leben.

So gab es keinen Zeugen für das, was dann geschah.

Die Leiche von Ray Scirea zuckte, schien sich noch einmal zu bewegen, als kurz hintereinander weitere Kugeln den bereits leblosen Körper trafen.

Anschließend war die Limousine dran.

Die Schüsse trafen zielsicher die vorderen Scheinwerfer.

Außerdem die Frontscheibe. Sie war aus Panzerglas, was bedeutete, dass die Projektile aufgefangen wurden und im Material steckenblieben.

Insgesamt fünf Schüsse feuerte der Schütze aus dem Off in die Scheibe: Drei in einer senkrechten Linie, zwei auf einer vertikalen Linie mit der mittleren Kugel.

Ein angedeutetes Kreuz.

Niemand konnte das missverstehen.

––––––––




ALS WIR AM ORT DES Geschehens eintrafen, hatte sich eine große Menschenmenge um die Toten gebildet. Ein paar Jugendliche standen etwas abseits. Wir stiegen aus, sorgten erstmal für ein Mindestmaß an Ordnung.

„Zurück!“, rief ich. „Treten Sie zurück! Hier ist das FBI!“ Ich hielt meine ID-Card hoch, Milo tat dasselbe. Normalerweise sind wir nicht die ersten am Tatort. Milo hatte schon das Handy am Ohr, um Verstärkung anzufordern und dafür, dass die übliche Prozedur eingeleitet wurde.

Das Kreuz auf der Scheibe der Limousine fiel mir gleich auf.

„Der Killer wollte wohl nicht, dass wir lange darüber rätseln, ob wir es mit ihm zu tun haben!“, meinte Milo.

„So tötet kein Profi-Killer“, war ich jetzt überzeugt. „Milo, wir waren die ganze Zeit auf dem Holzweg.“

„So?“

„Das sagt mir mein Instinkt.“

„Oder Michael Chambers hat auf seine alten Tage eine sehr zornige Phase bekommen“, meinte Milo. „Warum auch immer... Ich wette Elroy Garcia weiß mehr als er uns gesagt hat!“

Ich warf einen Blick auf den toten Ray Scirea. Er hatte so viele abbekommen, dass sein Körper regelrecht durchsiebt worden war. Welch ein Hass!, dachte ich. Da sollte jemand vernichtet werden. Vernichtet und nicht nur getötet.

Mir fiel Tyra Benson auf, die fassungslos dastand und auf ihre tote Schwester starrte.

Sie schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht war eine einzige Maske des Entsetzens. Dann machte sie eine Vorwärtsbewegung, so als wollte sie sich über die Leiche beugen.

„Es tut mir leid, Miss Benson“, sagte ich, um zu verhindern, dass sie die Tote anfasste. Ich musste sie bei den Handgelenken fassen. „Miss Benson, lassen Sie das. Sie vernichten sonst Spuren, die...“

„Spuren? Hier wird jemand auf offener Straße erschossen und Ihnen fällt nicht mehr ein, als über Spuren zu reden? Sie hat eine Kugel in den Kopf gekriegt, ist das nicht genug an Spuren?“

„Miss Benson!“

Sie drehte sich um und ging.

Ich würde mit ihr noch reden müssen – denn vielleicht war die Rolle, die ihre Schwester in diesem ganzen blutigen Drama spielte, von entscheidender Bedeutung. Der Killer hatte Francine diesmal nicht geschont. Vielleicht deshalb, weil sie zu viel über ihn wusste.

––––––––




DIE KOLLEGEN TRAFEN ein. Man hörte andauernd die Sirenen von Einsatzfahrzeugen der City Police. Der Tatort wurde weiträumig abgesperrt und außerdem wurden Einsatzkräfte zu einem Gebäude in der näheren Umgebung geschickt, von dessen Dach aus der Schütze vielleicht gefeuert hatte.

Um genaueres sagen zu können, mussten wir natürlich abwarten, was unsere Ballistiker sagten.

Agent Rita Moreno traf ebenfalls ein, außerdem Clive, Orry, Jay und Leslie.

Etwas später war unsere Spurensicherer Sam Folder zusammen mit seinem Kollegen Mell Horster eingetroffen. Außerdem tauchte auch unser Chefballistiker Dave Oaktree auf.

Der Gerichtsmediziner Dr. Brent Claus traf als letzter ein.

„Weißt du, was die Typen da vorne wollen?“, fragte mich Clive. Er deutete auf die Gruppe von Jugendlichen, die sehr aufmerksam zu beobachten schienen, was wir taten.

„Ich nehme an, die sind einfach nur neugierig, so wie viele hier“, meinte ich. „Moment mal, den einen kenne ich doch!“

Zwischen den jungen Männern war einer hervorgetreten, den ich bisher nicht gesehen hatte, weil er von den anderen verdeckt gewesen war. EL NINO VIENE stand auf seiner Baseballmütze und die weiten Cargohosen hingen so tief, dass er nur kleine Schritte machen konnte.

„Der Typ, der dich angerempelt hat, als wir das letzte Mal hier waren!“, stellte Milo fest.

„Ja, richtig“, stimmte ich zu.

„Jesse, ich habe hier etwas gefunden, das seltsam ist“, sprach mich Sam Folder an. Ich drehte mich um. Er hielt mir einen sorgfältig eingetüteten Führerschein entgegen. Er war zum Teil blutbeschmiert. Ich nahm ihn an mich. Er war auf einen gewissen John Smith ausgestellt. „Kannst du dir einen Reim darauf machen, wieso Ray Scirea diesen Führerschein in seiner Manteltasche hatte?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Mell hat ihn schon über den Bordrechner unseres Wagens durch die Datenbanken gejagt“, stellte Sam fest.

„Und?“

„Das muss eine Fälschung sein. Jedenfalls liegt die Vermutung nahe. John Smith ist zwar ein sehr häufiger Name, aber keinem der anderen Inhaber eines gültigen Führerscheins, der das angegebene Geburtsdatum hat, wurde zum selben Datum eine Lizenz erneuert.“

„Das ist interessant“, meinte ich.

„Bin gespannt, ob Max etwas über ihn herausfinden kann, wenn er das Bild durch die Software gehen lässt.“

„Einen Moment mal“, sagte ich.

Ich spurtete zu der Gruppe von Jugendlichen. Milo war mir auf den Fersen. „Heh, was hast du vor?“, fragte er.

„Fragen stellen“, gab ich zurück.

Die Gruppe war etwas überrascht. Besonders der Kerl mit der EL NINO VIENE-Mütze.

„Trevellian, FBI. Wir hatten ja schonmal das Vergnügen.“

„Como estas, amigo?“, fragte der Kerl mit der Mütze.

„Wie wäre es, wenn wir Agent Moreno hinzuholen“, meinte Milo. „Die kann Spanisch.“

„Gute Idee.“

„Nicht nötig!“, meinte der Kerl mit der EL NNO VIENE-Kappe. „Was ist?“

„Du verstehst mich sehr gut“, sagte ich. „Ihr scheint hier öfter herumzuhängen.“

„Puede ser“, sagte der Kerl mit der Mütze. „Kann sein...“

„Wie heißt du?“

„Paco.“

„Aber so heißt hier jeder zweite oder dritte!“, grinste einer der anderen. „Und wer nicht so heißt, wird so genannt. Es verdad!“

Die anderen lachten.

Paco schien so etwas wie der King rund um diesen Block zu sein.

Ich trat auf Paco zu. „Bei unserer letzten Begegnung, hast du gesagt, ihr passt auf, wer hier so herumlungert.“

„Sí! Eso es verdad“, stimmte er mir zu. „Nennt man Bürgersinn!“ Er grinste. Die anderen lachten.

„Habt ihr irgendetwas gesehen? Hier sind gerade ein paar Menschen erschossen worden, und wenn ihr hier herumhängt, müsstet ihr etwas gesehen haben.“

„Haben wir“, sagte Paco. „Gibt's eine Belohnung? Für sachdienliche Hinweise oder so etwas?“

„Nein, aber vielleicht verzichten wir darauf, euch nach Waffen und Drogen zu filzen. Oder wollt ihr etwa behaupten, dass wir da nichts finden würden?“

Sie wechselten Blicke untereinander. Selbst Paco schien jetzt etwas verunsichert zu sein.

„Wir bestehen auf unseren Bürgerrechten, Hombre! Und das bedeutet...“

„...dass dir das Recht zu schweigen zusteht, sobald wir euch verhaftet haben. Genau.“

„Hey, Hobre! Nicht so ungemütlich! Worum geht’s denn?“

„Na, das habe ich schon gesagt!“

„Der Typ, der da erschossen wurde, war schonmal hier.“

„Kanntet ihr ihn?“

„Ray Scirea“, sagte Paco. „Der war aus irgendeinem Grund hinter der Zwillingsschwester von dieser Hammerbraut aus dem Block da vorne her.“

„War hinter ihr her? Wie meinst du das?“

„Na, wir sollten sie im Auge behalten und...“

„...und ihm Bescheid sagen, wenn sie sich mit jemandem trifft?“

„Genau.“

„Und? Hat sie sich mit jemandem getroffen.“

Sie drucksten herum. Jemand sagte was auf Spanisch, wovon ich kein Wort verstand. Paco knurrte irgendetwas zurück. Agent Rita Moreno hatte inzwischen die Situation erfasst und hatte sich zu uns begeben.

„Quizás! Puede ser!“, meinte Paco.

Rita Morena sprach die Gruppe daraufhin auf Spanisch an.

Keine Ahnung, was sie ihnen sagte, aber es wirkte Wunder. Plötzlich hatte keiner der Jungs noch Lust, auch nur ein einziges spanisches Wort zu verlieren. Und sie hatten sogar auf einmal ihren Akzent weitgehend verloren.

„Hey man, sag es ihm doch, Paco!“, meinte ein großer, Dürrer mit schwarzen Locken, die ihm tief in der Stirn hingen. „Erzähle ihm von dem Sonnenblumenmann!“

„Sonnenblumenmann?“, fragte ich.

Paco nickte. „Also Mister Scirea wollte, dass wir beobachten, wer diese Frau besucht und so. Ich habe ihm zum Beispiel gesagt, dass ihr G-men dort wart. Hat ihm nicht sehr gefallen, muss ich leider sagen.“

„Ach, wirklich? Und was ist mit diesem Sonnenblumenmann?“

„Das war erst vor kurzem. Ein Typ, der hatte ein Tattoo von einer Sonnenblume am Unterarm. Jedenfalls glaube, ich dass es eine Sonnenblume war. Ich konnte es nur ganz kurz sehen, als sein Ärmel hochrutschte. Estaba aquí!“ Und damit reckte er seinen rechten Arm etwas vor und zeigte auf eine Stelle knapp unterhalb des Handgelenks. Bei Paco war dort auch ein Tattoo. Verschnörkelte Buchstaben und Zahlen – eines der Zeichen, wie in den Gangs üblich waren.

„Zu welcher Gang gehörte er?“, fragte.

„Zu gar keiner. Keiner, die ich kenne. Ey, Hombre! So ein schwules Zeichen macht sich doch keiner freiwillig drauf!“

Die anderen lachten.

Aber sie verstummten schnell wieder.

„Noch irgendetwas?“, fragte ich.

„Ja, er trug eine Kette am Hals. Da war ein Kreuz dran. Aus zwei Schwertern. Seltsam, was? Außerdem hatte er eine Waffe bei sich. Das habe ich gespürt, als...“

„Als du ihn angerempelt hast?“, fragte ich.

„Hey Mann, Hombre! Ich bin nicht auf Ärger aus! Wir sind...como dice?...zusammengestoßen. Hat sich sehr breit gemacht.“

„War das dieser Mann?“, fragte ich und zeigte ihm den Führerschein von John Smith. Das Kreuz mit den zwei Schwertern war auf dem Bild zu erkennen, wenn man genau hinsah.

„Ja, genau, das war der Kerl.“

„Und wie kommt es, dass dieser Führerschein im Mantel von Mister Scirea steckte?“

„Wie soll ich sagen?“ Paco vergrub seine Hände in den Taschen, was mir überhaupt nicht gefiel, weil ich da nicht sehen konnte, was er in den Fingern hatte. „Ich denke, es war so: Smith hat ihn verloren, ich habe ihn aufgehoben...“

„Und Mister Scirea hat sich angeboten, die Fahrlizenz an ihren Eigentümer weiterzugeben“, vollendete Rita Moreno ironisch.

„Die Lady hat es erfasst!“, meinte Paco.

„Na, da bin ich ja froh, dass mir nichts gefehlt hat, nachdem du mich angerempelt hast“, meinte ich.

Paco verzog das Gesicht. „Sicher, G-man?“

––––––––




KURZ DARAUF WANDTE ich mich an Agent Rita Moreno. „Kennen Sie ein Sonnenblumen-Tattoo als Gang-Zeichen?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ausschließen kann ich das nicht. Tattoos als Erkennungszeichen sind bei Latino-Gangs ja außerordentlich beliebt. Denken Sie nur an die Mara-13, die sich für jeden Mord eine Träne tätowieren lassen. Aber von einer Sonnenblume habe ich noch nie etwas gehört.“

„Na dann.“

„Der Junge hatte schon ganz recht.“

„Womit?“

„Sowas tätowiert keiner freiwillig. Jedenfalls nicht bei einer Gang oder im Knast. Das muss irgendetwas anders sein.“

„Vielleicht nur ein modischer Gag“, meinte Milo.

„Jedenfalls würde ich diesen Mister Smith gerne mal sprechen“, meinte ich.

Dave Oaktree hatte inzwischen mithilfe eines Lasergeräts gepeilt, von wo der Schuss gekommen war. Es war tatsächlich das Gebäude, dessen Dach ich von Anfang an in Verdacht gehabt hatte.

Jay und Leslie machten sich dorthin auf den Weg. Unser Spurensicherer Mell Horster begleitete sie. Schließlich rechnete niemand mehr ernsthaft damit, dass der Täter sich dort noch aufhielt. Spuren sichern, das würde das einzige sein, was uns noch blieb. Und dazu vielleicht wieder ein paar Patronenhülsen, die in Kreuzform angeordnet waren.

Milo und ich gingen unterdessen hinauf zu Tyra Benson. Sie musste jetzt Farbe bekennen. Ich hoffte, dass uns Francines Zwillingsschwester jetzt endlich reinen Wein einschenken würde.

Ich war überzeugt davon, dass sie keineswegs so ahnungslos war, wie sie zunächst getan hatte.

Sie war in ihrer Wohnung. Als sie uns öffnete, sah sie uns mit einem Gesicht an, das sofort verriet, dass sie geweint hatte. Das Make-up war zerlaufen. Die Augen waren rot und wirkten gereizt. Sie atmete tief durch und brauchte erstmal ein Papiertaschentuch, das Milo ihr freundlicherweise gab.

„Miss Benson, ich weiß, dass Sie der Tod Ihrer Schwester sehr mitgenommen hat“, begann ich, aber ich wusste sofort, dass dieser Anfang nicht besonders gut ankam. Aber wahrscheinlich wäre in diesem Moment auch nichts anderes gut angekommen, was ich gesagt hätte. In so fern spielte es keine Rolle, was ich sagte. Vielleicht war sogar die Art und Weise, wie ich es sagte, von größerer Bedeutung.

„Nein, ich glaube nicht, dass Sie sich das wirklich vorstellen können“, erwiderte sie scharf.

„Miss Benson, es wird Zeit, dass Sie uns die volle Wahrheit sagen und alles auspacken, was Sie wissen!“

„Ach – was sollen das denn für großartige Geheimnisse sein, die ich die ganze Zeit über vor Ihnen verborgen habe? Meine Schwester war einfach nur eine junge Frau, die versucht hat, sich so gut wie möglich durchs Leben zu schlagen und sich dabei ihre Träume zu verwirklichen. Und irgendein Verrückter hat sie jetzt abgeschossen wie ein Tier und Sie stehen hier herum und unternehmen nichts. Stattdessen trampeln Sie auf meinen Gefühlen und Nerven herum wie ein durchgedrehter Elefantenbulle. Fangen Sie lieber diesen Verrückten!“

„Fangen wir doch mal so an: Was hatte ein Mafioso wie Ray Scirea mit Ihrer Schwester vor?“

„Was weiß ich! Bin ich vielleicht die Anstandsdame meiner Schwester? Die Zeiten sind doch wohl wirklich vorbei, Agent Trevellian. Wahrscheinlich sehen Sie zu viele alte Filme.“

„Wir werden die Konten Ihrer Schwester überprüfen, ihr Handy unter die Lupen nehmen – alles! Aber ich kann mir schon denken, was dabei herauskommen wird.“

„Ach, ja?“

„Francine war die Freundin von Jimmi Di Carlo - oder sie hat zumindest so getan. Denn irgendwie glaube ich ihr die trauernde Mafiabraut nicht so richtig. Und die Tatsache, dass sie alle Spuren zu vernichten versuchte, bevor sie aus Jimmys Wohnung ausgezogen ist, spricht auch nicht dafür.“

Tyra atmete tief durch. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ging zum Fenster, um hinauszusehen. „Davon wusste ich nichts“, sagte sie. „Also, ich weiß nicht, was sie mit Ray Scirea vorhatte. Dass er ihr Geld gezahlt hat, mag ja sein. Ehrlich gesagt wollte ich auch nie wissen, wofür eigentlich.“

„Ich hatte den Verdacht, dass sie Jimmy DiCarlo dem Todesschützen vor die Flinte locken sollte“, sagte ich. „Und ich gebe auch zu, dass ich gedacht habe, dass er das vielleicht im Auftrag von Ray Scirea gemacht hat. Das wäre zumindest eine Möglichkeit gewesen, auch wenn die beiden verwandt waren. Ray Scirea gilt schließlich als jemand, der kompromisslos durchzieht, was er für richtig hält – ohne Rücksicht auf Verluste. Aber jetzt hat dieser Unbekannte auch Scirea getötet.“

„Ich verstehe nicht ein Wort von dem, was Sie sagen“, behauptete Tyra Benson.

„Was Scirea angeht, scheint der tatsächlich nichts damit zu tun zu haben. Aber was Ihre Schwester angeht, könnte sie in beiden Fällen dieselbe Rolle gespielt haben – die des Lockvogels nämlich.“

Tyra drehte sich um.

„Das meinen Sie nicht ernst.“

„Es würde einiges erklären.“

„Und warum ist Francine jetzt tot?“

„Vielleicht, weil der Killer sie nicht mehr brauchte.“

Tyra wirkte nachdenklich. Einen Moment lang hatte ich den Eindruck, dass sie etwas sagen wollte, es sich dann aber doch anders überlegte. Warum auch immer...

Ich trat auf sie zu und zeigte ihr den Führerschein auf den Namen John Smith. „Dieser Mann – kennen Sie ihn?“

„Wieso sollte ich ihn kennen?“

„Wieso antworten Sie mir mit einer Gegenfrage, anstatt einfach ja oder nein zu sagen?“

„Sie verdrehen mir das Wort im Mund!“

„Er ist hier gesehen worden! Ray Scirea hatte ein paar Jugendliche aus der Gegend damit beauftragt, Ihre Schwester im Auge zu behalten und ihn darüber zu informieren, mit wem sie sich traf.“

Tyra riskierte jetzt einen etwas längeren Blick auf das Bild auf der Fahrlizenz.

„Ja, es stimmt“, sagte sie dann. „Dieser Mann war hier. Und meine Schwester hat auch mehrfach mit ihm telefoniert. Sie nannte ihn Mister Smith. Sie hat ihn in einem Club kennengelernt, in dem sie als Gogo-Tänzerin gearbeitet hat.“

„Das war nicht zufälligerweise das STARFIRE, der Club von Ellroy Garvcia?“, fragte ich.

Sie zuckte mit den Schultern. „Weiß ich so genau nicht mehr. Ich weiß nur, dass er einmal hier war und wenn er sich tatsächlich Smith nennt, dann hat er wohl auch einige Male mit ihr telefoniert. Aber das werden Sie ja wohl noch herauskriegen, wenn Sie ihr Handy unter die Lupe nehmen.“

„Und sonst noch?“

„Sie wollte nicht, dass ich davon etwas mitkriege, hat sich aber nicht sonderlich geschickt dabei angestellt.“

„Und was haben Sie mitgekriegt?“

„Es ging um Termine. Um Treffpunkte.“

„Hat Francine Namen erwähnt?“

„Nicht, dass ich es mitgekriegt hätte.“

„Und Sie haben Ihre Schwester nie gefragt?“

„Doch. Sie hat mir gesagt, dieser Smith sei eine Art Gönner. Jemand, von dem sie Geld bekommt. Und dann hat sie nur gegrinst. Wir sind daraufhin etwas in Streit geraten, denn ich habe gedacht, dass sie für Sex bezahlt wird und ihr das auch so gesagt. Das war heute! Und als sie sich dann aufgebrezelt hat, um mit Ray Scirea wegzugehen, war für mich der Fall klar. Meine Schwester ist ein Luxus-Callgirl. 'Du kannst ja zum Vice Department der City Police gehen!', hat sie mir daraufhin gesagt. Wir haben danach nicht mehr miteinander geredet. Was sie sagte, schien meine Vermutung zu bestätigen.“

„Und jetzt?“, fragte ich.

„Nach dem, was Sie mir gerade gesagt haben, klingt das etwas anders.“ Sie schüttelte dann ihren Kopf. „Sie müssen mich verstehen. Ich war mit meiner Schwester im Streit, als ich sie zuletzt gesehen habe, sie wird erschossen und nun erfahre ich, dass sie vielleicht nicht nur ein Call Girl, sondern der Lockvogel für einen Killer war. Das ist alles etwas viel für mich.“

„Das verstehe ich. Noch etwas. Sind Sie ihm begegnet, als er Ihre Schwester besucht hat?“

„Ja, ich habe ihm die Tür aufgemacht. Aber Francine ist mit ihm auf den Flur gegangen. Sie waren sehr leise und ich konnte deshalb von ihrem Gespräch nichts mitbekommen. Er hat mich zuerst verwechselt.“ Tyra atmete tief durch. „Wenn ich einfach abgewartet hätte, anstatt meiner Schwester Bescheid zu sagen, dann wüsste ich nun, worum es ging.“

„Seien Sie froh, dass es nicht so war.“

„Wieso?“

„Sie haben doch gesehen, was dieser Täter mit seinen Mitwissern macht.“

Sie schluckte. „Ja.“

„Ich hoffe, dass dieser Smith nicht auf die Idee kommt, dass Sie etwas über ihn wissen, weil Ihre Schwester Ihnen vielleicht mehr erzählt hat. Ich werde dafür sorgen, dass Sie Polizeischutz bekommen.“

„Meinen Sie, das ist wirklich nötig?“

„Ich würde es sonst nicht vorschlagen.“ Dann griff ich zum Handy, um Sam Steinburg anzurufen.

„Hi, Jesse, was gibt’s? Wo steckst du?“

„Oben, in der Wohnung, in der Francine Benson zuletzt gelebt hat. Wir durchsuchen noch ihre Sachen.“

„Tütet alles sorgfältig ein, wovon ihr glaubt, das es uns weiterbringt. Wir haben hier noch eine ganze Weile zu tun.“

„Die Tür möchte ich ungern aushängen und mitnehmen, Sam“, sagte ich.

„Wie bitte?“

„Es ist nur ein Schuss ins Blaue – aber es wäre möglich, dass der Mann, den wir suchen, zuerst an der Tür von Tyra Benson gelauscht hat, bevor er klingelte. Unser Killer ist ein sehr vorsichtiger Mann.“

„Du denkst an den Ohrabdruck, den wir bei Sonny Alvarez gefunden haben?“

„Richtig“, bestätigte ich. „Es ist nicht auszuschließen, dass wir hier auch einen finden. Wenn wir Glück haben.“

––––––––




ETWA ZUR GLEICHEN ZEIT standen unsere Kollegen Leslie Morell und Jay Kronburg zusammen mit unserem Chefballistiker Dave Oaktree auf dem Dach jenes Gebäudes, von dem aus wahrscheinlich geschossen worden war.

Der Hausmeister und der Schichtführer des privaten Security Service, dessen Aufgabe es war, das Gebäude zu sichern, begleitete unsere Kollegen dabei.

„Die Einschüsse vorne an den Scheiben der Limousine lassen eine ziemlich gute Laserpeilung zu“, meinte Dave Oaktree. „Vor allem ist nahezu ausgeschlossen, dass der Wagen nach der Tat noch bewegt wurde, was wir bei den Leichen ja nicht sicher ausschließen können. Ich will mich auf die Entfernung jetzt nicht auf ein paar Meter festlegen,. Aber ich denke, es steht fest, dass von hier aus geschossen wurde!“

Dave ließ suchend den Blick schweifen.

„Fragt sich nur, von wo genau“, meinte Jay Kronburg. Es war ziemlich windig. Jays Jackett schlackerte im Wind, sodass er es zuknöpfte.

Sie suchten das kiesgefüllte Flachdach ab und wurden schließlich fündig.

„Wer sagt's denn!“, meinte Dave Oaktree, als er die annähernd dreißig Patronenhülsen sah, aus denen ein Kreuz gelegt worden war.

Leslie Morell sah sich in der Umgebung um. Vielleicht hatte der Täter noch irgendetwas hinterlassen – gleichgültig, ob nun beabsichtigt oder unbeabsichtigt.

Jay Kronburg wandte sich an den Hausmeister und den Security Guard.

„Hier kann jeder rauf, oder?“

„Normalerweise sollte der Zugang abgeschlossen sein“, sagte der Hausmeister. „Aber es kann schonmal sein, dass ich das vergesse. Wissen Sie, ich bin nicht nur für dieses Haus zuständig. Da gibt’s noch ein halbes Dutzend anderer Gebäude, die von unserer Firma im Schichtbetrieb in Ordnung gehalten werden.“

Jay nickte. Hausmeisterfirmen anstatt fest angestellter Kräfte – das mochte preiswerter sein, hatte aber seine ganz eigenen Risiken. Dias Personal wechselte häufig und hatte keine Ahnung, wer eigentlich im Haus wohnte oder sein Büro dort hatte. Wenn etwas Ungewöhnliches geschah, fiel das diesen Kräften häufig gar nicht auf. Jay hatte in seiner langen Dienstzeit bei der New Yorker Polizei und später beim FBI schon Fälle erlebt, bei denen ganze Wohnungs- und Büroeinrichtungen aus dem Haus getragen worden waren und der Hausmeister hatte den Security Guards noch gesagt, dass das in Ordnung sei.

„Und wo ist der Schlüssel normalerweise?“, fragte Jay.

„Neben der Tür. Aber jetzt war er nicht da, wie Sie gerade gesehen haben.“

„Der Killer scheint ihn nicht zurückgehängt zu haben“, schloss Jay daraus. „Da können wir ja froh sein, dass er sich nicht die Zeit genommen hat, auch noch zuzuschließen, sonst wären wir noch nicht einmal hier heraufgekommen.“

„Wissen Sie, was ich für meinen Job bekomme?“, fragte der Hausmeister. „Ich kann Ihnen eins sagen: Sie würden nicht dafür arbeiten. Und ich werde es auch nicht länger machen, als bis ich was Besseres habe! Das ist bei den meisten so, die sich mit mir um diese Häuser kümmern!“

„Ich wollte Ihnen keinen Vorwurf machen“, versuchte Jay ihn zu beschwichtigen.

Er wandte sich an den Security Guard. Sein Name war Ernest Allmond. Jedenfalls stand das an seinem Uniformhemd unter dem Emblem seiner Firma.

„Wie steht's mit der Überwachung? Haben wir irgendeine Chance, dass der Kerl vielleicht mit einer Video-Kamera aufgezeichnet wurde?“

„Es gibt eine Kamera im Eingangsbereich und in den meisten Fluren“, sagte Ernest Allmond.

„Wir brauchen das Material“, erklärte Jay. „Und zwar alles von heute.“

„Das wird eine Weile dauern, Sir.“

„Nein, das wird sehr schnell gehen, sonst wird die Staatsanwaltschaft Ihre gesamte Anlage vorübergehend als Beweismittel beschlagnahmen.“

„Wissen Sie, wie wir personell besetzt sind?“, fragte Allmond. „Aber ich werde tun, was ich kann.“

„Gibt es irgendeine Möglichkeit, hier her zu gelangen, ohne den Kameras durch die Linse zu laufen?“, fragte Jay.

„Nein“, behauptete Ernest Allmond.

„Und der Hinterausgang?“, fragte der Hausmeister.

„Der sollte eigentlich geschlossen sein“, meinte Allmond.

„Der stand in den letzten zwei Tagen aber eigentlich ständig offen“, meinte der Hausmeister. „Jedenfalls immer, wenn ich Schicht hatte. In der dritten Etage zieht ein Call Center ein und da sind immer wieder Möbel und technisches Equipment hereingebracht worden – von den Technikern, die die Ablage installiert haben, mal ganz abgesehen. Das war ein dauerndes Rein und Raus. Und auf die Tür hat da niemand geachtet.“

„Großartig, wie Sie hier für die Sicherheit sorgen“, meinte Jay an Allmond gewandt.

„Wir kontrollieren die Anlage hier von unserer Zentrale aus und schicken in regelmäßigen Abständen ein paar Leute vorbei, die ihre Runden machen und Präsenz zeigen“, erläuterte Allmond.

„Ja, ich kann mir den Rest schon denken“, knurrte Jay. „Sie haben noch jede Menge anderer Gebäude, um deren Sicherheit sich Ihre Firma kümmern muss!“

„Für den Preis, den man uns zahlt, ist einfach nicht mehr drin. Andernfalls müsste man das auf die Mieten aufschlagen und dafür ist die Lage hier nun wirklich nicht gut genug.“

„Was Sie nicht sagen, Mister Allmond.“

„Aber sehen Sie es von der positiven Seite!“

Jay hob die Augenbrauen. „Die gibt’s da auch? Ich gestehe gerne, dass ich die bis jetzt noch nicht entdecken konnte.“

„Wenn der Kerl wirklich diesen Weg genommen hat, dann gibt’s zwar nicht so viele Bilder von ihm, aber ein paar eben doch! Und es schränkt das die Auswahl der Aufzeichnungen schonmal sehr ein, die Ihre Leute sich ansehen müssen. Er muss nämlich über den Korridor in der zweiten Etage gegangen sein, um hier rauf zu kommen – und da ist auch eine Kamera.“

„Jay, hier ist noch was!“, rief Leslie.

„Sie entschuldigen mich mal einen Moment“, murmelte Jay Kronburg und begab sich zu seinem Partner. „Was gibt’s, Leslie?“

Leslie Morell hatte sich einen Latexhandschuh übergestreift und ein Briefchen mit Streichhölzern aufgehoben. „Vom STARFIRE Club“, stellte er fest. „Die liegen da für die Gäste aus.“

„Und wahrscheinlich verschenkt Ellroy Garcia die Dinger reichlich an Freunde und Bekannte“, meinte Jay.

„Dieses Briefchen könnte auch hier platziert worden sein, um den Verdacht ganz gezielt in diese Richtung zu lenken“, glaubte Leslie. „Wir wissen ja noch nicht viel mehr über den Täter, außer dass er ein hervorragender Scharfschütze ist. Aber dämlich ist er jedenfalls nicht und ich glaube kaum, dass er so unvorsichtig wäre, etwas zu hinterlassen, was wir nicht finden sollen!“



Konzert der Mörder: 11 Strand Krimis

Подняться наверх