Читать книгу Konzert der Mörder: 11 Strand Krimis - Cedric Balmore - Страница 13
2. Kapitel
ОглавлениеHarry Marinis Gesicht verzog sich zur Grimasse, als er die Gestalten hinter dem Mauervorsprung auftauchen sah. Sie versuchten davonzurennen. Aber Harry Marini dachte nicht daran, ihnen auch nur den Hauch einer Chance zu lassen.
„Keine Überlebenden!“, brüllte er mit heiserer Stimme. „Kein Pardon!“
Er fasste die Maschinenpistole vom Typ MP 7 der Firma Heckler & Koch mit beiden Händen und drückte ab.
Die Waffe knatterte los.
„Ihr Bastarde!“, schrie Marini, wobei sein heiserer Ruf durch das Geknatter der Maschinenpistole akustisch regelrecht zerhackt wurde.
Das Mündungsfeuer blitzte auf, als die Körper der Flüchtenden wie Marionetten unter Dutzenden von Treffern zuckten und zu Boden gingen.
Manche dieser Männer schafften es noch, ihre eigenen Waffen empor zu reißen. Hier und da blitzte Mündungsfeuer von schlecht gezielten Schüssen auf.
Harry Marini nahm darauf keine Rücksicht.
Ob er selbst Treffer erhielt, war ihm gleichgültig, für ihn zählte in diesem Augenblick nur eins.
Die Vernichtung seiner Gegner.
Jeden einzelnen von ihnen wollte er unter dem Beschuss von Dauerfeuer seiner MP 7 zucken und sich winden sehen.
Einer nach dem anderen sank in den Staub.
Eine tiefe Befriedigung erfüllte ihn, als der letzte von ihnen mit einem halben Dutzend, fast gleichmäßig über den gesamten Torso verteilten Treffern förmlich an die Hauswand genagelt wurde, die sich hinter ihm befand. Er rutschte zu Boden und zog eine Blutspur hinter sich her.
Harry Marini feuerte noch auf seinen Gegner, als er längst regungslos und wie ein Fötus zusammengekrümmt am Boden lag.
Dann war es vorbei.
Marini atmete tief durch und senkte endlich die Waffe. In seinen Augen stand noch immer ein seltsames Leuchten, das jeden, der ihn nicht kannte, zutiefst befremden musste.
Von seinen Leuten ließ er sich gerne ‚Il Duce’ nennen - so wie Benito Mussolini, den er als den größten Italiener der vergangenen drei Jahrhunderte verehrte. Mit dem italienischen Diktator aus der Zeit des Faschismus hatte Marini immerhin den fast haarlosen Kopf gemein.
Marini war ein sehr großer, massiver Mann. Fast zwei Meter lang und mit einer Figur, die an einen etwas aus der Form geratenen ehemaligen Boxer erinnerte.
Die Splitterweste spannte in der Bauchgegend.
Marini schleuderte die MP 7 von sich und riss sich die Weste vom Leib. Die Klettverschlüsse verursachten dabei charakteristische, ratschende Geräusche.
Auch die Weste warf er einfach zu Boden.
Ein letztes Mal würdigte er die Leichen eines kurzen Blickes. Ein erstarrtes Stillleben des Schreckens. In der Mitte erschien eine Schriftanzeige.
„Simulation beendet. Sie wurden von vier Projektilen getroffen. Achten Sie mehr auf die Eigensicherung. Wünschen Sie eine Detailübersicht? Ja - nein. Ins Menue gehen? Ja - nein.“
„Adriano!“, brüllte Marini. Jetzt erst zog er sich Stöpsel aus den Ohren und warf sie einfach weg. Schließlich hatte er genug gut bezahltes Personal, das für Ordnung sorgte.
„Ja, Sir?“, kam eine Stimme aus dem Off.
„Schalten Sie die verdammte Projektion ab!“
„Sofort, Sir.“
„Aber ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf!“
„Ja, Mister Marini.“
„Anscheinend bin ich nur von Idioten umgeben! Unfähigen Stümpern! Nichtsnutzigen Weichlingen! Schwulen Ärschen! Und mit solchen Leuten soll man eine Organisation am laufen halten! Pah! Man sollte euch alle rausschmeißen!“
Während die Szene hinter ihm verblasste, drehte sich Marini um und verließ den Simulationsraum. Er fühlte sich jetzt besser.
Adriano Caprese, ein drahtiger Kerl mit Bodybuilderfigur trat auf ihn zu. Er war der beste Mann unter der Kompanie von hoch spezialisierten Bodyguards, für die Marini ein kleines Vermögen ausgab. Aber Adriano war jeden Cent davon wert. Er war lange Jahre Scharfschütze und später Ausbilder bei den Marines gewesen, hatte sich danach mit einem Trainingscamp zur Ausbildung von Bodyguards selbstständig gemacht, aber dabei in geschäftlichen Dingen keine glückliche Hand gehabt. Vor fünf Jahren hatte Marini ihn angeheuert. Seitdem hatte er wieder einen ruhigen Schlaf, denn ganz gleich, welche Waffe Adriano auch gerade in den Händen hielt - seine Trefferquote war außergewöhnlich hoch. Darüber hinaus hatte er auch noch eine solide Ausbildung in Karate.
„Wollen Sie noch ein anderes Programm versuchen?“, fragte Adriano.
Marini machte eine wegwerfende Handbewegung und knurrte etwas Unverständliches vor sich hin. „Das reicht für heute“, meinte er dann.
„Wie Sie wollen, Sir.“
„Sehen Sie zu, dass Sie in nächster Zeit mal etwas Abwechslung in diesen Schießstand bringen“, meinte Marini. „Auf die Dauer macht es keinen Spaß, immer dieselben Typen abzuknallen.“
„Ich verstehe, was Sie meinen, Sir.“
„Will ich hoffen.“
Ein Summton ertönte. Marini ging zu dem Schalter der hausinternen Sprechanlage.
„Was gibt es?“, fragte er unwirsch, nachdem er den Schalter betätigt hatte.
„Brad Simon wartet im blauen Salon“, meldete sich eine männliche Stimme.
„Er muss sich noch ein bisschen gedulden. Ich werde erst einmal duschen...“
„Er sagt, es wäre sehr wichtig!“
„Bestellen Sie ihm, er soll sich nicht in die Hose machen, dieses Sensibelchen!“
Marini unterbrach die Verbindung. Er fluchte leise vor sich hin. Dieser Feigling!, dachte er. Brad Simon war sein Großneffe und außerdem einer seiner Unterbosse. Marini hatte ihm den Rang eines Captain in seiner Organisation nur deswegen eingeräumt, weil er Brads Vater Billy einen Gefallen schuldig gewesen war.
„Er soll warten“, bestimmte Marini. „Ich gehe erst einmal unter die Dusche.“
„Ja, Sir.“
„Dieser Idiot kann ich mal. Und ich hab nichts dagegen, wenn ihm das auch ausgerichtet wird! Wenn bei uns alle so eine lasche Einstellung wie Brad hätten, dann würde der Laden längst nicht mehr laufen!“
––––––––
BRAD SIMON HATTE URSPRÜNGLICH den Namen Brad Simone getragen. Das „e“ am Ende hatte er einfach gestrichen. Nach Ansicht von Harry Marini verleugnete er damit seine italienische Herkunft und die Tradition seiner Familie, was in den Augen des Clan-Patriarchen nur ein weiteres Indiz dafür war, dass Brad keinen Charakter hatte. Simon hatte mit Ach und Krach ein Jurastudium hinter sich gebracht und besaß sogar eine offizielle Zulassung als Anwalt.
Jemandem, der seine Familie verleugnete, nur um den Vorurteilen vieler so genannter Anglo White Americans gegen Italoamerikaner aus dem Weg zu gehen, war alles zuzutrauen, so fand Marini.
Inklusive Verrat.
Der blaue Salon befand sich im Obergeschoss von Marinis Villa auf den Brooklyn Heights. Von hier aus hatte man einen hervorragenden Ausblick. Die Freiheitsstatue war ebenso zu sehen, wie der grüne Gürtel des Battery Park, der Manhattan an der Südseite umsäumte. Dazu das blaue, in der Sonne glitzernde Band des Hudson, von dem sich der East River trennte.
Als Marini den Salon betrat, stand an der Fensterfront ein Mann, den er hier jetzt nicht erwartet hatte. Der Mann war grauhaarig, vielleicht Mitte siebzig, mit wettergegerbter, von einem Faltenrelief durchzogener Haut. Die Nase sprang hervor und entsprach einem klassischen Profil.
Das war Ray Scirea. Der alte Ray hatte in der Marini-Familie den Rang eines Conciliere inne und schon Harry Marinis Vater beraten. Er hatte außerdem maßgeblich daran mitgewirkt, dass Harry seine jetzige Position innerhalb der Mafia hatte erreichen und über Jahre hinweg halten können.
Wenn Ray Scirea hier auftauchte, musste irgendetwas Wichtiges anliegen, war Marini sofort klar.
Ray Scireas Blick war gedankenverloren in die Ferne gerichtet.
Mit einem Ruck drehte er sich herum.
Seine leuchtend blauen Augen musterten Harry.
Neben ihm verblasste die eher schmächtige Erscheinung von Brad Simon sichtlich.
„Onkel Harry, wie lange willst du noch warten?“, fragte Brad Simon ziemlich ungehalten – und für Harry Marinis Geschmack entschieden zu respektlos. „Jimmy ist umgebracht worden – ironischerweise auch noch auf dem Gelände dieses Jamaica Bay Fun Park, den er mit deinem Geld betreibt!“
„Du solltest deine Tonfall mäßigen!“, schnitt Harry Marini ihm das Wort ab.
Aber dieser Auftritt war durchaus typisch für Brad Simon. Große Ansprüche stellen und wenig dafür leisten. Das konnte Harry Marini nicht ausstehen.
„Wie lange willst du noch warten?“, fragte Brad Simon, ohne dass dabei sein Tonfall auch nur eine Nuance an Schärfe verlor. „Bis wir alle umgebracht worden sind? Da rasiert ein Wahnsinniger die halbe Führungsriege unserer Organisation einfach weg und der große Patron tut gar nichts! Onkel Harry, was glaubst du, was da draußen auf den Straßen geredet wird? Was hast du überhaupt für eine Vorstellung davon, was derzeit in Little Italy los ist – oder in der Bronx, wo unsere Leute ihr Geld im täglichen Konkurrenzkampf mit den Drogendealern der Miami-Connection, mit den Puertoricanern, den schwarzen Dealern aus Harlem oder Straßengangs, die es auf eigene Faust versuchen, verdienen müssen? Da braut sich etwas zusammen, und du willst das einfach nicht sehen!“
Brad Simon machte eine wegwerfende Handbewegung und fuhr sich anschließend durch das Haar und strich es mit einer fahrigen Geste nach hinten.
„Hat dir deine Frau eingeredet, dass du hier auftauchen sollst?“, fragte Marini. „Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass sie eine Hysterikerin ist und du früher oder später unter ihrem Pantoffel stehen wirst. Man sollte sich von Frauen nicht in die Geschäfte reinreden lassen, das ist mein fester Standpunkt. Und jetzt beruhige dich etwas.“
Brad Simon verengte etwas die Augen. „Du hast gut reden, Onkel Harry! Schließlich hast du dich ja weit genug abgesetzt, hier her, in deine Villa auf den Heights, von der du auf die City hinabblicken kannst und gar nicht mehr mitbekommst, was da eigentlich abgeht. Du hast den Instinkt der Straße verloren, Onkel Harry! Jeder weiß, dass die Miami-Connection hinter den Morden an unseren Leuten steht. Man erzählt es sich in den Coffee-Shops und fragt sich, wie lange der Mann, der sich gerne als Duce von Little Italy bezeichnen ließ, eigentlich noch warten möchte, bevor er so etwas wie eine Reaktion zu zeigen bereit ist!“
Harry Marini holte rief Luft, um zu einer Erwiderung anzusetzen. Aber überraschenderweise kam Ray Scirea ihm zuvor.
„Harry, vielleicht hat der junge Kerl hier nicht ganz den Ton getroffen, der angemessen gewesen wäre...“, sagte Scirea und war sichtlich bemüht, die Situation zu entschärfen.
Marinis Mund wurde ein dünner Strich. „Wenn ich nicht Billys Schuld stünde, würde ich ihn auf der Stelle umbringen!“, knurrte er dann einen Augenblick später. Sein Teint war dunkelrot geworden vor Zorn.
„...aber ich muss ihm in der Sache recht geben“, vollendete Ray Scirea seinen Satz. „Wir müssen zurückschlagen und zeigen, dass wir Zähne haben, sonst denken zu viele, dass da vielleicht nur noch der blanke Gaumen eines alten Mannes ist.“
Ein Muskel zuckte knapp unterhalb von Harry Marinis linkem Auge. „Du kennst Ellroy Garcia viel länger als ich...“
„Das ist richtig.“
„Du warst es, der mich einst mit dem Kontaktmann der Miami-Connection hier in New York bekannt gemacht hat!“
„Wir haben über Jahre hinweg gute Geschäfte gemacht!“
„Ich habe mich mit ihm getroffen und er hat mir sein Wort gegeben, dass er nichts mit dem Tod meiner Leute zu tun hat! Vielmehr hätte er selbst in letzter Zeit auch zwei seiner District-Bosse unter mysteriösen Umständen verloren.“
Ray Scirea trat näher an Harry heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wir haben gute Jahre hinter uns, Harry. Sehr gute Jahre...“
Der große Boss hob die Augenbrauen.
Dieser sanfte Tonfall machte ihn nur um so misstrauischer.
„Wir wollen nicht übertreiben“, murmelte Harry Marini. „Aber ich beklage mich ja auch nicht.“
„Immerhin konnten die hässliche Seite des Geschäfts den Bluthunden auf der Straße überlassen und können es uns leisten, die angenehmen Seiten des Lebens zu genießen und uns in Paläste wie diese Villa hier zurückzuziehen. Aber diese Zeiten sind jetzt vorbei.“
Marini runzelte die Stirn und sah Ray Scirea verwundert an. Die verbindlichen Worte des Conciliere waren also nichts anderes als eine Ouvertüre gewesen, und jetzt kam das, was er eigentlich zu sagen hatte.
Die bittere Pille, die er von Anfang an hatte verabreichen wollen. Bisher hatte er sich das allerdings wohl nicht getraut.
Der große Boss sah seinen Conciliere mit vor unterdrücktem Zorn funkelnden Augen an.
„Was redest du da?“, fauchte Marini. Er verzog den Mund und öffnete ihn auf eine Weise, die dem Zähne zeigen von Raubtieren mehr ähnelte als einem gepflegten Lächeln.
Ray trat einen Schritt näher.
Er hielt dem Blick von Harry Marini stand.
Eisern.
„Wir sind zu weich geworden, Harry.“ Ein Satz für ein Todesurteil. Ray Scirea sprach sehr ruhig und leise. „Die Miami-Connection hat ihre Politik geändert. Dafür sprechen verschiedene Tatsachen, auf die ich dich in der letzten Zeit immer wieder hingewiesen habe – und ich war nicht der einzige. Ellroy Garcia mag ein Ehrenmann sein oder nicht – ich glaube, dass er entweder lügt oder gar nicht in das eingeweiht ist, was ein paar große Bosse in Florida beschlossen haben.“
„Jedenfalls ist die Zeit, in der wir annehmen konnten, dass die Miami-Connection nur eine friedliche Koexistenz mit uns anstrebt, wohl vorbei!“, ergänzte Brad Simon.
Aber Harry Marini beachtete Brad nicht weiter.
Stattdessen wandte er sich an den Conciliere.
„Ray, du weißt, was das bedeuten würde, wenn wir gegen Garcias Leute losschlagen würden!“, meinte Marini und machte dabei eine weit ausholende Geste.
Ray nickte. „Es wird Krieg geben“
„Allerdings!“
„Und zwar in einem Ausmaß, wie New York ihn lange nicht gesehen hat.“
Harry Marini schluckte. „Genau das möchte ich vermeiden. Ein Krieg nützt niemandem, das wissen wir alle. Friedliche Koexistenz und Zusammenarbeit ist doch am Ende für alle ertragreicher!“
Ray Scirea zuckte ungerührt mit den Schultern.
In seinem undurchdringlichen, wie aus Stein gemeißelt wirkenden Gesicht war keinerlei Regung erkennbar.
„Sag das den Miami-Leuten, Harry“, schlug der Conciliere dann mit leisem Spott in der Stimme vor. „Die haben den Krieg längst erklärt.“
„Ach, ja?“
„Du merkst es nicht einmal.“
Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen. Harry Marini trat an die Fensterfront heran. Ein Schiff quälte sich die Hudsonmündung stromaufwärts. Es zog eine lange, gut sichtbare Welle hinter sich her.
„Ich war keineswegs untätig“, erklärte er schließlich, wandte dabei den Kopf und fixierte Brad Simon dabei auf eine Weise, die diesem äußerst unangenehm war. „Ich habe ein paar Leute losgeschickt, die der Sache auf den Grund gehen sollen. Die haben schon einiges herausbekommen, was ich eigentlich gar nicht wissen wollte, Brad.“ Harry Marini lächelte kalt. „Aber du hast natürlich keinerlei Vorstellung davon, was ich da meinen könnte, oder Brad?“
Brad Simon schluckte.
„Nein. Natürlich nicht.“
„Wirklich nicht?“
„Keine Ahnung, was du meinst, Großonkel.“
„Geh jetzt, Brad. Ich möchte noch etwas mit meinem Conciliere unter vier Augen besprechen!“
Das war wie eine Ohrfeige für Brad Simon.
Und genauso hatte Harry Marini es auch gemeint.
Die Blicke beider Männer begegneten sich noch für einen kurzen Moment.
Brad sagte kein einziges Wort mehr und verließ den Raum. Es war ihm anzusehen, dass er kurz vor der Explosion stand.
„Was haben deine Leute über ihn herausgefunden, Harry?“, fragte Ray.
„Zum Beispiel, dass er mich betrügt“, erklärte Harry.
„Brad? Dein eigener Großneffe?“
„Ja.“
„Bist du sicher?“
„Ich sollte vielleicht mit dem Gegenschlag in den eigenen Reihen beginnen!“
Beide Männer schwiegen einen Augenblicke. Schließlich ergriff Ray Scirea noch einmal das Wort und sagte: „Du musst Zähne zeigen, Harry. Etwas anderes bleibt dir gar nichts übrig.“
„Davon bin ich langsam auch überzeugt, Ray.“
„Je schneller du etwas unternimmst, desto besser ist die Chance, dass du das Ganze noch zu einem positiven Ende führen kannst!“, glaubte der Conciliere.
Eine deutlich sichtbare Falte erschien auf der Stirn von Harry Marini. „Und was schlägst du da vor?“
„Engagiere ein paar diskrete Hit-men und lass sie ein paar von den Miami-Leuten umlegen. Es muss ja nicht gerade Ellroy Garcia persönlich sein, mit dem sind wir schließlich immer ganz gut ausgekommen.“
„Wir wissen nicht, ob die Miami-Leute wirklich unsere Feinde sind.“
„Spielt das eine Rolle, Harry? Hauptsache, deine eigenen Leute glauben wieder, dass du sie beschützt. Denn genau das erwarten sie von dir.“
„Ich werde tun, was nötig ist“, versprach er.
Sein Tonfall war eisig, aber Ray Scirea schien das nicht zu bemerken.
„Da ist noch etwas, worüber wir reden müssen“, erklärte Ray dann.
Harry hob erstaunt die Augenbrauen.
„So?“
„Es geht um diese Frau, mit der Jimmy seit kurzem zusammenlebte.“
„Irgend so ein Flittchen wahrscheinlich.“
„Wir sollten trotzdem dafür sorgen, dass sie sich ruhig verhält. Schließlich wissen wir nicht, was Big Jimmy ihr möglicherweise so alles über seine Geschäfte erzählt hat oder was die Lady davon mitbekam. Aber ich denke, ein großzügiger Scheck könnte die Sache regeln.“
––––––––
WIR SASSEN MORGENS IM Besprechungszimmer unseres Chefs. Jonathan D. McKee, der Chef des FBI Field Office New York, hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben. Sein Gesichtsausdruck wirkte besorgt. „Ein Killer, der so viele Personen auf eine Entfernung von über 400 Meter mit dieser Präzision zu töten vermag, muss ein wirklich exzellenter Schütze sein.“
„Wir vermuten, dass er eine Scharfschützenausbildung in der Navy, Army oder in irgendeiner Spezialeinheit der Polizei genossen hat“, erklärte Agent Max Carter, ein Innendienstmitarbeiter aus unserer Fahndungsabteilung. „Andererseits könnte dieser Hit-man auch aus dem Ausland eingeflogen worden sein.“
„Lässt sich möglicherweise anhand der Waffe der Täterkreis einschränken?“, erkundigte sich Clive Caravaggio. Der flachsblonde Italoamerikaner war stellvertretender Chef des Field Office New York. „Schließlich handelt es sich um eine Spezialwaffe, die nicht in allzu großer Stückzahl hergestellt worden ist!“
Mister McKees Blick wandte sich unserem ebenfalls anwesenden Chefballistiker Dave Oaktree zu.
„Vielleicht können Sie uns zu diesem Themenkomplex etwas sagen, Dave.“
„Gerne“, antwortete Oaktree. „Zunächst einmal konnten wir feststellen, dass sich die Vermutung bestätigt hat, wonach Jimmy DiCarlo mit derselben Waffe und vermutlich daher auch vom selben Täter erschossen wurde, wie die anderen Unterbosse aus dem Marini-Syndikat. Das heute Morgen eingetroffene ballistische Gutachten unserer Kollegen der Scientific Research Division lässt daran nicht den Hauch eines Zweifels. Der Typ des benutzten Spezialgewehrs stand ja bereits vorher auf Grund der aufgefundenen Patronenhülsen fest. Ich hatte deswegen schon vor Eintreffen des Gutachtens des SRD-Ballistiker mal anhand der verschiedenen Datenbänke, zu denen wir Zugang haben, recherchiert, wie viele Morde überhaupt mit einer MK-32 begangen wurden.“
„Sie nehmen an, dass der Täter auch früher schon eine Vorliebe für dieses Gewehr gehabt haben könnte“, meinte Mister McKee.
Dave nickte entschieden.
„Ja, genau.“
„Und?“
„Es gab vor drei Jahren eine Mordserie unter den Bossen an der Westküste. Insgesamt zwölf hochrangige Gangster aus den Führungsetagen des organisierten Verbrechens sind seinerzeit mit einer MK-32 ermordet worden. Man fand das Gewehr schließlich im Kofferraum eines als gestohlen gemeldeten Fahrzeugs.“
„Dann hatte der Kerl ja auch einen triftigen Grund, die Waffe zu wechseln“, mischte sich unser ebenfalls anwesender indianischer Kollege Orry Medina in das Gespräch ein.
„Gab es denn außer der Verwendung derselben Waffe noch weitere Parallelen?“, wandte ich mich an Dave.
Er schüttelte den Kopf.
„Leider nein.“
„Ich dachte da zum Beispiel an die seltsame Anordnung der Patronenhülsen.“
„Dies ist der erste von sämtlichen in Betracht kommenden Mordfällen, in denen der Täter die von der Waffe geworfenen Patronenhülsen auf diese Weise angeordnet hat. Das unterscheidet den Mordfall Jimmy DiCarlo von den anderen dieser Serie - falls es sich um eine solche handeln sollte.“
„Was geschah in den anderen Fällen mit den Patronen?“ fragte ich.
„Bei den Morden in Los Angeles sind niemals Patronenhülsen gefunden worden“, berichtete Dave. „Wir müssen daher annehmen, dass er die aufgesammelt oder sich eine Vorrichtung konstruiert hat, die die Hülsen auffängt. Die MK-32 ist eine Waffe für den Einsatz beim Militär und anderen Sicherheitskräften, die haben normalerweise kein Interesse daran, Spuren ihrer Anwesenheit zu verwischen.“ Dave machte eine kurze Pause, die er dazu nutzte, einen Schluck des köstlichen und im gesamten Bundesgebäude gerühmten Kaffees zu sich zu nehmen, den Mister McKees Sekretärin Mandy gebraut hatte.
Schließlich fuhr er fort: „Bei sämtlichen Morden in und um New York, bei denen bislang ausnahmslos Unterbosse des Marini-Clans ums Leben kamen, wurden die Hülsen einfach dort liegen gelassen, wo sie von der Waffe ausgeworfen wurden.“
Milo hob die Augenbrauen.
„Unser Super-Profi scheint nachlässig geworden zu sein“, meinte er.
„Oder er fühlt sich so sicher, dass er sich gar nicht mehr vorzustellen vermag, dass ihm eine Horde Cops auf den Fersen sein könnte“, vermutete Clive.
Mister McKee zuckte die Schultern und nahm die Hände aus den Hosentaschen.
„Vorausgesetzt, es handelt sich wirklich um denselben Killer, was wir noch nicht mit letzter Sicherheit wissen“, gab er zu bedenken. Er wandte sich Max Carter. „Ich möchte, dass Sie herauszufinden versuchen, ob es irgendwelche nennenswerten Verbindungen des Marini-Syndikats nach L.A. gibt.“
„Sollten wir uns nicht erst einmal verstärkt darum kümmern, herauszufinden, wer diesen Killer von der Leine gelassen hat?“, fragte Clive. „In Little Italy pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass die Miami-Connection dahinter steckt.“
Die Miami-Connection war uns bekannt. Seit ein paar Jahren operierte dieses von Exilkubanern dominierte Syndikat auch in den Neuengland-Staaten.
Allerdings war die Miami-Connection dabei unseren Erkenntnissen nach bislang eher auf Kooperation mit den alteingesessenen Syndikaten aus gewesen, als auf Verdrängung. Vielleicht hatten die Miami-Leute ihre Strategie inzwischen ja geändert, was immerhin eine plausible Erklärung für das geboten hätte, was sich derzeit in der New Yorker Unterwelt tat.
„Morgen trifft eine Kollegin aus Miami ein, die seit langem gegen dieses exilkubanische Syndikat ermittelt. Ich hoffe, dass sie uns Näheres darüber sagen kann, was diese Bande für unsere Gegend für Pläne hat. Ihr Name ist Rita Moreno. Sie ist Special Agent in Charge im FBI Field Office Miami und wird uns beratend zur Seite stehen. Clive, ich möchte, dass Sie alles an Informanten aktivieren, was uns derzeit in Little Italy zur Verfügung steht.“
Clive Caravaggio nippte kurz an seinem Kaffeebecher.
„In Ordnung, Sir“, sagte der flachsblonde Italoamerikaner dann dann. Er war nach Mister McKee die Nummer zwei in unserem Field Office.
„Ich würde gerne dieser Francine noch einmal auf den Zahn fühlen“, meldete ich mich zu Wort.
Mister McKee wandte sich in meine Richtung.
„Sie sprechen von der Frau, die Jimmy DiCarlo auf den Jamaica Bay Fun Park begleitet....“
„...und anschließend fast nichts von dem Attentat mitgekriegt hat“, vollendete ich Mister McKees Satz. „Ich glaube, sie weiß viel mehr als sie uns bislang gesagt hat. Und dass sie sich einfach so aus dem Staub gemacht hat, ist ebenfalls ziemlich eigenartig.“
Mister McKee nickte leicht.
„Versuchen Sie Ihr Glück, Jesse“, signalisierte der Assistant Director sein Einverständnis.
Jemand wie Mister McKee gab so etwas nicht gerne zu, aber im Moment hatte ich das Gefühl, dass wir in diesem Fall ziemlich im Nebel herumstocherten.
––––––––
IM WEITEREN VERLAUF des Tages verbrachten Milo und ich ein paar Stunden zusammen mit Agent Carter in unserem Dienstzimmer. Wir saßen am Computer und führten einen Datenabgleich durch, in dem wir bei unseren Suchanfragen über das Verbundsystem NYSIS ein bestimmtes Raster anlegten. Gesucht wurde ein Profi-Killer mit Mafia-Verbindung, der eine Vergangenheit im Militär oder einer Sondereinheit der Polizei hatte.
Die Trefferquote war gering. Etwa zwanzig Namen tauchten auf. Ein paar von ihnen waren tot, der weitaus größte Teil saß im Gefängnis und nur eine Handvoll war auf freiem Fuß.
Einer war über siebzig und hatte sich wahrscheinlich irgendwo, an einem sonnigen Plätzchen in Südamerika oder Asien zur Ruhe gesetzt, wo ihn bis zu seinem Lebensabend wohl niemand behelligen würde. Auch andere waren schon seit Jahren nicht mehr in Erscheinung getreten.
Zumindest hatte man nicht davon Notiz genommen.
Vielleicht hatte der Täter nur seine Methode dahingehend geändert, dass man ihn einfach nicht mehr zu identifizieren und mit seinen früheren Taten in Verbindung bringen konnte.
Aber schließlich hatten wir unter den letzten drei Namen einen Volltreffer. Alle drei wurden wegen mehrfacher Auftragsmorde gesucht und waren seit bis zu vier Jahren untergetaucht.
Einer von ihnen hatte ursprünglich als Türsteher der Nobeldisco STARFIRE in der Avenue A angefangen. Das STARFIRE wiederum gehörte mehrheitlich einem Mann namens Ellroy Garcia, der seinen rasanten Aufstieg unter den Drogenbossen des Big Apple der Tatsache verdankte, dass er so etwas wie der Stadthalter der Miami-Connection in New York war.
Der Geburtsname dieses Killers lautete Michael Chambers.
„Bingo!“, meinte Milo. „Dieser Chambers könnte unser Mann sein!“
„Leider wird er sich uns wohl kaum stellen, damit wir ihn in der Sache befragen können“, sagte Max. „Es gibt übrigens sogar eine Verbindung zur Westküste. Chambers ist in Los Angeles geboren.“
„Eine etwas schwache Verbindung“, erwiderte ich.
Max war anderer Ansicht. „Er könnte sich zwischenzeitlich wieder in L.A. niedergelassen und dort auch geschäftliche Verbindungen geknüpft haben. Das wäre durchaus ein Ansatzpunkt.“
In diesem Augenblick schneite Clive in unser Dienstzimmer.
„Trinkt euren Kaffee aus!“, forderte er uns auf. „Einer unserer Informanten hat sich gemeldet und möchte sich mit uns treffen. Ich brauche ein paar Agenten zur Absicherung.“
Ich erhob mich, verzichtete darauf, den inzwischen kalt gewordenen Kaffee auszutrinken, den ich neben dem Computer abgestellt hatte und überprüfte kurz die Ladung meiner Waffe. Milo tat dasselbe.
„Ich werde hier noch ein bisschen für euch weiter machen“, meinte Max. „Wolltet ihr beiden nicht noch bei Francine Benson vorbeisehen?“
„Das werden wir wohl erst einmal verschieben müssen“, erwiderte ich.
Mit zwei verschiedenen Fahrzeugen machten wir uns wenig später auf in Richtung Chelsea.
Treffpunkt mit unserem Informanten war ein Billard-Lokal namens PINK BALLS, das als Szenetipp unter Homosexuellen galt. Wir waren alle mit Kragenmikros und Ohrhörern ausgestattet, sodass wir ständig untereinander in Verbindung waren.
Ich stellte den Sportwagen in einer Seitenstraße ab. Milo und ich stiegen aus. Kaum eine Minute später trafen Clive und Orry mit einem metallicgrauen Chevy ein, den sie gleich hinter uns abstellten.
Clive und Orry stiegen aus und überprüften den Sitz ihrer Waffen.
„Unser Mann heißt Jack Luigini“, sagte Clive. „Und dieses Lokal hat er deswegen als Treffpunkt vorgeschlagen, weil er glaubt, dass ihm hierher niemand von seinen Leuten aus Little Italy folgen würde!“
Für viele Italoamerikaner war es schlicht unvorstellbar, ein Schwulenlokal zu betreten und sich damit dem Verdacht auszusetzen, eventuell selbst homosexuell zu sein. Daher galten Lokale wie das PINK BALLS als relativ sicherer Treffpunkt für Mafia-Informanten.
Trotzdem mussten wir die Augen offen halten.
Ein extern angeheuerter Profikiller hatte vielleicht weniger Skrupel als die eigene Verwandtschaft, was einen Besuch im PINK BALLS anbetraf.
„Luigini, ist das nicht auch einer der Unterbosse des Marini-Syndikats?“, fragte Milo.
Clive nickte. „Richtig. Und normalerweise steht der Kerl nun wirklich nicht auf unserer Informantenliste. Ich werde mit Orry hineingehen und mit ihm reden. Jesse und Milo, ihr bewacht den Hintereingang, Jay und Leslie sind vorne auf der Lauer. Wir bleiben die ganze Zeit über Interlink miteinander in Kontakt. Wenn irgendetwas Ungewöhnliches geschieht, will ich das sofort wissen. Insbesondere meine ich damit Gäste, die für Unfrieden sorgen könnten.“
„Ich nehme an, Luigini ist so gut wie tot, wenn seine Leute herausfinden, dass er mit uns geredet hat“, vermutete ich.
„Ja“, nickte Clive. „Und wir können nur hoffen, dass ihm nicht schon jemand auf den Fersen ist. Allerdings halte ich es genauso für möglich, dass er von Marini geschickt wurde, um irgendwelche Informationen zu lancieren, die die Feinde der Marini-Familie belasten. Wir werden sehen.“
Jay Kronburg meldete sich über Funk von seiner Position in der Nähe des Eingangs.
„Luigini ist gerade eingetroffen“, sagte der ehemalige Cop. „Er hat sich mit einem Taxi bringen lassen.“
„In Begleitung?“, fragte Clive.
„Nein, er ist allein. Offenbar traut er nicht einmal seinen Bodyguards.“
Orry blickte auf die Uhr an seine Handgelenk. „Pünktlich wie die Maurer.“ Er griff in die Innentasche und reichte mir ein Foto, das einen Mann mit Halbglatze zeigte. Name: Luigini, Vorname: Giacomo, genannt „Jack“, stand dazu in fetten Lettern. Darunter waren sämtliche Angaben zur Person aufgelistet, die über NYSIS abrufbar waren. „Damit ihr wisst, wie Luigini aussieht!“
„Ich liebe gut vorbereitete Einsätze!“, flachste Milo.
„Luigini hat den Termin sehr kurzfristig gesetzt“, sagte Clive. „Sorry, aber darum ging es vorhin so hopplahopp. Haltet die Augen auf!“
„Keine Ursachen“, meinte ich. „Wenn was dabei herauskommt.“
––––––––
WIR STIEGEN IN DEN Sportwagen und fuhren in eine Nebenstraße. Dorthin war der Hinterausgang des PINK BALLS ausgerichtet. Es gab eine Laderampe, um die Anlieferung von Getränken zu erleichtern.
Wir parkten auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor einer Reihe mehrstöckiger Häuser im Cast Iron Stil. Chelsea ist im Wesentlichen eine Wohngegend, in der sich allerdings auch viele Künstler angesiedelt haben. Allerdings erreichte dieser Stadtteil, was das betrifft nie die Berühmtheit von Greenwich Village oder SoHo. Ein paar schräge Szene-Lokale gab es hier allerdings auch und in diese Rubrik gehörte das PINK BALLS wohl ebenfalls.
Wir warteten ab.
Die Geräusche aus dem PINK BALLS klingelten uns in den Ohren. Disco-Musik aus den Siebzigern, Stimmengewirr, klirrende Gläser.
Schließlich begann das Gespräch zwischen unseren Kollegen und Jack Luigini.
„Guten Tag, Mister Luigini“, sagte Clive. „Ich bin Special Agent in Charge Clive Caravaggio vom FBI Field Office New York und dies ist mein Kollege Agent Orry Medina. Hier sind unsere ID-Cards. Sie wollten uns sprechen.“
Jack Luigini antwortete erst nach einer kurzen Pause. Offenbar sah er sich die ID-Cards genau an, obwohl ich bezweifelte, dass er überhaupt dazu in der Lage gewesen wäre, eine Fälschung zu erkennen.
„Ich riskiere gerade mein Leben“, sagte er.
Ich überflog derweil den NYSIS-Ausdruck, den Orry uns gegeben hatte. Dutzendfach war Luigini wegen Drogendelikten, Körperverletzung, Verabredung zu Mord und Geldwäsche angeklagt worden, aber er musste gute Anwälte haben. Anderthalb Jahre Riker’s Island wegen Steuerhinterziehung und Betrug, das war alles, was ihm die Justiz bisher rechtskräftig hatte nachweisen können.
Da hatten sich wohl ganze Generationen von Staatsanwälten bis auf die Knochen blamiert.
Luigini gehörte zu der Sorte Gangster, die einfach zu clever war, um sich erwischen zu lassen. Cleverness, die sich vor allem dadurch zeigte, dass man die Drecksarbeit möglichst anderen überließ und selbst eine einigermaßen weiße Weste behielt.
„Was wollen Sie?“, fragte Clive.
„Ich brauche Ihre Hilfe“, erklärte Luigini.
„Mir kommen die Tränen“, sagte Clive kühl. „Am besten, Sie sagen uns klipp und klar, was Sie wollen und wir werden dann sehen, was wir für Sie tun können.“
Luigini sprach in gedämpftem Tonfall. Seine Stimme ging fast im Gewummere des 70er-Jahre-Sounds unter. „Hören Sie zu: Es wird ja wohl nichts Neues für Sie sein, dass im Moment jemand eine blutrote Spur durch Little Italy zieht... Und ich habe Grund zu der Annahme, dass ich auch auf der Todesliste stehe!“
„Warum?“
„Dazu will ich nichts sagen.“
„Hängt es damit zusammen, dass die Toten dieser besonderen Serie allesamt hochrangige Mitglieder des Marini-Syndikats waren und Sie ebenfalls dazu gehören und deshalb befürchten, als einer der nächsten an der Reihe zu sein?“, fragte Clive. „In dem Fall müssten Sie allerdings etwas zugeben, was wir schon lange wissen, nur nicht beweisen können: dass Sie nämlich als Captain in der Organisation Harry Marini fungieren.“
„Niemand kann mich zwingen, etwas zu sagen, womit ich mich selbst belastet, oder?“
„Nein, natürlich nicht.“
„Na also!“
„Vielleicht hätten Sie einen Anwalt mitbringen sollen, Mister Luigini.“
„Es ist mir wirklich verdammt ernst. Ich würde nicht zu Ihnen kommen, wenn mir das Wasser nicht bis zum Hals stünde und.“
Er brach ab.
„Und was?“, hakte Clive nach.
„Ich will aussteigen. Ich habe vor drei Jahren geheiratet, meine Frau erwartet ihr zweites Kind und mir ist klar, dass es so nicht weiter geht.“
Clive verzog das Gesicht. Der flachsblonde Italoamerikaner beugte sich etwas vor und sprach in gedämpftem, Tonfall weiter. „Aber Ihr Vermögen, dass Sie im Drogenhandel und mit Geldwäsche erwirtschaftet haben, dass wollen Sie behalten, sehe ich das richtig?“
Jack Luigini nickte.
„Ich will Sicherheit für mich und meine Familie. Eine neue Identität und so weiter.“
„Das wird nur was, wenn wir dafür etwas geliefert bekommen.“
„Schon klar.“
„Und was könnte das in Ihrem Fall sein?“, fragte Clive. „Sie werden uns schon einiges bieten müssen, sonst wird das wohl nichts.“
Jack Luigini zögerte, ehe er nach kurzer Pause schließlich weitersprach. „Sie sind doch an dem Fall Jimmy DiCarlo dran, oder?“
„Ja.“
„Ich kann Ihnen einiges zu Jimmys Geschäften sagen.“
„DiCarlo ist tot“, unterbrach Clive ihn. „Wir sind an den aktiven Syndikatsbossen interessiert. Sie wollen wir hinter Gitter bringen. DiCarlo steht schon vor seinem Richter, aber an Leute wie Harry Marini kommt niemand heran.“
„Ich will Ihnen ja helfen, Agent Caravaggio.“
„Da bin ich aber gespannt. Bis jetzt habe ich nämlich den Eindruck, dass da nicht viel mehr als heiße Luft kommt!“
„Da irren Sie sich!“
„Beweisen Sie es.“
Eine weitere Pause entstand.
Jack Luigini atmete so heftig, dass man es über die Kragenmikros von Clive und Orry sogar in unseren Ohrhörern vernehmen konnte.
„DiCarlo betrieb als Strohmann eine Import-Export-Firma, die dazu diente, Drogen aus Mittelasien zu importieren. Vor allem Heroin aus Afghanistan, Kirgisien, Usbekistan. Zum Beispiel hat er eine Schiffsladung mit Karussells und Riesenrädern eingeführt.“
„Das Zeug, das man jetzt auf dem Jamaica Bay Fun Park sehen kann!“
„Ja. Das hohle Gestänge war mit Heroin voll gestopft. Mehrere Tonnen sind mit dieser Ladung importiert worden. Bei der Hafenpolizei und beim Zoll hatte Jimmy seine Leute, die er schmieren konnte.“
„So ähnlich haben wir uns das schon gedacht, nur konnten wir das Jimmy DiCarlo zu Lebzeiten nie beweisen.“
„Ich soll jetzt Jimmys Geschäfte übernehmen“, erklärte Luigini in einem Tonfall, der eine gewisse Selbstverständlichkeit signalisierte.
„Glückwunsch für Sie. Harry Marini scheint Ihnen zu vertrauen.“
„Harry Marini steht mit dem Rücken zur Wand, weil die Miami-Leute zum Angriff blasen und uns vom Markt fegen wollen. Da ihr Stoff zu teuer war, haben sie es mit marktwirtschaftlichen Mitteln nicht geschafft, jetzt schicken sie ihre Killer aus. Kein Mensch versteht, weshalb Marini nicht schon längst massiv zurückgeschlagen hat. Aber der Mann, der sich selbst gerne als den Duce von Little Italy sieht, ist alt geworden. Vielleicht zu alt.“
„Handelt es sich bei dieser Firma um KLM Ltd. & Co., deren Firmengelände gleich neben alten Navy Yard liegt?“, fragte Clive.
Luigini schien erstaunt zu sein. Er hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass darüber bei uns schon etwas bekannt war. Sein Atem klang schwer.
„Alle Achtung“, stieß er hervor. „Sie sind gut informiert. Und wie ich annehme, werden Sie diese Firma jetzt genauestes beobachten und versuchen, die nächste verdächtige Lieferung auffliegen lassen. Aber Sie täuschen sich. Für eine weitere Großlieferung würde niemals wieder KLM Ltd. &Co. benutzt werden.“
„Sondern?“
„Eine andere Firma. Jimmy hatte sie bereits durch einen Strohmann übernommen. Es ist alles bereit. Und ich bin der Mann, der Ihnen erstens genau sagen könnte, wann und wo es so weit ist und zweitens Ihnen auch dabei helfen könnte, eine Verbindung zu Marini zu ziehen. Nach Jimmys Tod bin ich nämlich diese Verbindung. Was ist? Kommen wir ins Geschäft?“
„Wie heißt die Firma?“, fragte Clive.
„So läuft das nicht. Sie wollen die Ware vor der Bezahlung, Caravaggio!“
„Für Sie immer noch AGENT Caravaggio! So viel Zeit muss sein!“
„Ein Italiener, der andere Italiener jagt. Wenn ich nicht in einer derart beschissenen Lage stecken würde, würde ich vor Ihnen ausspucken!“
„Übertreiben Sie mal nicht. Wenn Sie wollen, dass ich bei meinem Chef und beim zuständigen District Attorney ein gutes Wort für Sie einlege, sollten Sie mir etwas bieten. Der Name dieser Firma wäre ein Anfang – dann hatte ich es leichter darzulegen, wie wichtig sie für uns sind.“
„Okay... aber Gnade Ihnen Gott, wenn Sie mich hereinlegen.“
„Auf mich können Sie sich verlassen. Ich hoffe, dass gilt umgekehrt auch.“
„Geben Sie mir die Hand drauf, Agent Caravaggio!“
„Bitte!“
„Der Name der Firma lautet Morgan & Jennings Ltd. Adresse finden Sie im Telefonbuch. Geschäftsführer ist ein gewisser Jason Finch, aber der macht nur das, was ich sage. Er ist noch nicht mal im vollen Umfang über die Art der Geschäfte informiert, die über seine Firma abgewickelt werden.“
„Wir werden Ihre Angaben überprüfen, Mister Luigini.“
„Und wie lange wird das dauern?“
„Das geht schnell. Ein, zwei Tage. Bis dahin haben wir auch eine definitive Entscheidung, was Ihren Wunsch nach einer neuen Identität für Sie und Ihre Familie angeht.“
„Okay.“
„Dann werden Sie uns nur noch Marini liefern müssen.“
„Das werde ich, Agent Caravaggio.“
„Hier ist meine Karte.“
„Danke.“
Milo und ich konnten ein Taxi beobachten, das am Hinterausgang wartete. Der Fahrer war ein Schwarzer in den mittleren Jahren.
Den Motor ließ er laufen.
„Dreimal kannst du raten auf wen der wartet“, raunte Milo mir zu.
Einen Augenblick später meldete Clive, dass Luigini sich anschickte das Lokal zu verlassen – und zwar durch den Hinterausgang.
Es dauerte knappe zwei Minuten, bis Luigini den Hinterausgang passierte.
Er war ziemlich in Eile, stolperte fast die Treppe hinunter, die seitlich an der Laderampe empor führte und lief auf das Taxi zu. Mit einer ruckartigen Bewegung riss er die Seitentür auf und setzte sich hinein. Mit quietschenden Reifen fuhr das Taxi los.
Es herrschte Einbahnverkehr. Der Taxifahrer trat das Gas voll durch. Der Motor heulte auf.
Nur wenige Sekunden später musste er in die Eisen treten, als ein dunkler Van plötzlich aus der Reihe parkender Fahrzeuge ausscherte. Die Scheiben waren dunkel getönt, sodass man nicht ins Innere sehen konnte.
Das Taxi kam mit quietschenden Reifen zum Stillstand. Der Van fuhr an.
In der Heckklappe befand sich eine Öffnung im Blech, die dort wohl kaum serienmäßig hingehörte.
Ein dunkler, rohrartiger Gegenstand ragte ein paar Zentimeter daraus hervor.
Die Mündung einer Waffe.
Zweimal kurz hintereinander blitzte Mündungsfeuer auf. Es war kein Schussgeräusch zu hören.
Die Kugeln ließen die Frontscheibe des Taxis zu Bruch gehen. Zuerst erwischte es Jack Luigini. Ein Kopfschuss nagelte ihn regelrecht an die Nackenstütze des Beifahrersitzes. Nur eine Sekunde später fiel der Kopf des Fahrers zur Seite. Er hatte noch versucht, sich zu ducken, aber der Schütze hatte das vorausgeahnt.
Die Reifen des Van drehten durch.
Der Wagen machte einen Satz nach vorn und raste die Einbahnstraße entlang.
Ich ließ den Sportwagen ebenfalls aus der Parklücke schnellen, während Milo mit der Waffe aus dem Fenster langte. Aber er hatte keine freie Schussbahn.
„Verdammt nochmal, was ist da los bei euch?“, fragte Clive über Funk.
„Aus einem schwarzen Van mit verdecktem Kennzeichen ist auf Luigini geschossen worden!“, rief ich – viel lauter, als es zum Empfang per Kragenmikro eigentlich notwendig gewesen wäre. Den Sportwagen ließ ich mit der rechten Seite über den Bürgersteig fahren, nahm dabei eine übervolle Mülltonne mit, die scheppernd zu Boden ging und raste weiter.
Um Haaresbreite kam ich an dem leicht schräg stehenden Taxi vorbei und brauste mit dem Sportwagen die Straße entlang. Der Van war inzwischen links abgebogen. Ich fuhr hinterher.
Aus der Öffnung in der Heckklappe des Van wurde geschossen.
Immer wieder blitzte das Mündungsfeuer auf.
Wir duckten uns.
Das Glas der Frontscheibe zersplitterte. Scherben regneten über uns ab. Ich trat die Bremse. Der Sportwagen kam zum Stillstand. Ich schüttelte mir die Scherben aus den Haaren. Milo wurde etwas schneller mit der Situation fertig.
Er riss den Lauf der automatischen Pistole vom Typ SIG Sauer P226 empor und drückte ab.
Insgesamt dreimal kurz hintereinander.
Wie die blutrote Zunge eines Drachen schoss das Mündungsfeuer aus dem Lauf der Waffe heraus.
Mehrere Kugeln durchschlugen die hintere Heckklappe. Sie stanzten fingerdicke Löcher in das dünne Blech und hatten zweifellos auch die dahinter befindliche Verkleidung durchschlagen.
Den Schützen beeindruckte das nicht. Er feuerte weiter, bis der Van die nächste Kurve erreichte. Diesen Moment nutzte ich, tauchte hinter dem Steuerrad hervor, riss die SIG empor und feuerte auf die Hinterreifen.
Ein Reifen platzte.
Der Fahrer hatte alle Mühe, den Van in der Spur zu halten. Gummistücke flogen durch die Luft. Die Felge ratschte Funken sprühend über den Asphalt.
Der Van raste weiter, war hinter der Ecke verschwunden.
Ich trat das Gas durch.
Von vorne wehte uns der Fahrtwind durch die zerschossene Frontscheibe des Sportwagens. Ich bog ebenfalls um die Ecke und nahm einer Limousine dabei die Vorfahrt. Der Fahrer musste stark abbremsen. Die Reifen quietschten. Ich beschleunigte den und konnte gerade noch sehen, wo der schwarze Van um die nächste Ecke nach links in eine Einbahnstraße einbog.
Aber in entgegengesetzter Fahrtrichtung.
Ein Hupkonzert drang aus dieser Seitenstraße hervor.
Als wir die Ecke erreichten, wurde mir klar, dass die flüchtenden Killer diesen Weg mit Berechnung gewählt hatten.
Mehrere Fahrzeuge waren dem ihnen entgegenrasenden Van ausgewichen und hatten dabei die an beiden Straßenseiten geparkten Wagen touchiert. Zum Teil hatten sie sich verkeilt und quer gestellt. Die Straße war unpassierbar. Ich musste in die Eisen treten.
Und das mit aller Kraft.
Der Sportwagen stoppte.
Rutschte.
Das Heck brach dabei leicht zur Seite aus.
Zwei Bewaffnete, deren Gesichter von Sturmhauben bedeckt wurden, waren gerade aus dem Van herausgesprungen. Der Größere der Beiden trug eine Maschinenpistole vom Typ MP 7 der Firma Heckler & Koch. Der Andere war mit einem Sturmgewehr mit Präzisionsvisier und Laserzielerfassung bewaffnet. Seit wir den „Killer der Bosse“ verfolgten, hatte ich mir die MK-32 mehrfach auf Abbildungen angesehen und war mir daher ziemlich sicher, dass es sich um eine Waffe dieses seltenen Typs handelte.
Letzte Gewissheit, ob dieser Kerl tatsächlich der Killer war, den wir suchten, würden erst die ballistischen Untersuchungen jener Projektile ergeben, die er an diesem Tatort verschossen hatte. Aber nach Figur und Körperbau hatte ich keinen Zweifel, dass es sich immerhin auf jeden Fall um einen Mann handelte
Der MPi-Schütze ballerte wild um sich.
Wir duckten uns, während ein wahrer Kugelhagel sich über uns ergoss und auch den letzten Zentimeter Glas zu Bruch gehen ließ.
Panikschreie von Insassen anderer Fahrzeuge waren zu hören.
Eine Frau, die sich bis dahin hinter am Straßenrand parkende Fahrzeuge in Deckung gehalten hatte, rannte jetzt wie von Sinnen und ohne Rücksicht auf die Möglichkeit, von den breit und wahllos gestreuten Kugeln des MPi-Schützen getroffen zu werden davon.
Milo und ich konnten nichts tun.
Unsere automatische Pistolen vom Typ SIG Sauer P226 hatten fünfzehn Patronen im Magazin und einen im Lauf. Innerhalb weniger Sekunden verballerte unser Gegner das Doppelte.
Wir konnten uns nur so tief wie möglich ducken, abwarten und hoffen, dass nicht der Tank getroffen wurde.
„Clive, kannst du mich hören? Hier ist Jesse!“, rief ich ins Kragenmikro und hoffte, dass der Empfang über das Interlink noch funktionierte.
Glücklicherweise war das der Fall.
Ich hörte Clives Stimme. Wir befanden uns also noch im Empfangsbereich.
„Verstärkung ist unterwegs!“, versprach der stellvertretende Chef des FBI Field Office New York.
Wie zur Bestätigung seiner Worte hörten wir in der Ferne Polizeisirenen. Die Kollegen vom nächstgelegenen Revier des New York Police Department waren offenbar bereits alarmiert.
Milo stieß die Tür des Sportwagens auf und kroch hinaus.
Der Geschosshagel verebbte.
Milo tauchte hervor, feuerte einmal seine Waffe ab, musste aber sofort wieder in Deckung gehen.
Ich kroch ebenfalls aus dem Sportwagen heraus und arbeitete mich bis zum Heck eines Pizzawagens vor, erhob mich und schnellte anschließend mit der Pistole in beiden Händen hinter aus der Deckung heraus.
Die beiden Killer rannten davon, stießen dabei zufällig vorbeikommende Passanten grob zur Seite.
Ich konnte nicht schießen.
Die Gefahr, Unbeteiligte zu verletzen oder gar zu töten war einfach zu groß.
„Los, hinterher, Jesse!“, rief Milo.
Nur einen kurzen Blick wandte ich noch dem vollkommen zerschossenen Sportwagen zu.
Wir hatten ziemlich großes Glück gehabt.
Wir spurteten hinter den beiden Killern her.
Diese rannten die Straße entlang, bogen seitlich in eine schmale, nur etwa zwei Meter breite Gasse zwischen zwei Häusern ein. Wir erreichten diese Gasse und folgten den beiden.
Schließlich erreichten wir einen Hinterhof.
Ein paar Jugendliche spielten hier Basketball.
Ich zog meine FBI-Card.
„Habt ihr gerade zwei Typen mit Sturmhaube gesehen?“, sprach ich die Basketball-Spieler an, deren Alter ich zwischen zwölf und sechzehn schätzte.
Die Kids deuteten auf eine etwa zwei Meter hohe Mauer am anderen Ende des Hinterhofs.
„Da sind die rüber geklettert“, meinte einer der Jungs. „Wie in den Werbefilmen, mit denen die Army an den Schulen dafür wirbt, dass man sich für den Krieg im Irak meldet! Ruckzuck ging das!“
„Danke.“
Ich war bereits im Begriff loszurennen. Aber einer der Kids wollte uns offenbar noch was sagen.
So blieb ich stehen.
„Hey, G-man, da war noch was!“
„Was denn?“
„Einer hatte `ne MPi, der andere so ein längeres Gewehr mit `ner Menge Zieloptik oben drauf...“
„Wissen wir.“
„Dem mit der langen Büchse ist beim Hochklettern der Ärmel hoch gerutscht. Man konnte ziemlich deutlich sein Tattoo sehen.“
„Was für’n Tattoo?“
„Eine Sonnenblume. Kotzgelb. Sah Scheiße aus.“
––––––––
MILO HATTE INZWISCHEN die Mauer längst erreicht, sich emporgezogen und war auf der anderen Seite wieder abgesprungen.
Ich tat dasselbe.
Als ich oben auf der Mauer befand, sah ich Milo auf der anderen Seite stehen und sich ziemlich ratlos umblicken.
„Keine Spur von denen!“
„Verdammt!“
Ich sprang nun ebenfalls, federte ab und ließ den Blick schweifen.
Eine Parklücke fiel mir auf. Ich ging hin.
„Was hast du vor?“, fragte Milo.
Ein Wagen wollte sich in die Parklücke hineinsetzen, aber ich trat ihm mit dem FBI-Ausweis in der Hand entgegen und bedeutete dem Fahrer, wieder zurückzusetzen.
Dieser ließ die Seitenscheibe hinunter und beschwerte sich lautstark.
„Heh, was soll das?“
„FBI!“
„Ja, und?“
„Dieser Parkplatz ist beschlagnahmt!“, erklärte ich. „Setzen Sie zurück, andernfalls behindern Sie die Justiz bei der Aufklärung eines Verbrechens!“
Der Kerl im Wagen – einem metallicgrauen Mitsubishi – sah mich vollkommen fassungslos an.
„Das kann ja wohl nicht wahr sein!“, schimpfte er.
„Ist es aber leider!“, gab ich zurück.
Angesichts des chronischen Parkplatzmangels in New York City, konnte ich seinen Ärger durchaus verstehen.
Aber ich war überzeugt davon, dass wir hier vielleicht eine wichtige Spur vor uns hatten.
Der Wagen setzte zurück. Ich hörte den Fahrer noch schimpfen, irgendetwas von Polizeiwillkür.
„Was ist los, Jesse, habe ich was übersehen?“, fragte Milo unterdessen.
„Wird sich zeigen.“ Ich deutete auf dunkle Reifenspuren, die sich in den Asphalt hinein gebrannt hatten. „Die sind frisch.“
„Das war ein Kavaliersstart“, stimmte Milo mir zu.
„Genau.“
„Aber um einen Wagen kurzzuschließen, hatten sie nicht genug Zeit – mal davon abgesehen, dass das bei den meisten neueren Fabrikaten auch normalerweise gar nicht mehr so einfach möglich ist.“
„Sie hatten hier einen Wagen zum Wechseln bereitgestellt“, war ich überzeugt. „Das ist die einzige Erklärung, die Sinn ergibt!“
Milo atmete tief durch
„Jedenfalls wissen wir jetzt, dass der Killer, hinter dem wir her sind, nicht allein operiert. Also kein einsamer Profi-Wolf, der völlig losgelöst vom Mafia-Mob seine Aufträge bekommt und dessen Identität vielleicht sogar nicht einmal die Auftraggeber kennen. Wenn du mich fragst, ist das ein gutes Zeichen.“
„Wieso?“
„Weil unsere Chancen ihn zu kriegen dadurch viel größer geworden sind.“
„Ich hoffe, da hast du Recht.“
Milo griff zum Handy. „Ich sorge mal dafür, dass sich irgendwer dieser Spuren hier annimmt.“
„Besser du forderst einen unserer eigenen Erkennungsdienstler an, die sind vermutlich schneller hier, als die Kollegen der Scientific Research Division.“
„Schon klar.“
Das Hauptquartier der SRD lag nämlich in der Bronx und das bedeutete, dass sie sich erst durch Halb Manhattan quälen mussten, bevor sie hier anlangten.
Während Milo telefonierte und dazu erstmal ein paar Schritte weitergehen musste, um ein stabiles Netz zu bekommen, wimmelte ich bereits den nächsten Interessenten für den scheinbar freien Parkplatz ab.
Und es würde auch wohl kaum der letzte sein.
––––––––
ES WURDE UMGEHEND EINE Großfahndung nach den beiden Killern ausgelöst. Weiträumige Straßensperren, Kontrollpunkte und eine Überwachung mit Helikoptern sollten den Erfolg bringen.
Aber der ganze Aufwand erwies sich letztlich als vergebens.
Die Anhaltspunkte waren zu dünn.
Wir wussten ja nicht einmal, welches Fabrikat der Wagen hatte, mit der die beiden Killer verschwunden waren. Ein Passant glaubte, einen blauen Ford gesehen zu haben, aber der Aussage eines Friseurs, der seinen Laden auf der anderen Straßenseite hatte, war es vielmehr ein Chevrolet gewesen, der mit quietschenden Reifen aus der Parklücke herausgeschossen war.
Verlässliche Zeugenaussagen gab es nicht.
Jedenfalls fanden sich bei keiner der durchgeführten Kontrollen eine MP 7, eine MK-32, Sturmhauben oder die Tätowierung einer Sonnenblume auf dem Unterarm eines Verdächtigen.
Nachdem Kollegen gekommen waren, um die Reifenspuren zu untersuchen, zu fotografieren, deren exakte Breite festzustellen und möglicherweise sogar Rückschlüsse auf Reifen- und Fahrzeugtyp anzustellen, kehrten wir zu Fuß zum eigentlichen Tatort am Hinterausgang des PINK BALLS zurück. Dabei kamen wir zunächst an dem völlig zusammengeschossenen Sportwagen vorbei.
„Auf den werden wir wohl eine Weile verzichten müssen, Jesse“, war Milos erstaunlich trockener Kommentar.
„Ich hoffe nur, dass man ihn in der Werkstatt wieder richtig hinbekommt“, erwiderte ich.
„Keine Sorge, der wird schon wieder. Ich weiß ja, wie sehr du an dem Wagen hängst.“
„Ach, wirklich?“
––––––––
EINIGE BEAMTE DER CITY Police umringten inzwischen den schwarzen, an einen Leichenwagen erinnernden Van, aus dem heraus geschossen worden war.
Wir begrüßen sie kurz und sahen uns das Gefährt an. In der Hecklappe war ein Loch zum schießen. Von innen war die Heckklappe mit einer Panzerplatte verstärkt, sodass der Schütze ziemlich sicher sein konnte, selbst auf jeden Fall mit heiler Haut davonzukommen. Innen befanden sich ein Sitz sowie eine Halterung für den Gewehrlauf. Die erleichterte es sicherlich ungemein, die Waffe auch während der Fahrt einigermaßen ruhig zu halten.
„Der Wagen eines Killers“, stellte ich fest.
„Das Fahrzeug wurde vor einem halben Tag als gestohlen gemeldet“, erklärte einer der NYPD-Kollegen, an dessen Uniform Name und Rang zu sehen waren: Lieutenant R. Montgomery.
„Dann sind unser Sonnenblumenmann und sein Komplize ziemlich fix gewesen, was den Umbau betrifft“, meinte Milo.
Montgomery zuckte die Schultern.
„Mit etwas Routine und dem passenden Werkzeug ist das doch eine Sache von einer halben Stunde“, war der NYPD-Lieutenant überzeugt. „Mein Schwager hat eine Autowerkstatt. Bevor ich beim Police Department anfing, habe ich da immer mal ausgeholfen.“
„Sorgen Sie peinlich genau dafür, dass hier niemand etwas ohne Latexhandschuhe anfasst“, sagte ich. „Vielleicht haben wir ja Glück und wir finden irgendetwas.“
Winzige DNA-Spuren. Speichelreste, Schweiß, Sekrete die bei einem Niesen den Körper verlassen hatten oder geringfügigste Hautabschürfungen, ein abgekauter Fingernagel oder ein einzelnes, ausgegangenes Haar. Selbst aus den vergleichsweise kleinsten Resten verwertbaren Erbmaterials konnte man mit neueren Verfahren die Identität eines Täters mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit feststellen.
Ich telefonierte noch einmal kurz, um in Bezug auf die Spurensicherung etwas Druck zu machen. Wenn es überhaupt Spuren gab, die uns weiterbringen konnten, dann vielleicht in diesem Wagen und ich wollte nicht, dass uns diese Chance vermasselt wurde.
Etwas später erreichten wir die Rückfront des PINK BALLS.
Inzwischen waren dort zahlreiche Einsatzfahrzeuge von NYPD und Emergency Service eingetroffen. Außerdem ein Wagen des Coronors zum Abtransport der Leichen.
Wir trafen kurz auf den Gerichtsmediziner Dr. Brent Claus, der uns freundlich grüßte. „Ich weiß, ihr wollt den Bericht so schnell wie möglich!“, meinte er.
Clive und Orry waren ebenso in der Nähe wie auch Jay, Leslie und unsere Kollegen Sam Folder und Dave Oaktree.
Dave hatte bereits ein Projektil gesichert.
Es war durch den Kopf von Jack Luigini hindurch gedrungen, hatte einen fingerdicken Kanal durch das Gehirn gefräst, anschließend die Polsterung der Nackenstütze durchschlagen und war schließlich im Polster der Rückbank stecken geblieben.
„Dass es sich um das passende Kaliber für die MK-32 handelt, wissen wir jetzt schon einmal“, kommentierte Dave das Auffinden des Projektils, das er in einem Cellophanbeutel gesichert hatte. „Ob es wirklich aus derselben Waffe abgefeuert wurde...“
„...lässt sich natürlich erst nach genaueren Untersuchungen sagen“, vollendete ich seinen Satz.
Er nickte.
„Ja, aber die Umstände legen das doch ausgesprochen nahe, Jesse.“
Ich ballte unwillkürlich die Fäuste.
„Verdammt, wir waren so nahe dran!“, knurrte ich. Die Tatsache, dass dieser Killer und sein Helfer uns durch die Lappen gegangen waren, hatte ich noch immer nicht richtig verwinden können. In diesen Momenten geht man die entsprechende Situation immer und immer wieder im Kopf durch und fragt sich, was man hätte besser machen können, wo man einen Fehler hätte vermeiden oder auf einem völlig anderen Weg zum Erfolg kommen können.
Es ist sinnlos.
Man weiß es.
Und trotzdem lässt sich eine solche Denkschleife im Kopf nur sehr schwer aufhalten.
Und wenn man dann damit anfängt darüber nachzudenken, dass ein gefährlicher Verbrecher, jetzt wieder in den Straßen New Yorks frei herumlief und es nur eine Frage der Zeit war, wann er das nächste Opfer zu Boden streckte, hatte man verloren.
Aber das ist auch ein Teil unseres Jobs - mit solchen Dingen fertig zu werden, die Gedanken auch dann geordnet zu halten, wenn man mit dem Unfassbaren konfrontiert wird.
An manche Dinge doch kann man sich trotz aller Professionalität, trotz aller Disziplin, der man sich in unserem Job unterwerfen muss, niemals gewöhnen.
An den Anblick unschuldiger Menschen, die Opfer eines Verbrechens wurden zum Beispiel.
Mochte Jack Luigini auch ein Verbrecher sein, der sich seinen Reichtum auf illegale Weise verschafft und mit Blut bezahlt hatte – jetzt war er ein Opfer, das mehr als unser Mitgefühl verlangte. Die Entschlossenheit nämlich, diejenigen zu finden, die für seinen Tod verantwortlich waren. Noch viel mehr galt dies für den getöteten Taxifahrer. Er hatte mit den Mafia-Kriegen, in die jemand wie Jack Luigini zweifellos verwickelt war, nicht das Geringste zu tun. Der einzige Umstand, der ihn zum Opfer gemacht hatte, war, dass er zu falschen Zeit am falschen Ort gewesen war.
Die Arbeit am Tatort zog sich hin.
„Der Killer muss sehr gut über Jack Luigini informiert gewesen sein“, sagte ich irgendwann zu Milo und Clive. „Und wir sollten uns fragen, wie das möglich war.“
„Worauf willst du hinaus, Jesse?“, hakte Clive nach.
Ich zuckte die Schultern.
„Der Kerl mit der Sonnenblume wusste, dass Luigini sich hier mit uns treffen würde – im PINK BALLS, einem Ort, den kein Mafiosi unter normalen Umständen betreten würde!“
„Vielleicht ist er von jemandem aus seinem engerem Umfeld verraten worden!“, glaubte Milo.
„Möglich“, knurrte ich.
„Aber da passt einiges nicht zusammen“, erwiderte Clive. Der flachsblonde Italoamerikaner kratzte sich am Nacken und schüttelte nachdenklich den Kopf. „Selbst Jack Luigini glaubte nicht, dass die Miami-Connection hinter den Morden an Marinis Leuten steckte – aber das was du gesagt hast, legt doch eigentlich eher den Schluss nahe, dass Marini selbst eine Säuberung in seiner Organisation durchgeführt hat.“
„Würde das nicht die Nachsicht erklären, die Marini bisher gegenüber der Konkurrenz aus Miami geübt hat?“, fragte Orry, der gerade hinzugetreten war, aber das, was zuletzt gesprochen wurde, noch mitbekommen hatte. Unser indianische Kollege fuhr fort: „Marini will wieder Geschäfte mit den Miami-Leuten machen. Warum sollte er sie attackieren, wenn er doch weiß, dass sie mit den Morden nichts zu tun haben. So ergibt sich schon ein Sinn!“
„Im Fall von Jack Luigini hatte der selbsternannte Duce von Little Italy natürlich ein Motiv“, gestand ich zu.
„Aber nur, wenn man voraussetzt, dass Marini von Luiginis Absicht, mit uns zusammenzuarbeiten, wusste“, gab Milo zu bedenken.
Ich nickte.
„Einverstanden. Aber was ist mit den anderen Ermordeten? Haben wir irgendetwas, was darauf hindeuten könnte, dass Jimmy DiCarlo zum Beispiel gegen seinen Paten etwas im Schilde geführt hätte?“
„Bislang haben wir kein gemeinsames Motiv“, stimmte Clive zu. „Aber das muss ja nicht bis in alle Ewigkeit so bleiben, oder?“
––––––––
DER BLAUE FORD BOG in eine breite Allee ein, die von schmucken Bungalows gesäumt wurde. Diese bürgerliche Wohngegend gehörte zu Riverdale, das im Norden der Bronx lag. Zumeist wird die Bronx mit den verfallenden und in Dutzenden von Gangsterfilmen als Kulisse dienenden South Bronx identifiziert, einem Stadtteil, in dem sich die Polizei allenfalls in Mannschaftsstärke in die Gebiete der brutalen Drogengangs traut und wo die Gewalt und die Sucht nach mit Backpulver zu Crack aufgekochtem Kokain das tägliche Leben bestimmt. Aber erstens hatte es immer schon daneben auch eine bürgerliche, fast gediegene Seite der Bronx gegeben, für die Riverdale stellvertretend stand, und zweitens hatte sich inzwischen auch in der South Bronx eine Menge getan.
Der Ford hielt vor einem der Bungalows.
„Willst du noch auf einen Drink mit hereinkommen, Bud?“, fragte der Mann mit dem Sonnenblumen-Tattoo am Unterarm.
Der Mann am Steuer schüttelte den Kopf.
„Besser nicht.“
„Wieso?“
„Weil ich erst den Wagen verschwinden lassen will.“
„Bud, du bist einfach zu ängstlich.“
„Kann sein, dass ich das alles etwas gelassener sehen kann, wenn ich einmal so viele solche Jobs hinter mir habe, wie du.“
„Bestimmt.“
„Bis dahin gehe ich gerne auf Nummer sicher.“
Der Mann mit dem Sonnenblumen-Tattoo verzog das Gesicht zu einem Grinsen, dass eher wie das Zähneblecken eines Raubtiers aussah. Sein Blick wirkte sehr intensiv, so als wollte er Bud damit regelrecht durchbohren und bis zum tiefsten Inneren seiner Seele sehen. „Denke immer daran, dass du nicht allein bist, Bud. Bei allem, was du tust, ER ist bei dir und erfährt, was du machst. Früher oder später wirst du deinen Lohn dafür erhalten.“
„Ja, ich weiß.“
„Vergiss es nie!“
„Nein. Niemals.“
Das Lächeln des Sonnenblumenmannes wurde noch etwas breiter.
Vorne links blitzte ein Goldzahn auf.
ER ist bei dir...
Bud hatte diesen Satz nie wie eine Drohung verstanden, aber so wie der Tätowierte ihn jetzt ausgesprochen hatte, klang er beinahe danach. Bud versuchte, den Gedanken daran zu verdrängen. Du bist auf der richtigen Seite und ER weiß es!, dachte er. Auf IHN kannst du dich verlassen, seit du dein neues Leben begonnen hast. Wenn es eine Gewissheit gibt, dann die!
Das Grinsen des Sonnenblumenmannes gefror.
Bud erwiderte dieses Grinsen nur schwach und verhalten. Er war beileibe nicht zimperlich, aber manchmal erschauerte er angesichts der Eiseskälte, die die Vorgehensweise seines Partners kennzeichnete.
Aber nur dadurch, ist er der geworden, der er ist!, vergegenwärtigte sich Bud.
„Also Adios!“, sagte der Sonnenblumenmann und öffnete die Tür. „Ich rufe dich an, wenn es Arbeit gibt.“
„Okay.“
„Also dann.“
„Mir macht diese junge Frau Sorgen.“
„Zerbrich dir nicht den Kopf darüber, Bud, überlass das denken besser mir.“
„Ich würde die Kleine sicherheitshalber ausradieren.“
Der Sonnenblumenmann zuckte mit den Schultern.
„Im Prinzip ist nichts dagegen einzuwenden, Bud“, fand er, „aber ich brauche sie noch...“
„Wozu?“
„Ach, Bud ...“
„Ich halte sie für unzuverlässig!“
„Lass uns das später besprechen, Bud.“
Der Sonnenblumenmann schlug die Tür zu, umrundete das Heck des Wagens und öffnete den Kofferraum. Mit ein paar Handgriffen hob er den doppelten Boden an und zog eine MK-32 darunter hervor. Sie steckte in einem länglichen Futteral, das an eine Tasche für Golfschläger erinnerte.
Er lächelte zufrieden.
Gutes Stück, dachte er.
Die meisten Leute in der Gegend besaßen mindestens eine automatische oder halbautomatische Waffe. Da mochten die Waffengesetze des Staates New York noch so streng sein. Die Angst vor der Kriminalität war allgegenwärtig und viele Bewohner Riverdales glaubten, sich nur dadurch davor schützen zu können, dass sie sich bewaffneten. Was sie dabei übersahen war die Tatsache, dass die statistische Wahrscheinlichkeit, dass diese Waffen tatsächlich einen Kriminellen stoppten viel geringer war als die Möglichkeit, dass ein Mitglied der eigenen Familie damit verletzt oder getötet wurde.
Der Sonnenblumenmann ging in die Einfahrt, während Bud mit dem Ford davonbrauste.
Ich hoffe nur, dass er den Wagen sorgfältig entsorgt!, ging es dem Sonnenblumenmann durch den Kopf.
Er erreichte die Haustür, schloss auf und trat ein.
Mit dem Absatz kickte er die Tür ins Schloss. Durch einen schmalen Korridor ging er ins Wohnzimmer. Das Futteral mit der MK-32 warf er beinahe achtlos auf die ausladende Couch und trat zum Telefon. Er nahm den Hörer ab, wählte aus dem Gedächtnis eine Nummer.
„Francine? Ich brauche noch einmal Ihre Hilfe und möchte, dass wir uns Mittwoch Morgen im Battery Park treffen. Dort, wo die Fähren zur Liberty Island abgehen... Okay.“
Er legte auf...
...und erstarrte, als er in die Mündung einer Waffe blickte.
Es handelte sich um eine Beretta.
Ohne einen Laut war der Kerl aus dem Nebenraum getreten. Der Sonnenblumenmann musterte ihn. Ein kaltes, breites Grinsen stand im Gesicht des breitschultrigen, fast zwei Meter großen Hünen, der die Beretta jetzt etwas anhob.
„Eine Bewegung und ich jage Ihnen eine Kugel direkt zwischen die Augen“, zischte er. „Haben wir uns verstanden? Offensichtlich ja.“
„Wer sind Sie?“
„Jemand der Ihnen schon lange auf den Fersen ist. Sie glauben vielleicht, dass man in San Francisco eine Schweinerei hinterlassen und sich dann einfach so aus dem Staub machen kann. Aber da sind Sie schief gewickelt. Verjährung gibt es nur bei den Weicheiern von der Justiz, dass sollten Sie eigentlich wissen, Smith.“ Er grinste. „Oder wie immer Sie auch in Wahrheit heißen mögen.“
Der Sonnenblumenmann stand vollkommen unbewegt da. Jeder Muskel und jede Sehne seines Körpers waren gespannt. Er warf nicht einmal einen Blick zum Futteral mit der MP-32, weil er genau wusste, dass es sinnlos war, die Waffe erreichen zu wollen.
Der Kerl mit der Beretta näherte sich einen Schritt.
Sein Grinsen wurde noch breiter.
„John Smith – so nennen Sie sich dich gegenwärtig, oder bin ich da vielleicht schon nicht mehr auf dem neuesten Stand?“
„Wenn Sie mich erschießen wollen, bringen Sie es gleich hinter sich“, sagte der Mann mit dem Sonnenblumen-Tattoo. „Ich habe keine Angst vor dem Tod.“
Der Beretta-Schütze kicherte wie irre.
Dabei stieß er ein paar glucksende Laute aus, die zu einem so kräftig gebauten Mann einfach nicht passen wollten und ziemlich grotesk wirkten.
„Man hat mir gesagt, dass Sie ein Spinner sein sollen.“
„So?“
„Vielleicht haben Sie wirklich keine Angst vor dem Tod, aber...“
„Aber was?“
„...vielleicht vor dem, was davor kommt.“ Der Mann mit der Beretta kicherte erneut. „Ich hätte da ein hübsches Programm. Wissen Sie wie das aussieht?“
„Ich bin wahnsinnig gespannt.“
„Haben Sie sich nie gefragt, wie viele Kugeln der menschliche Körper aushält, ohne dass sofort der Tod eintritt? Kommt natürlich immer darauf an, wo man hin schießt. Ich würde mit den Armen und Beinen anfangen, Ihnen Ohren und Nase wegschießen. Ich glaube die Schultern sind auch ungefährlich. Selbst wenn ich Ihnen die Nieren zerschieße, müssten Sie damit noch ein bis zwei Tage leben können, vorausgesetzt ich zerfetze Ihnen nicht irgendeine wichtige Ader. Unglücklicherweise war ich aber nie besonders gut in Biologie.“
Er holte einen Schalldämpfer aus der Tasche seiner Jacke und schraubte ihn auf die Beretta.
Als Smith sich leicht bewegte, riss der Hüne den Lauf der Waffe empor und feuerte. Der Schuss zischte haarscharf an Smith’ Kopf vorbei und senkte sich in die Wand. Ein fingerdickes Loch entstand in der Holzvertäfelung.
„Was wollen Sie?“, fragte der Mann mit dem Sonnenblumen-Tattoo.
„Antworten auf meine Fragen.“
„Bitte!“
„Ich will Name und Adresse der Leute, mit denen Sie zusammen arbeiten.“
„Und ich will eine Garantie dafür, dass ich dieses Plauderstündchen überlebe.“
„Tut mir leid, mehr als ein leichter Tod ist nicht drin, Smith. Das ist nichts Persönliches. Es ist noch nicht einmal meine Entscheidung, aber an der Westküste sind ein paar Leute richtig sauer auf Sie!“
„Was Sie nicht sagen...“
Etwas prallte mit einem dumpfen Schlag gegen eine Scheibe der Fensterfront zur Terrasse.
Ein Vogel, der im Glas wohl das Spiegelbild der nahe gelegenen, im Wind hin und her wiegenden Baumwipfel gesehen hatte.
Der Mann mit der Beretta wandte reflexartig den Blick dorthin.
Auf eine Chance wie diese hatte der Mann, der sich Smith nannte, nur gewartet.
Er schnellte vor, setzte zu einer Folge rascher Karatetritte an und kickte seinem Gegner die Beretta aus der Hand. Ein weiterer Tritt zertrümmerte ihm den Kiefer.
Er stand benommen und schwankend da.
Smith packte ihn und brach ihm mit einem geübten Griff das Genick und ließ seinen Gegner dann zu Boden sinken, wo er in eigenartig verrenkter Haltung liegen blieb.
Besser ich breche hier meine Zelte schleunigst ab!, überlegte Smith.
Er durchsuchte den Toten, nahm ihm sämtliche Dokumente ab und holte anschließend aus der Küche eine Schere, mit der er sämtliche Etiketten aus der Kleidung entfernte.
Dann hielt er plötzlich inne.
Sein ursprünglicher Plan war es gewesen, alles zu zerstören, was etwas über die Identität dieses Mannes hätte verraten können. Als nächste hätte er in einer Apotheke Salzsäure besorgt, um die Fingerkuppen und eventuell auch das Gesicht zu entstellen. Anschließend wäre der Tote in einen Teppich eingewickelt, mit Gewichten versehen und im East River versenkt worden.
Aber der der Mann, der sich zurzeit Smith nannte, war gerade im Begriff, seinen Plan zu ändern.
Nein, dachte er, sie sollen es alle sehen. Sie sollen wissen, was ihnen bevorsteht - zumindest diejenigen, die bereit sind, die Zeichen richtig zu deuten!
Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht des Mannes mit dem Sonnenblumen-Tattoo.
Ein Lächeln, so kalt wie der Tod.
––––––––
JACK LUIGINI HATTE zu Lebzeiten eine schmucke Etage in den Pelham Apartments in der Elizabeth Street bewohnt; eine noble Adresse, wo auf Sicherheit ganz besonderer Wert gelegt wurde, wie die zahlreichen Security Guards und die überall deutlich sichtbar installierte Sicherheitselektronik in der Eingangshalle eindrucksvoll belegten.
Zusammen mit Clive, Orry und einem weiteren Dutzend Kollegen trafen wir dort ein, denn abgesehen davon, dass wir Luiginis Witwe mitteilen mussten, dass ihr Mann erschossen worden war, musste bei Luigini auch eine Hausdurchsuchung durchgeführt werden. Bei einem Mordopfer war das Routine, auch wenn seine Familie das vermutlich ganz und gar nicht angenehm fand.
Milo und ich waren von unseren Kollegen mitgenommen worden, denn der Sportwagen war jetzt erst einmal ein Fall für eine Generalüberholung in der Werkstatt.
Offenbar war der Buschfunk von Little Italy schneller und zuverlässiger, als selbst die Lokalnachrichten der ziemlich sensationslüsternen New Yorker TV-Sender.
Als wir mit unserer Mannschaft von FBI-Einsatzkräften verlangten, eingelassen zu werden, öffnete uns ein Mann, der sich als Ray Scirea vorstellte und als Freund der Familie bezeichnete.
Scirea war uns durchaus ein Begriff.
Er spielte im Marini-Syndikat eine führende Rolle. Als Conciliere von Harry Marini wurde er bei allen wichtigen Entscheidungen ins Vertrauen gezogen. Leider hatten wir einfach nicht genug gegen ihn in der Hand, als dass ein Staatsanwalt daraus eine Anklage hätte machen können, die auch nur den Hauch einer Erfolgschance gehabt hätte.
Wir zeigten ihm unsere Dienstausweise.
„Sie sind wegen der Ermordung von Jack Luigini hier“, stellte Ray Scirea sachlich fest.
„Woher wissen Sie davon?“, fragte Clive.
„Über die Schießerei wurde in den Lokalnachrichten ausführlich berichtet!“
„Aber der Name des Opfers wurde nicht veröffentlicht“, erwiderte Clive kühl.
Um Scireas dünne Lippen spielte ein kühles Lächeln. „Ein Bekannter rief mich an und sagte mir, was geschehen ist.“
„Was für ein Bekannter?“
„Sie erwarten doch nicht, dass ich Ihnen seinen Namen nenne.“
„Was ist dabei?“
„Ganz einfach: Er war Gast in einem Lokal, dass PINK BALLS heißt – und wenn sich das in Little Italy herumspricht, ist er desavouiert. Bei gewissen Leuten jedenfalls.“
„Komisch. Jack Luigini und Ihr Bekannter - gleich zwei Italoamerikaner im PINK BALLS. Es muss Jahre her sein, das es so etwas gegeben hat“, meinte Clive sarkastisch.
„Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass mein Bekannter Italoamerikaner ist?“
„Eins zu Null für Sie, Mister Scirea.“
„Aber Sie haben recht: Es waren zwei Italoamerikaner dort. Schließlich waren Sie doch auch dort, Mister Caravaggio, oder?“
Clives Gesicht wurde zur Maske und mir wäre beinahe der Kinnladen heruntergefallen. Scireas Bemerkung war an Dreistigkeit kaum zu überbieten.
„Ihre Aussage lässt sich so interpretieren, dass Sie Luigini beobachten ließen“, sagte ich.
„Diese Aussage lässt sich aber auch so interpretieren, dass Mister Caravaggio als stellvertretender Chef des Field Office New York im PINK BALLS nicht gerade ein Unbekannter ist!“, erklärte Scirea mit ätzendem Unterton.
Clive wandte sich an mich.
„Vielleicht schaffst du es ja, dich mit diesem Kerl zu unterhalten und dabei ruhig zu bleiben, Jesse. Ich werde inzwischen Mrs Luigini befragen. Wo ist sie?“
„Sie steht unter Schock“, behauptete Scirea. „Und wenn überhaupt, wird sie nur in meiner Gegenwart mit Ihnen sprechen.“
„Soweit ich weiß, haben Sie keine Zulassung als Anwalt, Mister Scirea. Und dass Mrs Luigini nicht mit mir sprechen möchte, dass möchte ich schon gern von ihr selbst hören. Schließlich wollen wir nicht mehr und weniger, als den Mörder Ihres Mannes schnappen.“ Clive verzog das Gesicht. „Aber vielleicht teilen wir dieses Ziel ja gar nicht, Mister Scirea.“
Scirea verkniff sich eine bissige Bemerkung.
Er führte uns in einen weiträumigen Wohnraum mit antiken Möbeln. Eines musste man Luigini lassen. Er hatte Geschmack gehabt.
Mrs Rosa Luigini, eine hübsche, dunkelhaarige Frau, deren Haar ihr lang über die Schultern fiel und auf dem letzten Drittel leicht wellig wurde. Der Blick ihres feingeschnittenen, leicht geröteten Gesichts war nach innen gewandt. Das Make-up verlaufen. Auch die Augen waren gerötet, so als hätte sie geschluchzt.
Clive stellte uns kurz vor. „Es tut mir leid, wenn wir Ihnen Unannehmlichkeiten bereiten, Ma’am, aber Sie werden ertragen müssen, dass unsre Leute sich hier umsehen. Ich möchte Ihnen paar Fragen stellen. Auch wenn der Tod Ihres Mannes für Sie mit Sicherheit ein Schock ist, so dürften Sie doch auch daran interessiert sein, dass der Täter zur Rechenschaft gezogen wird.“
Die Augen von Rosa Luigini verengten sich leicht. „Wenn Sie damit meinen, dass man diesem Mörder die Gelegenheit nimmt, sich vor einer korrupten Justiz zu rechtfertigen und am Ende freigesprochen zu werden, dann ist das keineswegs in meinem Sinn!“, erklärte sie in einem Tonfall, der an klirrendes Eis erinnerte.
„Ich möchte mit Ihnen unter vier Augen sprechen, Mrs Luigini“, beharrte Clive.
Die dunkelhaarige Witwe wechselte einen Blick mit Ray Scirea, der sie beschwörend ansah.
„Lass dich darauf nicht ein, Rosa! Unter keinen Umständen!“
„Mach dir keine Sorgen, Ray“, sagte Rosa Luigini sehr ruhig. „Ich wirke vielleicht schwach und zerbrechlich – ich bin es aber nicht.“
„Dann besteh wenigstens darauf, dass ein Anwalt anwesend ist.“
Rosa Luigini wandte sich an Clive Caravaggio. „Wir können in den Nebenraum gehen, wenn Sie möchten.“
„Gerne...“
Rosa Luigini erhob sich und wandte sich zum gehen.
„Wo ist eigentlich Ihr Kind?“, fragte ich.
Die Witwe drehte sich um. „Als ich vom Tod meines Mannes erfuhr, wollte ich zunächst selbst damit fertig werden. Ich habe jemanden angerufen, der es zu Verwandten gebracht hat. Schließlich konnte ich mir ausmalen, welches Drama sich jetzt hier in unseren vier Wänden abspielen würde.“
Clive und Orry verließen zusammen mit Rosa Luigini den Raum durch eine auf der linken Seite gelegene Schiebetür, die sich selbsttätig öffnete, wenn man eine Lichtschranke passierte.
Dahinter war ein Raum zu sehen, der noch um einiges größer war als der, in dem wir uns im Moment aufhielten. Für New Yorker Verhältnisse hatte die Wohnung der Luiginis geradezu gigantische Ausmaße.
Ich schätzte sie auf mindestens zweihundert Quadratmeter – und das in einer Stadt, wo jeder bewohnbare Quadratmeter Höchstpreise erzielte.
Milo dachte offenbar dasselbe wie ich. „Luiginis Geschäfte müssen gut gegangen sein – sonst hätte er sich ein Schmuckstück wie diese Wohnung wohl kaum leisten können“, sagte er.
Ich hörte ihn wie aus weiter Ferne.
Mit meiner Aufmerksamkeit war ich bei Ray Scirea.
Der Vertraute des großen Harry Marini wirkte nervös. Es gefiel ihm nicht, dass Clive sich mit der Witwe unterhielt und er dieses Gespräch nicht kontrollieren konnte.
Ich nahm mir vor, ihn mit ein paar Fragen zu löchern, damit er von seiner traditionellen Rolle als Wachhund der Marinis etwas abgelenkt wurde.
„Sie sagen, dass Sie ein Freund der Familie wären“, stellte ich fest.
Scirea hob die Augenbrauen und zog sie dann auf eine Weise zusammen, die mir deutlich vermittelte, dass er mich nicht ausstehen konnte. Wahrscheinlich galt das allerdings für jeden, der einen Dienstausweis des FBI bei sich trug.
„Das ist richtig, Mister...“
„Agent Jesse Trevellian, FBI.“
„Man sollte sich von euch G-men eine Liste machen“, knurrte er düster.
„Soll das eine Drohung sein?
„So empfindlich sind Sie, Agent Trevellian?“
„Es war nur eine Frage.“
„Aber eine, auf die ich die Antwort Ihnen überlassen möchte, Agent Trevellian.“
„Reden Sie immer so um den Kern der Sache herum, oder bekommen wir heute noch eine vernünftige Unterhaltung hin, Mister Scirea?“
Ray Scireas Gesicht wirkte so starr wie eine in Granit gemeißelte Statue. Es war keinerlei Regung darin zu erkennen. Manche sagen ja, dass Augen Fenster der Seele wären. In Scireas Fall waren sie jedoch anscheinend reichlich beschlagen.
Er hob die Augenbrauen. „Vergessen Sie es, Trevellian. Stellen Sie Ihre Fragen und verschwinden Sie möglichst schnell wieder.“
„Nichts dagegen, Mister Scirea.“
„Haben Sie Familie? Nein wahrscheinlich nicht. Jemand wie Sie arbeitet doch rund um die Uhr daran, anderen was am Zeug zu flicken. Leuten, die es aus eigener Kraft zu etwas gebracht haben – und zwar deshalb, weil die Familie zu ihnen gehalten hat!“
„Machen Sie das immer so? Eine Frage stellen und selbst die Antwort darauf geben?“
Scirea atmete tief durch. „Diese Art von Familiensinn dürfte Ihnen fremd sein und deswegen werden Sie kaum ermessen können, was Jacks Tod für seine Hinterbliebenen bedeutet. Ihnen wurde das Herz aus der Seele gerissen! Aber Sie haben nichts Besseres zu tun, als eine arme Frau zu quälen und diese Wohnung auf den Kopf zu stellen. Herumzuschnüffeln in der Hoffnung, dass Sie irgendetwas finden, was Sie dann an die Steuerfahndung weitergeben können! Etwas, das Ihnen vielleicht sogar einen Vorwand liefert, um nach dem Rico’s Act Jacks Vermögen einzuziehen. Und so etwas nennt sich dann Gerechtigkeit!“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung, der die gesamte Verachtung, die er empfand, mehr als deutlich wurde. „Pah!“
Mir lag eine gepfefferte Erwiderung auf der Zunge.
Was bildete dieser Kerl sich eigentlich ein, dessen Reichtum auf dem grausamen Schicksal ungezählter Cracksüchtiger beruhte, die in der Bronx oder manchen Straßenzügen in der Lower East Side wie lebende Tote vor sich hinvegetierten und denen im schlimmsten Fall selbst ihre eigenen Kinder gleichgültig waren, wenn sie nur die nächste Lieferung bekamen.
Den nächsten Stein, wie man einen braunen Klumpen Crack auch nannte.
Und der Heroinhandel sowie die Schutzgelderpressung oder die Geldwäsche waren auch nicht gerade Beispiele für ehrbares Unternehmertum.
Es war nicht zu fassen. Leute wie Scirea stellten die Tatsachen in ihrer Sicht der Dinge einfach vollkommen auf den Kopf.
Ich hatte schon tief Luft geholt, aber Milo bedeutete mir mit einem Kopfschütteln, es besser zu lassen. Es hat keinen Sinn!, schien sein Blick zu sagen. Und er hatte Recht.
Also blieb ich – so schwer es mir auch fallen mochte – sachlich.
„Hatten Sie auch geschäftlich mit Mister Luigini zu tun?“, fragte ich.
„Hier und da vielleicht...“
„Was soll das heißen?“
„Das heißt, dass ich den Teufel tun und irgendwelche Aussagen zu diesem Themenkomplex machen werde, es sei denn, Sie verhaften mich als Verdächtigen und klagen mich eines Verbrechens oder Vergehens an. Aber in diesem Fall würde ich Ihnen nur in Anwesenheit eines Anwalts antworten und außerdem...“
„...hätten Sie das Recht zu schweigen, Mister Scirea. Das nimmt Ihnen auch jetzt niemand.“
„Sie haben nichts gegen mich in der Hand, ich weiß also auch nicht, was Sie und Ihre Leute sich hier so aufblasen!“
„Mister Scirea, ich glaube Sie haben mich vollkommen missverstanden. Ich habe nie auch nur den leisesten Verdacht geäußert, dass Sie Mister Luigini umgebracht oder seinen Mord in Auftrag gegeben haben. Um so mehr bin ich jetzt verwirrt darüber, dass Sie offenbar überhaupt keinen Wert darauf legen, mit uns zu kooperieren!“
Ein Ruck ging durch den Körper des Alten.
Er atmete tief durch. Irgendetwas ging ihm hier entschieden gegen den Strich – ich wusste nur noch nicht, was es war. Fürchtete er, dass im Zuge unserer Ermittlungen rund um Jack Luiginis Tod irgendetwas ans Tageslicht kam, dass auch für ihn gefährlich werden konnte?
„Glauben Sie mir, Agent Trevellian, Jack stand mir sehr nahe. Er war mein Großneffe und ich habe jede Stufe seiner geschäftlichen Entwicklung genau verfolgt. Er hatte einfach eine glückliche Hand, bei allem, was er tat.“
„Und trotzdem wollte ihn jemand umbringen.“
Unsere Erkennungsdienstler Sam Folder und Mell Horster gehörten ebenfalls zu den Agenten unseres Field Office, die sich gegenwärtig in der Wohnung der Luiginis befanden.
Sam schaute durch die Tür und forderte mich auf, ihm kurz zu folgen.
Ich kam dieser Aufforderung nach, während Milo mit Scirea zurückblieb. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss.
„Was gibt es, Sam?“, fragte ich, während ich ihm durch einen Korridor folgte, an dessen Ende sich ein Büro befand, wie ich durch die halboffene Tür sehen konnte. Schreibtisch, Computer, Kopierer – alles, was man so brauchte.
„Wir haben Wanzen gefunden“, erklärte Sam in gedämpftem Tonfall.
„Unsere eigenen Leute waren das nicht zufällig?“, fragte ich zurück.
Sam schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, das ist ausgeschlossen. Erstens verwenden wir nicht diesen Gerätetyp und zweitens habe ich mich gerade noch einmal bei Mister McKee rückversichert. Es liegt in Bezug auf Jack Luiginis Privatwohnung weder eine richterliche Erlaubnis zum Abhören vor, noch hat es in der Vergangenheit von unserer Seite irgendeine Aktion gegeben, die sich unter die Begriffe Gefahrenabwehr oder Bekämpfung des Terrorismus fassen ließen.“
Seit den Ereignissen des 11. Septembers 2001 waren die Möglichkeiten, Verdächtige abzuhören speziell in diesen Fällen erheblich erleichtert worden.
Aber auch wenn vom FBI aus kein Einsatz von Abhörelektronik dokumentiert war, so konnte es immer noch sein, dass möglicherweise die Kollegen der Geheimdienste CIA und NSA oder Beamte der Drogenpolizei DEA hier tätig geworden waren.
Die Kooperation unterschiedlicher Dienste mit sich teilweise überschneidenden Kompetenzbereichen konnte manchmal ziemlich schwierig sein – insbesondere dann, wenn jeder dieser Dienste peinlich genau darauf achtete, dass die anderen entweder gar nicht oder nur unzureichend informiert wurden.
Inzwischen wusste man längst, dass Fehleinschätzungen und mangelnde Kooperation zwischen FBI und CIA durchaus mitverantwortlich dafür gewesen waren, dass es Al Quaida-Terroristen gelungen war, mit zwei Flugzeugen das World Trade Center zu zerstören. Aber die diesbezüglichen Reformen waren leider im Ansatz stecken geblieben.
„Wir werden abklären müssen, wer für die Wanzen verantwortlich ist“, sagte Sam Folder. „Aber ich glaube eigentlich nicht, dass es sich um irgendwelche offiziellen Stellen handelt.“
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INNERHALB KURZER ZEIT fanden unsere Erkennungsdienstler mehr als ein Dutzend weiterer Wanzen. Sie befanden sich in allen Räumen. Selbst Bad und Kinderzimmer waren davon nicht ausgenommen
Wer immer dafür verantwortlich zeichnete – er war über alles informiert gewesen, was innerhalb der Wohnung gesprochen worden war.
Da brauchte man sich nicht mehr zu wundern, woher ein Attentäter wusste, wann und wo er sein Opfer erwarten konnte.
Ich ging zu Clive und Orry, die ihre Befragung von Mrs Luigini gerade abgeschlossen hatten.
In knappen Worten machte ich der Witwe klar, dass ihre Wohnung vollkommen verwanzt gewesen war. „Haben Sie irgendeine Ahnung, wie diese Abhörelektronik in Ihr Haus gelangen konnte?“
Zum ersten Mal sah ich in Rose Luiginis Gesicht eine Regung, die mir weder maskenhaft noch gekünstelt vorkam.
Sie schluckte.
„Der Mörder Ihres Mannes wusste, dass er zum PINK BALLS unterwegs war“, mischte sich Clive ein. „Er hat ihn dort abgepasst.“
„Wir mussten vor drei Wochen die Telefonanlage reparieren lassen und dabei stellte sich heraus, dass auch ein paar Leitungen nicht mehr in Ordnung waren“, erklärte Rosa Luigini schließlich.
„Wissen Sie noch, wie die Firma hieß?“
„Nein. Jack hat das immer geregelt.“
„Es müsste darüber eine Rechnung geben“, war Orry überzeugt. „Und die werden wir früher oder später auch finden.